Brief an den Tod
Lieber Tod,
lieber schreib ich ja Briefe ans Leben, aber heut hab ich mit dir ein - nein, kein Hühnchen, ein riesiges Malaienuhn hab ich mit dir zu rupfen. Das ist die größte Hühnerrasse der Welt, aber das ineressiert dich wahrscheinlich nicht.
Eigentlich sollte ich ja „Verdammter Tod“ oder „Scheiß Tod“ in der Anrede schreiben, aber erstens bin ich ein höflicher Mensch und zweitens hatte ich Angst, dass du die Zeilen nicht liest, wenn ich dir zu schroff gegenübertrete. Obwohl du ja auch nicht grad diplomatisch daherkommst.
Was denkst du dir im Moment eigentlich? Dass du - nur weil in ein paar Tagen Allerheiligen ist – schnell noch ein paar Menschen hinwegraffst, damit die Gräber voll sind? Denkst du dir eigentlich überhaupt etwas dabei? Weißt du, hab das Gefühl, du wütest grad ziemlich wahllos herum. Wahllos und ungerecht. Du brauchst mich nicht zu unterbrechen jetzt, ich weiß, weder das Leben ist gerecht, noch du bist es. Und früher oder später kommst du zu jedem. Aber warum so früh?
Warum nimmst du einer lieben Bekannten ihren 42-jährigen Sohn, noch dazu mit Lungenkrebs, obwohl der gar nicht geraucht, sondern nur Klavier gespielt hat? Warum?
Warum nimmst du überhaupt Müttern ihre Kinder? Warum meiner Tochter eine ihrer liebsten Schulfreundinnen? Weißt du, was das für ein Scheiß-Gefühl ist, die Trauer von jungen Menschen zu spüren. Weißt du, wie hilflos und ohnmächtig wir uns dir gegenüber fühlen? Macht dich das eigentlich an?
Einer 16jährigen kann man noch nicht mal erzählen, deine Freundin ist jetzt im Himmel. Sie würde es nicht glauben. Und an einen Gott, der so etwas zulässt, glaubt sie sowieso nicht. Wie, verdammt noch mal, soll ich sie trösten? Wie soll ich ihr helfen zu verstehen, wenn ich selbst nicht verstehe?
Ich weiß, die Fragen sind sinnlos, weil man von dir eh keine Antwort kriegt. Aber die Fragen sind trotzdem da. Weißt du, Kinder sollen leben und nicht sterben. Sie sollen tanzen und singen und nicht weinen und Mozarts Requiem hören. Ich kenn deine nicht gesagten Antworten ohnehin, lieber Tod. Du würdest jetzt sagen, das Leben und du, ihr seid ein Paar, ihr gehört zusammen und tretet auf der Bühne immer gemeinsam auf – und ab. Du würdest sagen, es gibt eben eine Zeit zum Blühen und es gibt eine zum Vergehen. (Das hab ich ja letztens schon mit den Bäumen besprochen) Eine zum Lachen und eine zum Weinen.
Trotzdem. Was steckt da für eine Botschaft dahinter, die ich nicht lesen kann? Außer vielleicht die, dass wir leben sollen, solange wir es noch tun? Dass wir seifenblasengroße Probleme nicht auf Heißluftballongröße aufblasen sollen? Ist es das, was du mir damit sagen willst? Gut, ich habs kapiert, aber richte bitte dem Leben aus, so etwas soll es mir persönlich sagen und nicht durch dich diese Nachricht überbringen lassen.
Vor einiger Zeit hat eine Frau im Pflegeheim zu mir geseufzt: „Wenn ich nur sterben könnte. Warum darf ich noch nicht?“ Ich habe ihre Hand gehalten und gesagt: „Weil es noch nicht so weit ist. Es gibt eine Zeit zum Leben und es gibt eine zum Sterben.“ Du hast mir diese Worte in den Mund gelegt, oder?
Warum, lieber Tod, machst du in solchen Fällen so einen Umweg, winkst nur von weitem und holst erst noch ein paar Jüngere zu dir? Weil du dich gern mit ihnen umgibst?
Ziemlich egoistisch, findest du nicht? Wir umgeben uns nämlich auch gern mit denen.
