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Dienstag, 24. Februar 2015

An the FridaysTexterOscar goes to...

freitagstexter1

(diesmal das richtige bild, ich bitte um verzeihung, ich war da ein wenig schludrig. schludrig tippt sich fast so wie schuldig. also tschuldigung)
und das passt auch zum bild. die dame, die sich auf dem boden räkelt, ist nämlich die schuld, die einerseits der frau im beichtstuhl im genick sitzt, weil sie ihrem mann keine gute ehefrau ist, dann aber den pfarrer bezichtigt, seine lust unter der soutane zu verstecken, weil schuld nämlich nicht bedeutet, lasterhaft zu sein, sondern auch, permament seine gefühle zu unterdrücken.

Aber das tut nichts zur Sache.

Wir kommen also zur Preisverleihung:

Leider außer Konkurrenz, weil anonym angetreten, gewinnt den Sonderpreis der Jury folgender Beitrag:
"Neulich in der Diakonausbildung führte Kreszenzia beim Eheworkshop die Jesusstellung (aufs Kreuz legen und sich nageln lassen) vor!" - weil es so schön tief und pietätlos ist.


Silber geht an Herrn Lo für den Begriff "Christstollen"

Dann kläre ich Sie gern mal auf, Herr Kaplan: wäre Ihr HERR nicht von einer Jungfrau geboren worden, würde man das, was Sie da jetzt bestaunen, bei Maria durchaus als "Christstollen" bezeichnen können.

Und Gold ... tamtaramtatam.... an Herrn Nömix für den ökumensichen Scharade-Spielabend.

"Neulich beim ökumenischen Scharade-Spielabend im Pfarrstüberl: Mitspieler Herr Missionar Swoboda versucht, das von Mitspielerin Frau Pastor Lehmann pantomimisch dargestellte zusammengesetzte Hauptwort zu erraten."


Alle anderen waren natürlich auch super und gewinnen Dank, Anerkennung und die Ehre.

Wir sehen uns also am Freitag bei Ihnen, Herr Nömix.

Freitag, 20. Februar 2015

Freitagstexter

Diese Woche bei mir zu Gast:

freitagstexter1

Ich geh davon aus, dass die Regeln bekannt sind. (Wenn nicht, macht euch schlau oder fragt euren Nachbarn oder am Salzamt)

Hier das Bild:

-1

Schreibt, reimt, textet, erfindet, legt den Menschen auf dem Bild Wörter in den Mund. Tut, was immer ihr wollt, bis spätenstens Dienstag 24 Uhr. Der Sieger/die Siegerin darf/muss den nächsten Freitagstexter ausrichten. Außerdem gewinnt er/sie meinen diesjährigen Kalender.

Na, wenn das kein Grund ist, mitzumachen.

Samstag, 31. Januar 2015

Besuch

Da ist sie wieder, die Traurigkeit. Ich hab sie lang nicht gesehen, und ich muss ehrlich sagen, ich freu mich nicht besonders über ihren Besuch, sie ist kein sehr geselliger und fröhlicher Gast, sondern sitzt mit depressivem Gesicht da und nagt lustlos an meinem Selbstwert. Sie hat die Selbstzweifel an der Hand, als ich sie die Einfahrt runterkommen sehe. Ich sperre die Tür zu, wie bei den Heiligen Drei Königen, damit die nicht singen. Die Traurigkeit kann aber eh nicht singen, nur jämmerlich jaulen und jammern.
Dann lese ich in einem klugen Ratgeberbuch, dass ich sie hereinlassen und bewirten soll wie einen guten Freund, weil sie auch zu mir gehört, wie die Lust und das Lachen. Und dass sie sowieso kommt, und wenn ich nicht aufmache, schlägt sie eben ein Fenster ein. Also öffne ich zähneknirschend. Mit matschigen Schuhen, die sie sich nicht einmal abstreifen, kommen sie herein, Traurigkeit und Selbstzweifel, ohne zu grüßen. Geschenk haben sie auch keines mit. Von wegen gute Freunde. So benehmen sich gute Freunde nicht. Meine jedenfalls nicht. Die bringen Champagner mit und gute Laune.
„Bring es hinter dich“, sage ich mir und schenke ihnen Rotwein ein, aus der Flasche, die seit einer Woche offen auf dem alten Ofen steht. Die Traurigkeit verzieht das Gesicht, die Selbstzweifel trinken aus der Flasche. Mich fröstelt, ich ziehe die Weste fester zu.
„Und jetzt?“, frage ich, weil die beiden dunklen Gesellen nur da sitzen und nichts sagen. „Spielen wir wenigstens was?“
Sie schütteln überheblich den Kopf. Die Traurigkeit legt sich mitsamt ihrer dreckigen Schuhe auf das Sofa. Nein!, schreit alles in mir. Nein, sag mir jetzt nicht, dass du gekommen bist, um zu bleiben.
Ich flüchte mich in meine Kopfhöhle im Wald. Dorthin ziehe ich mich immer zurück, wenn mir die Welt zu schnell, zu laut, zu bedrohlich wird. In ihrer Mitte brennt ein Feuer, in einer Felsnische ist meine Schlafstatt, mit Fellen bedeckt. Hier fühle ich mich sicher und stark, und ein schwarzer Panther bewacht den Eingang.
„Und? Müsst ihr nicht bald gehen?“, frage ich nach Tagen, als von meinem großen Vorrat Selbstwert nur noch ein kleines Häufchen übrig ist und die Schalen auf dem Boden verstreut sind. „Was hab ich denn getan, verdammt noch mal, dass ihr euch hier breit macht?“
Es klopft. Ich ziehe den Vorhang zur Seite und schaue, wer draußen ist. Vielleicht die Lebensfreude, die diese beiden Spießer auf meinem Sofa hochkant hinausschmeißt. Ich zucke zusammen.

