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Freitag, 11. November 2016

You want it darker

Es war 1980, es war Sommer, es war England. Und da war Richard. Der war schrullig, witzig und verheiratet, mit einer kühlen Finnin, die Rentiergulasch kochte. Es kam, wie es kommen musste, wenn man jung ist und verliebt und ein wenig skrupel- und rücksichtslos. Wir saßen in Cambridge auf dem gepflegten Rasen, Richard und ich, am Ufer des Cam, der der Stadt ihren Namen gegeben hat und picknickten.

“You can hear the boats go by, you can spend the night forever”

Das Leben fühlte sich wunderbar leicht und begehrenswert an, Tee und Orangen, that came all the way from China, schmeckten nach Freiheit und Lust, zumindest für mich.

“And she lets the river answer that you've always been her lover”


Und später dann, im verwinkelten kleinen Cottage war der Bann längst gebrochen, die Schuldgefühle weggeschwemmt.

“I loved you in the morning, our kisses deep and warm,
your hair upon the pillow…”


Auf dem Plattenspieler Leonard Cohen.

Und dann kam der Abschied von Richard, der weh tat, wie die meisten unfreiwilligen Abschiede

“let's not talk of love or chains and things we can't untie,
your eyes are soft with sorrow,
Hey, that's no way to say goodbye”



Es war kein Abschied für immer. Im Winter ein Wiedersehen in der französischen Schweiz, zum Schifahren. Im Auto Leonard Cohen.

„I came so far for beauty
I left so much behind”



Der Winter war kein Sommer, die französischen Alpen kein Cambridge, kein Fluss, der uns mit unserer Lust immer weitertrieb. Es war frostig, die Erwartungen erfüllten sich nicht. Als ich ihm zeigen wollte, wie toll ich Schi fahren kann, endete das Abenteuer abrupt.

„I don’t think it’s broken“, sagte die Ärztin. “This would be a very rare fracture.”

“It is broken”, sagte Richard, “she is a very rare woman.”


Fractura tibiae capiti. Bruch meines Schienbeinkopfs.

Richard hat mich mit gebrochenem Bein nach Wien gebracht, meinen Papa angerufen und ihm erklärt, was passiert ist.

„What can I do for you?“, hat mein Papa ihn gefragt.

“You can wash my car.”


"Ay, Ay, Ay, Ay
Take this waltz, take this waltz
With its "I'll never forget you, you know!"



Und jetzt, wo Leonard Cohen gestorben ist, obwohl er vor ein paar Wochen noch versprochen hat, for ever zu leben, jetzt kriechen die Erinnerungen aus ihren Löchern. Machen mich lächeln und traurig. Das Glück ist genauso da wie Schuldgefühle und Scham.

Vor drei Wochen hab ich sein letztes Album gekauft.

„You want it darker
We kill the flame”



„I greet you from the other side“, Leonard.

Sonntag, 18. September 2016

Wählt, solange ihr noch könnt und dürft!

In der FPÖ denkt man laut darüber nacht, dass behinderte Menschen oder Menschen, für die ein Sachwalter bestellt ist, nicht mehr wählen dürfen.

Da verwundert es schon ein bisschen, dass Herr Böhmdorfer, seines Zeichens Anwalt, noch nie von der Behindertenrechtskonvention gehört hat. O.k., das war lange nach seiner Zeit, die wurde 2006 von Österreich ratifiziert, er war nur bis 2004 Justizminister.

In Artikel 29 garantiert die UN-Behindertenrechtskonvention behinderten Menschen die politischen Rechte und die Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen beanspruchen zu können. Konkretisierend legt Artikel 29 bezüglich des aktiven Wahlrechts fest, dass Wahlverfahren, Wahleinrichtungen und Wahlmaterialien geeignet, zugänglich sowie leicht zu verstehen und zu handhaben sein müssen. Bei der Stimmabgabe sollen die Vertragsstaaten erlauben, dass sich Menschen mit Behinderungen im Bedarfsfall auf ihren Wunsch bei der Stimmabgabe durch eine Person ihrer eigenen Wahl unterstützen lassen.

Ich bin seit 23 Jahren Sachwalterin. Vielen meiner Klienten waren und sind Wahlen kein großes Anliegen (wie auch vielen Menschen ohne Behinderung), einigen aber war und ist es sehr wichtig, zu wählen. Ich frage diese Menschen natürlich nicht, was sie gewählt haben, aber viele tragen ihr Herz auf der Zunge. „Meine Familie hat sich vor den Nazis im Wald verstecken müssen“, hat eine Frau erzählt, „weil meine Eltern Sozis waren. Dort sind uns die Ratten übers Gesicht gelaufen.“ Für sie käme eine rechte Partei nicht in Frage.

Es gibt natürlich auch unter Menschen mit einem Sachwalter solche, die auf die Rattenfänger hereinfallen und die Partei wählen, die gegen die Ausländer ist, obwohl in ihrem Kaff kein einziger Flüchtling lebt und der Mirko, ihr Nachbar, der für sie einkaufen geht, einer von den guten Ausländern ist. Es gibt unter den Klienten welche, die in Springerstiefeln Rechtsrock hören und mir die Rechnung schicken, von Stiefeln und CDs. Ich wundere mich dann zwar und sage ihnen, dass ich anders denke, zweifle aber nicht an ihrem Wahlrecht.

Es gibt unter den Klienten und Klientinnen welche, die durch ihre Zahnplomben Befehle von Außerirdischen erhalten. Vielleicht sagen die ihnen auch ein, wo sie ihr Kreuz machen sollen. Der Unterschied zu Politikern, die eine parlamentarische Anfrage wegen Chemtrails einbringen, scheint marginal.

Die Mehrzahl der Menschen mit dementiellen Entwicklungen, die wählen gehen (oder im Liegen wählen, weil sie bettlägerig sind) wählt auch im hohen Alter das, was sie immer schon gewählt haben. Sie wissen zwar manchmal nicht, wann sie geboren sind, dass es zu Mittag Krautfleckerl gegeben hat und können nicht sagen, ob die Susi ihre Tante oder ihre Tochter ist, aber daran, dass sie immer wählen gegangen sind und das für sie nicht nur Recht, sondern Pflicht war, daran erinnern sie sich genau. Auch, was sie immer gewählt haben. Das unterscheidet sie nicht von ihren nicht beeinträchtigten Altersgenossen.


Diese Seite hier (http://www.lebenshilfe.at/index.php?/de/Themen/Inklusion/Wir-haben-die-Wahl-Infos-zur-Nationalratswahl-in-Leichter-Sprache) ist übrigens auch ein Tipp für so manchen Wähler und manche Wählerin, die keine diagnostizierte Beeinträchtigung haben und mit dem Wählen überfordert sind.

Wenn man des Lesens nicht mächtig ist, kann man sie sich auch vorlesen lassen.

Sonntag, 10. Juli 2016

Vom Verstehenwollen und seinem Scheitern

„Ich glaube daran, dass das größte Geschenk, das ich von jemandem empfangen kann, ist, gesehen, gehört, verstanden und berührt zu werden. Das größte Geschenk, das ich geben kann, ist, den anderen zu sehen, zu hören, zu verstehen und zu berühren. Wenn dies geschieht, entsteht Kontakt.“
(Virginia Satir)

Ich bemühe mich wirklich, die Menschen zu hören, zu sehen, zu verstehen und zu berühren. Meistens gelingt mir das auch, vor allem in meinem Beruf, oder bei Lesungen. Doch manchmal versage ich dabei. Zum Beispiel, wenn es um Politik geht.

Die Ängste der Menschen ernst nehmen sollen wir. Eh. Aber auch völlig unsinnige Ängste? Wenn eine Klientin mir im Tunnel ins Lenkrad greift, weil sie überzeugt davon ist, dass uns Gespenster entgegenkommen, kann ich ihre Ängste durchaus ernst nehmen. Ich kann trotzdem sagen: "Das ist Ihre Wahrnehmung, meine ist, dass das keine Gespenster, sondern die Scheinwerfer von entgegenkommenden Autos sind. Und solange ich hinterm Steuer sitze, zählt meine Wahrnehmung."
Die Leute mit ihren Ängsten ernst zu nehmen heißt nicht, ihnen die Klinikleitung anzuvertrauen.

