In dreißig Tagen um die Welt

Montag, 15. Mai 2006

Tag 14 - Ich will nicht mehr

Ich will nicht mehr. Ich werde meine Reise abbrechen. Nein, es ist nicht meine Faulheit, es ist nur ... ja, was ist es eigentlich?
Ich langweile mich in mir. Ich habe genug über mich erfahren. Ich habe Heimweh. Ich will mit meinen Freunden im Garten sitzen, rote Cuvee trinken, in Catan Siedlungen bauen und meine Städte mit Rittern beschützen. Ich will in Ruhe Milan Baros und Emerson in mein Fußballalbum kleben und mich nicht ständig mit mir selbst beschäftigen. Ich habe das Herumwandern satt. Ich habe mich satt.

Am Anfang haben mich noch einige wenige Leute begleitet, aber ich glaube, denen ist auch langweilig geworden. Dabei hab ich ihnen nie versprochen, dass es eine spannende, unterhaltsame Reise wird. Bin ich Animateurin, oder was?
Weiterreisen oder abbrechen?, streiten Disziplin und Lustlosigkeit in mir. Weiterreisen, sagt die Disziplin wie erwartet. Sie ist so berechenbar. „Aufhören können, das ist keine Schwäche, sondern eine Stärke“, zitiert die Lustlosigkeit ausgerechnet die Bachmann.

„Ein Rückflugticket“, verlange ich am Schalter, „am besten noch heute. Nicht möglich? Na gut, dann morgen. Den einen Tag werde ich schon noch irgendwie herumkriegen. Ich kann ja mit meinen Zehen spielen oder was singen. Der nächste Flug geht in sechzehn Tagen? Nein, das ist nicht wahr, oder? Sagen Sie mir bitte, dass das nicht wahr ist. Buchen Sie mich um, von mir aus fliege ich auch über Molwanien, das Land des schadhaften Lächelns. Oder über Jakutsk. Oder ich nehme ein Schiff. Ich will nach Hause.“
Die Dame lacht mich aus. Es gibt keine Schiffe in der Wüste, sagt sie.

Sechzehn Tage. Zwei Wochen, zwei Tage und ein paar Stunden. Andererseits ... was sind schon sechzehn Tage? Außerdem bringe ich für gewöhnlich fertig, was ich anfange. Ich bin da total konsequent.
Gut, beim Fensterputzen vielleicht nicht so, wegen der Rückenschmerzen. Aber sonst. Das Russisch-Englisch-Dolmetsch-Studium hab ich abgebrochen, ihr müsst mich jetzt nicht daran erinnern. Das lag nicht an mir, sondern an den technischen Texten, die mich nicht interessiert haben. Aber jetzt würde ich – anstatt hier lustlos am anderen Ende meiner Welt herumzulungern - lieber einen Text über elektrische Fernthermometer übersetzen, wenn es sein muss ins Molwanische, die Sprache, die man im Land des schadhaften Lächelns spricht. Wie gesagt, üblicherweise bin ich sehr diszipliniert und wenn ich etwas beginne, dann beende ich es nicht vorzeitig. Von den vielen gestrickten Rückenteilen mal abgesehen. Die Farben waren leider immer schon aus der Mode, wenn ich erst bei den Schultern angelangt war.
Meine Tante hat die Rückenteile aufgetrennt und aus der verfilzten Wolle Socken gestrickt. Was aber kann man aus einer abgebrochenen Weltreise stricken, außer ein paar Erinnerungen und Erfahrungen? Und wer wollte die wollen?

Ich werde durchhalten, drohe ich mir.
Und euch.
Und überhaupt.

Karte schreib ich heute keine. Aus Trotz, und aus Ärger darüber, dass der Flieger ausgebucht ist.