Heulen könnte ich. Und das tu ich jetzt auch.
Tschüs, du. Und hoffentlich nicht bis bald.
Deine Barbara
lieber schreib ich ja Briefe ans Leben, aber heut hab ich mit dir ein - nein, kein Hühnchen, ein riesiges Malaienuhn hab ich mit dir zu rupfen. Das ist die größte Hühnerrasse der Welt, aber das ineressiert dich wahrscheinlich nicht.
Eigentlich sollte ich ja „Verdammter Tod“ oder „Scheiß Tod“ in der Anrede schreiben, aber erstens bin ich ein höflicher Mensch und zweitens hatte ich Angst, dass du die Zeilen nicht liest, wenn ich dir zu schroff gegenübertrete. Obwohl du ja auch nicht grad diplomatisch daherkommst.
Was denkst du dir im Moment eigentlich? Dass du - nur weil in ein paar Tagen Allerheiligen ist – schnell noch ein paar Menschen hinwegraffst, damit die Gräber voll sind? Denkst du dir eigentlich überhaupt etwas dabei? Weißt du, hab das Gefühl, du wütest grad ziemlich wahllos herum. Wahllos und ungerecht. Du brauchst mich nicht zu unterbrechen jetzt, ich weiß, weder das Leben ist gerecht, noch du bist es. Und früher oder später kommst du zu jedem. Aber warum so früh?
Warum nimmst du einer lieben Bekannten ihren 42-jährigen Sohn, noch dazu mit Lungenkrebs, obwohl der gar nicht geraucht, sondern nur Klavier gespielt hat? Warum?
Warum nimmst du überhaupt Müttern ihre Kinder? Warum meiner Tochter eine ihrer liebsten Schulfreundinnen? Weißt du, was das für ein Scheiß-Gefühl ist, die Trauer von jungen Menschen zu spüren. Weißt du, wie hilflos und ohnmächtig wir uns dir gegenüber fühlen? Macht dich das eigentlich an?
Einer 16jährigen kann man noch nicht mal erzählen, deine Freundin ist jetzt im Himmel. Sie würde es nicht glauben. Und an einen Gott, der so etwas zulässt, glaubt sie sowieso nicht. Wie, verdammt noch mal, soll ich sie trösten? Wie soll ich ihr helfen zu verstehen, wenn ich selbst nicht verstehe?
Ich weiß, die Fragen sind sinnlos, weil man von dir eh keine Antwort kriegt. Aber die Fragen sind trotzdem da. Weißt du, Kinder sollen leben und nicht sterben. Sie sollen tanzen und singen und nicht weinen und Mozarts Requiem hören. Ich kenn deine nicht gesagten Antworten ohnehin, lieber Tod. Du würdest jetzt sagen, das Leben und du, ihr seid ein Paar, ihr gehört zusammen und tretet auf der Bühne immer gemeinsam auf – und ab. Du würdest sagen, es gibt eben eine Zeit zum Blühen und es gibt eine zum Vergehen. (Das hab ich ja letztens schon mit den Bäumen besprochen) Eine zum Lachen und eine zum Weinen.
Trotzdem. Was steckt da für eine Botschaft dahinter, die ich nicht lesen kann? Außer vielleicht die, dass wir leben sollen, solange wir es noch tun? Dass wir seifenblasengroße Probleme nicht auf Heißluftballongröße aufblasen sollen? Ist es das, was du mir damit sagen willst? Gut, ich habs kapiert, aber richte bitte dem Leben aus, so etwas soll es mir persönlich sagen und nicht durch dich diese Nachricht überbringen lassen.
Vor einiger Zeit hat eine Frau im Pflegeheim zu mir geseufzt: „Wenn ich nur sterben könnte. Warum darf ich noch nicht?“ Ich habe ihre Hand gehalten und gesagt: „Weil es noch nicht so weit ist. Es gibt eine Zeit zum Leben und es gibt eine zum Sterben.“ Du hast mir diese Worte in den Mund gelegt, oder?
Warum, lieber Tod, machst du in solchen Fällen so einen Umweg, winkst nur von weitem und holst erst noch ein paar Jüngere zu dir? Weil du dich gern mit ihnen umgibst?
