Dieses Gedicht hab ich grad im Radio gehört und bin total berührt davon.
Memento
Vor meinem eigenen Tod ist mir nicht bang,
nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?
Allein im Nebel tast ich todentlang
und lass mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.
Der weiß es wohl, dem Gleiches widerfuhr -
und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: Den eignen Tod, den stirbt man nur;
doch mit dem Tod der anderen muss man leben.
(Mascha Kaléko)
testsiegerin - 9. Dez, 21:43
Zwei Wecker ruhen, ach, in meiner Brust. Einer sagt mit Celloklängen „Aufstehen“, und trotz der Celloklänge geht er mir auf den Wecker. Der andere, der schöne, der reine, der wütende Wecker, heißt Konstantin. Er singt „Bleib nicht liegen“. Doch was für ein Unterschied ist zwischen diesen beiden Weckern, die mich beide zum Aufstehen bewegen wollen! Der Cellowecker lässt sich auf Knopfdruck abstellen. Der Bleib-nicht-liegen-Wecker gönnt mir zwar den Schlaf, aber selbst darin singt er mir etwas vor; er will nur nicht, dass ich mich in meiner Komfortzone einniste. Ja sage, wenn ein Nein notwendig ist. Er gönnt mir meine Faulheit, aber nicht meine Bequemlichkeit. Steh auf, sagt er, und obwohl er es mit zornigsanfter Stimme sagt, hat es mehr Gewicht als das, was mein anderer Wecker täglich im gleichen Cellotonfall vor sich hinmurmelt. Steh auf und erhebe deine Stimme!, sagt er. Dass ich nicht singen kann, lässt er nicht gelten. Und wenn ich dann endlich aufgestanden bin, gegen meine Ängste, gegen meine Widerstände, dann sagt er: „Bleib nicht stehen“. Geh weiter. Geh in deine Entwicklungszone. Wenn es sein muss, in deine Panikzone, aber verdammt noch mal, geh! Lebe jeden Tag neu. Lerne jeden Tag neu! Und lass dich fallen.
Das mit dem Fallenlassen krieg ich schon ganz gut hin.
Ich wäre so gerne mit Wecker auf der Bühne. Es muss auch nicht die Scala sein, irgendein Kellertheater würde schon reichen. Keller haben wir in Österreich ja genug. Ich glaub, wir würden uns gernhaben, also er mich auch. Aber ich kann nicht singen und ich kann nicht tanzen. Keine Kunststücke vorführen. Ich kann nur schreiben und lesen, von der Welt, von den Menschen, vom Lieben und von Trieben, vom Wühlen in Gefühlen, von der Angst und der Lust und der Vergänglichkeit.
Mein Wecker mit dem Celloalarmton ist neu. Der Wecker mit der Stimme ist – nein, nicht alt. Vertraut ist er mir, seit damals, als ich 14, jung und unerfahren und meine erste Langspielplatte ausgerechnet Weckerleuchten war. Und doch ist er jeden Tag wieder neu. Und nie genug. Denn genug kann nie genügen.
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testsiegerin - 9. Dez, 08:18