Mittwoch, 1. Mai 2013

Die Frau Doktor

Ich schreibe ja nicht nur, ich spiele ja auch Theater. Und schreibe für die Theaterworkshops Szenen, die wir dann spielen. Jetzt versuche ich, aus diesen Szenen Geschichten zu machen. Mal sehen, ob es gelingt.

Im aktuellen Theaterprojekt geht es um göttliche Archetypen. Um welche Göttin handelt es sich in dieser Geschichte?



„Danke, dass Sie so schnell gekommen sind, Frau Doktor, ich wollte Sie wirklich nicht belästigen.“ Der Bankdirektor persönlich schüttelt Herta, die ihren akademischen Titel durch Heirat erworben hat, die Hand und bedeutet ihr, sich zu setzen. Sie aber bleibt stehen.
„Dann tun Sie das auch nicht. Glauben Sie, ich habe nichts anderes zu tun?“ In Wahrheit hat sie tatsächlich nichts anderes zu tun, zumindest nichts sinnvolles, aber das gesteht sie nicht einmal sich selbst ein. Sie vertrödelt ihre Tage damit, ihr Personal herumzukommandieren, geht zur Kosmetikerin, zum Friseur oder zur Fußpflege. Sie wartet auf ihren Mann. Bis er von seiner Arbeit nach Hause kommt, oder von einer Auslandsreise, und ein Stück seines Ruhms auf sie herabfällt. „Um die Bankgeschäfte kümmert sich mein Gatte.“
„Genau das ist das Problem. Ich kann ihn nicht erreichen.“
Ich auch nicht, denkt Hera. Er hat nicht abgehoben, als sie nach dem Anruf der Bank versucht hat, ihn zu erreichen. Er hat auf ihre SMS und Mails nicht geantwortet, obwohl sie geschrieben hat, dass es wirklich dringend ist. Er ist nie erreichbar, wenn er unterwegs ist. Er brauche Ruhe und seine ganze Konzentration für die Arbeit, sagt er, wenn er das Haus verlässt und küsst sie auf die Wange. Sie kann sich nicht erinnern, wann er sie zuletzt auf den Mund geküsst hat.
„Er ist wieder in Amerika. Botulintoxin-Kongress in Baltimore.“ Sie sonnt sich in seinem Glanz. „Warten Sie eben, bis er wieder zu Hause ist. Ich kenne mich nicht aus mit Aktien und Anleihen und Wertpapieren. Kaufen – verkaufen, was weiß ich?“ Bei ihren Kleidern und Schuhen entscheidet sie sich immer für Kaufen, mit der goldenen Kreditkarte des Gatten. Man gönnt sich ja auch sonst alles.

Der Bankdirektor steht auf, nestelt nervös an seinem Sakko und kommt auf sie zu. Seine Stimme ist warm und ruhig, aber sie hört die Anspannung darin. „Also… es… es gibt keine Aktien und Wertpapiere mehr.“
„Wie bitte?“
„Alles weg.“
Es zieht ihr den Boden unter den Füßen weg. Alles weg? Sie setzt sich. In ihrem Kopf rattern die Gedanken, ein Zahnrad versucht, sich in das nächste einzufügen und so etwas wie Logik in Bewegung zu setzen, aber die Zahnräder berühren einander nicht und die Gedanken gehen im Kreis.
„Das verstehe ich nicht“, sagt sie und meint ausnahmsweise, was sie sagt. Neben der Angst nimmt ganz am Rand die Hoffnung Platz. Die Hoffnung, dass das alles nichts mit ihrem Leben, nichts mit ihrem Mann zu tun hat. „Hat Ihre Bank Liquiditätsprobleme?“
„Ich fürchte, Sie haben Probleme, Frau Doktor.“ Der Bankdirektor windet sich bei jedem Wort und hält sich an seinen Händen fest.
Die Angst rempelt die Hoffnung von der Bank. Die schlägt wild um sich und tobt und schreit. Herta möchte am liebsten mittoben und mitschreien, aber das gehört sich nicht für eine Frau ihres Standes. Sie streift ihr steifes Kleid glatt und steht auf. Die Nachricht kann sie nicht klein reden, also versucht sie es mit dem Überbringer. „Was erlauben Sie sich!“
Die Brust des Bankbeamten hebt sich, um einzuatmen. Gefühlte fünf Minuten später atmet er aus. „Ihr Mann hat alle Werte aufgelöst und auf ein Konto in Liechtenstein transferiert. Auch Ihr gemeinsames Konto ist leergeräumt.“