Sonntag, 14. Mai 2006

13. Tag

Ich kämpfe mich durchs Dickicht, bis ich zu einer kleinen Lichtung komme. Ein kleines Mädchen mit struppigem Haar und zerrissenen Jeans sitzt in der Wiese, inmitten einer fürchterlichen Unordnung. BAD GIRL steht auf ihrem Shirt, zwischen ihren Schulheften liegen schmutzige Socken, in denen ein abgekauter Apfel steckt. Sie schaut ein bisschen verzweifelt aus.
„Wer bist du?“, frage ich.
„Kennst du mich denn nicht? Ich bin Babsi Bügleisen, die Heldin deines neuen Buches.“
Verlegen beiße ich mir auf die Lippen. Peinlich, wenn ich die von mir geschaffenen Figuren nicht mehr erkenne. „Tschuldigung“, stammle ich. „Ich wusste ja nicht, wie du aussiehst. Die Illustratorin hat noch nicht zu zeichnen begonnen.“
Babsi hat ihren Rucksack neben sich ausgeleert und stöbert etwas hilflos in dem Haufen herum.
„Was suchst du, Babsi?“ Vermutlich ihren Ausweis, denke ich, oder die Schlüssel. Das Handy. Die Zahnspange. Die Blockflöte. Ich habe jede Menge Erfahrung im Suchen. Nicht ganz so viel im Finden.
„Einen Verlag“, murmelt sie, schlägt ein zerknittertes Manuskript mit Fettflecken auf und liest mir daraus vor.

Wäre alles auf der Welt so schlampig wie ihr eigenes Zimmer und das Haus von der Emmi, gäbe das wahrscheinlich ein entsetzliches Durcheinander. Der Nil wäre in Amerika, die Löwen wohnten auf dem Himalaja, die Schuhe hausten in der Keksdose und die Suppenlöffel schliefen im Kleiderschrank.
Aber wenn alle so ordentlich wären wie Bekka und Gustl , dann hätte man die ganze Welt vermutlich einsortiert in Schachteln und Schubladen, die Flüsse wären gerade wie mit dem Lineal gezogen und die Berge stünden nach Größe sortiert in Zweierreihen.


Ich applaudiere.
Als ich so alt war wie Babsi, da brauchte ich die Schlampigkeit nicht nur, weil sie Hand in Hand mit meiner Bequemlichkeit ging, sondern auch, weil sie Zeichen meiner Rebellion war. Rebellion gegen zu viel Ordnung in der Welt und in der Familie. Ich wollte keine Plastikschutzbezüge über meiner Seele, damit sie sauber bleibt. Ich wollte das Leben spüren, das dreckige, dichte, direkte Leben.
Das will ich noch immer. Aber braucht es dazu die Schlamperei? Wären die Tage nicht manchmal einfacher, würde ich sie nicht mit Suchen verbringen?

„Soll ich dir aufräumen helfen?“, biete ich Babsi an und sie lacht. „Ausgerechnet du?“
Beinahe hätten wir angefangen, wären da nicht die bunten Murmeln gewesen, die uns zum Spielen einluden. Die Wolken, die uns überredeten, in den Himmel zu schauen. Der Baum, der bestiegen werden wollte.
„Später“, zwinkern wir uns verschwörerisch zu. „Wir räumen später auf. Das Chaos rennt uns nicht davon.“


Heute schreibe ich mit meinem Augenbrauenstift. Kann den Kugelschreiber nämlich nirgends finden.
Wenn Ordnung das halbe Leben ist, will ich die andere Hälfte.
B.

Freitag, 12. Mai 2006

12. Tag

Viele meiner Seiten habe ich heute im Reisetagebuch vollgekritzelt. Ehrlich und kritisch war ich. Kritisch vor allem. Ich hatte an allem, was ich gesehen oder erlebt habe, etwas auszusetzen. Die Hügel waren zu sanft, der Wind zu böig, die Schuhe löchrig. Die Palatschinken waren nicht hauchdünn. Ich habe in meinen Reisenotizen objektiv berichtet und subjektiv gejammert, über die Entfernung zum Strand, die Kakerlaken im Hotel, den Lärm und den bestialischen Gestank.

