Kurkolumne die Zweite

Heike war auch heute nicht da. Hoffentlich ist ihr nichts passiert, jetzt, wo ich mich in den Hauch eines Lächelns von ihr verliebt habe. Man hört ja so viel, was Menschen alles passieren kann. Vom Blitz erschlagen, vom Freund getötet, vom Zug überfahren, in den Keller gesperrt, von Außerirdischen entführt... „Wahrscheinlich von einem Ausländer“, sagt Kurt, dem ich meine Befürchtungen anvertraue, „die stehen auf schöne, blonde Frauen. Haben die ja zu Hause nicht.“
„Ein außerirdischer Ausländer?“, ich rolle die Augen und verabschiede mich zur Beckenbodengymnastik.

Ich habe meinen Beckenboden um halb acht Uhr früh schon auf spannendere Weise trainiert. Aber bitte. Wir-sind-ja-hier-nicht-auf-Urlaub und noch hat sich kein Kurschatten auf mein Bett und auf mich geworfen.

„Wir stellen uns jetzt vor, dass wir da ein Ei drin haben“, sagt Katrin. Da drin. Sie könnte auch Möse, Muschi, Vagina oder Fotze sagen, aber sie entscheidet sich für „da drin“. Wenigstens sagt sie nicht Yoni.
„Eins? 400 Eier“, schäte ich.
„Nicht so ein Ei“, sagt Katrin nachsichtig. „Ein richtiges Ei.“

Dass die Menschen sich nicht präzise ausdrücken können. Ein Ei ist doch nicht ein Ei ist doch nicht ein Ei. Es ist ein Unterschied, ob ich ein Wachtelei, ein Hühnerei oder ein Straußenei in meiner Möse habe.
„Und wir stellen uns weiter vor, dass wir dieses Ei mit dem Lift in den ersten Stock schicken. Dort bleiben wir eine Weile, halten die Türe fest geschlossen, bis wir langsam loslassen und wieder nach unten fahren.“
Ich mag die Fahrstuhlmetapher und bemühe mich redlich, aber ich krieg die unterschiedlichen Eier nicht aus dem Kopf. Ein Überraschungsei, bei dem ich die Muskeln ganz vorsichtig anspannen muss, damit ich die Schokolade nicht zerbreche und dann für den Rest meines Lebens einen Schlumpf in der Gebärmutter habe? Oder ein Schiff? Und niemand drin, der das zusammenbaut?
Weil ich ein guter, gewissenhafter Kurgast bin, der seine Aufgabe ernst nimmt und die Übungen gewissenhaft ausführt, drücke ich auf die 13 und schicke mein Ei in das Dachgeschoss. Ich frage mich, ob es einen Eierfetisch gibt. Menschen, die nur Sex haben können, wenn sie sich Eier in ihre Körperöffnungen schieben. Aber schnell verdränge ich den Gedanken wieder und lasse mein Ei in den Keller sausen.

Ich sehne mich nach einem Frühstücksfreilandhühnerei. Aber die gibt es nur am Wochenende. Wir-sind-ja-hier-nicht-auf-Urlaub.

Weil Heike auch heute nicht da ist, obwohl sie auf dem Plan steht, leitet Katrin, die sonst für das Trockentraining zuständig ist, auch die Unterwassergymnastik o.E.Gr. an. Ich sag euch, ich hab Glück, dass ich das überlebt habe und sehne mich nach der strengen Heike. Denn Katrin lächelt zwar lieb, aber als ich erst in die Grätsche gehe und sie uns – als mir das Wasser längst bis zum Hals steht – auffordert, in die Hocke zu gehen, hab ich Angst zu ertrinken und verweigere. Hoffentlich verweist man mich deshalb nicht der Kur.

Gleich werde ich mich wohlig im nach faulen Eiern duftenden Schwefelbad suhlen und vom morgigen Frühstücksei träumen.
Drückt bitte die Daumen, dass Heike nichts passiert ist. Es ist hier alles sehr KURios.

*

Oh, ein Kurkonzert, denke ich erfreut. Endlich Kurkultur. Kur und Kultur haben ja viel gemeinsam, nämlich drei Buchstaben. Ich ziehe meinen schönsten Rock und die Strumpfhose mit den Violinschlüsseln an und stelle mich geistig auf Kammermusik ein, auf Bachs Sonate für Gambe und Cembalo oder das Allegro di Molto aus Mozarts Divertimento in B-Dur Köchelverzeichnis 137.
Und dann kommt Gerry aus Kärnten. Er kommt mit dem Keyboard und einem riesigen Lautsprecher und ertränkt meine Erwartungen in Schwefelwasser. Gerry aus Kärnten beginnt mit einem typischen Kurlied.

Ich massierte Ihr den Rücken ein, da fiel ein Tropfen auf ihr Bein,
Mein Herz schlug laut man konnte es fast hör'n,
Da nahm Sie einfach meine Hände und legte sie auf ihre Schenkel,
und sagte nur keine falsche Scham


Natürlich fehlt auch „Ich hab dich tausendmal betrogen“ nicht in Gerry aus Kärntens Repertoire, und die meisten Kurgäste bewegen andächtig ihre Lippen, manche auch ihre Körper mit. Sie schauen sehr glücklich aus. Ich fühle mich auch tausendmal betrogen. Aber-ich-bin-ja-schließlich-nicht-auf-Urlaub und außerdem brauch ich Stoff für die treuen LeserInnen meiner Kurkolumne und bleibe zu Recherchezwecken da.

