Donnerstag, 1. Februar 2007

An einem Mittwoch im Heim

„Einen Kaffee?“, fragt meine Klientin im Pflegeheim mich.
„Oh ja bitte, mit viel warmer Milch, wenn’s geht.“
Frau Herz drückt auf die mit großen Buchstaben beklebte Taste der Espressomaschine in der Aula. „Bitte sehr. Nehmen Sie doch Platz.“
Wir setzen uns auf das orangerote Sofa vor dem Kamin. Es riecht nach Lavendel und Sandelholz und im Kamin knistert das Feuer. Wir besprechen die wichtigsten Angelegenheiten. Vor allem die, dass sie in Zukunft keine Sachwalterin mehr brauchen wird, da sie in den letzten Monaten im Heim immer selbstständiger und vor allem glücklicher geworden ist. „Später kommt dann noch eine Studentin, die schreibt meine Lebensgeschichte auf“, erzählt sie mir. „Die meint, es wäre schade, wenn dieser Schatz an Erfahrungen und Wissen für die jungen Leute verloren geht.“ Ich nicke.

Herr Schober, ein kleiner, verhunzelter, verrunzelter alter Mann, der erst seit wenigen Tagen hier lebt, setzt sich zu uns. Er weiß nicht, ob heute Sonntag oder Mittwoch ist, aber das ist ihm egal. Wichtig ist nur, dass er heute Mittag beim Tarockieren gewonnen hat. „Wann gibt es Essen?“, fragt er die junge Direktorin des Pflegeheims, die gerade vorbeigeht. Die setzt sich zu ihm, wischt ihm mit einer Serviette liebevoll den Sabber von den Mundwinkeln und sagt: „Wann immer Sie möchten, Herr Schober. Sie sind hier nicht im Gefängnis. Heute gibt es Tafelspitz mit Semmelkren, gedämpften Saibling mit Erbsensprossen oder Kalbsherz-Beuscherl & Gewürzrauch. Sie können aber selbstverständlich auch a la Carte bestellen. “

Eine übergewichtige Frau in Schürze und klobigen Gummistiefeln marschiert auf und ab. Auf ihrer Nase eine dicke Warze und eine mindestens ebenso dicke Brille. „Dieser Idiot hat sie mir schon wieder gestohlen. Immer stiehlt er mir meine Augengläser, dieser Herwig! Dabei muss ich in den Stall, die Kühe melken.“
Ein junger, langhaariger Pfleger springt auf und wirft sich seine Jacke über. „Die Kühe sind heute schon gemolken“, sagt er, obwohl es weit und breit keinen Kuhstall gibt, „aber die Schweine müssen noch gefüttert werden. Möchten Sie, dass ich Sie begleite? Ich muss sowieso noch die Eier holen.“ Da viele der Bewohner hier früher Bauern waren, hat er vor ein paar Jahren durchgesetzt, dass Schweine- und Hühnerställe gebaut wurden und auf der Wiese hinter dem Heim ein paar Schafe grasen. Das erspart auch das Grasmähen.

Vor dem Kamin, neben der Sofaecke steht ein Pflegebett. Darin liegt die älteste Heimbewohnerin, sie kann nicht mehr aufstehen. Sie kann auch nicht mehr sprechen, aber sie liebt es, ins offene Feuer zu schauen. Am Bett sitzt eine Schwester und füttert sie geduldig mit Erdbeerjoghurt. Später wird sie ihr etwas vorlesen.

Herwig Steiner sitzt ganz allein in einer Ecke, füllt Formulare aus, trägt sie in einen Aktenspiegel ein, heftet sie sorgfältig mit Büroklammern zusammen und klebt Stempelmarken darauf. Er lächelt versonnen vor sich hin. „Er denkt schon wieder an Barbara“, flüstert die Direktorin mir zu. „Sie war seine große Liebe. Er denkt fast immer an Barbara.“

„Mama!“, höre ich eine hysterische 60-jährige schreien, und zucke zusammen „ich bitte dich inständig, komm wieder nach Hause! Bei uns hast du doch alles, was du brauchst.“
Elvira Grandl schüttelt vehement den Kopf. „Ich bin hier zu Hause“, sagt sie bestimmt, „hier habe ich, was ich brauche. Gesellschaft, wunderbares Essen, ein Whirlpool, hübsche Pfleger. Vor allem aber Ruhe, wenn ich sie brauche. Kein Mensch bevormundet mich hier. Und aus.“ Elvira hievt sich im Cocktailkleid und Stützstrümpfen auf den niedrigen Barhocker und bestellt einen Caipirinha. „Aber Mama!“, keift die Tochter, „der Arzt hat gesagt, du sollst keinen Alkohol ...“
„Begleiten Sie meine Tochter doch hinaus“, ersucht Elvira den Pfleger, der dieser Bitte sofort nachkommt.

„Wie lange wird sich meine Großmutter dieses Heim leisten können?“, erkundigt sich ein junger Mann bei der Direktorin und fällt beinahe in deren Dekolleté. „Sie hat Angst, hier weg zu müssen.“
„Da machen Sie sich mal keine Sorgen“, beruhigt sie ihn und legt ihre warme Hand auf seine. „Unser Heim steht allen alten Menschen offen, die nicht mehr zu Hause leben können, auch wenn die Ersparnisse aufgebraucht sind oder sie gar keine haben. Diese Generation hat unser Land nach dem Krieg aufgebaut und viel für die Gesellschaft geleistet. Zum Glück hat die Regierung endlich kapiert, dass es nun an der Zeit ist, den Menschen etwas zurückzugeben. Und dass jeder und jede, unabhängig von Reichtum und Herkunft, das Recht hat, in Würde und Freiheit alt zu werden.“

„Barbara!“, schüttelt mich meine Kollegin und ich öffne verschlafen die Augen. „Sag einmal träumst du? Wolltest du nicht am Nachmittag ins Pflegeheim?“

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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