Kurkolumne, die Fünfte

„Ich bin seit 10 Jahren geschieden“, erzählt die Frau auf der Liege neben mir.
„Aha.“
„Ja, er hat sich eine andere gefunden.“
„Oh je.“
„Er hat gesagt, wenn sich heut nix abspielt im Bett, sucht er sich eine andere. Und es hat sich nichts abgespielt.“
„Arschloch.“

Hab ich grad ein Deja-vu? Diesen Dialog haben wir doch vor zehn Tagen genauso geführt. Ihr neuer Freund, wesentlich älter als sie, ist mit seiner Ex auf Urlaub. Jetzt überlegt sie, ob sie dafür mit dem Kollegen... Und so weiter. Ich weiß sogar noch, wie er ausgeht, unser Dialog. Die Frau auf der Liege neben mir erzählt offenbar jedem die gleiche Geschichte und fragt jeden um Rat. Wahrscheinlich gibt ihr jeder einen anderen. Rat kommt ja von Raten.
Ich sag ihr nicht, dass ich die Geschichte schon kenne, sondern höre wieder zu. Berufskrankheit. Zeit hab ich ja genug, und ein bisschen neugierig bin ich auch, ob sich in den letzten zwei Wochen bei ihr etwas getan hat. „Ich bin so gekränkt“, sagt sie. Das war sie vor zehn Tagen auch schon.
„Was würdest du an meiner Stelle tun?“, fragt sie.
Nicht mehr drüber reden, denke ich, sondern etwas an meinem Leben ändern.
„Keine Beziehungen führen, die mich mehr unglücklich als glücklich machen. Auf mich schauen, die Kur genießen und meine Zufriedenheit nicht von Männern abhängig machen.“
„Aber ich liebe ihn doch“, sagt sie. Hopfen und Malz, denke ich.
„Hast du schon mit der Kurpsychologin darüber gesprochen?“, frage ich.
„Ja, die hat mir aber keinen Rat gegeben, sondern nur gefragt. Was ich will. Und was mein Herz sagt.“
„Und? Was sagt es?“
„Wenn ich das wüsste...“

Da könnte man einen Liedtext drüber schreiben. Also ich nicht, aber Birne Helene Fischer. Über Herzen, die schweigen.

"Wenn die Birken sich im Winde neigen
Und die Herzen pochend schweigen
Wenn nie geweinte Tränen rollen
Weil sie nicht wissen, was sie wollen

Wenn du mir die Flügel brichst
Mit Worten scharf ins Herz mir stichst
Wenn die Sonne nicht mehr scheint
Weil sie’s nicht gut mehr mit uns meint

Refrain:
Wenn das Herz schweigt im Aufruhr
Dann spazier durch die Natur
dreh zurück die alte Uhr.
Sei nicht stur, fahr auf Kur!"


O.k., ich muss noch ein bisschen üben, aber das krieg ich hin.

(Ihr müsst euch die Bridge und den Refrain selbstverständlich gesungen vorstellen)

*

Heute bei der Druckkreiselmassage (man liegt auf einem Wasserbett, und im Wasserbett drinnen, also im Wasser, liegt der Masseur und massiert einem von unten den Rücken – sehr angenehm, also für den Massierten, für den Masseur wahrscheinlich nicht so), ich liege also so da und fühle mich privilegiert und bin sehr dankbar. Jetzt, wo ich Zeit habe, über mein Leben nachzudenken, mich auch mit Unangenehmem und meinen Schattenseiten und Verdrängtem zu konfrontieren, merke ich, dass da keine Schatten sind. Nicht mal Kurschatten. Ich spüre, dass ich mit mir im Reinen bin, und das liegt nicht an den Schwefel- und Rosmarinbädern und der Aquafitness und der Unterwassergymnastik o.E. Wenn das alles auch dazu beiträgt, dass ich mich von Tag zu Tag mehr entspanne und nicht mehr das Bedürfnis habe, meine Badeschlapfen an den Lautsprecher zu pfeffern, aus dem die chinesische Entspannungsmusik düdelt. Sicher auch so eine Idee von Direktor Schnösel, in dem ein kleiner Sadist steckt.
Ich möchte nach der Kur in meinem Leben nichts anders machen als vorher, außer vielleicht Nüsse statt Äpfel zwischen den Mahlzeiten zu essen. Und so einen Masseur von unten hätte ich auch gern.