Seiten später habe ich gemerkt, dass die Kritik mir gilt. Die beschriebenen Blätter wütend herausgerissen und gemeinsam mit den Kakerlaken verbrannt. Austeilen ist eine Sache, Einstecken eine andere, viel schwierigere. Ich gestehe, ich kann es nicht. Noch nicht, aber ich bin ja noch jung.
Wenn in einem halben Jahrhundert der Pfleger im Heim meine 94jährige Haut als runzlig und meine Knochen als porös bezeichnet, werde ich souverän lächeln. Mich darüber amüsieren, wenn die Bettnachbarin motzt, ich schnarche wie ein altes Schlachtross. Vielleicht werden mich meine Beine aus dem Gleichgewicht werfen, nicht aber solche Bemerkungen.

Ich sitze am Feuer, stochere in der Glut und bin ein Häufchen Elend. Die Seiten sind vollständig verbrannt. Niemand außer mir wird je erfahren, was ich geschrieben habe; was an meinen Störungen mich so stört.
Aber ich, ich erinnere mich noch an all die Worte und Sätze, die auf den Zetteln standen. Ich kann sie nicht aus meinem Gedächtnis radieren. Und so nagt sie an mir, die Selbstkritik, stellt mich in Frage, bringt mich ins Schleudern.
An Kritik wächst man, ich weiß. Will ich wirklich zwei Meter zehn groß werden? Nein, definitiv nicht. In der Größe kriegt man auch überhaupt keine geilen Schuhe mehr.

Damit ich wenigstens im hohen Alter gelassen bin, sollte ich endlich lernen, mit Kritik umzugehen. Ich kremple die Ärmel hoch und will mich ihr stellen. Halte einen Moment lang inne. Bedecke meine nackten Unterarme schnell wieder.

Ich glaube, es ist einfach noch ein bisschen zu früh.

Liebe Grüße vom Rand des Lagerfeuers
Für Kritik bin ich total offen.
Aber nur, wenn sie positiv ist ;-)

Donnerstag, 11. Mai 2006

Tag 11 - Rück- und Ausblicke

Ein Drittel der Reise habe ich nun also hinter mir. Zeit um innezuhalten, zurückzublicken, aber auch ein bisschen zu planen.
Anstrengend waren die ersten Etappen, und jetzt hänge ich meine Seele in den Wind, damit sie auslüftet. Betrachte die Blasen in meinem Inneren, streiche Balsam aus Mitgefühl auf meine Wunden und denke nach. Welche meiner Winkel will ich noch bereisen? Welche Täler würde ich am liebsten auslassen, weil es in ihnen ständig schattig und kühl ist?
Weil eine Weltreise bekanntlich kein Zuckerkipferl ist, gilt es trotzdem hineinzubeißen. Auch wenn manches sauer aufstößt und nach Bitterkeit schmeckt.
Da ich mich – natürlich - nicht entscheiden kann, wo in meiner Welt ich noch unbedingt Halt machen muss, frage ich meine Freundinnen. Wozu habe ich sie schließlich? „Wo soll ich hin“, frage ich, „was macht mich aus?“
„Deine Offenheit“, sagt die eine, „dein Witz, deine Kreativität. Dass du einfach da bist, wenn man dich braucht, und nicht viel fragst.“ Ich liebe sie dafür. „Dein unerschütterlicher Optimismus“, sagt eine andere, „die Intelligenz, die Energie und deine Wärme.“ Ach, tut das gut. Ich sonne mich in ihren Worten.
Freunde kann man sich bekanntlich aussuchen, die Familie nicht. Die fasst mich – wie das Leben – nicht mit Samthandschuhen an. „Schreib doch über deine Schlamperei und deine Verwirrtheit“, murrt mein Mann und holt einen Socken aus der Gemüselade im Kühlschrank.
„Wie bin ich so?“, will ich deshalb von meiner Tochter wissen. „Welches Wort fällt dir ein, wenn du an mich denkst?“ Sie könnte jetzt sagen: mütterlich, kuschelig, lustig. Kenne ich mein Kind wirklich so wenig? „Peinlich“, meint sie trocken, und als sie meinen traurigen Gesichtsausdruck sieht, fügt sie versöhnlich hinzu: „Meistens halt.“ Nun gut, sie steht am Anfang der Pubertät und muss ich abgrenzen. Ich nicke verständnisvoll.

