Montag, 7. Februar 2011

Die Millionärin

Aus der Seire "Alt, aber gut", especially for B.

Waren Sie schon mal Millionärin? Ich schon. Drei Wochen lang. Drei ganze lange Wochen war ich Millionärin.

Es begann an einem Donnerstag. „Herzlichen Glückwunsch, Sie sind Kandidatin in der Millionenshow.“

Das Telefoncasting hab ich bravourös bestanden, ich wusste die Hauptstadt von Albanien, den Schlagzeuger der Beatles und den Autor der Buddenbrooks. Nur bei der Matheaufgabe hat es mich geschleudert. Das Ergebnis einer Division wollte sie wissen, die Dame am anderen Ende der Leitung und ich hab gesagt, von welcher Division und drauf gewartet, dass sie mich fragt, wie viel 32 durch 8 ist. Hat sie aber nicht. Eh haben später alle meine Freunde gewusst, dass das Ergebnis einer Division der Quotient ist. Und eh haben alle gewusst, wie viele Kilometer es von Kapstadt nach Peking sind. Und das in fünf Sekunden.
Dann musste ich über meine Vorlieben erzählen und über ein schönes Ereignis in meinem Leben, und ich war etwas enttäuscht, dass die nette Frau damit nicht meine sexuellen Vorlieben gemeint hat. Also hab ich ihr halt von der Frankfurter Buchmesse erzählt und dass ich dort gelesen hab. Dass Konstantin Wecker mich berührt hat. Irgendwann hört Bescheidenheit auf, eine Tugend zu sein.
Wie würden Sie einem Blinden ihr Äußeres beschreiben, fragt sie mich. Ähm. Nun ja. Warm und weich. Die Füße reichen bis zum Boden. Beide. Sie lacht, aber sie nimmt mich nicht ernst. Warum nimmt niemand mich ernst? Ich glaube, einem Blinden ist mein Aussehen völlig egal, sage ich dann.

Ich lerne. Nein, ich strebere. Wie noch nie in meinem Leben. Nicht mal für die Matura hab ich so viel gelernt, da hatte ich andere Sorgen (Sie hießen Bernd, meine Sorgen).
Nach drei Wochen kenne ich alle EU-Kommissare, wenn auch nicht persönlich, und die meisten Hauptstädte der Welt und ich weiß, an welche Länder das Kaspische Meer grenzt.
Nun gut, Freunde hab ich keine mehr, aber wer braucht schon Freunde, wenn er fast alles weiß?
Wenn die Sekretärin im Büro wissen will, was mein Genuschel auf dem Diktiergerät bedeutet, sage ich: Die vier Auswahlmöglichkeiten, bitte.

Auf meiner Schreibtischunterlage steht ganz groß: Delete A B C D Enter und beim Telefonieren tippe ich wild BCDA Enter. Oder CABD, je nachdem, wer anruft. Und ärgere mich, wenn ich auf die Enter-Taste vergesse.
Mein Kollege regt die Bestellung eines Sachwalters an. Wahrscheinlich ist er auf meine Millionen aus. Nächste Woche hab ich einen Termin beim psychiatrischen Sachverständigen. DABC. Enter.
Nur eine Kollegin ist glücklich. Ich hab sie als Telefonjokerin auserkoren. Für die Bereiche Klatsch & Tratsch, Film und Fernsehen. Sie sitzt mit ruhigem Gewissen im Besprechungszimmer und schmökert in der Gala. Sie weiß, ob Demi Moore schwanger ist oder nicht. Kennt die Namen von Becks Kindern. Weiß Bescheid über Beckers Samenraub. Wenn ich gewinne, dann hätte sie gern ein Bunte-Abo.

Ich habe eine Ahnung davon, was Paruresis ist, welche Berufe die vier Evangelisten hatten und wie Natalie Wood wirklich hieß. Ich büffle Nobelpreisträger, kenne Modeschöpfer und ihre Parfums und frage mich, wie ich je ohne dieses Wissen überleben konnte.

Ich lerne natürlich nicht ständig. Ich überlege auch, was ich mit einer Million mache. Schulden zurückzahlen, beschließe ich. Und um den Rest kauf ich mir eine Flasche Wein. Aber dann entscheide ich mich anders. Mein Sohn bekommt einen Traktor. Einen richtigen diesmal, ohne Maßstab. Und weil ein Traktor ohne Acker wenig Sinn hat, kauf ich ihm das Feld gleich gegenüber. So ist er zum Essen schneller daheim. Meine Tochter wünscht sich ein Klavier, Klavierunterricht und eine Reise mit mir nach Oia. Dort spielt nämlich der Roman, den sie grad liest. Vielleicht treffen wir die Mädels aus dem Buch da. Oia ist übrigens die zweitgrößte Stadt auf Santorin.

