Friends will be friends

Hildegard glaubt an das Glück. Dass das Glück in den 85 Jahren ihres Lebens nur selten an sie geglaubt hat, das tut nichts zur Sache. Weil Hildegard an das Glück glaubt, spielt sie. Nein, nicht im Casino, denn sie verlässt ihr Haus kaum noch, seit ihr Mann gestorben ist. Hildegard spielt per Post und per Internet. Das hat sie sich installieren lassen, damit sie mit ihrem Sohn in Deutschland in Kontakt sein kann. Sie schreibt Mails, surft im Internet, aber hauptsächlich spielt sie. Wenn sie einmal zehn Euro gewinnt, reibt sie sich die Hände. Sie sieht nicht, dass die tausend dubiosen Spielfirmen sich noch mehr die Hände reiben, von ihrem Konto abbuchen, bis nichts mehr drauf ist, Mahnungen verschicken und mit dem Gericht drohen.

Hildegard spielt nicht nur, sie spendet auch. Dem Roten Kreuz, der Feuerwehr, Amnesty, dem Tierschutzverein, der Kirche, Vier Pfoten, dem WWF, irgendwelchen Sekten. Vor kurzem hat sie Katinka, einem russischen Mädchen gespendet, das ihr ein Mail geschickt hat, weil sie im russischen Winter so friert und ihr Ofen kaputt ist. Sogar ein Foto war dabei, von einer jungen Frau und einem kleinen Kind auf dem Sofa. Auch Elena und Vanessa und Natascha frieren und Hildegard lindert ihr Leid, indem sie ein paar Scheine in einen Briefumschlag steckt, für den neuen Ofen und für Brennholz.
Sie füllt Überweisungen aus, unterschreibt Einziehungsaufträge und verschickt Bargeld nach Deutschland, in die Schweiz oder nach Russland. Auch an Licht ins Dunkel spendet sie. Bis sie ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen kann und einen Sachwalter bekommt.

Hildegard glaubt nicht nur an Spiel und Glück, sie glaubt auch an das, was sie nicht sehen kann. An das Spirituelle. Und die Spirituellen glauben an Hildegard. Ganz persönliche Briefe schreiben sie ihr, ganz viele, mit Lucida Handwriting.

Liebe Hildegard, schreibt zum Beispiel Rahel, eines von nur drei Karma-Medien der Welt (neben Laetitia de Lavallo und Don Karmonavska) , vor nicht allzulanger Zeit war ich auf einer Reise quer durch Österreich, und zwar ganz in Iher Nähe und bin an dem Haus, in dem Sie wohnen, Hildegard, vorbeigekommen und habe plötzlich und mit großer Stärke und Intensität eine besondere mediale Ahnung gehabt.
Rahel hat etwas Besonderes gespürt und Hildegard einfühlsam mitgeteilt, dass drei Ereignisse auf sie warten, die eine nicht unbedeutende Gefahr für Hildegard sind. Unter anderem wird im Juni eine neue Bekanntschaft zu einer Entscheidung führen, die ihr ganzes materielles Leben für immer zur größten Sorge ihres Lebens machen wird.
Wenn aber Hildegard tut, was Rahel sagt, brauche sie keine Sorge zu haben, denn Rahel wird einen nanelischen Kontakt herstellen, der das ganze Jahr 2009 einen großen Schutz über sie legen wird. Rahel dürfe nur nicht geblockt werden, schreibt sie weiter. Um das zu verhindern, möge Hildegard doch beiligenden Überweisungsschein ausfüllen.

