Samstag, 17. Januar 2015

Die Wörter sind weg

Manchmal fehlen mir die Wörter. Nicht, weil ich so entzückt bin oder so erschüttert oder weil etwas so wunderschön oder verblüffend ist, dass ich wortreich erzähle, dass mir ob dieser Schönheit oder Verblüffung die Worte fehlen, obwohl sie da sind, sondern in ganz alltäglichen Situationen. In Situationen, die weder schön noch verblüffend sind. Das macht mir Angst.
Natürlich sind nicht alle Wörter weg, sondern nur die, die die ich gerade verwenden will. Ich krieche dann auf allen vieren in meinen verstaubten Hirnkammern herum und suche sie im Lurch, die Wörter, und manchmal auch die Zahlen. Telefonnummern oder Geheimcodes. Oft finde ich zwar welche, aber nicht die richtigen, manchmal sind diese Passwörter oder Pins längst abgelaufen und die Wörter falsch, obwohl sie eigentlich richtig sind. Sie sind nur an der falschen Stelle.
Als ich letztens die Küche ausgemalt habe, habe ich zu meinem Mann gesagt: „Reich mir mal die Diskussionsfarbe.“ Und zu meinem Kind: „Vergiss nicht, die Butter in den Geschirrspüler zu tun.“
Die gleiche Mail beantworte ich zum dritten Mal. Jedesmal ein bisschen anders. Ich tröste mich damit, dass meine Festplatte einfach zu voll ist und da schon mal was verloren gehen kann, aber es beunruhigt mich, wenn mein Arbeitsspeicher nicht darauf zugreifen kann. Erleichtert bin ich, wenn ich merke, dass es anderen Menschen auch so geht, und zwar Menschen in meinem Alter, nicht nur meinen dementen Klienten.
Sie wie ich verwenden viel Energie dafür, andere nicht merken zu lassen, dass wir uns nicht mehr alles merken. Das verbindet uns.

Frau W. zum Beispiel (wir tun jetzt bitte einfach so, als würde ich Frau W. ausschließlich aus Gründen der Anonymisierung Frau W. nennen und nicht, weil mir ihr Name nicht einfällt) unterhält sich hauptsächlich in Sprichwörtern und Redewendungen. Wenn ich sie frage, ob sie mit mir ins Kaffeehaus geht, sagt sie „Ach, einen alten Baum soll man nicht verpflanzen“, wenn sie auf die Baustelle schaut, kichert sie und sagt „Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein", sie sagt „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ oder, wenn ich sie frage, ob das Apfelmus schmeckt, „der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“
Manchmal sagt sie aber auch so kluge Sachen wie „Ich hab mein ganzes Leben lang Erinnerungen gesammelt, fürs Alter. Jetzt bin ich alt und finde sie manchmal nicht mehr. Ich glaube aber, ich zehre noch immer davon.“
„In Ihrem Alter darf man schon mal was vergessen“, sage ich laut und füge leise hinzu: "Aber in meinem noch nicht."
Ich soll nicht merken, dass sie sich nichts mehr merkt. Und so werden aus Menschen „der Dings“ und aus Dingen „das Dingsbums“, weil die Wörter sich einfach aus dem Staub gemacht haben. Beide tun wir so, als würde sie nicht längst gemerkt haben, dass ich gemerkt habe, dass sie sich nichts merkt.

Herr K. wiederum (ich könnte jetzt natürlich so tun, als würde ich Herrn K. ausschließlich aus Gründen der Anonymisierung Herrn K. nennen und nicht deshalb, weil mir sein Name nicht einfällt), also Herrn K. fehlen nicht nur die Wörter. Ihm fehlen auch die Bilder. Er blickte in den Spiegel und erschrak fürchterlich. Das kennen wir bestimmt alle. Herr K. aber dachte nicht „was hast du für ein versoffenes, faltiges Gesicht“, sondern rief die Polizei an. „In meinem Badezimmer ist ein Einbrecher“, flüsterte er in den Hörer, „oder ein Untermieter, ich weiß nicht.“
„Wir kommen“, sagte der Polizist. Zumindest beim ersten Anruf.
„Wie hat er denn ausgesehen, der Einbrecher?“, fragte der Polizist wenig später an dem alten Küchentisch.
„Wie ich“, sagte Herr K., „nur älter. Da war noch ein Herbert, verstehen Sie?“

Ich selbst ertappe mich auch dabei, dass ich – wenn ich über unseren Zivildienstleistenden erzähle – „unser Zivi“ sage, weil mir zwar die Namen der letzten fünf Zivis einfallen, nicht aber der des aktuellen. Ich ertappe mich dabei, dass ich immer öfter auf „Passwort vergessen?“ klicke.
„Älter werden tut nicht weh“, lüge ich meine Freundin an. Ich verschweige, dass die Haare, die Haut und die Knorpel in den Gelenken dünner, die Brillengläser und der Bauch dicker und nicht nur die Sprüche trockener werden. Ich wünsche mir die Hormone aus der Gattung der Lepidoptera zurück, die schwirrenden Schmetterlinge, die den Frühling ankündigen. Aber das Leben ist kein... kein... Wunschkonzert.
Laut Heisenberg (den hab ich gegoogelt, mir ist sein Name nicht eingefallen) folgt die Aufmerksamkeit der Energie. Meine Freundin, die... Dings... sagt: Die Energie geht immer zum Leck. Die Zunge sucht immer die Lücke im Zahn und findet sie.
Weil ich meinen Fokus beruflich so oft auf dieses Thema, auf die Lücken, lenke, beschäftigen sie mich auch bei mir selbst. Vielleicht beschäftigt der körperliche und geistige Verfall aber auch Leute, die Blumen binden, die wenige Tage später verwelken oder Mechaniker, die rostige Autos reparieren.


Älter werden tut gar nicht weh. Wir werden nur schöner und begehrenswerter und reifer und erfahrener und klüger.
Das ist gelogen, aber die Wahrheit kennt ihr vermutlich ohnehin. Nämlich, dass Älterwerden nichts für Weicheier ist.

Was wollte ich noch mal sagen? Ah ja. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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