Auf der Hofer-Seite herrscht zum Beispiel massive Angst vor Kommunismus in Österreich. Dass das 1 %, das bei der letzten Nationalratswahl die KPÖ gewählt hat (ein paar der kommunistischen PolitikerInnen spenden übrigens einen Großteil ihres Einkommens) die Macht in Österreich an sich reißt, ist ungefähr so wahrscheinlich wie Krokodile in der Drau.

Wenn mir mein Leben lieb ist, lass ich auch keine Rechtspopulisten ans Steuer, die versprechen, uns ins Paradies zu führen, aber keinen Plan haben, wo dieses Paradies überhaupt ist. Die uns in Wahrheit nur an die Wand fahren wollen. Und wenn das gelungen ist, vertschüssen sie sich, weil es nicht darum geht, Verantwortung zu übernehmen, sondern Land und Zukunft zu Schrott zu fahren, wie die beiden überaus sympathischen Herren Johnson und Farage.

Was bleibt, sind Fragen. Viele Fragen.

Warum hat die FPÖ nicht den ersten Wahlgang angefochten, wo ihr doch das Einhalten der Regeln so wichtig ist und sie die Demokratie retten will? Warum stand handschriftlich auf einem Protkoll. Nicht anfechten, weil Hofer gewonnen hat?

Warum tönen immer noch Menschen "linke Manipulation", obwohl der VfGH davon nicht sprach? Weil es ja nicht ausgeschlossen werden kann, sagen sie. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass ich am Semmelberg Leichen vergraben habe, und trotzdem verhaftet man mich nicht, weil es keine Hinweise darauf gibt.

Warum wollen manche Menschen aus der EU austreten statt dafür einzutreten, dass sich in der EU etwas zum Positiven ändert? Glauben sie wirklich, dass der Öbaba (die österreichische Variante des Brexit) irgendetwas besser macht? Die österreichischen Exporte und den Tourismus stärkt? Wir auf einmal so reich werden wie die Schweiz oder das Öl im Marchfeld sprudelt wie in Norwegen?

Warum liest man riesige Schlagzeilen, dass ein Mädchen vergewaltigt wurde, von einem Asylwerber... aber nur eine kleine Fußnote, als rauskommt, dass die Geschichte von dem Mädchen erfunden wurde?

Warum wollen Leute den Schilling zurück? Glauben sie, dass dann eine Wurstsemmel wieder 5 Schilling kostet? Oder wechseln sie vor dem Urlaub in Jesolo, wo sie dann wieder Stunden an der Grenze stehen, so gern Geld? Wollen sie verhindern, dass ihre Kinder im Ausland studieren und arbeiten können?

Warum ist es immer mehr Leuten egal, wenn Menschen, deren Heimat zerbombt worden ist, im Meer ertrinken, weil sie überzeugt davon sind, dass unser Boot voll ist?

Warum gibt es so viele - auch durchwegs kluge Leute - die auf diese Hütchenspieler von Rechtspopulisten hereinfallen? Die sich blenden lassen durch ein freundliches Lächeln, ein gemeinsam getrunkenes Bier, flotte Reden gegen „die da oben“ (ohne zu kapieren, dass die, die gegen „die da oben“ am meisten hetzen, selbst „da oben“ und nicht bei den unteren Zehntausend sind) und nicht sehen, mit wem Hofer und Strache sich ins rechte Bett legen. Wir sind keine Nazis, sagen sie. Dann benehmt euch bitte auch nicht wie welche. „Das wird man doch noch sagen dürfen“, sagen sie dann.
„Man darf in diesem Land beinah alles sagen“, singt Danny Dziuk, „nur muss man aber dann auch das Echo ertragen.

Warum nützen Argumente nichts? Die Leute interessiert in Wahrheit nicht, dass sie diejenigen sind, die im Fall eines EU-Austritts oder einer blauen Regierung zuerst draufzahlen. SachwalterInnen wird es vermutlich danach mehr denn je brauchen.
Und dass die Partei der kleinen Leute gegen die Vermögenssteuer gestimmt hat, und selbst abkassiert, wo es nur geht, ohne Leistung, interessiert sie offensichtlich auch nicht. Von der Hypo red ich gar nicht. Und dass diese Typen kein Herz für Obdachlose haben, sondern für Bettelverbote sind. Frauen sind ihnen in Wahrheit egal, sie stimmen gegen Förderung von Frauenhäusern.
Nach dem Motto: Unsere Frauen dürfen nur von unseren Männern geschlagen werden.

Warum, warum, warum???

Ich hab keine Antworten, dabei würde ich die Leute so gerne verstehen.

Montag, 6. Juni 2016

Tagebuch

Für Leser, die kein Facebook haben...

Spoiler: Es geht mir schon wieder besser.

Tag 1

Das wird kein lustiger, netter Beitrag, leider. Auch kein neues Geschmeide. Außerdem schreib ich am Handy und mach bestimmt viele Fehler. Und meine Arme sind verkabelt. Und bin verzagt und voller Selbstmitleid und hab Angst.
 Aber langsam.

Die letzten Wochen und Monate ging es mir richtig gut, ich glaub, das hab ich das eine oder andere Mal erwähnt.
Ich dachte, das macht dem Leben und mir Spaß, aber dem Leben wurde es anscheinend zu langweilig. Also hat es mir den Samtteppich, auf dem ich stand und lag, einfach unter den Füßen weggezogen.

"Soll ich dir auch Erdbeeren mit Joghurt machen?" Man könnte meinen, ein einfacher Satz. Aber er wollte weder von meiner Intention in die Gedanken noch von den Gedanken auf die Zunge, sondern drehte sich im Kreis und aus meinem Mund fielen unzusammenhängende Wörter. So sehr ich mich auch bemühte, ich kriegte diesen Satz nicht heraus. Irgendwann begann ich zu weinen.
Jetzt lieg ich da, wo ich - die stolze, starke, souveräne Frau Lehner -sonst oft dienstlich bin, Patienten besuche, mit Ärzten diskutiere und Angehörige tröste. Auf der Stroke Unit der neurologischen Abteilung. Und jetzt hält die Stationsschwester mir die Hand und ich bin froh, dass ich immer freundlich war zu ihr.

Der erste Gedanke war: Aber ich muss ja am Wochenende schulen. Zum Glück haben mir den zwei Kollegen schnell aus dem Kopf getrieben.
Und ich lieg da und frag mich, was los ist mit meinem Kopf, ob er vielleicht so verstopft ist mit Ideen und Plänen und Bühne und Arbeit und allem, was mir im Leben so viel Freude macht, dass das Blut nicht mehr durchkommt.

Ich hab den Schlag verstanden, liebes Leben, aber können wir uns für die Zukunft darauf einigen, dass du mir nicht das nimmst, was mir neben meinen Lieben am wichtigsten ist? Nämlich meine Sprache und meinen Humor?
Schlag ein statt zu.


Tag 2

Heut Nacht sind ein paar rosa Flecken auf die weißen Krankenhauswände gemalt worden. Vielleicht lag es auch Schlafmittel, dass ich rosiger sehe als gestern. So starke Drogen konsumiere ich ja sonst nie.
Für Beileidskundgebungen ist es zu früh, auch werde ich keine ausgiebige Reha brauchen (höchstens eine kleine Kur), die Seh- und Sprachsymptome haben sich ja wieder verzogen. Nur die Angst hockt noch trotzig an meinem Bett und will auch nach Ende der Besuchszeit nicht gehen. Die Angst, dass Dr. Google recht hat und auf so eine transitorische ischämische Attacke mehr folgt. Oder halt in meinem Hirn irgendwas nicht stimmt, dass es überhaupt so weit gekommen ist.
Und so starre ich aus dem Fenster über die Dächer Mistelbachs und murmle in regelmäßigen Abständen Sätze wie ...auf dem Dach sitzt eine Katze... oder … willst du Erdbeeren mit Joghurt?... nur damit ich mich vergewissere, dass sie noch da ist, meine Sprache.