Vor der Tür stehen Schuld und Scham.

Samstag, 17. Januar 2015

Die Wörter sind weg

Manchmal fehlen mir die Wörter. Nicht, weil ich so entzückt bin oder so erschüttert oder weil etwas so wunderschön oder verblüffend ist, dass ich wortreich erzähle, dass mir ob dieser Schönheit oder Verblüffung die Worte fehlen, obwohl sie da sind, sondern in ganz alltäglichen Situationen. In Situationen, die weder schön noch verblüffend sind. Das macht mir Angst.
Natürlich sind nicht alle Wörter weg, sondern nur die, die die ich gerade verwenden will. Ich krieche dann auf allen vieren in meinen verstaubten Hirnkammern herum und suche sie im Lurch, die Wörter, und manchmal auch die Zahlen. Telefonnummern oder Geheimcodes. Oft finde ich zwar welche, aber nicht die richtigen, manchmal sind diese Passwörter oder Pins längst abgelaufen und die Wörter falsch, obwohl sie eigentlich richtig sind. Sie sind nur an der falschen Stelle.
Als ich letztens die Küche ausgemalt habe, habe ich zu meinem Mann gesagt: „Reich mir mal die Diskussionsfarbe.“ Und zu meinem Kind: „Vergiss nicht, die Butter in den Geschirrspüler zu tun.“
Die gleiche Mail beantworte ich zum dritten Mal. Jedesmal ein bisschen anders. Ich tröste mich damit, dass meine Festplatte einfach zu voll ist und da schon mal was verloren gehen kann, aber es beunruhigt mich, wenn mein Arbeitsspeicher nicht darauf zugreifen kann. Erleichtert bin ich, wenn ich merke, dass es anderen Menschen auch so geht, und zwar Menschen in meinem Alter, nicht nur meinen dementen Klienten.
Sie wie ich verwenden viel Energie dafür, andere nicht merken zu lassen, dass wir uns nicht mehr alles merken. Das verbindet uns.

Frau W. zum Beispiel (wir tun jetzt bitte einfach so, als würde ich Frau W. ausschließlich aus Gründen der Anonymisierung Frau W. nennen und nicht, weil mir ihr Name nicht einfällt) unterhält sich hauptsächlich in Sprichwörtern und Redewendungen. Wenn ich sie frage, ob sie mit mir ins Kaffeehaus geht, sagt sie „Ach, einen alten Baum soll man nicht verpflanzen“, wenn sie auf die Baustelle schaut, kichert sie und sagt „Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein", sie sagt „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ oder, wenn ich sie frage, ob das Apfelmus schmeckt, „der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“
Manchmal sagt sie aber auch so kluge Sachen wie „Ich hab mein ganzes Leben lang Erinnerungen gesammelt, fürs Alter. Jetzt bin ich alt und finde sie manchmal nicht mehr. Ich glaube aber, ich zehre noch immer davon.“
„In Ihrem Alter darf man schon mal was vergessen“, sage ich laut und füge leise hinzu: "Aber in meinem noch nicht."
Ich soll nicht merken, dass sie sich nichts mehr merkt. Und so werden aus Menschen „der Dings“ und aus Dingen „das Dingsbums“, weil die Wörter sich einfach aus dem Staub gemacht haben. Beide tun wir so, als würde sie nicht längst gemerkt haben, dass ich gemerkt habe, dass sie sich nichts merkt.

Herr K. wiederum (ich könnte jetzt natürlich so tun, als würde ich Herrn K. ausschließlich aus Gründen der Anonymisierung Herrn K. nennen und nicht deshalb, weil mir sein Name nicht einfällt), also Herrn K. fehlen nicht nur die Wörter. Ihm fehlen auch die Bilder. Er blickte in den Spiegel und erschrak fürchterlich. Das kennen wir bestimmt alle. Herr K. aber dachte nicht „was hast du für ein versoffenes, faltiges Gesicht“, sondern rief die Polizei an. „In meinem Badezimmer ist ein Einbrecher“, flüsterte er in den Hörer, „oder ein Untermieter, ich weiß nicht.“
„Wir kommen“, sagte der Polizist. Zumindest beim ersten Anruf.
„Wie hat er denn ausgesehen, der Einbrecher?“, fragte der Polizist wenig später an dem alten Küchentisch.
„Wie ich“, sagte Herr K., „nur älter. Da war noch ein Herbert, verstehen Sie?“

