(In) Frage gestellt

„Was macht die Arbeit? Was die Familie? Und was die Kunst?“
Ein Jahr hatten die beiden Frauen einander nicht getroffen, was eine ziemliche Leistung war, wenn man bedachte, dass sie im selben Dorf lebten und in derselben Branche arbeiteten.
„Geht so.“ Zwei Wörter für drei Fragen. Nichtssagend. Die Fragen wie die Antworten. Keine stellte die Frage, die wirklich wichtig gewesen wäre: Was ist eigentlich mit unserer Freundschaft passiert? Was mit den vertrauten Waldläufen, was mit den versauten Witzen, was mit den versoffenen Abenden? Was mit den hitzigen Diskussionen, dem Trösten, dem stundenlangen Reden während der Wanderungen, was mit den spätsommerlichen Nachmittagen am Teich? Wo waren sie?

Anna-Lena nippte am Kaffee. Du verklärst die Vergangenheit, ermahnte sie sich. In Wahrheit war Verena nur da, wenn sie dich gebraucht hat. Saß am Sonntagmorgen plötzlich am Rande des Ehebetts, weil sie gerade wieder mal Liebeskummer hatte. Sprach sich ihr Leid von der Seele.
Wir sind erwachsene Frauen, dachte Anna-Lena, wir haben immer über alles geredet, über unsere Beziehungen, unsere Sehnsüchte, Affären, Verstrickungen. Nur über unsere Freundschaft nicht. „Weißt du, „begann sie mutig „ich muss dir etwas...“
„Ey, Jürgen, schön dich zu sehen. Nein, du störst nicht. Komm, setz dich her zu uns. Es stört dich doch nicht, Anna-Lena, oder?“
Sie schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht“, sagte sie höflich und rückte näher zum Heizkörper. Dabei hätte sie schreien können: „Verdammt, natürlich stört es mich! Ich will dich nicht verlieren, du bist mir wichtig, ich brauche dich als meine Freundin!“
Aber sie saß nur still da und tat so, als hörte sie Verena und Jürgen beim Smalltalken zu.
Aus den Lautsprechern drang sanfte Musik. „Smile, if your heart is aching...Smile, even if it’s breaking...“
„Ich geh mal mit Hans-Jürgen an die Bar, ja? Weißt du, wir haben uns seit Wochen nicht gesehen. Bis gleich.“
Abserviert.
„Einen doppelten Tequila“, bestellte Anna-Lena, „nur mit Zitrone. Das Salz hab ich dabei.“ Ungehemmt flossen jetzt die Tränen über ihre Wangen, manche davon trafen zufällig in das Schnapsglas. Es war nicht die Tatsache, dass der Weg, den sie gemeinsam gegangen waren, in unterschiedliche Richtungen führte. Die Erkenntnis, dass die Freundschaft in Wahrheit gar keine war, bohrte sich spitz in ihre Seele.

„Na?“, fragte der Wirt, „Liebeskummer?“
Sie dachte kurz nach und kippte den Tequila hinunter. „Noch mal dasselbe, bitte.“ Liebeskummer tat an der gleichen Stelle weh wie der Schmerz, den sie jetzt fühlte. Aber Liebeskummer hatte für gewöhnlich einen süßen Abgang, trotz der Bitterkeit. Liebeskummer schmeckte nach dunkler Schokolade. Er zerging mollig warm auf der Zunge.
Jetzt war nichts süß. Sie biss in die Zitrone und leckte über ihre tränennasse Wange. „Nein. Schlimmer. Viel schlimmer.“
irishwolfhound - 6. Feb, 16:02

treffer - versenkt.

danke für den text. er trifft, was in mir seit wochen gärt.

testsiegerin - 6. Feb, 18:25

bei mir gärt es seit monaten. mit diesem text hab ich sozusage die flasche geöffet, damit das gärgas rauskann.
irishwolfhound - 9. Feb, 11:50

so weit bin ich noch nicht.

aber für mich war ein knackpunkt, wenn es plötzlich um die einordnung des gefühls geht und nicht mehr um den inhalt des gesagten. :-(
steppenhund - 6. Feb, 18:31