Ja, liebes Leben, wir zwei sind noch nicht fertig miteinander. Dein Schlag hat mich nicht getroffen, sondern nur gestreift. Ich habe deine Botschaft verstanden. Das nächste Mal nimm statt des Zaunpfahls (Zäune sind sowieso total out, die haben so gar nichts verbindendes) bitte für solche Nachrichten japanische Essstäbchen. Mit denen könnten wir dann auch Sushi essen. Und ich versprech dir, liebes Leben, den Abstand zwischen Liebes und Leben kriegen wir auch wieder weg.


Tag 3

Heute sind die Krankenhauswände nicht rosa, sondern grün. Was nicht an irgendwelchen bunten Pillen liegt, sondern daran, dass sie mich im Schlaf auf ein anderes Zimmer verlegt haben, weil ein Notfall kam und auf die Überwachungsstation musste. Was schlecht für den Notfall ist, aber gut mich, weil ich jetzt definitiv keiner mehr bin.
Wenn man hier im Krankenhaus eines hat, dann Zeit zum Nachdenken. Außer man verfolgt im Standard liveticker, wie Dominik Thiem Paris aufmischt.

Und wenn man da so nachdenkt, merkt man, dass ja ganz nüchtern betrachtet alles beim Alten ist. Man kann gehen, kriegt die Fingerspitze mit geschlossenen Augen fast punktgenau zur Nasenspitze, sieht den Kollegen nicht mehr kopflos (was ihm ubrigens nicht wirklich steht) und kann fehlerfrei “soll ich dir Erdbeeren mit Joghurt machen”? sagen.

Wenn ich wenigstens einen Gips hätte, würden die Leute sagen: lass, ich mach das, schon dich! Aber wie schont man sich, wenn das Gehirn verstopft war und man noch nicht mal weiß, warum?

Von Außen betrachtet hat sich also nichts verändert, außer dass ich grad zerstochen bin und an Infusionen hänge und meine Blässe in Konkurrenz zum schicken Krankenhaushemd steht. Und doch ist alles anders in Tagen wie diesen, in denen man so intensiv Bekanntschaft (nein, Freundschaft ist das noch keine) mit der eigenen Verwundbarkeit gemacht hat. An diese neue Begleiterin muss man sich erst gewöhnen.Die Momente, in denen man gespürt hat, wie es sich anfühlt, wenn die Wörter weg sind oder nur die falschen da sind und man keine Kontrolle über sie hat, die haben mich verändert. So selbstverständlich hab ich die Sprache als mein Werkzeug verwendet, bis sie mir aus der Hand gefallen und durcheinander geraten ist.
Um loslassen geht's ja grad in meinem Leben, aber nach dem Kind auch noch die Sprache? Ja, ich weiß, sie sind noch da, ein Kind auf dem Traktor und eins in Dänemark und die Sprache wieder in meinem Kopf, aber ihr fehlt die Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit.
Wenn ich in Zukunft Vorträge über Sachwalterschaft halte und flapsig sage “wir wissen alle, wie schnell so etwas gehen kann”, dann wird das weniger flapsig klingen... wenn ich mit der Oberärztin über eine Peg-sonde diskutiere, werde ich das Bild nicht aus dem Kopf kriegen, wie sie meine Hand gehalten hat und ich geschluchzt habe, obwohl es mich viel schlimmer treffen hätte können. Wenn ich zu Klienten, die auf die Frage nach ihrem Alter mit grün antworten, sage: ich kann verstehen, dass sich das scheiße anfühlt, dann werde ich es tatsächlich ein bisschen besser verstehen konnen..

Gestern hab ich noch großgoschert verkündet, ich hätte die Botschaft verstanden? Aber welche Botschaft eigentlich? Als meine Freundin gestern da war - mit Essstäbchen für die Sushi statt mit Zaunpfählen - haben wir gerätselt, ob wir die Strategien des Lebens nicht vielleicht maßlos überschätzten und nur blöd heruminterptetieren. Dass sich das Leben - so wie bei der Schaffung der FPÖ - vielleicht gar nichts gedacht hat, sondern ihm einfach fad und es ein bisschen aggro war und es sich gesagt hat: die Lehner, die steht grad so blöd herum, der braten wir kurz eins rüber.

Wie soll ich mich jetzt eigentlich schonen? Statt alle zwei Jahre nur noch alle 5 Jahre Fenster putzen? Weniger reden und die Sprache schonen? Weniger denken und das Gehirn…?
Weniger von dem machen, was mich erfüllt und dafür Löcher in die Luft starren? Und was sagt die Luft dann dazu, wenn sie aussieht wie ein Emmentaler?
Ihr müsst meine verschwurbelten Gedanken natürlich nicht lesen. Aber ich muss sie aufschreiben.
Alles ist wie immer. Und nichts, wie es mal war.
Nur so zum Üben: Soll ich euch Erdbeeren mit Joghurt machen?

Tag 4

An der Wand hängt ein Akt. Also kein Gerichtsakt, sondern ein Bild von zwei ineinander verschlungenen Liebenden. Die Wand ist nämlich meine Schlafzimmerwand.
Das Leben fühlt sich noch nicht wieder normal an. Obwohl ich in meinem eigenen Bett mit der frisch gewaschenen Rosenbettwäsche liege, keine Geräte um mich surren und piepsen, weil mein Puls unter 45 fällt und eigentlich alles so ist wie immer. Eigentlich. Das Blut in meinem Körper fühlt sich anders an. Dünner irgendwie. Das wird am Thrombo Ass liegen. Meine Haut fühlt sich auch dünner an. Das wird nicht am Thrombo Ass liegen.

So, Frau Lehner, jetzt ist dann wieder Schluss mit Selbstmitleid und damit, dass sich alles um Sie selbst dreht. Sie können jetzt wieder schöne Gedichte schreiben und Ringe schmieden und Erdbeer-Rhabarberkuchen backen und für andere da sein.

Oder so: Frau Lehner, es ist völlig in Ordnung, wenn sich jetzt alles um Sie selbst dreht, aber es muss nicht die ganze Welt davon erfahren. Sie müssen Ihr Tagebuch nicht an die Gemeindetafel hängen. Es interessiert niemanden, was sie mitgemacht haben. Wir alle haben genug mitgemacht und machen uns nicht damit wichtig.

Oder: So, Frau Lehner: Es ist gut, wie es ist. Ihr Leben darf sich um Sie selbst drehen, so eine Attacke ist kein Lercherlschaas (Flatulenz eines Singvogels) , auch wenn sie nicht mit Lähmungen einhergegangen ist. Es ist auch in Ordnung, das Tagebuch in der Kronenzeitung zu veröffentlichen - Stopp! - Also dort nun wieder nicht, jetzt reißen Sie sich ein bisschen zusammen... aber es ist in Ordnung, Ihr Tagebuch auf Facebook zu veröffentlichen, dort lesen es eh nur die paar Freunde. Was Sie übersehen haben, Frau Lehner, ist aber die Tatsache, dass die paar Freunde dann auch die anrufen, von denen Sie denken, die ruf ich erst an, wenn es mir wieder gut geht, damit sie sich nicht unnötig Sorgen machen. 
(Es tut mir leid, wenn ihr euch Sorgen um mich gemacht habt. Ich hab mir übrigens auch ziemliche Sorgen um mich gemacht.)