Ich selbst will nach West-Samoa. Hauptstadt? Apia. Was ich dort mache? Mein Browser steht dort. Deshalb endet meine Homepage auch auf dot ws. Ich werde meinen Browser besuchen. Vielleicht für immer. Ich liege dann in der Hängematte, schreibe Bücher, telefoniere hin und wieder mit meinem Verleger und lasse mir von einem Boy eisgekühlte Drinks servieren.

Wenn Assinger dich duzt, dann duze ihn auch, gibt mir meine Kollegin (die ohne Bunte-Abo) noch mit auf den Weg. Wegen des Machtgefälles. Also übe ich im Bett. „Ja Armin?“, säusle ich mit kokettem Augenaufschlag und mein Mann schüttelt den Kopf. Er heißt nicht Armin.
Meine zweite Telefonjokerin hätte gern Armani-Jeans, und Ramazzotti. Eine Frau hätte sie auch gern, doch die kann man nicht kaufen. Nicht mal mit viel Geld.
Aber ich werde sie bei der Millionenfrage, die ich sowieso locker weiß, anrufen und ihr sagen, dass sie dreißig Sekunden Zeit hat, eine Annonce für die Richtige aufzugeben.

Meine Tochter darf mich begleiten. Das freut sie, weil sie
A) nicht in die Schule muss
B) Armin Assingers strahlende Zähne live sieht
C) in einem teuren Hotel mit Schokolade auf dem Kopfpolster schlafen darf oder
D) oft und lang im Bild ist, wenn die Mama in die Mitte kommt, wovon wir selbstverständlich alle ausgehen.
DACB Enter.

Also erstmal coole Klamotten kaufen, fernsehtaugliche. Nix Schwarzes, nix Weißes, nix Kleinkariertes, steht in den Anweisungen. Boahh, glauben die wirklich, bei uns zu Hause wäre irgendetwas kleinkariert?
Ich brauche neue Schuhe. Und eine neue Frisur. Unbedingt.
Was, wenn ich mich blamiere? Wenn mir nicht mal mehr mein Name einfällt? Wenn ich auf den viel zu hohen Schuhen umkippe und in Assingers Arme falle? Wenn ich an der 300-Euro-Frage scheitere?
Der Bachblüten-Online-Test beschert mir Tropfen gegen Lampenfieber und Prüfungsangst. Hilft’s nix, schadt’s nix, sage ich mir und schlucke.

Wir fliegen nach Köln.
Irgendwann sind wir im Studio. Ich bin müde, ich stehe sonst auch nie um fünf Uhr früh auf. Briefing von Endemol. Briefing vom ORF. Was darf man sagen, was nicht. Wenn ich in die Mitte komme, sage ich sowieso, was ich will. Ich lass mir doch nicht den Mund verbieten. So viele Millionen können die mir gar nicht nachschmeißen, dass sie mich zum Schweigen verdammen können. Keine Werbung, sagen sie. Auf Teufel komm raus werde ich werben. Für den Stinki, den meine Tochter auf dem Schoß haben wird. Meine Tochter begleitet mich, werde ich sagen, und der Stinki. Der Stinki ist mein schlechtes Gewissen. Also nicht meins, sondern das vom Jakob. So schaut’s nämlich aus. Und ganz Österreich wird das hören und sehen und am nächsten Tag die Buchhandlungen überfallen und das Buch der Neo-Millionärin wollen.

Die Frau vom Kostüm trägt Jeans und findet unsere Kleidung geeignet. Das wäre ja auch noch schöner gewesen! In die Maske, bitte. Mama, du wirst maskiert? Meine Tochter ist entsetzt. Nehmen Sie ruhig reichlich Lippenstift, säusle ich und stelle erfreut fest, dass das Fernsehen hier nicht spart. Jetzt ins Studio, zur Probe. Staffel 358 bitte, die Kandidaten. Ein bisschen erinnert mich das alles an Massentierhaltung. Werden wir jetzt vor den Schlächter geführt? Ich muss aufs Klo. Ich habe Angst vor öffentlichen Toiletten. Paruresis. Ich gehe trotzdem jede Viertelstunde. Es wäre blöd, wenn Assinger mir die 300.000 Euro Frage stellt und ich sage: Tut mir leid, Armin, ich muss schnell mal pinkeln.