Mein Sohn ist auch mein Freund. „Deine Gescheitheit“, sagt er und zaubert mir ein Lächeln.

Ich nehme meine Seele von der Leine und rieche daran. Hmm. „Bist du neu?“, frage ich.
„Nein, mit ...“
Sehr witzig.
Die tiefen Wunden sind verheilt, lediglich ein paar Schrammen und Narben hat die Reise bis jetzt hinterlassen. Ich schlüpfe in meine frischgewaschene Seele, schnüre die Wanderschuhe und schultere mein Gepäck. Es ist noch ein weiter Weg, in mich. Seicht und ruhig dahinplätschernd an manchen Stellen. Steil und steinig anderswo. Hoffentlich rutsche ich nicht aus und stürze in dunkle Schluchten. Ich will nicht schon wieder verlieren, was ich so liebe. Bei diesem Gedanken zwängt sich die Erinnerung in die Außentasche meines Rucksacks und begleitet mich. Sie wiegt schwer.
Nachdenklich und traurig setze ich einen Schritt vor den anderen. Warum tut das Leben manchmal so weh? Warum prüft es ständig, wie viel wir tragen können?

Ach, ich weiß nicht.
An manchen Tagen glaube ich mich zu kennen,
um dann festzustellen, dass ich keine Ahnung habe,
wer ich eigentlich bin, wie ich bin.
Klug oder blöd? Mutig oder feige? Stark oder schwach?
Ihr müsst nicht antworten. Ich weiß schon, ich bin alles. Und nichts.
Morgen reise ich in meine Ambivalenz. Vielleicht.
Eure B., normal-neurotisch

Mittwoch, 10. Mai 2006

Der zehnte Tag

Vom Gestern ins Heute ist es nur ein kleiner Schritt. Von der Schuld zu den Schulden.
Nein. Darüber schreibe ich jetzt nicht. Nicht über meinen Kontostand, nicht darüber, dass ich mit Geld wahnsinnig gut umgehen kann (leider nur, wenn es sich um das meiner Klienten handelt). Ich schreibe auch nicht darüber, dass ich meinen Kontostand nicht weiß, weil ich die Post mit den Kontoauszügen gar nicht erst öffne. Was ich nicht weiß, belastet mich schließlich nicht. Außerdem ändert sich üblicherweise an Zahlen nichts, nur weil man sie argwöhnisch und unglücklich betrachtet. Aus dem Minus wird kein Plus, so sehr ich es auch anstarre. Darum lasse ich das Starren bleiben.

Gut. Hätten wir das also auch erledigt. Gleich neben den Schulden wohnt meine Großzügigkeit mit ihrer Gemahlin, der Gastfreundschaft. Ich werde sie besuchen, ich hab heute ohnehin nichts mehr vor. Sie wohnen nicht wie die Schulden in einer prunkvollen Bank mit einem roten Teppich im Eingangsbereich, sondern in einer kleinen Hütte, deren Tür allerdings immer offen ist.
Der Kühlschrank ist voll, am Ofen brutzelt ein riesiger Topf mit Chili con Carne, schließlich wissen die Gastgeber nicht, wer aller zum Essen kommt. Die beiden haben immer Zeit, und nicht nur eine offene Tür, sondern auch ein offenes Herz. Sie geizen nicht mit Nahrung, nicht mit Worten und nicht mit Liebe.
Mit Geld auch nicht, denn man kann nicht geizen mit Dingen, die man nicht hat. Geld ist ihnen sowieso egal. Es dient nur dazu, dass im Kühlschrank neben Bier, Emmentaler und Salami manchmal auch ein paar Flaschen Prosecco und toskanischer Prosciutto liegen.
Ich fühle mich wohl in meiner Großzügigkeit. In Kürze ist die Hütte voll, es ist laut, herzlich und warm. Sehr warm. Sie sind alle gekommen. Das Lachen, das Spiel, die Sucht, die Lebenslust. Sogar ein paar der Todsünden haben überraschend vorbeigeschaut. Die Trägheit natürlich, sie scheint mich zu verfolgen. Die Maßlosigkeit steht am Ofen und schaufelt Chili in ihren üppigen Leib. Vor dem Kamin wälzt sich die Wollust mit der Gier.
Ich muss versprechen, ihnen demnächst einen Gegenbesuch abzustatten.