Es ist also gut wie es ist, Frau Lehner. Sie dürfen Ihr Tagebuch veröffentlichen, wo Sie wollen, verstopfte Gehirnwindungen, fehlende Köpfe und fehlende Wörter sind den Menschen ebenso zumutbar wie Katzen- und Essensfotos und Poesiealbumsprüche, es wird ja niemand genötigt, zu lesen, was Sie schreiben, das nennt man ja Autonomie.
So ein Hirn ist schon eine sehr seltsame Konstruktion. Nicht nur, weil es aus - noch - unerfindlichen Gründen den Strom nicht durchgelassen hat, auch, weil es sich ständig neue und unnötige Gedanken macht.
Gestern beim Abendspaziergang zum Beispiel, da denkt mein Gehirn sich: Hoffentlich sieht mich jetzt niemand (was ziemlich unwahrscheinlich ist, wenn man zum Bäcker geht). Hoffentlich sieht mich jetzt niemand, der meine Facebookeinträge gelesen hat und mich jetzt für todkrank hält und mir schnelle Genesung gewünscht hat und der denkt sich jetzt: Da spaziert die einfach so herum und zieht nicht mal ein Bein nach und „Bitte zwei Packungen Vollwertbiomüsli, eins mit und eins ohne Rosinen“ hat sie auch ohne Probleme herausgekriegt. Und Lippenstift hatte sie drauf, also bitte! Drama Queen. Wisst ihr noch, wie sie vor ein paar Jahren in der Aula der Schule diese Pornogeschichte gelesen hat?
Vielleicht find ich noch die Krücken, die mein Mann nach dem Riss der Achillessehne (jetzt hätte ich beinahe Achillesferse geschrieben) gekauft hat, mit denen geh ich dann morgen in den Wald, damit man sieht, dass mit mir etwas nicht stimmt.

„Gusch, verdammt noch mal!“, brülle ich mein Gehirn an, weil es so einen Schwachsinn denkt. Vielleicht sind da doch noch ein paar Synapsen ein bisschen hinüber? „Jetzt reiß dich doch ein bisschen zusammen. Du sollst dich schonen!“, erinnere ich es an den ärztlichen Rat.
„Wie geht das?“, fragt das Gehirn mich. 
Hm. Vielleicht das Krone-Rätsel statt dem Standard-Rätsel. Oder nicht überlegen, wie schonen geht.
Man sagt ja, dass das chinesische Schriftzeichen für Krise das gleiche ist wie für Chance. Ich kann es nicht bestätigen, ich bin nur bis tausend Zeichen gekommen, das war nicht dabei. Vielleicht ist da ja etwas dran. Ich hab nämlich gestern ein Mail bekommen, von jemandem, der mir sehr wichtig ist und dieser jemand hat mir gesagt, dass ich ihm auch sehr wichtig bin. Das war wunderschön. Und vielleicht hat sich mein Gehirn diesen ganzen Streich nur ausgedacht, damit das passieren kann und wir wieder einen Schritt aufeinander zu machen. Wer weiß das schon?


Tag 5

Der am häufigsten gehörte Satz in Tagen wie diesen: „Sag einmal, was machst du denn für Sachen?“
Ja, was mach ich denn für Sachen? Ich dachte, ich erschreck euch und vor allem mich ein bisschen. Mir ist der Stoff zum Schreiben ausgegangen, da hab ich das Leben gefragt: „Sag einmal, hast du eine Ahnung, worüber ich schreiben könnte? Aber bitte nichts Erotisches, das regt mich immer so an und stößt manche Leser ab. Die Kurgeschichten haben den Leuten damals sehr gefallen, so etwas in der Art vielleicht, nur ein bisschen spektakulärer. Aber halt auch nicht ganz schlimm, also kein Todesfall oder so. Gib mir doch mal eine Steilvorlage bitte!“
Das Leben hat nicht lang nachgedacht, sondern zum Schlag ausgeholt. 
„So?“, hat es dann gefragt. 
„Sag einmal, was machst du denn für Sachen?“, habe ich kopfschüttelnd gemurmelt, als der medizinisch indizierte Dadaismus vorbei war und ich wieder ganze Sätze formulieren konnte. Das Leben hat die Schultern gezuckt. „Du wolltest es so.“
Ich bin gespannt, wann der nächste Zuhörer bei einer Lesung fragt: „Sagen Sie einmal, wie kommen Sie eigentlich auf Ihre Ideen?“

Österreich hat nicht nur 8 Millionen Cheftrainer, sondern mindestens so viele Neurologen, die auf Ferndiagnosen spezialisiert sind. Das beruhigt mich. Der zweithäufigste Satz in Tagen wie diesen war: „Und da hast du nicht sofort die Rettung gerufen? Das weiß man doch?“ 
Ja Leute, genau das ist das Problem, dass man in Situationen wie dieser gar nichts mehr weiß. Nicht einmal, wie man das Kind fragt, ob es auch Joghurt mit Erdbeeren will.

„Sag es bitte, wenn ich irgendwas für dich tun kann“ ist auch in die Top 3 der Hitparade der beliebtesten Reaktionen geschrammt. Ein schönes Gefühl, von Menschen umgeben zu sein, die etwas für einen tun wollen. 
„Das ist lieb, aber ich hab hier alles, was ich brauche“, sagst du meistens. Gute Neurologen, einen piepsenden Monitor, der mich überwacht, Infusionen, ein sexy Nachthemd und einen wunderschönen Ausblick über die Stadt.
„Ein Eis hätte ich gerne“, bist du einmal völlig unbescheiden, weil du weißt, dass die Person, die dich ermuntert hat, ihr zu sagen, wenn sie irgendetwas für dich tun kann, ganz in der Nähe wohnt. Das war dann aber doch ein bisschen zu viel verlangt. Diese Person hat sich seit dem ungeheuren Wunsch auch nicht mehr gemeldet. Hoffentlich hast du sie nicht vor den Kopf gestoßen, indem du nicht Trost und Rat, sondern ein Stanitzel mit Schoko- und Bananeneis wolltest.

Aber wenn du ehrlich bist, dann spürst du sowieso, wer diesen Satz ernst meint und für wen er nicht mehr als eine Floskel ist, weil ihm „Sag einmal, was machst du denn für Sachen?“ grad nicht einfällt. Es ist schön zu spüren, dass die meisten deiner Freunde ihn sehr ernst meinen. Aber die Lust auf Eis ist dir inzwischen vergangen und wird durch Gusto auf Sushi ersetzt. Der wird prompt erfüllt, von einer Freundin, die nicht in der Nähe wohnt und die deine Tränen und deine Hilflosigkeit aushält.
Ich hab übrigens die besten Freunde der ganzen Welt. So schaut‘s nämlich aus.

Der Körper ist eine komplexe Wundermaschine. Das wird mir spätestens beim Aorta-Ultraschall klar. Ich kann mein Blut, das durch meine Gefäße rauscht und pocht, hören. Es klingt wie eine kaputte Klospülung. Aber die Neurologin ist zufrieden. „Super klingt das!“, findet sie. Sie scheint ein Faible für rauschende Klospülungen zu haben. Na ja, manche stehen auf schöne Strumpfhosen, manche eben auf solche Geräusche.
Die EEG-Spezialistin lobt mich, weil ich so still liege und die Aufzeichnungen über meine Gehirnströme so deutlich und so klar sind. Das wundert mich, bei den Gedanken, die mir ständig durch den Kopf geistern. 
Nächste Station Echo. Ich bekomme einen Echo verliehen? Aber ich kann doch gar nicht singen!
Ah, Echo steht für transthorakale Echokardiografie. Herzultraschall.

Was ich schon oft gehört habe: Du hast ein großes Herz, ein weiches Herz, ein warmes Herz, ein reines... nein, wir wollen nicht übertreiben. 
„Sie haben ein wunderschönes Herz“, sagt die rumänische Herzspezialistin und kann sich gar nicht satt sehen an meinen Kammern und Herzohren.
Es macht mich glücklich zu sehen, mit welcher Leidenschaft die Leute im Krankenhaus ihrem Beruf nachgehen. Die kleine, resolute Krankenschwester mag ich am liebsten. „Der Stützpunkt heißt nicht Stützpunkt, weil du ihn stützen musst“, sagt sie zum dicken, gemütlichen Praktikanten, „der steht von ganz allein. Du kannst in der Zeit was arbeiten.“

Die Zivis machen Wettrennen mit den Patientenbetten mit Patienten drinnen, die sie zu den diversen Untersuchungen führen. Bastian nimmt die Kurven am engsten und wir gewinnen souverän. Wenn auch nicht den Echo.
Auch die Pharmavertreterin scheint ihren Beruf zu lieben. Unbeirrt lächelt sie und sagt zu allen vorbeieilenden Ärzten: „Ah, Sie haben es bestimmt grad eilig, Herr/Frau Doktor. Macht nichts, dann schau ich morgen wieder vorbei.“ 
„Tut mir leid, ein Notfall“, sagen die Angesprochenen. Es scheint vor Notfällen nur so zu wimmeln, denn alle beschleunigen beim Anblick der Pharmavertreterin in der pinkfarbenen Hose ihre Schritte und das liegt wahrscheinlich nicht an der pinkfarbenen Hose. Ich habe Mitleid mit ihr. 
Zum Glück erbarmt sich die rumänische Herzspezialistin ihrer und lässt sich die neuesten Studienergebnisse aufschwatzen und ein paar Muster überreichen. Vielleicht sind in der Tasche auch Gutscheine für Fernreisen, man weiß nichts genaues.