Wenn ich meine Kurkolumne, die natürlich maßlos übertrieben und überspitzt ist, so lese, dann frag ich mich, ob ich ein arrogantes, zynisches Arschloch bin. Und dann antworte ich mir: Nein, bist du nicht. Ich fühl mich nicht als etwas Besseres. Oder nur ein bisschen. Was mich wirklich wütend macht, und was mir auch Angst macht, weil ich merke, wie verbreitet und akzeptiert sie ist, ist die Ausländerfeindlichkeit. Von der merke ich in meinem Alltag höchstens aus den Zeitungsforen, weil die Leute, mit denen ich mich umgebe, zum Glück ähnlich denken und empfinden wie ich.
Aber alle anderen menschlichen Schwächen und Skurrilitäten, über die ich hier schreibe und die ich belächle, die mag ich irgendwie. Weil sie das Leben bunt machen und mir auch den Spiegel vor Augen halten und ich mich in ihnen erkenne. So abhängig war ich vor ein paar Jahrzehnten, so noch vor ein paar Jahren. So bin ich vielleicht in ein paar Jahren. Oder: So möchte ich nie sein.

Ich mag die Menschen (natürlich nicht alle, aber so im Großen und Ganzen), und ich bin froh, einen Blick in völlig andere und spannende Lebensentwürfe werfen zu dürfen. Frauen jeden Alters, die ihren Männern vor der Kur für drei Wochen vorgekocht haben, damit diese nicht verhungern, und die das Gefühl haben, dass ihnen alles zu viel wird und nicht wissen, warum. Männer, die mit zwei T-Shirts in drei Wochen auskommen, dafür aber schlechte Witze schlecht erzählen können. Frauen, die mit 60 das erste Mal länger als drei Tage alleine von zu Hause weg sind. Männer, die die Gabel wie eine Mistschaufel halten und in zwei Wochen einen – zugegeben ziemlich verzichtbaren –Satz von sich geben. Frauen, die mit Mitte 50 noch an den Märchenprinz glauben und zahllose Frösche küssen, anstatt sie gegen die Wand zu schmeißen, wie im Original.

Menschen eben.
*

„Heute ist irgendwie ein trostloser Tag“, sagt Susanne, die mich an meine Freundin D. erinnert, weil sie auch immer so Sachen sagt wie „Scheiß di nix, vergönn dir was!“ und „in der Ruhe liegt die Kraft“.
„Oh je, woran liegt das?“
„Wahrscheinlich, weil ich heute nur Reis und Apfelkompott krieg“, sagt sie. Sie hat einen Entschlackungstag eingelegt, wie von der Kurleitung empfohlen.
Wie so oft habe ich einen guten Rat parat, der die trostlose Susanne aber nicht wirklich tröstet: „Iss was gscheit’s!“
Es gibt wenige Dinge, die ich in meinem Leben noch nicht ausprobiert hab. Entschlacken gehört definitiv dazu. Mein Darm ist schließlich nicht das Ofenrohr eines Stahlwerks, an dem sich die Gifte und Schlacken festgesetzt haben und das hin und wieder anständig mit dem Rohrreiniger (in diesem Fall Reis oder Erdäpfel) durchgeputzt werden muss. Ich vertrau meinem Körper, dass er das mit der inneren Reinigung ganz allein hinkriegt. Wäre ich ein schlichtes Gemüt, ich würde sagen: Scheiß drauf!
Ich glaub, die Entschlackungsempfehlung vom Kurhotel dient nur dazu, ein bisschen Geld für die Steaks einzusparen.

*

Mittwoch und Donnerstag sind Frische-Gäste-Tage.
Ich sitze in der Lobby und beobachte die Anreisenden. Sie sind irgendwie so wahnsinnig unentspannt, gehen nervös an der Rezeption auf und ab und warten darauf, dass ihr Zimmer bezugsfertig ist.
Sie überlegen, ob der Herd zu Hause abgedreht und der Ficus Benjamin gegossen ist und ob sie die Nagelschere, mit der sie die Rasenkanten geschnitten haben, wieder zurück in die Lade gelegt haben.
Sie studieren eifrig die Wanderkarte, die an der Rezeption aufliegt und überlegen, welche großen Berg- und Radtouren sie in ihrer Freizeit machen und wo sie abends hingehen zum Tanzen.
In spätestens einer Woche werden auch sie einfach da sitzen und zwischen Moorpackung und Kneippguss in die Luft schauen. Das Kreuzworträtsel aus der Kronenzeitung wird ihnen zu anstrengend sein. Sie werden ihre guten Vorsätze wie Seifenblasen an sich vorüber schweben sehen und ihnen beim Platzen zuschauen. Dabei werden sie entspannt lächeln. Aber so weit sind sie noch lange nicht. In den ersten Tagen werden sie mit der Leere nicht umgehen können und Langeweile für eine tödliche Krankheit halten, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt. Irgendwann aber, vielleicht beim abendlichen Kurkonzert von Gerry aus Kärnten, vielleicht in der Badewanne beim Heublumenbad, werden sie draufkommen, dass die Pausen in der Musik genauso wichtig sind wie die Noten. Dass ein Lattenzaun ohne Zwischenraum kein Lattenzaun, sondern nur eine Bretterwand ist. Dass Langeweile etwas unglaublich Schönes und Kreatives ist.