Ich selbst ertappe mich auch dabei, dass ich – wenn ich über unseren Zivildienstleistenden erzähle – „unser Zivi“ sage, weil mir zwar die Namen der letzten fünf Zivis einfallen, nicht aber der des aktuellen. Ich ertappe mich dabei, dass ich immer öfter auf „Passwort vergessen?“ klicke.
„Älter werden tut nicht weh“, lüge ich meine Freundin an. Ich verschweige, dass die Haare, die Haut und die Knorpel in den Gelenken dünner, die Brillengläser und der Bauch dicker und nicht nur die Sprüche trockener werden. Ich wünsche mir die Hormone aus der Gattung der Lepidoptera zurück, die schwirrenden Schmetterlinge, die den Frühling ankündigen. Aber das Leben ist kein... kein... Wunschkonzert.
Laut Heisenberg (den hab ich gegoogelt, mir ist sein Name nicht eingefallen) folgt die Aufmerksamkeit der Energie. Meine Freundin, die... Dings... sagt: Die Energie geht immer zum Leck. Die Zunge sucht immer die Lücke im Zahn und findet sie.
Weil ich meinen Fokus beruflich so oft auf dieses Thema, auf die Lücken, lenke, beschäftigen sie mich auch bei mir selbst. Vielleicht beschäftigt der körperliche und geistige Verfall aber auch Leute, die Blumen binden, die wenige Tage später verwelken oder Mechaniker, die rostige Autos reparieren.


Älter werden tut gar nicht weh. Wir werden nur schöner und begehrenswerter und reifer und erfahrener und klüger.
Das ist gelogen, aber die Wahrheit kennt ihr vermutlich ohnehin. Nämlich, dass Älterwerden nichts für Weicheier ist.

Was wollte ich noch mal sagen? Ah ja. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.

Dienstag, 23. Dezember 2014

Eine wirklich stille Nacht

„Klausi!“ Seine Nachbarin Angela rüttelte ihn sanft. „Du musst aufstehen. Es ist kurz vor Weihnachten und du liegst hier herum! Und wie es da schon wieder ausschaut!“ Angela hielt sich die Nase zu. Neben kunstvoll verpackten Geschenken schimmelten Spaghetti Bolognese, Fischstäbchen, Topfenstrudel mit Vanillesoße und andere Fertiggerichte in Styroporbehältern vor sich hin, denn zum Kochen hatte Klaus schon seit Wochen keine Zeit mehr. Auf den Speckstreifen tummelten sich Maden. In der Ecke des Zimmers stand eine Batterie mit leeren Wein- und Wodkaflaschen.
„Jetzt aber raus aus dem Bett!“ Angela zog ihm die Decke weg. „Und in deinen Kleidern hast du auch schon wieder geschlafen.“ Sie riss das Fenster auf, um den Mief zu vertreiben. Klaus hielt sich die Augen zu, so sehr blendete ihn das gleißende Tageslicht.
„Erst vor ein paar Tagen hab ich gelesen, dass ein Briefträger aus der Südoststeiermark, der 24.000 Briefe gehortet hat, anstatt sie auszutragen, für drei Jahre in den Knast musste“, sagte Angela. „Willst du, dass dich das gleiche Schicksal ereilt?“
„Eh nicht“, sagte er, aber in Wahrheit war es ihm egal. In Wahrheit war ihm längst alles egal.
Er wusste aber, dass Angela nicht eher aufgeben würde, bevor er sich aus dem Bett quälte und sich an seine Arbeit machte.
Ein paar Tage später reichte es Angela. „Ich kann das nicht mehr mitansehen“, sagte sie, stopfte ihn in ihren Kleinwagen und brachte ihn in eine psychologische Praxis am Stadtrand.

Klaus ließ es einfach geschehen. Im Wartezimmer starrte er erst die Wand an und blätterte dann die Magazine auf dem Glastischchen durch. Das Glamour-Weihnachtsspecial. Er schmiss es zur Seite und blätterte die nächste Zeitschrift auf: Verschenk etwas Besonderes an die Frau, die schon alles hat. Wir haben originelle Weihnachtsgeschenke, niedrige Versandkosten und das Trusted Shops Zertifikat.
Warum sollte man Frauen, die alles haben, etwas schenken anstatt es den Menschen zu geben, die zu wenig haben? Und warum in Herrgottsnamen – Klaus biss sich auf die Zunge - mobile Waschmaschinen und Schlafkopfhörer?
Er riss die Seite in schmale Streifen.

„Herr Santer, was führt Sie zu mir?“
Er erschrak. „Wer, muss das heißen. Wer führt sie zu mir? Angela, meine Nachbarin, hat mich geführt.“
Sie lächelte ein professionelles Lächeln. „Was ist Ihr Anliegen?“
Er zuckte die Schultern. „Woher soll ich das wissen?“

„Ich möchte, dass Sie zunächst diesen Test hier ausfüllen“, sagte die Psychologin und reichte ihm einen Packen Papier.
Er wollte sie nicht enttäuschen. Nie wollte er jemanden enttäuschen, und doch passierte ihm genau das ständig. Ständig waren die Leute von ihm enttäuscht. „Na ja, wenn Sie unbedingt möchten. Geben Sie schon her!“

Der Test umfasste 23 Seiten und Klaus brauchte dafür eine knappe Stunde. Die ersten Fragen nach Geschlecht, Körpergewicht (bei der er ein wenig schummelte), Ess- und Suchtverhalten (bei denen er ein wenig mehr schummelte) waren noch halbwegs einfach zu beantworten. Wenigstens bei der Frage nach harten Drogen konnte er guten Gewissens „nie“ ankreuzen. Im nächsten Testteil ging es um Schmerzen. Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Rückenschmerzen... brav machte er seine Kreuzchen bei „ständig“.