„Du bist schon wieder ganz die Alte!“ ist übrigens nicht aufs Treppchen gekommen und knapp auf Platz 4 gelandet. Na ja, man kann nicht immer gewinnen. 
Um ehrlich zu sein, ich fühl mich noch nicht alt. Auch nicht wie die Alte. Da hat das Leben eine kräftige Einkerbung in meine Linie geschnitzt. Wozu die gut sein soll, weiß ich noch nicht genau.

Aber jetzt muss ich mich wieder ausruhen und die vielen guten Ratschläge beherzigen.


Tag 6

Die Wahrheit ist: Ich hab das Patientenbettrennen gar nicht gewonnen im Krankenhaus. Es gab nämlich gar keines. Sie waren zwar flott unterwegs und mir wurde zum ersten Mal klar, warum in jeder Kurve Spiegel angebracht waren - nämlich, damit die mit den Schwerverletzten nicht zusammenstoßen - aber sie sind durchaus vorsichtig gefahren. 
Es ist nur so: Maßlos zu übertreiben und Geschichten zu erfinden nimmt mir meine Angst ein bisschen. Ich versuche die Angst einfach wegzuschreiben. Wer witzig ist, fürchtet sich nicht. Wer über sich selbst lachen kann, die Angst nicht auf ein Podest stellt, sondern einfach auslacht, dem geht‘s besser. Damit kenn ich mich aus. War meine Abschlussarbeit bei der Trainerausbildung. Humor wirkt sich tatsächlich auch körperlich aus, fördert unter anderem die Durchblutung und den Stoffwechsel.

Heute nacht hab ich geträumt, dass ich ständig irgendwelche Dinge in der Hand hatte, von denen ich nicht wusste, wie sie dahin gekommen sind. Einen Schlüssel, der nicht mir gehört. Einen Stoffhund. Eine Selbstbräunungscreme. Was bitte mach ich mit einer Selbstbräunungscreme?

Ist es eigentlich besser, wenn sie finden, warum ich diese Aussetzer hatte oder nicht? Ein Teil von mir wünscht sich, dass bei irgendsoeinem Ultraschall der Fehler im System gefunden wird und die Ärztin glücklich aufschreit: „Ha, da haben wir den Schurken!“ Es sollte natürlich nur eine Kleinigkeit sein, die leicht behandelbar ist, ein rostiger Auspuff oder eine falsch montierte Schraube. Und die Schraube würde an die richtige Stelle montiert und die Angst gezogen werden. Mitsamt der Wurzel.

Damals, vor Jahren, war es auch leichter, eine Diagnose zu haben, zu wissen, warum mein Sohn mit 6 noch keine Kerze ausblasen konnte und dass es nicht an meiner schlechten Erziehung (welcher Erziehung eigentlich?) lag. Die Diagnose hat zwar im Prinzip nichts geändert, aber die Last hat sie leichter gemacht.
„Dein Hirn ist auch nur ein Mensch“, hat ein Freund gesagt, „das darf auch manchmal einfach nicht funktionieren, ganz ohne Grund. Wenn sie nichts finden, geh einfach davon aus, dass du gesund bist.“ Seh ich nicht so, dass mein Hirn das Recht hat, nicht zu funktionieren.
Auf der Suche nach dem Warum entwickle ich täglich ein neues Erklärungsmodell.
Hier mein heutiges: 
Vielleicht habt ihr ja gestern auch gelesen, dass der ehemalige Kärntner Landeshauptmann Dörfler anlässlich des Todes des größten Boxers aller Zeiten gesagt hat: „Cassius Clay und Mohammed Ali haben die wildesten Boxkämpfe des Jahrhunderts geliefert und haben danach ein Bier getrunken“.
Ja, lasst es ruhig sickern. Dabei sollte ein FPÖ-Politiker doch wirklich wissen, dass Moslems sich unserer westlichen Wertekultur verweigern und keinen Alkohol trinken. Da hätte ja Cassius Clay alle drei Bier alleine trinken müssen!

Ihr werdet euch jetzt vielleicht fragen, was das mit meinem Hirn zu tun hat. Langsam, ich werde es euch erklären. Mir ist klar geworden, wie viele Fehlfunktionen die Gehirne der Blaubraunen täglich haben. Und wahrscheinlich war die Ischämische Attacke nur ein Versuch einer noch unbekannten unheimlichen Macht, unter deren Einfluss diese Neubraunen stehen, auch mein Gehirn in Besitz zu nehmen. Bei vielen anderen haben sie das ja schon geschafft, vermutlich mittels Chemtrails.

Meine Sehstörungen waren ein Versuch dieser Macht, mich für das Wesentliche blind zu machen, weshalb ich meinen Kollegen ohne Kopf gesehen habe. Kopflose Menschen braucht ihre Politik nämlich. Und dann haben sie mich Schwachsinn reden lassen, wie sie selbst es jeden Tag tun, irgendeinen Scheiß. Sie wollten, dass ich statt „Erdbeeren rein“ „Ausländer raus!“ sage, aber mein Gehirn war zwar außer Gefecht, aber so blöd nun auch wieder nicht. Sie haben gemerkt, dass ich für diese Umpolung nicht geeignet bin und geben auf. Hoffentlich.

Ja, und so witzele ich mich auch heute wieder in den Tag und spuck der Angst ins Gesicht.
„Kribbelt es in ihrem Kopf?“, hat die Ärztin gefragt. 
„Nein“, hab ich gesagt.
Aber jetzt, wo ich wieder zu Hause bin, kribbelt es ständig. Und ich hab natürlich nicht gegoogelt, was das bedeuten kann. 
Und wenn mir ein bisschen schwindlig wird, was bei einem Puls von 45 schon mal vorkommt, atme ich tief aus und versuche ganz nervös diesen einen, den wichtigsten Satz zu sagen: „Soll ich dir auch Erdbeeren mit Joghurt machen?“

Sonntag, 29. Mai 2016

Spieglein, Spieglein an der Wand

Ich lausche den Texten der jungen, schönen Autorinnen und Autoren auf der Slambühne. Lächle, weil ich mich in meine Jugend zurückversetzt fühle, an meine Liebes- und Lern- und Leidensgeschichten. Die Welt ist eine andere mit 50+, denke ich. Die Gegenwart abgeklärter. Die Vergangenheit verklärter.

Die letzte Nacht durchgemacht hab ich ... ja, vor einer Woche. Aber nicht aufgrund von 13 Tequilas, sondern, weil ich nicht schlafen konnte, weil meine Tochter am Tag der Bundespräsidentenwahl nach Dänemark geflogen ist und ich sie um 4 Uhr morgens zum Flughafen gebracht habe. Sie ist nicht wegen der Wahl ausgereist, sondern wegen eines rotblonden Wikingers mit Vollbart, nachdem sie mir 20 Jahre lang erzählt hat, dass sie Männer mit Bart nicht mag, außer den Papa. 
Der Kopf nach dieser durchgemachten Nacht hat sich ähnlich angefühlt wie vor Jahrzehnten nach den 15 Tequilas, aber die Traurigkeit jetzt lässt sich nicht hinter Tomatenstauden kotzen wie die Übelkeit nach den 17 Tequilas. Oder waren es 19?