Hildegard hat Rahel schon öfter Geld überwiesen, und sie würde es auch diesmal tun, aber sie ist im Krankenhaus. So hat sie auch den Brief von Chris (nach eigenen Angaben Hellseher – Medium – Parapsychologe – Hypno-Telepath und Fernsehstar) nicht gelesen, geschrieben in Genf, am Donnerstagnachmittag, inklusive Bezugsschein für die hypnotelepathische Tiefenübertragung. Daher hat sie ihren psycho-aktiven Pol nicht positiv aufladen lassen können, zum sagenhaft günstigen Preis von € 60,-. Nix mit dem positiven Lebensfluidum per Hypnotelepathie. Inbegriffen in dem Preis ist sogar eine Persönlichkeitsanalyse, und zu diesem Zweck sollte Hildegard ihre Lieblingsfarbe und eine Zahl zwischen 1 und 22 angeben und ankreuzen, in welchem Bereich sie ihr größtes Problem habe. Gesundheit, Liebe, Geld und Rechtsangelegenheiten stehen zur Wahl. Mit der Liebe hat Hildegard längst abgeschlossen, die Rechtsangelegenheiten erledigt jetzt ihre Sachwalterin, bleiben also die Gesundheit und das Finanzielle.
Schade, dass Hildegard den Brief nicht lesen kann, denn Chris möchte ganz intensiv und dringend, dass Hildegard glücklich ist. Das hat er sogar dreimal unterstrichen und mit vier Rufzeichen versehen.
Chris mag Hildegard sehr, denn seine nächsten Briefe schreibt er am Freitagnachmittag und Dienstagvormittag.

Streng vertraulich hat auch Maria Duval geschrieben, die hat viele gute Nachrichten und sie weiß, dass das Leben von Hildegard am 28. Dezember eine gute Wendung nehmen wird. Seit 26. ist Hildegard im Krankenhaus, und so weiß sie nichts von der guten Wendung und ihr Körper wird immer schwächer. Maria ist auch eine Seherin, und sie sieht große Geldsummen, die greifbar sind. Wahrscheinlich für sich selbst, und Hildegard sollte wissen, dass sie, Maria ihre gute Freundin ist, die von unserem Erfolg überzeugt ist. Sie wird Hildegard – gegen eine kleine Gebühr, versteht sich – Monat für Monat ihre Glückszahlen mitteilen, mit denen sie im Lotto, beim Bingo, beim Pferderennen, im Spielkasino und bei anderen Glücksspielen gewinnen kann. Zehn Seiten lang ist der Brief, und cirka dreiundzwanzig Mal steht da „liebe Hildegard“.

Schön, dass Hildegard so enge und gute Freunde wie Rahel, Chris und Maria hat, die um ihr Wohl besorgt sind und ihr so häufig und ausführlich schreiben.
Schade, dass sie ihren drei guten Freunden nicht mehr zurückschreiben und ihnen Geld schicken kann. Hildegard ist gestern gestorben.


p.s. Weiß jemand, was "nanelischer Kontakt" ist? Google kennt das Wort nicht. Dabei kennt Google ja sonst alles.
la-mamma - 18. Jan, 13:13

ich les grad (peinlicherweise zum ersten mal) fahrenheit 451. irgendwie passt das richtig zu den sauereien, die du da oben beschreibst.
nanelisch hab ich leider auch noch nie gehört. vielleicht leitet es sich von noNANEd ab?

g.emiks - 18. Jan, 15:30

nanel, die; in der zoologischen systematik zwischen schaf und ziege stehendes halbschaf aus den hochländern zentralasiens mit in der jugend blaugrauem, später graubraunem fell. nanele sind sehr genügsam und als herdentiere ausgesprochen kontaktsuchend ("friends will be friends").

kepkezkem - 18. Jan, 23:49

Eine traurige Geschichte, die aber in dieser (oder stark ähnlicher) Art täglich zigtausenmal vorkommt.

Mir fehlt nur noch der Part, in dem der unbekannte Enkel einen Freund vorbeischickt, um sich Geld auszuborgen....
Becksi (Gast) - 19. Jan, 08:36

Hildegard tut mir wirklich Leid. Schade, dass ihr Sohn sich nur per Mail um sie gekümmert hat.
Ich kannte eine sehr liebe alte Dame, deren Sohn und Schwiegertochter einige 100 km weg gewohnt haben. Man rief sich ab und zu an, schrieb sich Postkarten und hatte sich geschworen das Leben des anderen zu akzeptieren und sich nicht auf den Keks zu gehen. Als die alte Dame mit einem Oberschenkelhalsbruch ins Krankenhaus kam, hat sie nicht mal gesagt, dass sie einen Sohn hat! Weil, sie wollte ja keinem zur Last fallen! Ich habe mich dann ganz frech als ihre Enkelin ausgegeben (kam vom Alter her hin). Ansonsten hätten sie mich nicht zu ihr gelassen. Ich habe mich ein paar Tage intensiv gekümmert und Telefonzentrale gespielt. Ich habe die Schwiegertochter in Südamerika angerufen und den Sohn aus Afrika nach Deutschland geholt! Am Ende ist sie elend im Krankenhaus gestorben, weil zu dem Bruch ein durchgebrochenes Magengeschwür gekommen ist. Das wollte sie nicht operieren lassen! Erst als ihr Sohn dann endlich mit Tagen Verzögerung da war hat sie einer OP zugestimmt. Aber dann war schon alles zu spät......