„Entschuldigen Sie bitte, aber was hat das alles für einen Sinn?“, fragte er die Psychologin, als sie mit einem Kaffee vom Automaten vorbeikam.
„Wir unterhalten uns später. Machen Sie jetzt bitte mit dem Test weiter.“
Klaus versuchte sich wieder auf den Test zu konzentrieren, aber es fiel ihm in letzter Zeit immer schwerer, sich auf irgendetwas zu konzentrieren.

Stellen Sie sich häufig Fragen wie: „Was hat das alles für einen Sinn?“
Er lachte zynisch. Und schrieb: Würden Sie das an meiner Stelle nicht? Was hat das denn alles für einen Sinn? Meine Arbeit. Mein Leben. Alles.

Denken Sie häufig, trotz Ihres Einsatzes nichts bewirken zu können?
Die Antwortmöglichkeiten lauteten: Nie, selten, manchmal, häufig oder oft.
Klaus zeichnete ein zusätzliches Quadrat auf den Zettel, in das er ein Kreuz machte. Immer, schrieb er daneben.

Hat Ihr sexuelles Verlangen nachgelassen?
Klaus hielt inne. Welches sexuelle Verlangen denn? Er war eine asexuelle Person. Zumindest erwarteten das die Menschen von ihm. Na gut, früher, da hatte sich oft etwas geregt, wenn Angela mit ihm Kaffee trank, Kekse aß und lachte. In letzter Zeit regte sich gar nichts mehr. Er entschied sich für „eher ja“.

Machen Sie zynische Bemerkungen über Ihre Kunden/Kollegen/Mitmenschen?
Nein. Diese gierigen Gfraster haben meine Aufmerksamkeit überhaupt nicht verdient. Nichts ist genug. Immer mehr wollen sie, und je mehr sie bekommen, umso unglücklicher werden sie, die Erwachsenen wie die Kinder.

Vernachlässigen Sie Ihr äußeres Erscheinungsbild?
Das letzte Mal hatte er sich vor einem halben Jahr rasiert. Seine Arbeitskleidung war alt und zerschlissen, aber die Firma musste sparen und hatte kein Geld für neue. Und immer öfter schlief er in diesen Klamotten, weil seine Jeans nicht gewaschen waren und kein frisches Shirt im Schrank war. Und weil es ohnehin egal war.

Haben Sie sich von Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis zurückgezogen?
Hohoho. Welche Freunde denn? Sein einziger Freund war sein Arbeitskollege Rudolph, und der war ein Rentier. Nein, kreuzte er an.

Sind Sie in den letzten sechs Monaten vergesslicher geworden?
Ja, in letzter Zeit vertauschte er immer öfter Pakete und konnte sich keine Namen mehr merken. Erst gestern hatte er zu Rudolph Ronald gesagt. Ronald. Rudolph hatte ihn gekränkt mit seiner roten Nase weggestupst.

Auf Seite 23, bei Frage 345.1a, nämlich Fühlen Sie sich innerlich leer, ausgelaugt und erschöpft?, schlief Klaus ein.

Die Psychologin beutelte ihn behutsam an den Schultern. „Herr Santer? Alles klar bei Ihnen?“
Er nickte und folgte ihr in das Sprechzimmer. Auf dem Tischchen lagen Tannenzweige und flackerte eine Kerze aus Bienenwachs. Die Psychologin überflog den ausgefüllten Testbogen, setzte sich ihm gegenüber in den weichen Ledersessel und schwieg. Plötzlich liefen ihm Tränen über die Wangen und verfingen sich im verfilzten Bart.

„Sie haben ein Burnout-Syndrom, Herr Santer.“ Sie blies die Kerze, die beunruhigend weit heruntergebrannt war, aus.
„Ist... ist das gefährlich, dieses Burn...?“ Davon hatte Klaus noch nie etwas gehört.
„Burnout beschreibt den Zustand des körperlichen und emotionalen Ausgebranntseins. Es kommt sehr häufig bei Menschen in helfenden Berufen vor. Gefährlich ist es, wenn Sie nicht dagegen angehen. Sie müssen etwas Grundlegendes in Ihrem Leben ändern. Außerdem müssen Sie prüfen, ob Ihre Lebenssituation noch Ihren Bedürfnissen entspricht oder wichtige Bedürfnisse unberücksichtigt bleiben.“
Seine Bedürfnisse. Was hatte er denn für Bedürfnisse, außer sich Abend für Abend zuzudröhnen?

„Erzählen Sie doch: Was haben Sie denn vor Ihrer Erkrankung gerne gemacht.“
Er dachte nach. Es schien ewig her zu sein. „Ich bin Schlittenrennen gefahren“, sagte er und seine Augen begannen zu leuchten. „Und stundenlang durch den Wald marschiert. In meinem Sack hatte ich Nüsse und eine Rute und kein Einhorn-Dosenfleisch und Blutbad-Duschgel. Schön war das.“

„Ich schreibe Sie jetzt krank, Herr Santer. Zunächst einmal für drei Monate. Und zweimal wöchentlich kommen Sie zu mir zur Therapie.“
„Aber“, entgegnete Klaus, „ich muss doch...“
„Sie müssen gar nichts. Sie schauen jetzt bitte einfach nur auf sich.“


Das Gerücht, dass es dieses Jahr keine Weihnachtsgeschenke geben sollte, verbreitete sich rasch. Die Menschen waren aufgebracht und schrieben Beschwerdebriefe und der Handel stöhnte über massive Umsatzeinbrüche. Die Stimmung war so aufgeheizt, dass die Psychologin und Angela sich gezwungen sahen, vor die Presse zu treten, eine Erklärung abzugeben und die Menschen um Entschuldigung zu bitten.