Bei Männern ist das anders.
Freunde gehen, Freunde gehen. Selbst wenn nach langen Jahren ein Wiedertreffen zeigt, dass die Kenntnis über die andere Person ungetrübt ist, fehlen die Gefühle der Jahre, in denen man sich nicht gesehen hat.
Manchmal interpoliere ich ein Bild, ein Geschehen, hinterfrage es durch ein paar Kontrollfragen.
Doch letztlich spüre ich eine fehlende Neugier beim Gegenüber.
Es gibt neue Freunde. Manche der alten sind erhalten geblieben. Manches hat sich intensiviert, wenn einer schon mit dem Leben abzuschließen glaubte.
Eines hat sich geändert. Ich rufe nicht mehr an. Ein Verhältnis 3:1 akzeptiere ich. Ich rühre mich 3 mal und einmal halt der andere. Nach drei Anrufen ist Schluss. Ich bin nicht böse oder verärgert. Nur die Freundschaft ist tot.
Und die besten Freunde im Erwachsenendasein waren Freundinnen.

zwitscherbirdie - 6. Feb, 21:52

Und die besten Freunde im Erwachsenendasein waren Freundinnen.

Da bin ich jetzt doch versucht zu fragen (freundlich-neckisch und neugierig) "Wie hat sich das geäußert? Haben sie sich möglicherweise auch noch ein viertes und ein fünftes Mal gerührt, bildlich gesprochen?"

;)
hans1962 (Gast) - 6. Feb, 23:42

Mit Verlaub: bei Männern ist das gar nicht anders.
Sofern sie der Freundschaftliebe fähig sind, leiden sie ganz genauso unter der zuschlagenden Ernüchterung.
Möglicherweise ohne Tränen - dann allerdings zu ihrem eigenen Schaden.
zwitscherbirdie - 7. Feb, 09:06

@ Hans1962
Danke. Das trifft sich mit dem, worauf ich letztlich hinauswollte mit meiner Frage ;)

Die besten Freunde in meinem Erwachsenendasein sind ausnahmslos 'weibliche' Männer. Genau genommen sind es 'vollständige' Männer, also solche, die auch der weiblichen Geschlechtsrolle zugeordnete Persönlichkeitsmerkmale entwickelt haben (der Umstand, dass die meisten diese 'weibliche' Anteile entweder nur wenig entwickelt haben oder selten zeigen, führt leider dazu, dass man das eigens so etikettieren muss). Die anderen, die ausschließlich 'männlich' und sonst nichts weiter sind, die empfinde ich, ebenfalls mit Verlaub, als irgendwie unvollständig. Dasselbe gilt, mit umgekehrten Vorzeichen, natürlich auch für Frauen.

Vielleicht sollte ich der Vollständigkeit halber noch ergänzen, dass ich Herrn Steppenhunds Beiträge gerne lese :)
steppenwolf - 7. Feb, 09:30

@zwitscherbirne

Antwort 1: ja.
-
Antwort 2: danke für das Kompliment.

Antwort 3: Die angesprochene Vollständigkeit sehe ich auch als Notwendigkeit. Die würde aber bei den zwei Freunden, die ich bei den Beispielen im Hinterkopf hatte, zutreffen.
zwitscherbirdie - 7. Feb, 09:40

off topic: Birne?

on topic:
Dann erübrigt sich möglicherweise bei Männern ist das anders. Bei Frauen ist das durchaus auch so. Je nach dem.
steppenhund - 7. Feb, 10:29

@zwitscherbirdie

Große Entschuldigung! :)
Bei dem kleinen Fontsatz ist der Eindruck der Birne entstanden;)
testsiegerin - 7. Feb, 16:37

Je älter ich werde, umso weniger weiß ich, wie Männer ticken/fühlen/empfinden/denken.
drum kann ich da gar nicht mitreden.

Ich führe auch nicht Buch darüber, wer öfter anruft oder so, aber das Gefühl, dass da ein massives Ungleichgewicht ist, das tut weh.
Es gibt auch Freundinnen, die sehe ich ein paar Mal im Jahr (aufgrund der Entfernung), und trotzdem ist die Freundschaft innig und nah.
punctum (Gast) - 7. Feb, 01:06

Schön geschrieben und sehr treffend. Man muss einen Freund/eine Freundin auch gehen lassen können - aber es kann verdammt wehtun. Manchmal hilft auch die Zeit, und man begegnet sich neu.

testsiegerin - 7. Feb, 16:42

das gehen lassen ist nicht so einfach, wenn man sich fragt, ob es überhaupt eine ehrliche freundschaft war.
oder anders gesagt: loslösung gelingt nur, wenn vorher bindung da war.
und die war in der geschichte offensichtlich eher einseitig.
irishwolfhound - 9. Feb, 11:55

das mit der "ehrlichen freundschaft" ist bei mir auch gerade thema. vielleicht hilft, dass es freundschaft auf zeit war und irgendwann - unmerklich - sich die parameter verschoben haben. solange, bis es aufgefallen ist.