Ich versuche ein paar Witze. Sie scheitern kläglich, die anderen Kandidaten finden mich nicht lustig. Ich mich auch nicht, aber ich finde, mit Lachen wäre alles ein bisschen leichter. Habt ihr was gelernt, frage ich neugierig. Natürlich ist die Millionenshow nur ein Spiel und natürlich hat niemand, der dort sitzt, auch nur irgendwas gelernt. Darauf kann man sich nicht wirklich vorbereiten, sagt der Buchhalter und ich sehe, wie der Taschenatlas aus seiner Aktenmappe lugt.

Also ich schon, verkünde ich stolz. Ich hab total viel gelernt.
Meine Tochter findet mich peinlich.
Eine ältere Frau kaut an den Nägeln und eine Tussi geht nervös auf und ab. Ich biete ihnen mein Fläschchen mit den Bachblüten an. Der Numismatiker schaut streng.
„Wir könnten wenigstens etwas singen!“, schlage ich vor.
Sie schweigen betreten. Ob sie wohl wissen, dass ich nicht singen kann?

Eine Proberunde mit einem Ersatz-Assinger. Man sagt uns, in welche Kamera wir lächeln müssen. Wir lächeln. Tamtaramtammmm. Die Auswahlrunde. Ordnen sie folgende Elemente alphabetisch nach ihren chemischen Zeichen.
A Sauerstoff
B Kohlenstoff
C Gold
D Wasserstoff

CBDA Enter.
Und die Testsiegerin heißt .... tamtaramtammmm ...
Ich lächle überheblich. Schade, dass es nur ein Test war. Meine Tochter findet mich plötzlich gar nicht mehr peinlich.

Dann beginnt das große Warten. Ich esse etwas, weil sie mich bestimmt wieder peinlich finden würde, wenn Armin Assinger meinen Magen knurren hört.
Im Fernsehen sehen wir die Aufzeichnung, die jetzt grad läuft. Natürlich hätten wir alles gewusst, die sieben Todsünden und die Sakramente und die Weltumseglerin und überhaupt alles.
Ja. und irgendwann schubst uns jemand in die Arena. Das Spiel ist kein Spiel mehr, sondern Ernst. Das Publikum tobt. Wahrscheinlich wegen meiner neuen Schuhe. Vielleicht aber auch, weil der Animateur eine Tafel mit „Applaus“ in die Höhe hält. Assinger reicht uns allen die Hand. Er ist riesengroß, auch ohne Schi, und seine Zähne sind weißer als der Schnee im Zielhang der Streif. Sein Händedruck ist fest. Die Hand von Konstantin Wecker auf meiner Schulter war trotzdem schöner. Wärmer.

Tamtaramtaaaaam. Wir werden vorgestellt und lächeln in die richtige Kamera. Eine Sekunde lang. Die Auswahlaufgabe. Ordnen Sie diese kirchlichen Feiertage chronologisch. Und das mir. Die können doch eine bekennende Sozialdemokratin nicht einfach kirchliche Feiertage sortieren lassen. Ich weiß aber, dass der Gründonnerstag nicht unmittelbar nach dem Aschermittwoch kommt. In der Aufregung vertippe ich mich, drücke die Delete-Taste und gebe die Lösung neu ein. Enter. Natürlich bin ich mit zehn Sekunden nicht mehr die Flinkeste. Zweitschnellste. Verdammt.

Bei der zweiten Chance scheitere ich am Schneewittchen. Zur allgemeinen Überraschung scheitern auch alle anderen am Schneewittchen. Also eine neue Aufgabe. Natürlich eine ganz eine leichte. Ich bin schnell. Sauschnell. Drei Sekunden sechzehn. Aber es gibt Momente im Leben, da ist sauschnell zu langsam. Und die Zweite ist immer die erste Verliererin.

Die Seifenblase schwebt an mir vorbei und zerplatzt. Heraus fallen Träume. Ich fürchte, ich muss mir die erste Million erarbeiten. Mein Sohn wird den Traktor kriegen. Den kleinen von Siku, den neunundzwanzigsten. Meine Tochter bekommt statt dem Klavier ein Metronom. Damit sie nicht so taktlos ist in Zukunft. Vielleicht leiht sie es mir manchmal. Und den Sommer verbringe ich im Waldbad, wie die letzten sieben Sommer auch.

Wieder am Flughafen. Um die Spesen, die der ORF mir bezahlt, kaufe ich eine Flasche Ramazzotti. Duty free. Und die Bunte. Das lass ich mir nicht nehmen.
Meine Schulden auch nicht.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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