Ein Stern, der deinen Namen trägt. Hä? Ein Stern namens Testsiegerin?
Ich schließe meine Augen, lösche jedes Tabu. Atemlos einfach raus.

Hin und wieder, wenn Gerry aus Kärnten atemlos wird, erzählt er einen schlechten frauenfeindlichen Witz und die Leute lachen. Und weiter geht’s.
Ich lieg' gern im Gras und schau' zum Himmel rauf,
schaun die ganzen Wolken nicht lustig aus?


Wahnsinnig lustig. Vor allem tät ich im Gras grad ziemlich nass werden. Erwachsene Menschen, die untertags vorwiegend Buttermilch trinken, verlieren angesichts dieser poetischen Worte jegliche Hemmungen und lassen sich zu Flieg- und Schwimmbewegungen auf der Tanzfläche hinreißen. Heut ist so ein schöner Tag! Lalalalala. Ich beschließe, die Buttermilch von meiner Speisekarte zu streichen.

Laura, eine 30jährige liebenswerte Frau neben mir, eine der Jüngsten hier (sie hat es mit den Bandscheiben) applaudiert frenetisch. Das ist ja auch das einzige, was man frenetisch machen kann. „G’fallt dir die Musik nicht?“, fragt sie mich enttäuscht, weil ich mich nicht mal zu einem höflichen, angedeuteten Klatschen hinreißen lasse.
„Geht so“, sage ich, um sie nicht zu verletzen. Laura hat es ohnehin schwer. Ihr Freund trinkt zu viel Bier und lässt sich von ihr bedienen, und sie würde ihn gern verlassen, aber da ist ein 150.000 Euro Kredit und sie liebt zwar ihren Freund nicht mehr, aber das Haus, das sie liebevoll „die Keusch’n“ nennt, schon. Man muss Prioritäten setzen.

*

„Na“, sagt Meister Toni, der Masseur, als ich ihm von den Schmerzen im Lendenbereich erzähle, „host gestern zvü tonzt, Madale?“
„Ähm“, stottere ich, denn ich will niemanden, von dem ich mittlerweile weiß, dass er als Apres- & Schilehrer und DJ gearbeitet hat, vor den Kopf stoßen, indem ich sage, dass diese Musik bei mir heftige Blähungen und Durchfall verursacht.
„Ist nicht so ganz meine Musik“, sage ich diplomatisch, während er seine Hände in mein Fleisch bohrt.
Ich massierte Ihr den Rücken ein, da fiel ein Tropfen auf ihr Bein...
Verdammt, diese Musik hat sich in meinem Gehirn festgeklebt.
„Wos hearst’n du gern, Madale?“, fragt er.
Ja, was eigentlich? Richtige Musik halt. Keine, in der Gefühle, obwohl sie eigentlich Schweigepflicht haben, Schwachsinn schwafeln. Ich mag so viel, Eartha Kitt und Patti Smith und Axel Prahl und 5/8 in Ehr’n und Leonard Cohen und Konstantin Wecker und Element of Crime und die Knef und Georg Danzer und Rickie Lee Jones und Bach und Telemann und sogar den Herrgott aus Stan. Aber nicht dieses Gedudel.
„Soup Shop und The Nose“, sage ich.
„Ah, olso gonz wos ondares“, sagt Meister Toni und konzentriert sich wieder auf meine Muskeln.

*

Ich hab immer noch keine innere Klarheit bezüglich der Kältekammer. Wegen der Kalorien wär’s. Ich stell mir das nämlich schon schön vor, mit Berg- und Handschuhen, Stirnband und Badeanzug zunächst 30 Sekunden bei lächerlichen minus 60 Grad und dann 3 Minuten (so lange dauert Atemlos von Helene Fischer) bei 110 Grad im Kreis zu spazieren. Schlimmere drei Minuten als gestern dieses Lied von Gerry aus Kärnten gesungen kann das auch nicht sein. Und dann.... tamtaramtataaa! 1000 Kalorien. Ein Schweinsbraten mit Knöderl und Kraut, plus Sachertorte.
Damit es sich aber wirklich auszahlt, bleib ich länger drin. 50 Minuten, hab ich mir vorgestellt. Das wären 16.666 periodisch Kalorien. In mein Hirn schleichen sich Bilder von Bananensplit, Mohr im Hemd, Schnitzerl, Grammelknödel und vielen Frühstückseiern.
Ich glaub, darüber denk ich heute noch nach.
Lisa (Gast) - 23. Mai, 10:19

Großartig!

Danke!!!!!!

Lo - 23. Mai, 13:25

Nach dem Motto:
Heut´ mach´ ich mir kein Abendbrot.
Heut` mach ich mir Gedanken.

;-)

la-mamma - 23. Mai, 17:20

irgendwie scheint ihnen die letzte kur besser bekommen zu sein;-)

iGing - 23. Mai, 20:59

"Mohr" darf man also noch sagen?

Lo - 24. Mai, 10:07

Aber ja.

Please tell me mohr!

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
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Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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