Donnerstag, 17. Mai 2012

Wickel, 2. Versuch

„Hallo Mama!“ Dorina schließt leise die Tür hinter sich. Jeden Samstag besucht sie ihre Mutter im Pflegeheim. Aus Pflichtgefühl einerseits, aber auch aus Hoffnung.
Als ihre Blicke aufeinandertreffen, fällt die Hoffnung zu Boden und zerbricht leise. Es ist ein vertrautes Geräusch, für beide Frauen.
Dorina küsst ihre Mutter auf die Stirn.
„Kind, wie schaust du denn schon wieder aus?“, zupft diese an ihrem kurzen Kleid. „Ist denen in der Fabrik der Stoff ausgegangen?“
„Hauptsache, dir geht die Boshaftigkeit auch im Alter nicht aus, Mama.“ Dorina öffnet den Schrank und schaut die Unterwäsche ihrer Mutter durch. Wenigstens das Pflichtgefühl ist noch da. Sie faltet die Kombinesch sorgfältig und gibt sie in das andere Fach, eine zerfledderte Unterhose stopft sie in ihre Tasche. Ihre Mutter würde nicht zulassen, wenn sie die vor ihren Augen in den Mistkübel werfen würde. „Brauchst du irgendwas, Mama?“
Ihre Mutter blickt demonstrativ aus dem Fenster, hinaus in den Park. Dort schiebt ein junger Pfleger eine alte Dame im Rollstuhl. „Was ich brauche, kannst du mir sowieso nicht geben“.
„Du konntest mir auch nicht geben, was ich gebraucht hätte“, murmelt Dorina. Pflichtgefühl, lass mich bitte jetzt nicht im Stich, denkt sie und sagt: „Komm, ich mach dir die Haare.“

Die beiden Frauen halten sich am Ritual fest. Schweigend kämmt Dorina ihr das feuchte Haar, schweigend reicht ihr die Mutter einen Lockenwickler nach dem anderen und zuckt vorwurfsvoll zusammen, wenn Dorina zu fest rollt oder den Wickler mit der Nadel unsanft fixiert.
Auch das Schweigen sticht fest zu und schmerzt. Als Dorina den Stielkamm auf die Kommode legt, fällt das gerahmte Sepia-Bild mit dem Soldaten in Uniform um. Dorina lässt es liegen.
„Ach, wenn er doch nur noch am Leben wäre.“ Ihre Mutter schlägt ein Kreuzzeichen. „Aber der Herrgott hat ihn zu sich geholt.“
„Der Herrgott sicher nicht. Eher der Teufel.“ Dorina wickelt fester. Halt dich im Zaum, denkt sie, es hat keinen Sinn mehr. Zu spät, wir werden das nicht mehr ausräumen. Mach nicht das bisschen Nähe auch noch kaputt. Es ist nicht klar, ob die Gedanken ihr selbst oder ihrer Mutter gelten.
„Ich hätt mich auch umbringen sollen, als er da in der Garage gehängt ist. Das wäre besser gewesen.“ Der Körper der alten Frau vibriert, nur ein wenig erst, doch nach und nach wird das Schütteln stärker.
„Du sollst dich nicht aufregen, Mama. Dein Blutdruck ist ohnehin viel zu hoch. Was hat es denn heute zu essen gegeben?“ Dorina wendet sich ab, gießt zwei Gläser Wasser ein und reicht eines ihrer Mutter. Ihr eigenes schmeckt nach einem Cocktail aus Pflichtgefühl, Bitterkeit und Hilflosigkeit.
„Er hat sich so gekränkt, dass du ihn so geschnitten hast. Du hast ihm das Herz gebrochen, Dorina-Schätzchen!“
Stille.
„Er hat meine Seele zerbrochen, Mama. Aber das hat dich nie interessiert. Wenn du deine Tage vorgetäuscht hast, ist er zu mir gekommen!“ Dorina kann weder die Erinnerungen noch die Tränen zurückhalten.
Ihre Mutter hält sich die Ohren zu und schreit: „Das ist nicht wahr. Das hast du dir alles nur eingebildet! Du hast immer schon eine lebhafte Fantasie gehabt.“
„Du hättest mich beschützen müssen, Mama, nicht ihn!“
Das Gesicht ihrer Mutter verfärbt sich bläulich. Sie ringt um Fassung, Luft und Worte.

„Nicht aufregen Mama!“ Dorina drückt die Klingel um die Schwester zu rufen. Dann rennt sie mit dem Waschlappen zum Waschbecken, hält ihn kurz unter das kalte Wasser und legt ihn ihrer Mutter auf die Stirn. Sie streicht ihr zärtlich über die Wange.

Angst, da ist nur noch Angst. Angst und etwas, das sich anfühlt wie Liebe. „Du musst atmen, Mama, komm... einatmen... und ausatmen... alles wird gut, Mama!“ Ihre Stimme überschlägt sich. „Bitte nicht sterben... Ich hab doch nur dich!“

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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