Samstag, 26. Mai 2012

Der Reinfall

„Oh mein Gott“, flüstert Jan Josef Liefers mir ins Ohr, „ich will mit Ihnen schlafen. Oh, wie gern ich das will.“ In seiner Stimme liegt alles, was eine Frau braucht. Sanftheit, Sicherheit, maskuline Stärke, Intellekt, Witz, Erotik.
Meine Hand wandert unter meinen Rock. „Jan Josef, ich will das auch!“, stöhne ich. Eine Spur zu laut, wie ich merke, als meine Mitpassagiere in der Abflughalle in lautes Gelächter ausbrechen.
Ich laufe rot an. Jan Josef hat nicht zu mir gesprochen, sondern seine Stimme Mick Stranahan geliehen, der wiederum nur deshalb mit Joey schlafen will, weil der Autor des Hörbuchs es so möchte. Gut für die Spannung. Joey, die totgeglaubt ist, weil ihr Scheißmann sie über die Reling eines Kreuzfahrtschiffes geworfen hat, was Joey allerdings überlebt hat, weil Mick Stranahan, der Kerl, der jetzt so dringend mit ihr schlafen will, ihr das Leben gerettet hat, was wiederum ihr Mann nicht weiß, der Joey noch immer tot glaubt.
Joey erstellt in Gedanken eine Liste mit den Gründen, nicht mit Mick zu schlafen. Bei Punkt vier gibt sie auf und schläft mit ihm. Mir fällt nicht mal ein Grund ein, nicht mit Jan Josef zu schlafen. Höchstens vielleicht der, dass er mich nicht gefragt hat.

Ich lächle die Menschen, die mich auslachen, liebenswert an. Kennt mich ja keiner, denke ich, spule zurück, weil ich in meiner Aufregung nicht mitgekriegt hab, ob Joey ebenfalls – so wie ich - „Ich will das auch!“ gestöhnt hat. Ich konzentriere mich auf die Handlung und nicht darauf, dass es mein Lieblingsschauspieler Jan Josef Liefers ist, der mir die Geschichte vorliest. Bitte lies mir irgendwann ein Telefonbuch vor, flehe ich ihn an. Bitte das von Tokio.

Es gelingt mir nicht, mich auf das Geschehen in Florida zu konzentrieren, weil einer der 132 anwesenden Frankfurter Wichtigtuer in ihrer Uniform aus grauem Anzug, schwarzen Schuhen, schwarzem Koffer und dunkelgrauer Ignoranz, und zwar nicht irgendeiner, sondern ausgerechnet der neben mir, ein wichtiges Telefonat führen muss. Sein Tonfall hört sich an, als ginge es um Leben und Tod.

Die Performance ist ausgezeichnet, sagt er und atmet tief. Erst denke ich: Oh, auch ein Künstler, ein etwas untypischer Künstler halt, aber ich hänge zum Glück nicht an Klischees. Ich will ihm ebenfalls von meiner Performance am Vorabend erzählen. 150 Leute im Publikum, ich im kleinen Schwarzen mit den Leseschuhen, mit denen ich nur lesen und ficken, aber nicht gehen kann, auf der Bühne. Headset auf dem Kopf. Wichtig. Ein verführerisches Lächeln auf den Lippen. 300 Augen an meinen Lippen. Aber das scheint den Kerl neben mir nicht zu interessieren, er blufft weiter mit seinen Imponiervokabeln wie Cashflow, Blue Chips und Volatilität.

Ich drehe meinen Ipod lauter, aber Jan Josef hat keine Chance gegen ihn. Impertinenz schlägt Intellekt. Ich drücke resigniert auf Stopp. Versuche, dem Geschwätz neben mir zu folgen, aber es will mir nicht gelingen. Das unbeabsichtigte und ungewollte Verfolgen von Handy-Telefonaten ist nicht nur unsäglich und unerträglich, es macht dem Gehirn vor allem deshalb Stress, hab ich mal gelesen, weil dieses ständig damit beschäftigt ist, sich potentielle, plausible Antworten des Gegenübers auszudenken, um die Puzzleteile richtig zusammenzusetzen. Keine halben Sachen.
Mir fallen beim besten Willen keine plausiblen Antworten auf Stop-Loss-Order und Fundamentalitätsanalyse ein.

Der Kerl neben mir redet laut und wichtig, die Menschen neben ihm ignoriert er, weil er sie gar nicht wahrnimmt. Wahrscheinlich verdient er das Zehnfache von dem, was ich verdiene, obwohl er noch nie in seinem Leben etwas Richtiges gearbeitet hat. Noch nie einer alten Frau den Hintern ausgewischt, am Bau Ziegel geschupft oder beim Billa die Regale betreut. Na gut, auch ich habe das alles noch nicht gemacht, aber trotzdem.

