Winterwunderweihnacht

oder

Alle Jahre wieder ;-)

Weihnachten ist Scheiße. Mama will nicht, dass ich Scheiße sage. Aber ich sag’s ja auch nicht, ich schreib’s einfach hin. Scheiße. Weihnachten ist Scheiße, und Scheiße ist Weihnachten. So einfach ist das.
Scheiße muss kursiv. Wenn man Scheiße kursiv schreibt, dann schaut’s aus, als hätte da jemand reingetreten.

Zu meinen ersten Weihnachten war ich noch nicht mal ein Jahr alt. So geht’s den meisten Kindern, ich weiß. Niemand hat mich je gefragt, ob ich das will. Ich hasse Kerzen. Ich leide unter einer chronischen Tannenbaumallergie. Und ich bekomme Ausschläge in der Nierengegend, wenn meine Mama singt. Der Supergau, also der größte anzunehmende Unglücksfall ist, wenn sie bei Kerzenlicht unter dem Tannenbaum singt.
Meine Mama hat aber nicht mal den Anstand, mit ihrer dämlichen Singerei zu warten, bis die Kerzen am Baum brennen. Sie singt bereits Wochen vorher. Eigentlich singt sie das ganze Jahr über. Aber in der Vorweihnachtszeit begleitet sie Julio Iglesias bei seinen eigenwilligen Interpretationsversuchen deutscher Weihnachtslieder. Dieser iberische Schleimpfropfen tut so, als hätte es nie ein H in der abendländischen Kultur gegeben, singt von ’immlischen ’eeren und von ’irten. ’alleluhjah.

Ich war drei, als Oma Rotz und Wasser geheult hat, weil ich am Heiligenabend vier Stunden auf dem Klo verbracht habe. Nein, ich hatte nicht Durchfall, es war nur wegen Mama und Julio Iglesias und dem Scheiß-Baum und dem Scheiß-Weihnachten.
Ganz ein garstiges Mädchen wäre ich, schluchzte Oma, ein unflätiges undankbares Kind. Ich würde allen die Freude verderben mit meiner Destruktivität. So, als ob es konstruktiv wäre, zerbrechliche Kugeln auf einen Baum zu hängen, einander Geschenke zu überreichen und einen frierenden Säugling in einer Krippe zu bewundern, der inzwischen längst tot war.
Nicht, dass Sie mich missverstehen, ich liebe meine Eltern. Ich liebe sogar Oma. Ich hasse nur Weihnachten.

Es muss in der zweiten oder dritten Stunde auf dem Klo gewesen sein, als ich den unabänderlichen Entschluss fasste, mich fortan der transzendentalen Meditation zuzuwenden und peruanische Literatur des frühen siebzehnten Jahrhunderts zu studieren und ins Polnische zu übersetzen.
Der Kinderpsychiater hatte Verständnis für mich. Glaubte ich jedenfalls. Aber als er mir riet, Freude zu heucheln und mit meiner Familie Schlittenfahren zu gehen, feuerte ich ihn.

Ein paar Jahre später kappte ich die Stromversorgung in unserem Dorf. Die Auswirkungen waren fatal. Unerfreulich fatal einerseits, denn die Lichterketten gingen zwar aus, dafür aber noch mehr Kerzen an. Erfreulich fatal andererseits, denn Julio verstummte.
Doch Mama kompensierte das locker. Sie sang lauter und falscher als je zuvor. Oh du fröhliche ging mir durch Mark und Bein. Ihr Kinderlein kommet infiltrierte meine Großhirnrinde. Alle Jahre wieder erschütterte meinen Magen-Darm-Trakt und löste dort heftige Konvulsionen aus. Ich kotzte unter den Weihnachtsbaum. Ich kotzte auf die Geschenke. Ich kotzte in die Krippe.

Noch am selben Abend unterzeichneten meine Eltern und ich in einen Vertrag. Einen siebenseitigen Weihnachtsvertrag, mit Klauseln, mit jeder Menge Kleingedrucktem und - notariell beglaubigt. In unserer Familie wurde Weihnachten abgesagt. Das war der Teil des Deals, den ich ohne Murren akzeptierte. Aber – und jetzt kommt der andere Teil – ich musste versprechen, mich wenigstens nach außen hin in der Advents- und Weihnachtszeit wie ein halbwegs normales Kind zu benehmen. Das war auch der Grund, weshalb ich für Sie im Deutschunterricht sogar jedes Jahr wunderschöne Weihnachtsgeschichten geschrieben habe, liebe Frau Lehrerin. Geschichten, bei denen ich Tränen der Rührung in Ihren Augen gesehen hab, während Sie sie der Klasse vorgelesen haben.

Doch jetzt ist Schluss mit lustig.
Ich habe Mama erwischt, wie sie heimlich Weihnachten gefeiert hat. Nachts. In der Garage. Im August. Ganz leise sang Julio Iglesias. Mama bewegte dazu andächtig ihre Lippen. Am Baum glitzerte geschmacklos Lametta. Und in der Krippe lag ein Jesukind, das sorgfältig von jedem Kotzbröckelchen gereinigt worden war.
Deshalb fühle auch ich mich nicht verpflichtet, meinen Teil der Vereinbarung einzuhalten. Meine Mutter ist vertragsbrüchig geworden. Ich habe mit Unterstützung eines renommierten Anwaltes bereits Klage beim zuständigen Bezirksgericht eingebracht. Wie schon erwähnt, ich liebe meine Mutter. Aber Vertrag ist nun mal Vertrag.

Ich weiß, Frau Lehrerin, dass Sie jetzt – wie bei all meinen anderen Geschichten – auf eine überraschende Wendung hoffen. Eine geniale Pointe. Vielleicht darauf, dass die Protagonistin erfunden ist und in Wahrheit glänzende Augen bekommt, wenn sie Mama im Duett mit Iglesias hört. Aber so sehr ich Sie mag, ich muss Sie enttäuschen. Ich bin die Protagonistin. Es gibt weder Wendung noch Pointe. Alles ist wahr.
Und aus.
Anja-Pia - 9. Dez, 14:42

Schenk Deiner Mama die Weihnachtslieder mit Mahalia Jackson und alles wird gut. ;-)

testsiegerin - 9. Dez, 14:45

Meine Mama lebt ja nicht mehr. Julio Iglesias mochte sie nicht und ich bin gar nicht die Protagonistin. Kein einziges Mal hab ich in die Krippe gekotzt, ich schwöre.
Anja-Pia - 10. Dez, 09:26

Lügen auch noch. Und das so knapp vor Weihnachten. ;-)
viennacat - 9. Dez, 18:04

tjaha. bei uns singen alle falsch unter dem weihnachtsbaum

rosmarin - 9. Dez, 23:40

immer wieder hochlustig!
:-)

la-mamma - 10. Dez, 11:24

schad, dass ich den text heuer nicht wieder verwenden kann. ist voriges jahr bestens angekommen!

creature - 10. Dez, 14:51

ach, das erfreut mein gemüth.
ich wollte es schon gar nicht lesen als ich die überschrift sah, dachte sofort, nein, bitte nicht wieder so eine rührende weihnachtstimmungsgeschichte.

Jossele - 10. Dez, 19:25

Es geht vorbei, wie es jedes Jahr noch vorbei gegeangen ist ;-)

datja - 11. Dez, 00:58

alle jahre wieder:
wunderbar !!!
you make my night !

datja - 11. Dez, 00:58

alle jahre wieder:
wunderbar !!!
you make my night !

rosmarin - 13. Dez, 23:01

egal wie oft ich das lese..... ich lache mich jedesmal schlapp!
merci!!!

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
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Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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