einseitige bindungen kann man in dem moment auch einfacher auflösen, in dem man erkennt, dass die zeit abgelaufen ist.

ich hab für solche fälle eine "stein-medidation", die mir sehr gut hilft.
la-mamma - 7. Feb, 09:15

ein schöner text!

und vor allem beim ende finde ich mich auch wieder. ganz egal wie eine freundschaft beendet wurde, wenn es nicht von mir aus gegangen ist (ist es manchmal schon auch ....) - es gab mir ebendieses gefühl der verlassenheit und eher auch noch der nicht-ersetzbarkeit der "rolle" der anderen in meinem leben ...

testsiegerin - 7. Feb, 16:44

*nickt*
katiza - 7. Feb, 09:53

Ach, ja, kenn ich, mag wohl auch an mir liegen, denk ich mir dann manchmal und tut sehr weh - aber es gibt auch noch andere Freundschaften, wenn man genau hinsieht, manchmal versäumt man das und ja: Schlimmer als Liebeskummer.

testsiegerin - 7. Feb, 16:46

liegt wohl meistens an beiden, oder am schicksal, oder woran auch immer.
und zum glück gibt es auch noch andere freundinnen, die einem dann halt geben.
Sternenstaub - 7. Feb, 11:53

ach ja - wer kennt ihn nicht diesen Schmerz der Erkenntnis, dass frau nicht mehr mehr teilt, als die Erinnerung an eine gemeinsame Zeit

ist das das Leben, ist es einfach so, dass das passiert ??? ich habe Wegbegleiterinnen, da hoff ich, dass es anders ist ....

testsiegerin - 7. Feb, 16:50

ja, zum glück ist es bei vielen frauen anders. ich hab das glück, mit einigen von ihnen befreundet zu sein.
erphschwester - 7. Feb, 13:40

mit zunehmenden jahren

komme auch ich auf die idee, dass wir oft nur einen zweck im leben des anderen erfüllen, wo wir selbst allzu viel herzblut in die sache stecken.

testsiegerin - 7. Feb, 16:51

aber was ist die alternative?

also werde wir weiter herzblut in beziehungen fließen lassen, wieder glücklich sein, wieder verletzt werden, der kreislauf endet wohl nie.
erphschwester - 7. Feb, 17:54

zur eigenen

persönlichkeit gibt es keine alternative. es ist so in einem angelegt oder nicht.
und über manche strecke im leben hat es uns ja auch sehr reich gemacht.
irishwolfhound - 9. Feb, 11:56

man kann lernen, mit der eigenen persönlichkeit umzugehen. sie so zu akzeptieren, wie sie ist und für wiederkehrende problemstellungen "work arounds" finden.
datja - 11. Feb, 13:43

wandlungen, wanderungen, wege

veränderungen ruhig hinnehmen ist schwierig, ziemlich schwierig.
der andere blickwinkel tut oft so weh.
sich trotz verletzungen auf neues einlassen, nach vorne blicken, im hier und jetzt voll und ganz leben, egal wie es gerade ist, das bringts.
morgen ist ein anderer tag.
weil es ist, ist es gut.
weil es war, ist es gut.

"Daß man mich kaum vermißt,
schon nach Tagen vergißt,
wenn ich längst wieder anderswo bin,
stört und kümmert mich nicht.
Vielleicht bleibt mein Gesicht
doch dem ein oder andern im Sinn."
(Hannes Wader)

testsiegerin - 11. Feb, 19:52

wenn das so einfach wäre...
datja (Gast) - 12. Feb, 00:50

es ist nicht einfach. ganz und gar nicht!
einer der wenigen vorteile des älterwerdens ist wohl der dass es einfacher wird. manches manchmal.
weil ich das vorher so gut kenn - mit deinen worten: und wie gut ich das kenn - kenn ichs. versteh ichs.
bonanzaMARGOT - 11. Feb, 16:26

liebeskummer ist keinesfalls immer "mollig" im abgang.

schön und nachvollziehbar-melancholisch geschrieben.

testsiegerin - 11. Feb, 19:53

eh nicht. manchmal ist er auch stechend und eiskalt. ich weiß. wie ich das weiß. liebeskummer kenn ich, seit ich fünf bin ;-)
bonanzaMARGOT - 11. Feb, 19:59

da bin ich dann ein spätzünder: meinen ersten echten liebeskummer hatte ich mit siebzehn.
vorher waren da natürlich auch einige ereignisse mit ähnlichen gefühlen - wie z.b. meine geburt.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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