Klaus Santer an Burnout erkrankt

titelten die Zeitungen am nächsten Morgen. „Er muss sich schonen!“
Die Menschen, unter deren Freunden und Kollegen viele ebenfalls an Burnout litten, reagierten nachdenklich und betroffen. Sie fühlten sich mitschuldig am Gesundheitszustand von Klaus Santer. Also verschenkten sie dieses Jahr selbstgebackene Kekse, Aufmerksamkeit und Zeit, und trippelten auf Zehenspitzen durch die Stadt, um den Weihnachtsmann durch den Lärm nicht zusätzlich zu belasten.

Dieses Weihnachtsfest ging als stillste und friedlichste in die Geschichte ein.


Ich wünsche euch allen stille, friedliche und wunderschöne Feiertage!


Samstag, 20. Dezember 2014

Sabine und die Ess-Störung

Diese Geschichte hab ich für eine Freundin zum Geburtstag geschrieben.



Hätte Sabine nur nicht diesen Makel gehabt, ihr Leben wäre völlig anders verlaufen. Das ist oft so, denn es sind nicht die großen Schicksalsschläge, die unser Leben und den Lauf der Welt bestimmen, sondern Kleinigkeiten. Würde Karl Kevin heißen und wäre Herbert nicht bei der falschen Bushaltestelle ausgestiegen, ihr Leben hätte andere Wendungen genommen als die, für die es sich entschieden hat. Wäre Helene Fischer nicht nur atem-, sondern auch stimmlos gewesen und hätte Adolf jüdische Vorfahren gehabt, wäre auch der Welt einiges erspart geblieben.
Wie auch immer, Sabine hatte eine S-Störung, daran war nicht zu rütteln. So mancher Englischschüler wäre froh gewesen, ein derart sauberes th auszusprechen wie sie, aber Sabine sprach kein Englisch.
Vielleicht hätte ihr Makel sie auch gar nicht gestört, würde sie Herta heißen, aus Wien kommen und in einem Hinterzimmer eines Blumenladens Blumen binden.

Sabine aber hieß Sabine Saurer-Samwald, wohnte in Sierndorf und war Silberschmiedin. Seit zwei Wochen arbeitete sie nicht nur in der Werkstatt, sondern auch im Verkauf. Sabine liebte ihren Beruf, aber sie hasste die mitleidigen Blicke der Menschen, denen sie Silberringe verkaufte. Obwohl Siegfried, ihr Mann, ihr versicherte, dass er sie trotz dieses Sprachfehlers, ja vielleicht sogar deswegen liebte, weil ihre Aussprache so süß und scheu war, beschloss Sabine, etwas an ihrem Leben zu ändern.

„Thind thie Thilke?“, fragte sie die Sprechtechniktrainerin am Telefon und ersparte ihr so die Frage nach dem Grund des Anrufs.

Es war nicht die Zahnfehlstellung, die den S-Fehler verursachte , fand Silke schnell heraus, sondern die Tatsache, dass Sabine unsicher war und sich schwer tat, loszulassen. „Raus!“, forderte Silke sie während einer Stunde auf. Sabine schaute entsetzt, packte die Brille in die Handtasche und eilte zur Tür. In ihre Augen schlichen sich Tränen. „Nicht Sie“, sagte die Sprechtechniktrainerin, als sie das Missverständnis bemerkte, „nur die Wörter! Lassen Sie die Wörter raus. Und die Gefühle auch!“

In den nächsten Wochen und Monaten setzte Sabine sich mit ihrem Atem auseinander, ließ ihn fließen, stärkte das Zwerchfell, indem sie hechelte wie bei der Geburt von Drillingen, fühlte, wie ein Strahl vom Herzen des Himmels ins Herz der Erde jagte, mitten durch ihr Herz und sie mit dem Universum und den Wurzeln verband. Sie schaute auf die nahe Burg Kreuzenstein, öffnete die Arme und schickte A’s und O’s auf den Turm.
Sie liebte Silke. Nicht auf eine erotische, begehrende, sondern eine bewundernde, aufschauende Art. Sie liebte ihren Ausdruck, ihr elfenhaftes Wesen, ihre Geduld und die Warmherzigkeit, mit der sie sie aufbaute, wenn Sabine wieder in sich zusammenfiel.
Sie war eine fleißige Schülerin. Sie übte in der Werkstatt beim Silberschmieden, zu Hause in der Küche, manchmal auch im Ehebett. Sie ertappte sich dabei, dass sie „Thuper Thex Thiegfried“, sagte, und korrigierte sich schnell: „Sssuper Ssssex, Siegfried“ Ihr Mann freute sich, dabei war ihm die Aussprache vermutlich egal.
Klangen ihre Sätze am Anfang noch so: In Thibirien isth eth thaukalt oder Ich thitze im Thessel und ethe Thalat mit Nüthen und Thonnenblumenkernen, wurden daraus mit der Zeit solche Gebilde:

Ich bin Sabine, bin stolz, skurril und selbstsicher. Ich bin süchtig nach Selleriesuppe. Ich singe gerne Soul, am liebsten Songs von Percy Sledge. Seit sieben Sonntagen spiele ich sogar Saxophon. Ich sehne mich nach der sonnigen Südsee, genieße Samt, Satin und Seide und – an der Stelle musste sie immer kichern – stehe auf versauten, sündigen Sex.
Und jedes Mal, wenn sie vor dem Spiegel sagte „Ich bin stolz, skurril und selbstsicher“, glaubte sie es ein bisschen mehr.