Vielleicht wurde ihr Mann erpresst und wollte sie nicht beunruhigen. Oder er hat das Geld ja nur aus Angst vor der Einführung der Vermögenssteuer in Sicherheit gebracht und ist noch nicht dazugekommen, mit ihr darüber zu reden. Er hat sich schließlich oft genug über diese linken Spinner aufgeregt, die den hart arbeitenden Leistungsträgern das Geld aus der Tasche ziehen wollen. „Das… das muss ein Irrtum sein! Das klärt sich bestimmt auf.“
„Ich fürchte nicht.“ Der Bankdirektor reicht ihr ein Schriftstück. „Ist das die Unterschrift Ihres Mannes?“
Herta reißt ihm das Blatt Papier aus der Hand und studiert sorgfältig die Unterschrift. Natürlich erkennt sie beim ersten Blick, dass die Unterschrift ihres Mannes echt ist. Der erste Buchstabe ihres gemeinsamen Familiennamens, der die anderen weit überragt und die Macht und Stärke ihres Mannes demonstriert. Die Macht und Stärke, aus der auch Herta ihre Lebensenergie zieht. Sie hält sich am Blatt fest und sinkt in den Stuhl.
„Ja, schon.“ Leise ist ihre Stimme jetzt, ihre Verletzlichkeit hat sich durch ihren Stolz gebohrt und dringt an die Oberfläche.

„Frau Doktor“, der Bankdirektor berührt sie tröstend am Oberarm, aber Herta schüttelt ihn zornig ab, der einzige, von dem sie sich berühren lässt, ist ihr Mann. „Wir können weder das Gehalt für Ihre Angestellten nicht mehr überweisen und Ihre Stromrechnung auch nicht“, fährt der Bankdirektor fort. „Da Sie selber kein Einkommen haben, können wir Ihnen auch keinen Kredit gewähren. Haben Sie bei einer anderen Bank Ersparnisse, um über die Runden zu kommen?“
Sie zuckt resigniert die Schultern, sie hat keine Ahnung, wie und wo ihr Mann ihr Vermögen angelegt hat. Bisher hat sie sich noch nie mit diesen Dingen auseinandersetzen müssen. Bisher hat es gereicht, seine Frau zu sein, die ihm den Rücken für die Karriere freihält, die schön und repräsentativ ist und sich im Hintergrund hält. „Aber… darum hat sich doch immer mein Mann gekümmert. Er ist ein berühmter Arzt, Professor für Psychiatrie und Neurologie, hat eine Menge Fachbücher geschrieben und…“ Sie beißt sich auf die Lippen, spürt, dass das im Moment alles nichts mehr zählt. Im Moment ist sie zurückgeworfen auf sich selbst. Aber wer ist sie ohne ihren Mann? Ihr ist, als würde sie sich auflösen.

„Das ändert nichts an der Tatsache, dass er ein Doppelleben geführt hat.“ Der Bankdirektor schluckt. „Unter uns gesagt, Frau Doktor, ich hab mir die Konten angesehen. Ich dürfte Ihnen das nicht sagen, aber seit drei Jahren überweist er regelmäßig größere Summen an eine Kathleen Miller.“ Pause. „Seit einem halben Jahr zusätzlich Unterhalt für Emily Miller.“
„Sie elender Lügner!“ Jetzt ist Herta egal, was sich für eine Dame ihres Standes gehört. Die mühsam aufrechtgehaltene Contenance verpufft. Da ist nur noch Schmerz. Schmerz und Wut. Wie rasend schlägt sie mit ihrer Handtasche auf den Bankdirektor ein. „Was sind das für Unterstellungen! Das würde er mir niemals antun, er liebt mich doch! Sie wissen vielleicht alles über Geld, aber was wissen Sie von Liebe?“ Sie tobt, schluchzt und schreit. „Der kann mir doch nicht einfach alles wegnehmen!“ Herta merkt nicht, dass der Bankdirektor zwei Angestellte um Hilfe gerufen hat, die sie zu Boden drücken. „Ich bring sie um, dieses Luder!“, brüllt sie, „diese Kathleen. Mitsamt ihrem Balg bring ich sie um!“

Dann wird ihr Körper, was sie längst ist. Ohnmächtig.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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