Freitag, 12. Oktober 2012

Sag beim Abschied...

Ach, Tantchen,

„Was mich am Leben hält, ist mein Humor“, hast du vor drei Wochen gesagt und gelacht, obwohl du seit Jahren Schmerzen hattest. Ich hab dich in die Arme genommen und an mich gedrückt. Und geahnt, dass es das letzte Mal war.
Jetzt überschwemmen mich die Erinnerungen. An Samstage meiner Kindheit bei dir. Deine verrauchte, kleine Wohnung. Im Fernsehen Hans Moser und Paul Hörbiger, auf dem Plattenteller Peter Alexander und Hansi Kraus. Am Abend dann die Löwingerbühne. Es gab Frankfurter mit Semmeln, jeden Samstagabend. Zu Hause gab es nur Brot. Dein Gesicht war damals schon tief zerfurcht wie das von Lederstrumpf, zum Teil von den Smart, die du inhaliert hast, zum Teil von deiner Arbeit in der Gummifabrik. Aus der brachtest du immer kleine Kartonplättchen mit, zum Zeichnen, das war viel aufregender als auf Papier zu zeichnen. Und überhaupt war das Zeichnen bei dir aufregend, weil wir die 96-Stifte-Box hatten, weil dein Bruder in der Buntstiftfabrik gearbeitet hat.
Geborgen war es bei dir, und Verbote gab es nicht, zumindest kann ich mich nicht dran erinnern.

Du bist mir immer Vertraute geblieben. Vertraute und Vorbild. Du hast für mich für die Schule Knopflöcher genäht, aber sie haben der Lehrerin nicht gefallen.
Deine Nähmaschine, deine Freiheit und deine Selbstständigkeit waren deine höchsten Güter. Auf die Nähmaschine hast du irgendwann verzichtet, weil die Augen nicht mehr mitgemacht haben. Obwohl deine Lunge vom Krebs zerfressen war, obwohl du Schmerzen hattest und dein Herz und andere Organe angegriffen waren, hast du nie geklagt oder gejammert. „Geht eh“, hast du auf die Frage nach deinem Befinden gesagt und Kaffee für mich gekocht.
In der Liebe bist du keine Kompromisse eingegangen. „Den, den ich wollte, konnte ich nicht kriegen“, hast du mal gesagt, „und die anderen haben mich nicht interessiert.“ Zumindest nicht genug, um mit ihnen zu leben.

Als ich mich mit 18 in Bernd verliebt habe und alle mir abgeraten haben (zu Recht, wie ich später feststellen musste), hast du als einzige zu mir gehalten. „Tu, was du tun musst“, hast du gesagt, als ich von zu Hause ausgezogen bin und hast Bernd 10.000 Schilling geborgt, für die Reparatur seines Autos, obwohl du selber grad genug zum Überleben hattest. Er hat es nie zurückgezahlt. „Das verbuchen wir als Lehrgeld“, waren deine Worte, „aber sag’s nicht der Mama, die schimpft sonst mit mir.“

Als ich selber Kinder bekommen hab, ist deine Liebe nahtlos von mir auf sie übergesprungen. Du bist mit meinem Sohn stundenlang auf der alten Holzbank gesessen und hast mit ihm vorbeifahrende Traktoren bewundert. In ein paar Wochen hat er Geburtstag. Den ersten, den er nicht bei dir verbringt, denn er hat sich bei dir genauso wohl gefühlt wie ich, obwohl deine Wohnung längst eine andere war und es nicht mehr nach abgestandenem Rauch und Frankfurter Würsteln gerochen hat. Du warst da, als ich meine Tochter bekam und hast mich umsorgt und verwöhnt. Da war nie ein böses Wort von dir. (Nur meine löchrige Strumpfhose und mein knallroter Lippenstift haben dir nicht gefallen, aber das verzeih ich dir.)

Jetzt bist du tot. Jetzt kannst du mir nicht mehr erzählen, wie ihr euch im Krieg in der Waldhütte vor den Nazis versteckt habt, weil dein Vater Sozi war. Und von deiner Mutter, die Barbara hieß und nach der ich benannt bin.
Ich bin traurig, weil du nicht mehr bist. Aber irgendwie bin ich auch froh, dass dir ein Aufenthalt im Heim erspart geblieben ist. Das wäre nicht dein Leben gewesen, denn eines wolltest du nie: Von irgendjemandem abhängig sein.

Danke, dass du da warst. Und mir so viel gegeben und vererbt hast. Dein Lachen, deine Stärke, deinen Optimismus, dein Vertrauen in die Menschen. Deine Liebe zum Leben.
Servus, Tantchen.


Sag beim Abschied...

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

Neu

"Pinguin"
"Pinguin"
bonanzaMARGOT - 11. Mär, 11:11
Sleepless im Weinviertel
Ich liege im Bett. Ich bin müde. Ich lese. Eine Romanbiografie...
testsiegerin - 13. Jan, 11:30
... ich könnte mal wieder...
... ich könnte mal wieder eine brasko-geschichte schreiben.
bonanzaMARGOT - 8. Jan, 07:05
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
loving it :-)
loving it :-)
viennacat - 2. Jan, 00:51
Keine weiße Weste
Weihnachtsgeschichte in 3 Akten 1. „Iss noch was,...
testsiegerin - 16. Dez, 20:31
ignorier das und scroll...
ignorier das und scroll weiter nach unten.
testsiegerin - 27. Okt, 16:22

Web Counter-Modul


Briefverkehr mit einem Beamten
Erlebtes
Femmes frontales
Forschertagebuch
Gedanken
Gedichte
Geschichten
Glosse
In dreißig Tagen um die Welt
Kurzprosa
Lesungen
Menschen
Sex and the Country
Toll3ste Weiber
Vita
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren

kostenloser Counter