Samstag, 19. April 2014

Sag mir dein schönstes Wort

„Nur eines von euch kann Germans Next Top Word werden und auf das Cover einer deutschen Wochenzeitung kommen“, lächelt Heide den Wörtern zu, die es ins Finale geschafft haben, „nur eines von euch kann den begehrten Werbevertrag mit dem Duden bekommen. Also strengt euch gefälligst an. Geht nach hinten, macht euch schön, und wir sehen uns gleich auf dem Walk.“


„Hallo Du“, begrüßt Heide das schmächtige Wort, das als erstes mit wackligen Beinen über den Catwalk schreitet und am Ende eine unsichere Pose einnimmt, „stell dich doch mal vor.“
„Hallo, ich bin Du“, antwortet das Du kaum hörbar.
Heide lacht. „Nein, du bist nicht Ich, das bin ja schon ich. Du bist noch ein wenig schüchtern, scheint es. Woher kommst du, was sind deine Hobbys, was zeichnet dich aus? Erzähl mal ein bisschen von dir!“
Das Du schüttelt den Kopf. „Ich rede nicht so gerne über mich. Das tun ohnehin alle anderen.“
„Warum glaubst du, dass ausgerechnet du das Zeug zu Germans Next Top Word hast?“
„Wegen des Gedichts von Rose Ausländer. Kennen Sie das?“
Ein paar der anderen Wörter im Backstagebereich, zwei blonde und blauäugige Wörter, beginnen zu tuscheln und zischeln. „Habt ihr gehört? Ein Ausländer! Jetzt mischen die hier auch schon mit! Und ein Gedicht will es aufsagen. Wie peinlich ist das denn? Wir sind ja nicht im Kindergarten.“

„Nein, das Gedicht kenne ich nicht“, sagt Heide und schmunzelt. „Was ist überhaupt so ein Gedicht?“
Das kleine Du stemmt mutig die Hände in die Hüften und rezitiert:

„Wir wohnen
Wort an Wort
Sag mir
dein liebstes
Freund
meines heißt
Du“

„Aha“, sagt Heide, zupft ihre Haare zurecht und betrachtet sich im Spiegel. „Ich muss sagen, du zählst heute zu den Wackelkandidaten. Du hast mich mit dem Gedicht nicht überzeugt.“
Das Du lässt den Kopf hängen und marschiert zurück in den Backstagebereich.

Als nächstes ist das Wort Habseligkeiten dran. Es fühlt sich unter den aufgetakelten, frisierten Wörtern sichtlich unwohl und steht ein wenig abseits. Es fühlt sich gemobbt, dabei wusste es bis vor einer halben Stunde noch gar nicht, was dieses englische Wort bedeutet. Habseligkeiten hat sich nicht freiwillig für den Bewerb angemeldet, sondern wurde von den Lesern einer großen Tageszeitung direkt in die Endrunde gewählt. Als es aufgerufen wird, trappelt es mit Bubikopf und in Riemchenschuhen in Krokodilleder nach vorne.
„Da ist etwas sehr Interessantes in deiner Attitude“, urteilt Heide, „etwas, das dich von deinen Mitbewerberinnen unterscheidet. Wenn du auch keine Schönheit im klassischen Sinn bist. Aber dein Ausdruck ist etwas zu kantig.“
Habseligkeiten schluckt tapfer die Tränen hinunter. „Wie meinen Sie das?“, fragt es und Heide hat keine Antwort, also wiederholt sie das Gesagte. „Nun ja, ich meine, dass dein Ausdruck ein wenig zu kantig ist. Was meint ihr, Jungs?“ Die beiden anderen Jurymitglieder geben ihr Recht. Sie geben Heide immer Recht.
„Auch dein Walk hat etwas sehr Altbackenes“, fährt Heide fort. „Geh doch mal mit der Zeit, die übt bestimmt mit dir. Was hältst du von einem kleinen Umstyling?“
Habseligkeiten hält nichts davon. Es hat Angst zum Plunder, zum Kram zu werden. „Ich möchte meine Seele nicht verlieren“, sagt es zur Jury. „Die Seele ist meine Mitte. Ohne sie bin ich nichts.“
„Wie du meinst.“ Heide verschränkt beleidigt die Arme vor ihrem Körper. „Ihr sollt wissen, wir meinen es hier nur gut mit euch. Wir reißen uns den Arsch auf, damit aus euch etwas wird. Nun, Habseligkeiten, ich habe heute leider kein Foto für dich.“
Habseligkeiten lässt die Schultern hängen, geht nach hinten und packt seine Habseligkeiten. Es verabschiedet sich von den anderen Kandidaten und macht sich auf den Weg. Auf seinen Weg.