Wie gesagt, mein Leben ist ein anderes als das der jungen Autoren und Autorinnen. Nicht Generation Praktikum, sondern seit 25 Jahren mit dem selben Mann verheiratet und seit 23 Jahren mit dem selben Job. Wie langweilig muss das klingen in den Ohren der anderen?

Wenn ich aber in den Spiegel schaue, und zwar unter die glänzende Oberfläche, ganz tief hinein, wo es dunkel und geheimnisvoll ist, dann sehe ich nicht eine 54jährige Frau mit grauen Schläfen, dann bin ich wieder das kleine Mädchen, das Angst davor hat, dass Papa und Mama sich nicht mehr lieb haben, und das glaubt, schuld daran zu sein, weil es sich an den Süßigkeiten in Papas Naschlade vergriffen hat.
Dann sehe ich das Volksschulkind, das kluge und intelligente Mädchen, das der Lehrerin die Tasche mit den Hausübungsheften nach Hause trägt und immer eine extra Zierzeile für diese Lehrerin malt. Gibt es Zierzeilen überhaupt noch oder sind sie vom Aussterben bedroht? Der geliebten Lehrerin die Hausübungshefte nach Hause zu tragen war nicht einmal in den 60ern cool. Weil ich aber so gerne cool sein wollte, erzählte ich zu Hause bei Eingebrannten Erdäpfeln (die sind auch vom Aussterben bedroht und das zu Recht), dass ich zur Lehrerin „Arschloch“ gesagt habe, was natürlich nicht gestimmt hat, weil ich sie angehimmelt habe. 
Was gestimmt hat: Ich habe die schönsten Aufsätze für sie geschrieben und dafür Sternchen bekommen. Und für 6 Sternchen gab es ein Klebeherz. Aber Sternchen und Klebeherzen waren auch in den 60ern nicht cool. Cool war der Rudi, der das Tintenfass ausgetrunken hat, ohne mit der Wimper zu zucken. 
„Arschloch“ zur Lehrerin zu sagen war mindestens genauso cool. So gerne wollte ich Pippi Langstrumpf sein und brachte es doch nur zur Annika. Ein liebes, nettes Mädchen war ich, umkompliziert und unauffällig. Ein VW Käfer, der gern ein Citroen DS gewesen wäre.
Für das "Arschloch", das ich nie gesagt hatte, bekam ich Watschen vom Papa statt Sternchen von der Lehrerin. Watschen waren auch in den 60ern nicht cool, aber durchaus üblich. Rebellion hat eben ihren Preis. 


Meine Mama ging in die Schule und entschuldigte sich bei der Lehrerin für das "Arschloch", und später gab es noch mehr Watschen, fürs Lügen. Und der Dieter durfte der Lehrerin die Hausübungshefte nach Hause tragen, was viel mehr weh getan hat als die Watschen, die nur auf der Oberfläche schmerzten, aber nicht im Herz innen drinnen.
Im Spiegel sehe ich eine trotzige Pubertierende, die Hesse liest und Gedichte schreibt und die ein Stückchen Wüste grün machen möchte. Die die Schulkollegin, die stolz die Flecken der ersten sexuellen Erfahrungen auf der Bluse präsentiert und diese „Sportflecken“ nennt, naiv fragt „von welchem Sport?“ und dafür Spott und Hohn erntet.
Ich sehe die ungeschickte, tollpatschige Schülerin, die nicht in die Mannschaft gewählt wird. Die bei den Tauen grad mal zwei Meter schafft und sich den Medizinball auf die Zehen schmeißt.

Der Spiegel, in den ich schaue, bekommt Risse. Oder ist es in Wahrheit die Haut, die Falten wirft?

Die jungen Autorinnen und Autoren auf der Bühne erzählen vom Anderssein, vom Sichausgeschlossenfühlen und von der Sehnsucht dazuzugehören. Wenn ich so nachdenke, kenne ich niemanden, der sich rundum geliebt gefühlt und dazu gehört hat, cool war und beim Völkerball als erstes in die Mannschaft gewählt wurde. Wo sind sie, die Menschen, die das Gefühl hatten und haben, zu entsprechen und gut genug zu sein, für das Leben und die Herausforderungen, die es uns vor die Füße knallt. Wo sind sie, die Helden und Heldinnen der Nation, die uns das Leben schwergemacht haben? Sind sie nur eine Projektion, eine Illusion?

Vielleicht ist die Welt der jungen Autorinnen und Autoren auf der Bühne gar nicht so anders als die meine.

Nur jetzt.

Samstag, 21. Mai 2016

Die Autorin in mir

Nackt, wie die Natur ihn schuf, liegt der Tag vor mir. Unberührt wie die Jungfrau Maria. Zumindest unberührt von mir, andere haben längst mit ihren Fingernägeln Spuren in seinen Rücken gekratzt und ihre Lust in seinen Leib gebohrt. Oder mit ihrer Wut dem Tag ein paar Platzwunden zugefügt.

Wenn ich im schlafwarmen Bett liege, an so einem Tag, einem Tag, wo auch der Wecker ausschlafen darf, kommen mich die Gedanken besuchen. Die Worte. Ich will sie einfangen, die Worte, mit dem Schmetterlingsnetz meiner Erinnerungen, nicht flüchten lassen, weil diese unberührten und nicht zu Ende gedachten Worte und Sätze oft wunderschön und noch nie gedacht sind. Anstatt sie einfach zu genießen und kommen und gehen zu lassen, will ich sie dem Tag entreißen, auf Papier bannen, oder auf die Tastatur. Und damit mit einem Skalpell Narben in den Tag schneiden. Sein Lächeln ist so ansteckend wie Masern, schreibe ich. Dabei hat mich niemand angelächelt, nicht einmal der Tag, weil die Rollos noch unten sind.

Die Autorin in mir geht mir manchmal gehörig auf die Nerven. Nie kann sie Dinge einfach sein lassen. Vor allem kann sie Dinge nie so sein lassen, wie sie wirklich sind. Sie ist eine erbärmliche Lügnerin, eine Mythomanin. Weil sie mein Leben in Wahrheit schrecklich langweilig findet, motzt sie meine Erlebnisse ständig auf. Tag für Tag mischt sie sich in mein Leben ein und lenkt es dadurch in andere Spuren.

Die Leser meiner erotischen Geschichten halten mich für eine hemmungslose und nicht satt zu bekommende Liebhaberin, die feucht wird, sobald sie von seinem ansteckenden Masernlächelnvirus infiziert wird. Von einer Femme Fatal, die alle Stellungen des Kamasutras nachturnen kann, dabei unendlich geil ist. Die dreht sich nicht einfach um und sagt: „Heute nicht.“ Oder „dies Woche nicht“. Oder so.

Die Autorin in mir bastelt so lange an alltäglichen Ereignissen herum, bis sie ihr spannend genug erscheinen. Aus dem Meerschweinchen, das mein Mann für die Kinder gekauft hat, wird erst ein Chihuahua, auf den die Kinder allergisch sind, später ein hässlicher Nacktmull aus der Familie der Sandgräber, der der Star der Geburtstagsparty ist und den die Kinder in allerlei Puppenkleider stecken. Bis die explodierende Eistorte serviert wird.
Durch die Intervention der Autorin in mir wird aus dem Nacktmull ein zahmer Tiger und als auch der nicht mehr spannend genug ist ein an der Pfote verletzter, mohnsüchtiger Elefant, der geliefert wird, als mein Mann grad nicht da ist.

Wäre ich bei der Wahrheit geblieben, hätte mein Mann einfach Katzenfutter gekauft. Aber wen interessiert das? Und das ist alles, was die Autorin in mir will, interessant, skurril, schräg, spannend zu sein. Die Leute wollen unterhalten, abgelenkt und berührt sein, flüstert sie mir ins Ohr. Einen langweiligen Alltag haben sie selber. O.k., nicht so langweilig wie deiner, aber bitte...
Danke.