Ich denke an die Menschen, die ich am Vortag besucht habe. Die schlanke Blondine, zehn Jahre jünger als ich. Sechs Kinder, die drei minderjährigen, alle geistig schwer behindert, leben bei ihr, und sie sorgt gut für sie. Die ältere Frau, die seit Jahren ihren Mann pflegt. Alkoholiker. Leberzirrhose. Vor zwei Wochen ein Bein amputiert. Nekrosen am ganzen Körper. „Vielleicht muss der zweite Hax’n auch dran glauben“, hat sie gesagt, „beinahe wäre er bei der OP gestorben, aber mein Mann ist hartnäckig“.

Das sind für mich Heldinnen, denke ich, nicht diese Bankenfuzzis, die sich nur ums Geld sorgen und nicht um die Menschen. Geld ist offensichtlich in dieser Gesellschaft mehr wert. Ich frage mich, was die beiden Frauen, die mit den Jungen und die mit dem Alten, von so einem Typen denken würden. Aber diese Frauen fliegen ja nicht von Frankfurt nach Wien. Die fahren höchstens in die Apotheke und in die Sonderschule.
Ey, sei ein bisschen toleranter, ermahne ich mich. Wird bestimmt wahnsinnig wichtig sein, sein Job. Ich komme aber nicht drauf, für wen und warum.


Je länger der Kerl neben mir brabbelt und prahlt, desto wütender werde ich. Nicht nur, weil er mich von Jan Josef abhält. Ich beobachte die anderen Menschen in der Halle. Da, an der Tür. Drei gut gekleidete Araber. Vielleicht ist zufällig einer von ihnen ein Selbstmordattentäter, der die Maschine in die Luft jagt, denke ich, als mir einfällt, dass ich Klischees hasse und außerdem in diesem unwahrscheinlichen Fall auch tot und es um mich ziemlich schade wäre.

„Schluss jetzt mit dem Quatsch!“, brodelt meine ganze Wut an die Oberfläche und kocht über. „Rufen Sie wenigstens Ihre Freundin an und fragen Sie, was es zum Abendessen gibt. Aber wahrscheinlich haben sie gar keine Freundin, weil mit so einem Schleimer keine Frau etwas zu tun haben will. Oder noch besser: Denken Sie einmal über Ihr verkorkstes Leben nach. Konzentrieren Sie sich verdammt noch mal auf den bevorstehenden Flug und machen Sie Ihre Atemübungen. Wenn wir abstürzen, können Sie mit Ihren Aktien scheißen gehen. Halten Sie endlich Ihre verdammte Klappe, Sie präpotenter Arbeitsverweigerer. Solche wie Sie haben uns schon tief genug in den Ruin geritten. Und wenn Sie schon telefonieren müssen, dann bitte heimlich auf dem Klo, nicht in aller Öffentlichkeit. Dieser Schwachsinn interessiert ja keinen!“

Tosender - beinahe möchte man sagen frenetischer - Applaus brandet in der Abflughalle auf. Ja, die haben nur auf so jemanden wie mich gewartet. Auf jemanden, der es einem von denen einmal richtig hineinsagt.
Ich werde kostenlos upgegradet, die Cabin Crew bringt mir Martini, mit Zitrone und Eis. Gerührt. Ein nasses, kühles Tuch für die Stirn. "Entspannen Sie sich ein bisschen, Frau Lehner."
Ich darf mir aus dem Boardkatalog zwei Parfums, vier Lippenstifte und drei Uhren aussuchen, der Pilot lädt mich in das Cockpit ein und erklärt mir die vielen bunten Lämpchen, man serviert mir rosa geschmorten Kalbsrücken mit Frühlingsgemüse-Melange. Der schwule Flugbegleiter massiert meine Füße und für wenige Stunden bin ich Heldin des Alltags, Rächerin der Enteigneten. Ich bin stolz auf mich, und froh, dass ich mich endlich gewehrt habe. Mein ganz persönliches Blockupy in Frankfurt.

„Frau Lehner, aufwachen!“, tätschelt mir die Flugbegleiterin die Wangen. Oh, schon da? Ich schlage die Augen auf. Sie trägt einen blau-weißen Kittel und ein weißes Mützchen. Mein Business-Class-Liegesitz stellt sich als Pflegebett heraus. „Nicht bewegen, Frau Lehner, Ihr Körper ist von Hämatomen übersät. Offenbar sind Sie mit Aktenkoffern traktiert worden und man hat Zigaretten auf Ihren Oberschenkeln ausgedämpft. Auf ihrem Rücken hat jemand die Dax-Börsenkurve eingeritzt. Sie müssen ja etwas Schlimmes angestellt haben, dass die führenden Börsegurus Frankfurts derart über Sie hergefallen sind.“
Tränen kullern über meine Wangen. Ich habe Schmerzen, innen und außen. „Die Infusion wird gleich wirken, Frau Lehner“, sagt die liebenswerte Schwester. „Sollen wir jemanden von Ihren Angehörigen verständigen, oder eine Freundin?“
Ich schüttle den Kopf. „Danke nein. Sagen Sie bitte nur Jan Josef Liefers, dass er kommen und mir vorlesen soll.“

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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