Becksi (Gast) - 19. Jan, 08:47

Und was dann ganz makaber war, war ein ganzseitiger Bericht, der einige Zeit nach der Beerdingung in unserer Tageszeitung über die Arbeit eines Leichenbeschauers erschienen ist. Da habe ich dann meine alte Dame unter anderem Namen als Leiche wieder erkannt. Man hatte ihre Geschichte kurz geschildert. Dem Sohn habe ich die Sonderseite allerdings erspart.
Uta-Traveller - 19. Jan, 14:40

ist schon zum K...

ein Fenster zur Welt
und dann kommt sowas herein
arme Hildegard

ob wir wohl auch mal so werden?
ich meine, so vertrauensvoll-leichtgläubig?

Gestammelte Werke - 19. Jan, 20:42

vielleicht hat man in hildegards generation noch nicht gelernt so auf der hut zu sein, wie wir es heute sein müssen.
vielleicht macht man aus einsamkeit solche sachen?

arme hildegard!

und gut geschrieben, barbara.
walküre - 20. Jan, 13:05

Scharlatane und Bauernfänger hat es immer schon gegeben, die sind keine Folgeerscheinung des Internet. Ob man auf solche Mistviecher hereinfällt oder nicht ist für meine Begriffe vor allem eine Sache des Horizontes und des Selbstwertgefühls ...
testsiegerin - 22. Jan, 14:19

Tschuldigung, dass ich so lange nicht auf eure Postings geantwortet habe, aber hier war wegen krank zu.
jetzt ist wegen fastgesund wieder teilweise geöffnet.

Hildegard braucht uns nicht mehr leid zu tun, Hildegard hat es nämlich gehasst, von anderen abhängig und nicht selbstbestimmt zu leben und ich vermute, Hildegard gehts dort, wo sie jetzt ist, gut. Wahrscheinlich sitzt sie zur Rechten Gottes an einem Spielautomaten und zockt.

Und ja, natürlich gab es immer schon Scharlatane, auch vor dem Internet, die schrieben ja auch richtig, per Post.
Ich glaube nicht, dass es ausschließlich eine Sache des Horizonts ist, darauf hereinzufallen. Auch das Selbstwertgefühl von Hildegard schien mir nicht wirklich schwach zu sein. Bei der Gerichtsverhandlung ist sie einfach aufgestanden und hat gesagt: Ihr könnt gern noch weiter plauschen, aber ich hab jetzt Hunger. Auf Wiedersehen.
Manchmal ist es einfach auch eine Sache der Angst und der Demenz. Und offensichtlich schaffen es Gesetze nicht, Menschen vor solchen Betrügern zu schützen. Das ist für mich die Ungeheuerlichkeit.

DI Gebauer Herbert (Gast) - 15. Mär, 00:30

Ein boykottierter Erfinder

Es nützt in dieser Welt nicht einmal, wenn man hervorragende Leistungen vollbracht hat, wenn Länder wie Deutschland und Österreich erfinderfeindlich sind.
Mich hat auch der Chris angeschrieben und von anderen habe ich auch schon Post bekommen, aber wenn man keine staatliche oder landesspezifische Förderung bekommt, dann bleibt alles auf der Strecke und auch keine psychedelische Betreuung durch einen Psychologen hilf hier.
Nein, nicht meine Person, sondern die Gesellschaft muss sich ändern, da sonst immer wieder Erfinder verarmen werden.
Herr Leitl -- mein Behälterproduzent - hat daher die Behälterproduktion in Linz-Hörsching seit 2004 eingestellt und der Staat hat um mehr als einen Betrieb weniger und an jede Menge Steuern.

Ich sage immer wieder Idioten bleiben Idioten und produzieren nur Probleme wie Massenarbeitslosigkeit und menschliche Tragödien.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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