Vorsichtig steige ich über die Gäste, schaue aus dem Fenster und werfe einen Blick zum Schloss, das einsam auf dem Hügel liegt. Dort oben verkehren nur geladene Gäste, anständige Herrschaften, von und zu. Nein, ich möchte nicht tauschen. Wirklich nicht. Nicht einmal den Prinzen will ich, denn kaum küsst man einen, wird er schon zum Frosch.

Da küsse ich lieber die Frösche, da weiß ich wenigstens, woran ich bin.


Hallo ihr!
Geil hier. Gemütlich. Großartig.
Kommt doch auch, hier ist noch jede Menge Platz!

Dienstag, 9. Mai 2006

Tag 9 - Entschuldigung

Heute reise ich in ein dunkles Kapitel meiner Gegenwart. In meine Schuld.
Um es gleich vorweg zu nehmen. Ich bin schuld.
Und wenn ich es ausnahmsweise einmal nicht bin, dann fühle ich mich trotzdem schuldig. Sobald jemand einen Satz mit: „Wer hat ...“ beginnt, zeige ich auf. „Ich“, strecke ich die Hand in die Höhe, „ich war es.“

Vor vielen Jahren war ich schuld daran, dass in Afrika Kinder sterben müssen, weil ich meine Suppe nicht aufgegessen hab. Auf diese Weise habe ich schon sehr früh gelernt, globale Zusammenhänge zu erkennen. Aber ich war nicht nur verantwortlich für die Hungersnot, sondern auch für die Kopfschmerzen meiner Handarbeitslehrerin und schuld daran, dass meine Großmutter ganze Nacht kein Auge zugedrückt hat, aus Kummer über mich. Weil ich in der Kirche die Kristallluster bewundert habe, anstatt der Predigt zu lauschen.

Mit den Jahren ist es zum Automatismus geworden. Jemand in meiner Umgebung schaut traurig – tschack – ich fühle mich schuldig.
Ich bin ständig auf der Hut, weil das Gefühl mich begleitet, soeben etwas falsch gemacht zu haben. Ruft mein Chef mich an, was selten vorkommt, beginnt sofort eine Liste meiner Unachtsamkeiten und kleinen Überschreitungen in meinem Arbeitsalltag im Gehirn zu rattern und ich überlege krampfhaft, was ich ausgefressen habe. Ach so, er will zum Dienstjubiläum gratulieren. Noch Stunden später stehe ich unter Stress.
Werde ich mit meinem Wagen von der Polizei aufgehalten, lege ich mir – während ich auf die Bremse steige - Ausreden zurecht. Ich hab vergessen, den Herd abzudrehen und will nicht, dass das Haus abbrennt. Meine Tochter hat eine Tintenpatrone verschluckt und ich muss in die Schule. Oder dringend die Welt retten. Weil meinetwegen die Kinder in Afrika verhungern. Das verstehen Sie doch, oder?
Wie bitte? Ich bin nicht zu schnell, sondern zu langsam gefahren? Entschuldigung.

Meine Schuldgefühle gehören zu mir wie meine Faulheit. Gelegentlich fühle ich mich auch schuldig, faul zu sein. Aber die Schuldgefühle sind weniger anstrengend als der Fleiß. Ich habe gelernt, mit ihnen zu leben. Außerdem haben sie auch eine sehr praktische Funktion.
Ich ersticke langwierige familiäre Diskussionen und die Suche nach dem Schuldigen im Keim. „Ich war’s nicht“, schreien meine Kinder im Chor, wenn aus irgendeiner Richtung „Wer hat eigentlich..?“ ertönt. „Ich“, antworte ich gelassen, murmle „Entschuldigung“ und alle sind zufrieden.