Ziemlich egoistisch, findest du nicht? Wir umgeben uns nämlich auch gern mit denen.
Heulen könnte ich. Und das tu ich jetzt auch.
Tschüs, du. Und hoffentlich nicht bis bald.
testsiegerin - 25. Okt, 12:33
wir tun halt immer so,
3 Begräbnisse musste ich erst besuchen.
Uroma (96), Vater (59), Onkel (34)
Wenn man noch jung ist (wie ich) hört und sieht man zum Glück nicht viel von dem Herrn (der Frau).
Ich fürchte mich aber auch schon vor dem Alter 40+, in dem er (sie) auf im Freundeskreis regelmäßiger zu wüten beginnt.
ist es wirklich das alter 40+?
die richtige Aussage
Jeden Tag bewusst erleben und dankbar sein. Der Tod ist immer rund um uns. Das Leben besteht in der Bewältigung der Angst vor dem Tod.
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Ein leider gar nicht so absurdes Beispiel: vor drei bis vier Jahren haben die Manager schon gewusst, dass eine Finanzkrise kommen wird. Und sie ist eingetroffen.
Die Statistikinstitute unterschiedlicher Lokationen sagen einen dritten Weltkrieg voraus mit einer geschätzten Todesrate von 2 Milliarden Menschen.
Es kann sehr wohl noch in meiner (50+) Generation geschehen. Es kann auch unsere Breiten treffen. Die einzige Möglichkeit für den einzelnen ist Bewusstsein und der Glauben an die Kategorie Leben.
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Der Tod ist übrigens ein Kasperl verglichen mit uns, den Menschen. Wir bringen mehr um, als notwendig ist.
Aber wenn er sich grad so wichtig macht im Umfeld, dann ist das mit dem Genießen auch nicht so leicht.
Für mich ist er immer gegenwärtig ...
Wenn ich auf einen Friedhof gehe, dann denke ich daran, was die Leute erlebt haben, als sie lebten. Und ich versuche einen Bezug herzustellen.
Wenn ich das Requiem von Mozart höre, dann tauche ich in eine andere Welt ein und der Tod verliert seinen Schrecken.
Das Gleiche passiert in der 4. Symphonie von Franz Schidt. Zitat Schmidt: "Es ist praktisch die letzte Musik, die man hört, wenn man in die andere Welt übergeht." Und es ist eine traumhafte Musik.
Natürlich hängt es auch mit der eigenen Glaubenseinstellung zusammen. Glaubt man, dass mit dem Tod alles aus ist, wirkt er umso erschreckender.
Ich habe heute in einem Kommentar über Kennzahlen geschrieben: "Alle 5 Sekunden stirbt ein Kind vor Hunger."
Ich könnte auf meinem Blog einen Zähler einrichten (wie in der U-Bahn-Passage), der die gerade Gestorbenen hochzählt. Während ich dies schreibe, sind schon wieder 25 Kinder gestorben. 26.
Siebenundzwanzig. 29.
Wie lässt sich der Tod überhaupt verdrängen. Die Leute schaffen das so leicht, kommt mir vor.
Oder ist jeder, den ich nicht kenne, weniger wert als jemand, den ich kenne?
P.S. Barbara, das richtet sich nicht gegen dich persönlich. Ich wundere mich ganz im Allgemeinen, wie leicht der Tod verdrängt werden kann.
Ich fühe mich auch nicht angegriffen.
Es ist auch nicht der eigene Tod, der solche Angst macht, dass man ihn verdrängen muss, sondern der Tod von jenen, die man liebt. Die Angst vor der Leere danach, der Ohnmacht, der Trauer. Die Tatsache, dass der Mensch dann so fehlt - für immer.
Und verdrängen muss ich sie deshalb, weil ich sonst nur noch mit Angst durchs Leben gehen müsste, dass jeden Moment jemand aus meiner mir nahen Umgebung sterben könnte. Was ja auch der Fall ist, aber mir reicht schon meine Paraonia, wenn in der Nacht das Telefon klingelt oder ich eins meiner Kinder nicht erreiche.