„Wie wäre es mit diesem sündteuren Silberring mit Saphir?“, präsentierte Sabine der Kundin stolz ihr Lieblingsstück.
Die schüttelte den Kopf. „Ich suche einen Slangenring mit einem smucken, sönen Stein.“ Sabine sah, wie die Frau errötete und fühlte mir ihr. Sie war auch immer rot geworden vor Scham. „Sie müssen es rauslassen“, sagte sie, „das SCH und die Gefühle.“ Sie kramte in einer Lade. „Warten Sie, ich hab da was zum Üben.“ Sie überreichte der Frau einen Korken.
„Von einer Sektflasse?“, fragte die.
„Champagner“, sagte Sabine. „Darf ich fragen, wie Sie heißen?“
„Sarlotte.“
„Schöner Name. Also, Charlotte sprechen Sie mir nach: Ich schwärme für schaukelnde Schiffe, schneeverwehte Schluchten, schöne Spiegel, schwarze Strumpfhosen, sprudelnde Springbrunnen und strahlende Sterne.“
„Ich swärme für saukelnde Siffe, sneeverwehte Sluchten, söne Spiegel“, versuchte es Charlotte und verzweifelte an der Aufgabe. „Seiße.“
„Sie sind im Tiefstatus, meine Liebe. Da müssen Sie dringend raus! Brust hervor, Schultern zurück. Vielleicht doch den Silberring mit dem Saphir?“, hakte sie nach. „Der Saphir stärkt die Entschlossenheit und fördert Heilungsprozesse.“ Das wusste sie von Silke, die sich mit Heilkräften von Steinen auskannte.
Tränen liefen über Charlottes Wangen. Sabine überreichte ihr ein Taschentuch und eine Visitenkarte von Silke. „Gehen Sie zu ihr. Sie wird Ihnen helfen.“

„Was bilden Sie sich eigentlich ein, Frau Sauer-Samwald?“, fragte die Chefin, die gerade zur Hintertür reinkam, als Charlotte das Geschäft verließ. „Das ist ein Juwelier, kein Esoterikladen. So leid es mir tut, ich werde Sie kündigen müssen.“
„Das klingt nicht authentisch“, sagte Sabine, „sagen Sie es mit Ihren eigenen Worten!“
„Raus!“, sagte die Chefin leise, und Sabine wusste, dass sie weder Gefühle noch Wörter meinte.
Alles im Leben hat einen Sinn, dachte Sabine, packte ihre Siebensachen und ging. Schon lange hatte sie überlegt, einen eigenen Laden aufzumachen, vielleicht hatte das Schicksal ihr eben zugewinkt.

„Sie brauchen mich nicht mehr, Sabine“, sagte Silke eines Tages. „Ihr S ist eines der reinsten, das ich je gehört habe. Und auch das K, das F, das A und O, das Z, ja, sogar das Ypsilon. Mit Ihrer Aussprache können Sie Nachrichtensprecherin werden.“
Bei Sabine strömten die Tränen. Das hier war viel schlimmer als die Kündigung. „Natürlich brauche ich Sie“, schluchzte sie.
„Was mach ich nur mit Ihnen?“, überlegte Silke, schnipste mit den Fingern und sagte: „Ich hab’s!“



Seit kurzem spielt Sabine Theater. Sie schüttelt sich zu Kundalini, kriecht auf allen Vieren und brüllt wie ein Löwe, improvisiert und lernt komplizierte Texte auswendig. Intensiv setzt sie sich mit den Figuren auseinander. Sie streicht sich durchs Haar wie die Figur, die sie spielt, sie spricht wie sie, sie geht wie sie, sie isst sogar wie sie. „Silke sagt, man muss die Figuren kennenlernen und spüren, verstehst du?“, erklärt sie ihrem Mann.
„Ich will dich auch wieder spüren, aber in deinem Kopf ist nur noch Platz fürs Theater“, sagt Siegfried. „Und für diese Silke“, fügt er hinzu, doch das hört Sabine nicht mehr.

Als sie am Abend Sex haben und Siegfried in sie eindringt, sagt Sabine: „Größer! Man muss spüren, dass es um etwas geht!“


„Ein Pferd“, tönt sie laut, während sie den Salat wäscht, denn bald würden ihre Schwiegereltern klingeln. „Ein Pferd! Mein Königreich für ein Pferd!“
„Wir haben kein Pferd, Schatz. Hast du die Gurken für das Tsatsiki besorgt?“ Siegfried ist gereizt.
Nein, hat sie nicht, sie hat das Gemüse vergessen, weil sie mit König Richard III. beschäftigt war. Vor ein paar Monaten noch wäre sie in so einer Situation zerknirscht in ihre Turnschuhe geschlüpft, hätte sich entschuldigt und gemurmelt: „Thorry. Ich bethorg schnell welche.“
Jetzt fasst sie sich mit dramatischer Geste ans Herz.
„Schlimm ist die Welt, sie muss zu Grunde gehen;
denn die graden, grünen Gurken fehlen.
Eine Gurke! Mein Königreich für eine Gurke! “
Sie küsst ihn auf die Wange und grinst. „Dann machen wir halt ein Tsatsiki ohne Gurken.“
„Was ist nur aus meiner thüßen, kleinen Thabine geworden?“, ätzt Siegfried.
„Eine selbstbewusste, souveräne Sabine“, sagt sie, „und damit kannst du offensichtlich nicht umgehen.“
Sie geht ins Wohnzimmer, greift nach einem Fläschchen und drückt das Ventil des Zerstäubers.
„Was machst du da?“ Siegfried steht in der Tür, „Im November gibt es keine Stechmücken.“
„Das ist ein Aura-Spray mit der Blütenessenz des Kreosotenbusches. Silke sagt, der gibt Schutz und tiefgehende Reinigung.“ Sie atmet tief ein und presst ihre Handflächen vor dem Körper zusammen. „Ich reinige mich tiefgreifend von deinen negativen, seelischen Energien. Mein Herz wird leicht und meine Worte klar.“