„Kannst du jetzt bitte mal ganz still sein und mir nur zuhören?“, bitte ich die Autorin in mir am Abend, als der Tag, zerfurcht, gelebt und zerschunden neben mir liegt und stöhnt. Aus Erschöpfung, nicht aus Lust.

Sie hört zu. Und ich erzähle von meinem Tag. Von der Arbeit im Büro, meinem Besuch im Heim bei dem zahnlosen 80jährigen, der möchte, dass sich seine Mama um ihn kümmert. Von der Stimmung im Büro, die zum Schneiden ist. Davon, dass ich den E-Reader umgetauscht hab, weil der Akku nur mehr ein paar Stunde hielt. Vom Theaterworkshop und dem Stück, in dem ich eine alte Dame namens Adelheid spiele, die Mein Kampf liest sich den Dolferl zurückwünscht.

„Und, wo ist da die Pointe?“, fragt die Autorin in mir mich. Hm.
„Da ist keine“, gebe ich zerknirscht zu, „weißt du, das Leben ist nämlich kein Witz.“
„Du könntest aber eine Messerstecherei im Büro anzetteln, der 80jährige könnte 123 und der älteste Bewohner der Welt sein, der vom zweitältesten vergiftet wird, weil der selbst gern der älteste Bewohner wäre, du könntest den E-Reader auf dem Kopf der Verkäuferin zertrümmern und Adelheids Hund könnte Blondi heißen. Sowas würden die Leute gerne lesen, verstehst du?“

„Ja. Eh. Ich bemüh mich“, sag ich und denke: „Scheiß Autorin in mir! Du sollst dich nicht ständig in mein Leben mischen. Lass mich doch einfach mal in Ruhe!“

Montag, 16. Mai 2016

Mehr Licht

Warum träume ich jetzt, wo meine Tochter zu denen Dänen geht, so viel von meiner eigenen Mama? Vielleicht hat das etwas mit einer Verbundenheit über Generationen zu tun, die weder der Tod noch Grenzen auflösen können, was weiß ich? Vielleicht hat es damit zu tun, dass mein Thema grad Abschied lautet und ich keine Gelegenheit hatte, mich von meiner Mutter zu verabschieden, bevor der Berg sie abgeworfen hat.

Das einzige Bild im Kopf, das ich von meiner Urgroßmutter habe ist das, als sie bleich und tot im Sarg lag. Im Sarg liegt man ja meistens bleich und tot, aber diese Erfahrung hatte ich damals noch nicht, als kleines Kind. Es war meine erste Erfahrung mit dem Tod.
Meine Großmutter - die Schneebergoma (sie arbeitete bis zu ihrem 70. Geburtstag am Schneeberg) - stand am Sarg und kämmte ihr langes, weißes Haar. Ihr eigenes, nicht das der Urli. Es war das einzige Mal, dass ich gesehen habe, dass sie ihr Haar offen trug.
Als meine Urgroßmutter starb, fühlte ich keine Trauer. Nur einen muffigen Geruch. Die Erwachsenen benahmen sich sehr seltsam, leise und unecht.

Die Schneebergoma sagte - viele Jahre später - vor ihrem Tod zu mir: „Du hast es auch nicht leicht im Leben, Barbara.“ Ich weiß nicht, was sie gemeint hat, ich war jung, hab studiert, gelebt, gefickt, geträumt... Und diese Worte fallen mir immer wieder ein. „Du hast es auch nicht leicht im Leben, Barbara.“ Gut, wer hat es schon wirklich leicht im Leben. Nicht mal das Leben hat es leicht mit uns. Trotzdem. Diese Worte haben sich eingebrannt in meinen Kopf. War sie verwirrt und wusste nicht, was sie sagt? Hat sie etwas gespürt, was ich nicht wusste?
Immer noch warte ich darauf, dass die Prophezeiung der Schneebergoma sich erfüllt und ich es schwer haben werde.

Letzte Worte bleiben uns oft im Gedächtnis. Vor allem, wenn wir in dem Moment, wo sie ausgesprochen werden, den Hauch einer Ahnung haben, dass es die letzten gewesen sein könnten.
Bei meiner Mama habe ich nichts geahnt, darum weiß ich auch nicht mehr, was sie als letztes zu mir gesagt hat. Vermutlich hat sie mir von einer Bergtour erzählt, ihrer vorletzten, vermutlich hat sie das Gespräch mit „Bussi an die Kinder“, beendet. Und ich mit „Bussi an Papa.“

Wären unsere letzten Worte an Menschen anders, wenn wir wüssten, dass sie die letzten sind? Wahrscheinlich. Wahrscheinlich würden wir nicht sagen: „Vergiss nicht wieder die Bananen fürs Müsli“ oder „ich hätte am Abend gern was Gemüsiges“ oder „viel Spaß in der Arbeit!“
Vielleicht würden wir uns verkrampft bedeutungsschwangere letzte Worte abringen, wie Churchill („Es ist alles so langweilig“) oder Tschechow („Ich habe lange keinen Champagner mehr getrunken“). Oder ein verwundertes „Was ist denn mit mir geschehen?“ seufzen wie Sisi.
Wahrscheinlich würde uns das aber in dem Moment nicht einfallen und wir würden nur ein plattes „Ich liebe dich“ zustande bringen. Oder ein „Pass auf dich auf!“
Unsere Gegenüber würden „jaja“ murmeln oder „ich dich auch“ und sonst wäre alles wie immer. Oder sie würden innehalten ob der ungewohnten Liebeserklärung und sagen: „Alles in Ordnung mit dir?“
„Ja, ja, aber vielleicht sterbe ich heute. Da wollte ich es einfach noch mal gesagt haben.“

Vielleicht ist es gut so, dass wir meistens den Zeitpunkt unseres Todes nicht kennen und unsere Lieben nicht mit kryptischen Aussagen wie „Du hast es auch nicht leicht im Leben“ verunsichern und sie sich für den Rest ihres leichten Lebens fragen müssen, was da noch Schweres auf sie zukommt.

Vielleicht lassen sich das Leben und der Tod mit einem „Bring den Wagen in die Werkstatt. Bussi, Baba“ leichter ertragen.

Sonntag, 24. April 2016

Versteht man da Wiener Schmäh?

„Versteht man hier Wiener Schmäh?“ war der Titel der Lesung und die Antwort auf diese Frage ist ein lautes Jaaaaaa!

Mit jedem Menschen, der die schöne, helle Musikschule in Berlin/Lichtenberg betritt, werden ein paar Jahre weg- und Erinnerungen hergewischt. Plötzlich bist du wieder die Freie Radikale und die Soziale Randgruppe aus Chatzeiten, die Kaffeehausintellektuelle aus Schreibforumzeiten und die Testsiegerin aus Blogzeiten. Die Bescheidenheit hat dich offensichtlich während des gesamten virtuellen Zeitalters begleitet.

Du erinnerst dich daran, wie du fremden Autoren und Autorinnen ihre schlecht sitzenden Sätze erst vom Leib ge- und dann in der Luft zerrissen hast, anstatt sie zu unterstützen, da und dort ein paar Abnäher und Säume anzubringen. Du warst eine von diesen Kritikerinnen, die sie gefürchtet und gehasst haben. Im Chat war das ähnlich. Weil du für einen guten Schmäh manchmal über Leichen gegangen bist. Die, die du im Laufe der Zeit persönlich kennengelernt hast, haben irgendwann gemerkt, dass hinter der rauen Schale ein weiches Herz steckt.

Jetzt, Jahre später, tut dir das leid. Nicht das weiche Herz, sondern deine Lust an der Provokation. Und jetzt, Jahre später, sitzen ein paar der Weggefährten von damals im Publikum. Sie sind dir wohlgesonnen und du hast die Gewissheit, dass sie dir nichts vom Leib reißen werden, was vermutlich nicht nur am Alter liegt.