Oft bin ich so sehr damit beschäftigt, mich schuldig zu fühlen, dass ich manchmal völlig übersehe, wenn ich es wirklich bin.
Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund. Dieses Wort heißt Entschuldigung und ist ein Zauberwort. Es fällt mir nicht schwer, um Verzeihung zu bitten. Es sind lächerliche vierzehn Buchstaben und sie wirken Wunder. Man lächelt lieb, senkt den Kopf, haucht leise „Entschuldigung, dass das Wetter so schlecht ist“, und schon kommt die Sonne hervor.
So einfach ist das.

Entschuldigung, dass ich heute so einen Schwachsinn geschrieben habe.
*lächelt lieb und senkt den Kopf*

Montag, 8. Mai 2006

Tag 8 - Die Erkenntnis

Wo bin ich denn hier gelandet?

Ratlos stehe ich inmitten einer nicht enden wollenden Landschaft. Pflanzen, die ich noch nie gesehen habe, grauhaarige Gestalten, die mir die Zunge herausstrecken und Formeln in den Sand malen. Früchte, deren Namen ich nicht kenne, Berge, so hoch, dass sie die Wolken berühren und Leute, die versuchen, sie zu messen und zu wiegen. Dazwischen komplizierte Konstrukte und Brücken. Menschen in weißen Mänteln, die bunte Flüssigkeiten in Phiolen aus Glas schütteln.

Ich schüttle nur den Kopf.

„Du bist in der Welt des Wissens“, sagt eine alte, weise Frau zu mir. (Ich atme erleichtert auf, denn in den Märchen sind die Weisen meist männlich und das kommt mir als Feministin so gar nicht entgegen.)
„Wunderbar“, sagt meine Selbstüberschätzung, „hier fühle ich mich zu Hause.“ Ich schnüre meinen Rucksack auf und beginne damit, das Wissen, das hier so achtlos herumliegt, hineinzustopfen.
Die Frau lacht und dreht meinen Beutel auf den Kopf, so dass alles wieder herausfällt. „Halt!“, sagt sie. "Zuviel Wissen kann belasten, wenn man nicht daran gewöhnt ist. Außerdem musst du es dir erarbeiten. Schau dort drüben, dieses Feld, es gehört dir.“ Erarbeiten? Ich? Bin ich in einem Märchen oder was?
Enttäuscht starre ich auf das Fleckchen Erde, zu dem sie mich begleitet. So groß wie der Schrebergarten meiner Tante, und ein paar verdörrte Pflänzchen wachsen darauf. Löwenzahn, Vergissmeinnicht und Schafgarbe. Hier ist so gar nichts Exotisches.
Ich stolpere und falle in eine Wissenslücke. Und noch einmal. Bald habe ich das Gefühl, ich bestehe ausschließlich aus Wissenslücken.
Ein Rinnsal zieht eine Furche durch meinen Acker der Ahnungslosigkeit. „Das ist der Fluss deiner Fantasie.“
Die Alte macht mich fertig. Meine Fantasie ist ein reißender Strom, keine mickrige Regenlacke. Ich kremple die Ärmel auf. Erst werde ich hier mal ordentlich umgraben, damit etwas wächst. Und rumgrübeln, damit ich wachse. Nachts wenn sie schläft, werde ich einen Tunnel buddeln, durch den Wald der Neugierde. Und auf hohem Niveau wieder das Tageslicht erblicken.
Ich grabe mich durch dicke Bücher und langweilige Gespräche. Das ständige Lernen macht mich schnell müde. Schließlich überrumpelt mich meine Faulheit. Sie zwingt mich in die Knie. Ich rapple mich auf, lehne mich lässig lächelnd an den Baum der Erkenntnis, schließe die Augen und warte. Darauf, dass die reifen Früchte des Lebens und Wissens auch ohne mein Zutun auf mich herabfallen.
Und tatsächlich habe ich eine Erkenntnis. Die, dass der Baum nur ein Apfelbaum und das Ding auf meinem Kopf eine Beule ist.

Noch immer hoffe ich, dass die weise Frau wiederkommt und mir sagt, dass alles nur eine Verwechslung war. Dass der kleine Acker für jemand anderen bestimmt ist und mir die Luftschlösser mit dem Durchblick gehören. Dass ich es nicht mehr weit habe zur Erleuchtung.