„Sabine, ich halte das nicht mehr aus.“ Siegfried seufzt und geht nervös im Wohnzimmer auf und ab.
„Leg die Unruhe in deine Stimme, nicht in deinen Körper“, sagt Sabine, „dann wirkt sie viel stärker.“
„Ich ... glaube, du hast ... mich ... nicht verstanden, Sabine.“
„Besser so, viel dichter die Emotion, jetzt spürt man, dass es um etwas Existenzielles geht. Aber verzichte auf die Pausen zwischen den Worten. Mach es flüssiger. Probier es gleich noch mal. Silke sagt ...“
„Sabine!“, er schreit jetzt. „Verdammt noch mal, ich kann nicht mehr! Es ist aus!“
„Bei dem Wort aus muss die Stimme runter, sonst kapiert das Publikum nicht, dass es zu Ende ist. Das Aus musst du hinsetzen wie einen Punkt.“
Er fasst mit seinen Händen an ihren Hals und schüttelt sie. Er ist in Rage, und seine Stimme bebt. „Es ist aus. Vorbei. Punkt.“
„Das war richtig, richtig gut“, sagt sie zufrieden. Ihr Mann drückt langsam und fest zu. „Silke wäre stolz auf dich“, stöhnt Sabine kaum noch hörbar und lächelt. Dann bricht sie zusammen.

Donnerstag, 18. Dezember 2014

Die „Keimzelle des Staates“ oder „Was da so keimt“

Weihnachten.. Friede. Freude. Vanillekipferl. Besinnlichkeit. Zeit für die Familie. Pustekuchen. Außendienst.

Frau Sch., 93 Jahre alt, lebt seit ein paar Monaten im Heim. Wohl fühlt sie sich da nicht. Bei der Tochter und dem Schwiegersohn hat sie sich aber auch nicht wohl gefühlt. Den Schwiegersohn hat sie einmal angezeigt, das kann er ihr nicht verzeihen. „Meine Schwiegermutter ist eine böse Frau!“, sagt der Schwiegersohn. Über die zweite Tochter sagt Frau Sch., die in der Schraubenfabrik gearbeitet hat: „Die ist ein Muster ohne Wert!“

Schnitt

Herr Z. ist auch schon über 90. Er hat keine Familie mehr. Ob das ein Glück ist oder nicht, kann man nicht sagen. Er lebt im Haus eines Bekannten, der gut zu ihm ist. „Er war immer total sparsam“, erzählt dieser. Seit er eine Haushaltshilfe hat, die ihm beim Aufräumen und beim Duschen hilft, sind € 20.000,- vom Sparbuch verschwunden. „Ich hab ihr wohl zu unrecht vertraut“, sagt Herr Z.

Schnitt

Frau P. ist 91, sie lebt gemeinsam mit ihrem 60jährigen Sohn, der eine Behinderung hat, in einem verrußten, kleinen Häuschen. Sie ist zwar Sachwalterin von ihrem Sohn, kennt sich aber selbst nicht mehr so gut aus. Einmal im Monat kommt der Enkelsohn, angeblich ein Spieler. Frau P. hebt ihre Pension ab und gibt sie ihm zum Einkaufen. Es sind allerdings keine Einkäufe da.

Schnitt

Frau O. ist noch jung, erst 75. Sie ist - laut Angabe der Behörde - „sprachgewandt, unkooperativ und eigensinnig“. Vielleicht wird man das auch einmal von mir behaupten. Was ist das Gegenteil von eigensinnig? Fremdsinnig. Ihre Tochter ist gestorben.
„Ich bin nur noch zu Weihnachten da, und dann bin ich weg!“, schreit ihr Sohn. Er mache viel für die Mutter, sagt er, aber sie sage nicht einmal Danke. Das könne sie nicht. Und das Haus soll der Neffe bekommen. „Schleich dich!“, sagt Frau O., „bist eh zu nix zu gebrauchen.“
„Bevor ich einmal so werde wie du, nehm ich einen Strick und häng mich auf.“

Schnitt

Frau T. ist 77, dement und hatte einen Schlaganfall. Sie liegt im Bett und röchelt. Von 5 Kindern kümmert sich nur einer um sie. „Möchten’s tauschen?“, fragt er aggressiv, als ich ihm sage, dass ich mir die Situation ganz schön schwierig vorstelle. Ein harter Kerl, von außen. Ein wenig später beginnt er zu weinen. „Ich vertraue niemandem“, sagt er, und „ich hab keine Freunde. Meine Freunde sind die Hunde. Wenn man zu denen lieb ist, mögen sie einen, nicht so wie die Menschen.“
„Ich hab andere Erfahrungen“, sage ich.
„Dann sind Sie eine glückliche Frau“, sagt er.