Und dann liest du, und zwischen deinen Texten machen Cellotöne Haut von Gans auf der Seele, was nichts mit der kratzigen A-Seite, die in ihren letzten Atemzügen liegt, zu tun hat, sondern mit der wunderbaren Musik und der warmen Stimmung und den Erinnerungen und dem Gefühl, richtig zu sein.
Als du Gedichte liest, kann man eine Stecknadel fallen hören, was nur eine Metapher ist, weil man Stecknadeln auf weichem Teppichboden natürlich nicht hören kann. Außerdem werfen die Leute bei Lesungen üblicherweise nicht schachtelweise Stecknadeln zu Boden, um zu testen, ob sie ihr Fallen hören.

Und du labst dich an Tränen in den Augenwinkeln der ZuhörerInnen, als du Goa liest, die Geschichte mit dem indischen Pfleger, und vermutlich heulen die nicht, weil die Texte so schlecht sind. Und du schämst dich dafür, dass du vielleicht genau diesen Menschen vor Jahren wehgetan hast, weil die Sprache für dich nicht nur Werkzeug war, um Menschen mit Geschichten zu unterhalten und zu berühren, sondern scharfe Waffe.

Später dann lässt du dich selbst berühren, von Menschen, die dir schon lange vertraut sind oder es grad werden. Es ist ein wunderbarer Abend, einer von denen, an die du dich gern zurückerinnern wirst.

Danke an euch, die ihr da wart, obwohl ich nicht immer nett zu euch war. Danke, dass ihr mir verziehen habt. Danke, dass ihr diesen Abend mit mir geteilt habt.


Und weil dir das Spiel auf sicherem Terrain nicht reicht, wirst du wieder übermutig. Fährst in eine abgefuckte Kaschemme irgendwo in Kreuzberg zu einem Poetry Slam und beschließt spontan, teilzunehmen.
„Kennan Österreicherinnen do a mittuan?“, fragst du und sie schauen dich mit großen Augen an.
„Wa?“
Hier versteht man Wiener Schmäh eher nicht. Du wiederholst die Frage im druckreifen Hochdeutsch, doch die junge Frau an der Theke, gepierced und tätowiert, als wäre sie soeben aus dem Knast entlassen worden, starrt dich an, als wärst du nicht aus einem benachbarten Land mit einer verwandten Sprache, sondern als wären auf dem Platz der Luftbrücke keine Allierten, sondern Aliens gelandet. (Dabei hat der Typ vom Markt, auf dem du dir diese schicke Beaniemütze gekauft hast, gesagt: „Damit sehen Sie 20 Jahren jünger aus.“ Wahrscheinlich waren 20 Jahre nicht genug.)
„Du willst beim Poetry-Slam mitachen?“, fragt sie und irgendwie bist du froh, dass du doch nicht Gedanken lesen kannst.

Hallo? Noch schütte ich mir nicht täglich ein Schauferl Erde über mein Gesicht, um mich an das Feeling zu gewöhnen (danke Ute, für diesen Sager!), und ich finde, man darf auch mit Ü-50 noch schreiben, lesen und slammen. "Es gibt kein Verbot für alte Weiber, auf Bäume zu klettern", hat Astrid Lindgren gesagt.

Du bist froh darüber, dass es so kalt ist und du nicht das Designerkleid oder den Glitzerrock und die neuen Schuhe angezogen hast. Obwohl das wahrscheinlich auch schon egal gewesen wäre. Für die Flucht ist es zu spät, außerdem bist du zwar eine Meisterin der Verdrängung, aber Flucht liegt dir nicht.

Der Moderator erklärt das Regelwerk eines Poetry-Slams und du zuckst bei seinen Worten zusammen. Du bist die lustige, warmherzige Mieze Medusa gewöhnt und nicht einen preussisch-amerikanischen Luftwaffenchef, der nicht mal deinen Namen richtig aussprechen kann. Dann befiehlt noch die gepeckte Thekenschlampe „Respect the Poet, verdammt noch mal!“ Sie macht dir ein bisschen Angst.

Der Raum ist rappelvoll, wenn du auch keine Ahnung hast, wie voll Rappel ist. Das Gastzimmer, das durch einen Vorhang vom Veranstaltungsraum getrennt ist, ist auch voll, und den Leuten jenseits des Vorhangs ist egal, ob da Poeten um ihr Leben slammen.
Da hilft es auch nichts, dass die Thekenschlampe hin und wieder „Schauze halten!“ hinausbrüllt.

Die Thekenschlampe stellt sich als zweite weibliche Autorin neben dir heraus, und aus ihren Blicken trieft Verachtung. Ey, wir sollten uns solidarisieren, denkt du, Frauenpower und so, aber es will dir nicht gelingen. Du schämst dich, dass du sie heimlich Thekenschlampe nennst und weißt, dass du deiner Tochter einen Vortrag über Feminismus halten würdest, wenn sie das täte.

Sämtliche Autoren, außer dir natürlich, sind irgendwie... wie sagt man... irgendwie gezeichnet, nicht nur von Tattoonadeln, sondern vor allem vom Leben. Und davon erzählen auch ihre Texte. Einem Leben voller Drogen, abwesenden Eltern, amputierten Beinen, die den Vorteil haben, dass man sich nicht die Zehennägel schneiden muss, vom Gefühl, wie der Druck nachlässt, wenn man sich ritzt, vom Leben in der Psychiatrie und mit Alkohol und ohne Perspektiven. Es ist natürlich nicht so, dass du mit solchen Schicksalen nicht vertraut bist, aber nur aus zweiter Hand, aus dem Leben deiner Klienten, nicht aus deinem eigenen.

Das erste Mal seit Monaten bist du erleichtert über deine Zahnlücke, durch die du dich dieser obskuren Gruppe wenigstens ein bisschen zugehörig fühlst, obwohl deine Zahnlücke mit den Lücken und Zahnstummeln der Slamkollegen nicht annähernd mithalten kann.

Manche der Texte und Vorträge sind verdammt gut, berührend und sehr authentisch. Vor allem aber sind sie düster. Als die Thekenschlampe einen Text über einen Jugendlichen vorträgt, der sein ganzes Leben lang gedemütigt und gemobbt wurde, den sie mit dem Kopf in die Kloschüssel gesteckt haben und angepisst haben, und der am Ende des Textes Amok läuft und Leute abknallt, hast du den Eindruck, dass sie für ihn Sympathien empfindet und bist irritiert. Als dir der Gedanke kommt, sie selbst könnte der gemobbte Jugendliche sein und nach dem Slam ihre Fantasien wahrmachen, kriegst du noch ein bisschen mehr Angst.
Obwohl du ja auch noch nie einen Lagerhausmitarbeiter durch den Häcksler gejagt hast, nur in der Geschichte.

„Next one. Barbel“, brüllt der Offizier statt Gentleman.
„Yes Sir“, brüllst du zurück.

Du kommst dir komisch vor, weil deine Eltern nicht ihre Zigaretten auf deinem Rücken ausgedrückt haben, du nur ganz selten die Schule geschwänzt hast und du einen Job hast. Weil du zwar mit Messer und Gabel, aber nicht mit Heroinbesteck umgehen kannst und du lieber dein Schnitzel als deine Pulsadern aufschneidest. Du kommst dir komisch und als Außenseiterin vor, weil in deiner Geschichte Lamm, Rosmarin und Chilischokoalde in der Speisekammer Blümchensex haben und keiner von denen schreit: „Ich fick deine Mutter, ey!“ - wie in der Pause der beinamputierte Alkoholiker zur Thekenschlampe.

Und da ist es wieder, das vertraute Gefühl, nicht dazuzugehören, wo auch immer. Obwohl du in Wahrheit natürlich nicht dazugehören willst. Nicht hier. Nicht jetzt.

Auf dem Nachhauseweg grübelst du immer noch, ob es mutig oder einfach nur blöd war, teilzunehmen. Es macht aber eigentlich keinen Unterschied.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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"Pinguin"
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bonanzaMARGOT - 11. Mär, 11:11
Sleepless im Weinviertel
Ich liege im Bett. Ich bin müde. Ich lese. Eine Romanbiografie...
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bonanzaMARGOT - 8. Jan, 07:05
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
loving it :-)
loving it :-)
viennacat - 2. Jan, 00:51
Keine weiße Weste
Weihnachtsgeschichte in 3 Akten 1. „Iss noch was,...
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