Doch die Alte bleibt verschwunden.
Irgendwie war mein kleiner Acker aber auch schön, denke ich, als ich zurückwandere, und die Erde hat fruchtbar ausgeschaut. Ich werde bunte Blumen pflanzen und zwei bescheidene Bäume. Die werde ich fleißig gießen und eine Hängematte von einem zum anderen spannen. Zum Ausruhen.

Guten Abend nach Hause

Zwar weiß ich viel, doch will ich alles wissen.

Scio nescio
B.

Sonntag, 7. Mai 2006

Am 7. Tag

Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt.

Das ist praktisch. Ich werde heute also ruhen. Was auch praktisch ist, ist die Tatsache, dass da zwar die Rede von meinen Kindern und den Hühnern ist (die halten sich aber nicht an den Ruhetag und legen trotzdem ein Ei), von meinem Mann steht da allerdings nichts. Soll er also ruhig arbeiten, während wir uns von der anstrengenden Woche erholen und träge in den Himmel schauen.

Die Faulheit begleitet mich seit vielen Jahren. In Wahrheit sind wir beste Freundinnen, aber das darf man nicht laut sagen, denn in unserer Gesellschaft gilt nur, wer dynamisch, fleißig und ständig unterwegs ist.

Wie bitte? In meiner Faulheit war ich schon am vierten Tag? Na und? Ich habe mich auf meiner Reise verirrt, bin die letzten drei Tage sozusagen im Kreis gegangen und jetzt eben wieder hier gelandet. So etwas kann passieren. Nicht jedem, zugegebenweise, aber mir. Irgendwie find ich es auch ganz gemütlich da.

In Wahrheit würde ich ja gerne etwas tun. Den ultimativen Roman des dritten Jahrtausends beginnen, zum Beispiel, oder wenigstens die Wäsche aufhängen. Aber ich darf nicht. Gott will mich schließlich unbedingt an seiner Ruhe teilhaben lassen, warum auch immer. Morgen schaffe ich dann wieder irgendetwas, ein paar neue Planeten vielleicht oder irgendwelche Todsünden. Möglicherweise male ich auch die Wolken rosarot an.
„Wenn du mit dem Bügeln fertig bist, koch mir bitte ein Spargelrisotto!“, rufe ich meinem Mann zu, „mit grünem Salat. Vergiss das Kernöl nicht. Danach bring den Müll hinaus und putz das Klo.“ Ich beneide ihn, dass er an diesem sonnigen Tag schuften darf, während der Rest unserer Familie sich ausruhen muss.
Sogar der Katze habe ich verboten, heute Mäuse zu fangen. Auch sie soll den siebenten Tag ehren.

In meine Faulheit schleicht sich das schlechte Gewissen. Ist das wirklich gerecht, dass ein Teil der Welt arbeitet, während der andere gar nichts tut?
Ich kann zwar nichts dafür, dass Gott und sein Ghostwriter in der Aufzählung auf meinen Mann vergessen haben, aber ich beschließe, die heutige Karte selbst zu schreiben.

Schönen guten Tag,
Ich schicke liebe Grüße aus der Ruhe. Schon wieder, fragt ihr? Ja.
Man gönnt sich ja sonst nichts auch sonst alles.
Eure Barbara

P.S. Die Erkenntnis des Tages: Ruhen ist schön, wenn man darf, kann aber langweilen, wenn man muss.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

Neu

"Pinguin"
"Pinguin"
bonanzaMARGOT - 11. Mär, 11:11
Sleepless im Weinviertel
Ich liege im Bett. Ich bin müde. Ich lese. Eine Romanbiografie...
testsiegerin - 13. Jan, 11:30
... ich könnte mal wieder...
... ich könnte mal wieder eine brasko-geschichte schreiben.
bonanzaMARGOT - 8. Jan, 07:05
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
loving it :-)
loving it :-)
viennacat - 2. Jan, 00:51
Keine weiße Weste
Weihnachtsgeschichte in 3 Akten 1. „Iss noch was,...
testsiegerin - 16. Dez, 20:31
ignorier das und scroll...
ignorier das und scroll weiter nach unten.
testsiegerin - 27. Okt, 16:22

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