Ich weiß.

Dienstag, 4. November 2014

Der Idiot

Freiheit ist das Recht, auf eigene Kosten Dummheiten zu machen. Und so, wie jeder von uns chronisch mehrfach normalen Menschen (CmnM – bald gibt es bestimmt einen ICD-Code dafür) unreflektiert und lustvoll Fehler machen darf – die falsche Frau heiraten, Schulden machen, sein Geld versaufen oder verspielen – genauso muss das auch für Menschen mit kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen gelten. Aber wir bevormunden sie. Bevormundung. Vor dem Mund. Bevor der Mensch den Mund aufmacht, macht sein Vertreter ihn auf. Spricht für ihn. Vertritt ihn. Tritt ihn.

Manchmal lernen wir aus unseren Dummheiten. Meistens aber nicht. Das gehört auch zur Freiheit. Menschen mit Behinderung nimmt man die Chance, aus Fehlern zu lernen – oder aber auch nicht.
Diese Menschen brauchen vielleicht ein Mehr an Unterstützung und Zeit, aber sicher nicht an Bevormundung. Anstatt dass man uns diese Zeit für die notwendige Unterstützung gibt, treibt man uns mit Leistungskennzahlen und Zielvereinbarungen in den Wahnsinn. Dabei sind diese sogenannten Vereinbarungen in etwa so freiwillig und beidseitig wie die Vereinbarung: „Wir haben ausgemacht, dass du heute endlich dein Zimmer aufräumst. Jetzt ist die Mama aber traurig.“
Weil wir nicht wollen, dass die Mama traurig ist, weil wir alle glückliche Mamas wollen, die stolz auf uns sind, räumen wir unsere Zimmer auf und erfüllen die angeordneten Zielvereinbarungen. Wir treten in die Pedale unseres Hamsterrades, damit die Mama uns liebhat. Immer kräftiger und immer schneller treten wir, schneller noch als die anderen, damit die Mama uns mehr lieb hat als die anderen. Wir blicken dabei aufs Mehr. Mehr Leistung. Mehr Geschwindigkeit. Mehr Liebe. Vor lauter Treten und Schwitzen übersehen wir, dass wir den Hamster längst zu Tode geschleudert haben. Wir meinen es doch nur gut. Wir wollen ihn doch nur motivieren schneller zu laufen, weil in unserer Gesellschaft nur mitkommt, wer fit und dynamisch ist.
Wir sind umgeben von rasendem Stillstand.

Weil wir den Anblick des toten Hamsters nicht ertragen können, baden, kämmen und föhnen wir ihn und setzen ihn zurück in den Käfig. Wir legen ihm täglich ein frisches Salatblatt hinein und wundern uns, weil er nicht fressen mag. „Na, Hansi, bist du gar nicht hungrig? Jetzt ist die Mama aber traurig.“
Wir merken nicht, dass der Hamster wir selbst sind. Unsere Ideale, die wir zu Tode getreten haben. Er konnte nicht Schritt halten mit unseren Erwartungen, unser blauäugiger, flauschiger Hamster, mit den Erwartungen der Gesellschaft an ihn. Dabei sind wir angetreten, um die Welt zu retten. Die Erde. Das Land. Die Menschen. Ein paar wenigstens. Die Wahrheit ist: Wir können uns nicht einmal selbst retten.

Jetzt liegen sie unbeweglich im Käfig, unsere Ideale von Freiheit und Gerechtigkeit. Und diese Ideale, die einst so hungrig waren, so stark und kämpferisch, haben einen starren Blick und sind steif und kalt. Sie wollen unser Salatblatt nicht mehr. Da wird die Mama traurig sein.
Nicht mal, als sich süßlicher Verwesungsgeruch breit macht, nehmen wir ihren Tod wahr. Wir kriechen zu unserem Hamster in den Käfig und warten darauf, dass er wieder frisst. Wo wir uns doch so viel Mühe gegeben haben. Wir warten, dass er wieder atmet, wieder lebt. Wir warten und liegen da, erschöpft und leer, wie unser Hamster. Wir schaffen es nicht mehr, zum Kühlschrank zu gehen, um ein Bier für uns und Löwenzahn für den Hamster zu holen. Wir liegen nur da, decken uns mit Heu zu und schmiegen uns an das kalte Tier.

Wir fühlen uns wie Dostojewskis Idiot. Psychiater sollten Weltliteratur lesen statt Manualen, denken wir. Einsam und gefangen fühlen wir uns, dabei sind wir selbst es, die die Tür des Käfigs versperrt haben, um den Hamster vor der lauten Welt mit ihren unsäglichen Erwartungen und der Anforderung frei und individuell zu sein, zu beschützen. Und so leben oder schweben wir in der Blase der Idiotie, bis sie platzt. Heraus quellen eitrige, stinkende Neurosen – die Krankheit der Disziplinargesellschaft - und ansteckende Depressionen – die Krankheit der Kontrollgesellschaft. Immer tiefer gleiten wir in die Entschleunigung der Depression.

Vielleicht fühlt sich so Freiheit an? Nichts mehr zu müssen, nichts mehr zu können. Nur noch Warten.
Freiheit ist das Recht, auf eigene Kosten Dummheiten zu machen. Vielleicht können wir die Welt nur retten, indem wir sie beschützen. Vor zu viel Freiheit.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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