Freitag, 27. Juli 2007

Martha

Martha sagt, was sie denkt. Und Martha denkt viel. Sie nimmt ihre Tasse Tee und setzt sich von den älteren Herrschaften weg an den anderen Tisch. „Das ist ja nicht auszuhalten, die reden nur über Krankheiten.“
Sie selbst diskutiert gern über deutsche Lyrik und Geschichte, denn Martha ist Germanistin und Historikerin. Als ich ein Foto von meiner Freundin in der Abendsonne mache, stellt sie fest: „Na ja, in der Abendsonne ist jeder schön.“ Dann begutachtet sie mein Handy, ist erstaunt darüber, dass man damit sogar fotografieren kann, findet das genial und und beschließt, sich auch so ein Teil zuzulegen.

Ihr Vater war eine der herausragendsten Persönlichkeiten der österreichischen Fußballgeschichte, erzählt sie beiläufig. Im Alter von 55 Jahren ist er an einem Herzinfarkt gestorben. „Kein Wunder, der hat ja ständig geraucht.“ Martha zündet sich die nächste Zigarette an. Sie selbst ist gesund. „Na ja, Leistungssport kann ich mit meinem Knie nicht mehr ausüben“, meint sie, die Turmspringerin und Kraulerin war „aber muss ja nicht unbedingt sein.“

Martha liebt ausgefallenen Schmuck, deshalb ist sie hier, denn sie gestaltet und macht ihren Schmuck selbst. Schmuckstücke von der Sorte, bei denen meine Oma entsetzt aufgeschrieen hätte: "So etwas kann man sich doch nicht um den Hals hängen!" Sie fertigt einen originellen Handschmuck und hasst alles, was konservativ und allzu gleichmäßig ist. Langeweile verabscheut sie. Langeweile kommt auch nie auf, wenn Martha in der Nähe ist.
Ihren trockenen Lippen entschlüpft immer ein ebenso trockener Spruch. Als Roswitha, die bald 80 wird, beim Abendessen erzählt, dass sie zehn Geschwister hat, ruft Marhta: „Ich bin entsetzt! Dein Vater ist ein rücksichtsloser Mensch. So etwas kann man einer Frau doch nicht antun.“
Martha ist 89.
Sie war schon öfter hier, hat Steine geschliffen, Schmuck gefertigt, getöpfert und gemalt, doch irgendwie ist alles neu für Martha. Jeden Tag. Als sie am dritten Tag gefragt wird, wie es ihr im Kurs gefällt, antwortet sie: „Woher soll ich das wissen? Der Kurs fängt ja erst an!“

Martha weiß zwar nicht genau, wo sie ist und mit wem, sie weiß nicht, welcher Tag heute ist und wahrscheinlich auch nicht, welches Jahr, aber mit Feuereifer sägt, schleift und lötet sie. Als die Fassungen für den teuren Labradorit und das Ebenholz nach zwei Tagen Arbeit, viel Schweiß und einigen Missgeschicken endlich fertig sind, fehlen die Steine. „Welche Steine?“, fragt sie erst verwundert, erinnert sich dann aber: „Ich hab sie in ein Röhrchen gegeben.“ Sie weiß aber nicht, in welches und wo dieses Röhrchen sein soll. Dann lümmelt die sonst so lustige Martha verzweifelt an ihrem Arbeitsplatz, kramt in der riesigen Tasche mit den vielen Plastiksackerln und sagt: „Vielleicht hat jemand anderer sie eingesteckt.“ Um schnell hinzuzufügen: „Nicht absichtlich, natürlich, das behaupte ich ja nicht. Zufällig eher.“ Ihren Zimmerschlüssel sucht Martha auch immer, aber das wissen wir mittlerweile alle, dass der an ihrer Brust baumelt. Dorthin haben wir ihn am ersten Abend nämlich gehängt.
Wir helfen Martha, neue Steine und neues Ebenholz für die Fassungen zurechtzuschleifen und anzupassen. Am nächsten Tag wird sie vergessen haben, dass sie den Labradorit gekauft und verlegt hat und wieder glücklich sein.
„Jetzt muss die Silberplatte in die Beize“, erklärt die Kursleiterin und Martha fragt zum siebenundvierzigsten Mal: „Wo ist die Beize?“
Einmal sitzt Martha an meinem Arbeitsplatz. „Martha, du bist falsch hier“, mache ich sie behutsam aufmerksam, „das ist mein Platz.“
„Ich weiß“, sagt sie, „aber das Schmuckstück hier ist wenigstens schon fertig.“

Von Tag zu Tag schließe ich die Frau mehr in mein Herz. Ich weiß nicht, ob Mitleid angebracht ist, denn Martha scheint gar nicht zu leiden, oder nur sehr selten. Sie freut sich jeden Tag an der schönen Landschaft, murmelt: „Hier war ich noch nie!“ und „so etwas Wunderbares hab ich noch nie gesehen“, sie bringt uns zum Lachen und lacht selber mit, wenn sie zur Wirtin, mit der sie seit zwanzig Jahren per Du ist, sagt: „Ich glaube, ich habe Sie schon irgendwo gesehen, ich kenne Sie flüchtig.“

In meinem Auto bewundert sie die vielen bunten Lichter und erzählt, dass sie bis vor drei Jahren selbst gefahren ist. „Sie haben mir den Führerschein weggenommen“, beklagt sie sich, „dabei bin ich nur gegen die Einbahn gefahren. Gut, ich hab das Schild nicht gesehen, aber es kam ja gar nichts entgegen. Deshalb hätten sie mir doch nicht gleich den Schein wegnehmen müssen. Die haben nur irgendeinen Vorwand gesucht.“ Wäre ihr dieses Missgeschick nicht passiert, Martha würde immer noch Auto fahren.
Vielleicht ist es gut, dass sie das nicht mehr tut.

Heute Nachmittag habe ich mich von Martha verabschiedet. Mit einer liebevollen Umarmung. Ich weiß nicht, ob ich sie je wiedersehen werde. Aber in meinem Herzen, da werde ich sie behalten. Sie und das Flackern in ihren Augen, wenn sie – als ich mit frisch gewaschenen und gestylten Haaren zum Essen komme - sagt: „Deine Halskette ist wirklich ausgesprochen toll. Wenn du dich jetzt auch noch frisieren würdest!“

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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