Donnerstag, 20. Dezember 2012

Always Ultra

Judith und ich waren seit sieben Monaten ein Paar. Sie hatte einen aufregenden und trainierten Körper, den ich Tag für Tag gerne neu entdeckte, einen scharfen Verstand, mit dem sie mich in Diskussionen oft forderte, sie war sportlich, witzig und warmherzig. Beruflich war sie als Dozentin für Audioproduktion an der FH erfolgreich und bei den Studenten beliebt. Judith liebte ihren Beruf. Ich liebte vor allem die Töne, die ich ihr beim Sex entlockte.
Kurz: Judith war meine Traumfrau.

Ich vertraute ihr. Zum Teil, weil ich von Natur aus kein misstrauischer Mensch war, zum anderen Teil, weil ich – ohne überheblich wirken zu wollen - überzeugt von meinen Qualitäten als Mann und Partner war, Qualitäten, die es durchaus mit denen von Judith aufnehmen konnten. Abgesehen davon schätzte ich Frauen, die ihr eigenes Leben lebten und die sich nicht über ihren Partner definierten.
Warum also hätte ich etwas dagegen haben sollen, als Judith im Frühling damit anfing, an den Samstag- oder Sonntagnachmittagen regelmäßig wegzugehen, um sich mit ihrer Freundin zu treffen, zum Shoppen, ins Kino oder Kaffee trinken.
Um ehrlich zu sein, ich war keineswegs unglücklich darüber. Denn im Frühling blühte nicht nur die Natur auf, auch die Bundesliga erwachte aus ihrem endlos scheinenden Winterschlaf. Das bedeutete, dass Walter und Erwin kamen und wir gemütlich das eine oder andere Gläschen und Tor konsumierten und kommentierten. Wir hatten uns nach unseren wilden Jahren zu dem entwickelt, was Spötter Komfortzonen-Fans nannten, aber wir fanden, mit 40 Plus hatten wir uns das redlich verdient. Sofa vorm Ofen anstatt Tribüne und feuchte Kälte, 50 Zoll mit Nahaufnahmen statt ein schlechter Blick aufs Spielfeld, ein guter Barrique aus dem Riedel Glas statt Bier aus dem Plastikbecher. Eine jahrzehntelange Freundschaft verband Walter, Erwin und mich. Was uns noch verband, waren die Veilchen, also die Wiener Austria.
Judith hätte nie böse Bemerkungen über unser Hobby gemacht wie Walters Frau, die Woche für Woche „Fußball ist dir also wichtiger als unsere Beziehung?“ keifte, wenn er das Haus verließ. Walter antwortete immer diplomatisch mit „das kann man so nicht sagen“, anhand mit einem ehrlichen „Ja“. Früher hatte sie jedes Mal pünktlich nach dem Schlusspfiff angerufen und gefragt, wo er bliebe, bis Walter Erwins Rat folgte und das Handy einfach ausschaltete.
Das würde Judith nie tun, dachte ich, mir hinterhertelefonieren und mir meinen Spaß nicht gönnen. Ich vertraute ihr, und sie vertraute mir. So einfach war das. Nun ja, um ehrlich zu sein, ich weiß gar nicht, wie Judith reagiert hätte, sie war ja meistens schon weg, wenn meine Jungs kamen.
Wahrscheinlich hätte sie sich gelangweilt in ihr Studio zurückgezogen und die Tonaufnahmen ihrer Studenten angehört. Vielleicht hätte sie vorher noch augenzwinkernd in unsere Richtung bemerkt, dass wir ja doch zu Emotionen fähig wären. Vielleicht hätte sie auch „Was war noch mal ein Abseits?“ gefragt und spöttisch gegrinst, weil keiner von uns Dreien – wir waren allesamt Akademiker - ohne Zuhilfenahme von Bleistift und Zettel ein Abseits erklären konnte.