In der nordnordöstlichen Ecke der Lobby sitzt eine frischangekommene Frau mit Buch und Stift in der Hand. Sie schaut und schreibt. Hey, möchte ich ihr das Buch aus der Hand reißen, es kann nur eine Kurkolumnistin hier geben. Und diese eine bin ich. Alles klar?
Ihr Schreiben irritiert mich, es ist, als würde ein Fotograf den Fotografen fotografieren, der ihn gerade fotografiert.
Was sie wohl über mich schreibt?
„Da drüben sitzt eine Frau mit roten Haaren und großen Ringen auf den Fingern. Sie wirkt konzentriert und legt die Stirn in Falten. Schöne Strumpfhose. Die sieht etwa so unauffällig aus wie...“ jetzt knabbert sie an ihrem Stift und sucht nach einer passenden Metapher. „So unauffällig wie ein Porsche Cabrio“, schreibt sie.
Oh je. Ganz falsch, Süße, schlechte Metapher. Meine Strumpfhose ist weder protzig noch geschmacklos und während ein Porsche irgendwie billig wirkt, obwohl er teuer ist, schaut meine Strumpfhose gut aus und war preiswert. Wahrscheinlich kennt die Autorin da drüben keine anderen Automarken, wie den Skoda Joyster oder einen Lancia Thesis.
„Sie schreibt und lächelt dabei“, schreibt sie über mich. „Dabei sieht man ihre Zahnlücke. Also mir wäre das peinlich.“
Mir nicht, du blöde Kuh.
„Sie wirkt ein wenig arrogant“, schreibt sie weiter. „So, als würde sie sich über die Leute hier lustig machen.“
Ich will aufspringen und ihr das bunte Buch aus der Hand reißen, als mir – gerade noch rechtzeitig – einfällt, dass ich ihr die Worte in den Stift gelegt habe. Wahrscheinlich schreibt sie die Einkaufsliste für ihren Mann. Oder den letzten Bericht für den Chef.

Die frischen Gäste an der Rezeption kommen miteinander ins Gespräch. „Ich hoffe, ich hab nichts vergessen“, sagen sie, und stellen die schlimmste Frage, die man auf einer Kur stellen kann: „Und warum sind Sie hier?“
„Stütz- und Bewegungsapparat. Ich hab mir beim...“ Zum Glück ruft die Rezeptionistin die Gefragte an die Theke, bittet um den Reisepass und tauscht Hirn gegen Schlüssel.
Ich finde, die Frage nach dem Grund der Kur sollte per Hausordnung strengstens verboten sein. Verbotener als der Bademantel bei Mittag- und Abendessen. Bis jetzt hat sich mir noch nicht erschlossen, warum mir der Anblick von Menschen in schlabbrigen Bademänteln zwar in der Früh auf nüchternen Magen zugemutet wird, nicht aber zu Gemüsesuppe, in der Folie gegarter Forelle (438 kcal, eiweißlastig, D, H) und Buttermilch mit Zimt. Dabei bin ich zu jeder Tageszeit belastbarer als am frühen Morgen, vor oder nach der Beckenbodengymnastik.

Die frischen Gäste rufen ihre Angehörigen an, teilen mit, dass sie gut angekommen sind und fragen nach, ob der Herd abgedreht und die Blumen gegossen sind. Gleich werden sie ihre Zimmer beziehen, sich am höhenverstellbaren Pflegebett erfreuen und über das einlagige Klopapier ärgern. Bei Frühstückseiern werden sie völlig unvoreingenommen an Frühstückseier denken und nicht, was man noch alles mit ihnen anstellen kann. Sie werden sich mit fremden Menschen an einen Tisch setzen, den sie die nächsten Wochen teilen werden, höflichen Smalltalk betreiben oder verlegen schweigen, während wir Kurroutinieres längst völlig abgeklärt schweigen. Sie werden sich über die Salatdressing mit der homöopathischen Kernöldosis D 12 wundern und darüber, dass man bei der Unterwassertherapie in die Hocke gehen soll.

Ein paar Tage wird es dauern, bis das alles nicht mehr wichtig ist, bis überhaupt nichts mehr wichtig ist, vor allem nicht, ob zu Hause die Blumen gegossen sind.

Nur eines ist ihnen nicht mehr gegönnt, aber im Gegensatz zu mir werden sie nicht wissen, was ihnen fehlt. Die fröhliche Heike, meine Heldin der Therapeutinnen.
steppenhund - 28. Mai, 12:26

Ich habe statt "homöopathisch" "homöopatisiert" gelesen und mir gedacht: gelungene Wortschöpfung. Dabei war es nur ein Freud'scher Verleser :)

Lisa (Gast) - 29. Mai, 10:07

und wie lautet der verzichtbare satz der männer? *neugierig_bin*

testsiegerin - 29. Mai, 11:57

zum beispiel der halbsatz: ich hab ja nix gegen ausländer, aber...

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
loving it :-)
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ignorier das und scroll...
ignorier das und scroll weiter nach unten.
testsiegerin - 27. Okt, 16:22

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