Wie gesagt, ich war von Natur aus nicht misstrauisch. Ich wurde es auch nicht, als Walter – Junuzovic netzte gerade ins linke Kreuzeck ein - bemerkte, dass Judith von ihren ausgedehnten Shopping-Touren nie mit Einkäufen zurückkam. Erwin – der bisweilen unter seinem Singledasein litt, fügte sarkastisch hinzu: „Vielleicht hast du sie falsch verstanden. Vielleicht hat sie ja Poppen gesagt und nicht Shoppen.“
Solche blöde Bemerkungen konnten mich nicht aus der Ruhe bringen. Ich versuchte mich wieder auf den Bildschirm zu konzentrieren. Unkonzentriert war leider Ortlechner, der den Ball anstatt ihn zum Torwart zurückzuspielen an diesem vorbei ins eigene Tor schoss.
Wie gesagt, ich vertraute Judith, aber hatte sie da nicht aufgeregte rote Flecken im Gesicht? „Ganz schön kühl draußen“, lächelte sie und küsste meine Bedenken weg.

Niemals hätte ich mich – wie andere Männer - dazu hinreißen lassen, heimlich in ihren SMS nach verräterischen Nachrichten zu suchen. Solche Aktionen machten Beziehungen kaputt. Misstrauen machte die Liebe kaputt, darin waren Judith und ich uns einig. Ich wollte nichts kaputtmachen. Aber ehrlich, was würden Sie tun, wenn Ihre Freundin ihr IPhone zu Hause liegen lässt und es nicht aufhört zu klingeln, während Emir Dilaver mit einem Zuckerpass auf Hosiner das 1:0 einleitet? Ich schwöre, ich griff ihr Handy nicht an, sondern warf nur einen schnellen Blick auf das Display. „Sandra ruft an“, stand dort. Sandra. War Judith nicht mit Sandra im Zoo?

„Wie war’s mit Sandra im Zoo?“, fragte ich so beiläufig wie möglich, als wir am schön gedeckten Tisch saßen und Steaks vom argentinischen Angus-Rind, ihre Lieblingsspeise, aßen. Dazu gab es Folienkartoffel und Zuckerschoten. Ich hatte für sie gekocht, um ihr eine Freude zu machen. Ich hatte nämlich ein klein wenig Angst, sie zu verlieren, und ich wollte meine Traumfrau nicht verlieren. Immer öfter schlich sich der Gedanke in mein Hirn, sie könnte mich betrügen. Ich würde um sie kämpfen, schwor ich mir, selbst wenn es da jemand anderen in ihrem Leben gab. Vielleicht war es zwischen ihr und diesem Kerl, wenn es einen gab, ja nur Sex, während Judith und mich viel mehr verband als körperliche Anziehungskraft. Was auch immer passiert war, ich wollte ihr dieses Foul verzeihen und nicht die rote Karte zücken.
„Wie es im Zoo war? Ach, wie es im Zoo halt so ist. Viele Tiere. Der Tiger war das Beste.“ Es fühlte sich an, als würde jemand ein Messer in meine Brust rammen. Im nächsten Moment spürte ich ihre Hand in meinem Schritt. „Diese Geschmeidigkeit und Kraft. Magst du mein Tiger sein?“
Konnte Judith tatsächlich so abgebrüht sein und ohne Skrupel aus den Armen eines Liebhabers direkt in die meinen stolpern? Meine Lust war stärker als meine Zweifel und ich beschloss, dass es bestimmt eine Erklärung für alles gab. Aber ich wollte sie nicht hören. Noch nicht.

„Was ist denn mit der los? Bilde ich es mir nur ein oder sieht sie heute ziemlich zerzaust aus?“, fragte Erwin ein paar Wochen später, als Judith nach Hause kam und ohne Begrüßung sofort ins Badezimmer stürmte. Meine Laune war ohnehin im Keller, denn meine Austria war drauf und dran, gegen die Bullen zu verlieren. Ausgerechnet Franz Schiemer, ein Ex-Austrianer, hatte mit einem Fallrückzieher das 3:1 gemacht. Ein sensationelles Tor, wie ich zugeben musste.
Nach dem Schlusspfiff ging ich ins Bad. Judith war gerade aus der Dusche gestiegen und hatte ein Handtuch um ihren wunderschönen Körper gewickelt. Sie roch nach Mandeln und Orangen. Vor dem Spiegel versuchte sie, ein golfballgroßes Hämatom am Auge mit Make-up zu überschminken. Auch auf ihrem Oberarm waren Kratzer und Blutergüsse.
„Hat der Tiger seine Krallen ausgefahren?“ fragte ich und meine Eifersucht fletschte die Zähne.
„Der Kofferraum“ sagte sie, „angerannt. ich dachte, du stehst auf Veilchen?“
Ich würde den Kerl, der ihr das angetan hatte, umbringen, beschloss ich und verwarf den Plan sofort wieder. Ich verabscheute Gewalt. Und ich liebte Judith. Die wirkte alles andere als unglücklich, eher aufgeregt und - im wahrsten Sinne des Wortes - aufgekratzt. Vielleicht hatte es ihr ja gefallen. Vielleicht sollte ich sie auch einmal härter anfassen und nicht nur zärtlich zum Orgasmus lecken. Vielleicht war ich ihr zu wenig Raubtier und zu sehr Schmusekater. Die Einschätzung – oder war es Überschätzung - meiner Qualitäten als Liebhaber wankte plötzlich bedrohlich.
Meine eine Hand drängte sich besitzergreifend zwischen ihre Beine, die andere griff ihr ins Haar und zog sie zu mir. Judith presste die Knie zusammen und sagte: „Jetzt nicht. Ich hab meine Tage.“
„Judith?“
„Ja?“
„Möchtest du darüber reden?“ Ich hoffte, sie würde Nein sagen, denn ich wollte nicht reden. Ich wollte nur, dass alles wieder wie früher war, dass wir einander vertrauten und uns ineinander geborgen fühlten.
„Mach dir keine Sorgen!“, sagte sie und küsste mich auf den Mund. „Alles in Ordnung. Du würdest es nicht verstehen. Ich liebe dich.“
Natürlich machte ich mir Sorgen. Gar nichts war in Ordnung. Vielleicht würde ich es ja doch verstehen. „Ich liebe dich auch“, sagte ich nur.

Anlässlich des Derbys hatten wir eine besonders gute Flasche geköpft, einen Leoville Poyferre 2011er.
Walter sah sie zuerst. „Schau mal!“, er drückte geistesgegenwärtig auf eine Taste der Fernbedienung und das Bild fror ein. „Judith!“, sagte Erwin und stellte sein Glas ab. Ich sagte nichts. Ich fror auch ein. Mir stockte der Atem und fehlten die Worte.
Judith hatte Recht gehabt. Ich verstand es nicht. Meine Judith - zwischen zwei bulligen, tätowierten und glatzköpfigen Ärmelbären, die zu einer seltsamen Choreographie hüpften und Fangesange brüllten. Meine Judith - mitten im Ultra-Fanblock. Sie hielt das Ende eines Transparents, das den „Sinn des Lebens“ verkündete, hinter ihr loderten bengalische Feuer. Ihre Wangen waren in den Vereinsfarben bemalt und ihr Mund offen.

Schockiert drückte ich die Aus-Taste. „Ich werde mich von ihr trennen“, flüsterte ich und Tränen liefen über meine Wangen. „Ich fühle mich so hintergangen.“
„Spinnst du, du Idiot?“ Ich hatte Walter noch nie so aufgebracht erlebt, höchstens, als Philipp Hosiner in der Euro League den Elfmeter verschossen hatte. „Du hast eine Frau, um die dich alle Männer beneiden, sie ist nicht nur wunderschön, klug und liebenswert, sondern steht auch noch auf Fußball. Du kannst dich doch nicht von ihr trennen, nur weil sie im Gegensatz zu uns ihren Arsch hochkriegt und die Mannschaft im Stadion supportet anstatt wie wir satt und bequem vor dem Fernseher zu hocken!“
„Nein. Nicht deshalb. Aber warum gerade grün-weiß? Wie kann nur Rapid der Sinn ihres Lebens sein?“

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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