„Und wir“, lächelt Heide mit dem gleichen Gesichtsausdruck wie immer in die Kamera, „wir sehen uns nach der Werbung wieder. Vorher noch ein paar Ausschnitte aus dem Casting. Wörter, die es leider nicht in die Show geschafft haben.“
Der Kameramann zoomt auf ein strammes Negerkonglomerat, das seine Hand zum Gruß gestreckt hat. Neben ihm sitzen ein entfesselter Leistungsträger und die Unschuldsvermutung, die gerade frisch vom Friseur kommt. Die Unschuldsvermutung kommt immer frisch vom Frisör. Die drei Unwörter verschaffen sich lauthals Gehör und fühlen sich ungerecht behandelt. „Wir sind anständige und vor allem inländische Wörter, wir sind nur zu schön, zu erfolgreich und zu dynamisch, um hier zu gewinnen.“
„Du bist wirklich sehr süß“, sagt Heide zur Rhabarbermarmelade und grinst. „Aber wir suchen nicht das süßeste Wort, sondern das schönste. Schau dich mal in den Spiegel. Du bist einfach viel zu dick. Zu dicke Beine, zu viel Speck um die Hüften, der Arsch zu fett.“

Die Angesprochene hat es so satt, immer ausgespottet und ausgelacht zu werden. Süße, zähe, rosarote Tränen quellen aus den Augen der Rhabarbermarmelade. Am liebsten würde sie sich mit einer Rhabarberstange das Herz aus dem Leib stechen, so gekränkt ist sie. Aber das ist der Jury egal. Die Show muss weitergehen, auch auf dem Rücken der Kandidaten.
Rhabarbermarmelade, ich würde dir eine Diät empfehlen, vielleicht hast du dann das nächste Mal als Rhabarbermarmelade Light bessere Chancen. Ich habe heute leider kein Foto für dich.“

Zum Glück wird Rhabarbermarmelade hinten von den anderen Wörtern gedrückt und getröstet, obwohl sie an ihr kleben bleiben. „Wir haben dich lieb“, sagen sie, „bleib bitte, wie du bist.“


Das nächste Wort ist ein dunkles Wort mit heller Lautfarbe. Selbstbewusst und kerzengerade schreitet es über den roten Teppich.
„Aber Hallo“, ist Heide beeindruckt. „Du schaust sehr exotisch aus. Wie heißt du und woher kommst du?“
„Ich heiße Palaver und komme aus dem Griechischen über das Lateinische, Portugiesische und Englische. Zu Hause bin ich vorwiegend in Afrika, da gehöre ich zum guten Umgangston. Wo immer Familienzwiste, nachbarrechtliche Fragen, oder andere Streite zu lösen sind, setzen sich die Beteiligten unter dem Vorsitz der Dorfältesten unter den Palaverbaum und reden. Eine Art von direkter Basisdemokratie.“

Die Unwörter im Hintergrund grummeln und pfeifen. „Palavern anstatt zu arbeiten!“, rufen sie, die sich noch nie im Leben die Hände dreckig gemacht haben, „das haben wir schon gern!“


Gleich ist die Liebe an der Reihe. „Wieso braucht dieses Palaver so lang?“, beschwert sie sich und bemalt sich die Lippen rot. Sie strahlt siegessicher. „Ich hab noch jede Castingshow gewonnen“, sagt sie zum Reporter. „Man braucht mich, wissen Sie? Und man liebt mich. Das ist manchmal unerträglich.“
„Setz mal diese dämliche Brille ab“, bittet Heide sie, als sie mit strahlendem Lächeln vor ihr steht, „ich möchte deine Augen sehen. Und mach den Lippenstift weg, er lenkt von deinem eigentlichen Aussehen ab.“
Die Liebe kommt der Bitte nach, presst die roten Lippen in ein Taschentuch und nimmt die Brille ab. Sie fühlt sich nackt und leer.
„Hm, so ungeschminkt und ohne rosarote Brille siehst du irgendwie sehr gewöhnlich aus. So wie ich und Du. Dir fehlt das Unverwechselbare. Du wirkst nicht authentisch, ja, sogar ein wenig be-liebig, wenn du weißt, was ich meine. Du weißt, ich war immer ein Fan von dir. Aber heute könnte es eng werden für dich.“

Als letztes kam ein kleines, unscheinbares Wort auf den Laufsteg. Ungeschminkt, in einem zeitlosen Outfit, mit ernstem Gesichtsausdruck. „Ich will noch nicht gehen“, flüstert sie zu sich selbst, "ich bin noch nicht bereit dafür."

„Guten Abend, liebe Zeit. Warum willst ausgerechnet du Germans Next Top Word werden?“
Die Zeit lässt sich Zeit mit der Antwort. „Ich habe etwas sehr Wandelbares“, sagt die Zeit. Ich kann Winter- Sommer- und Uhrzeit sein. Eiszeit und Neuzeit. Mahlzeit und Auszeit. Als Hochzeit mache ich Menschen glücklich. Vor allem aber habe ich eines. Zeit. Ich bin das, was alle Menschen brauchen. Noch dringender als die Liebe.“
„Danke, liebe Zeit“, sagt Heide. „Wir werden uns jetzt zur Beratung zurückziehen.
Trommelwirbel. Scheinwerferlicht. Auf der Bühne fassen sich die Zeit und die Liebe an der Hand. Das Palaver wurde disqualifziert, weil es kein reines, deutsches Wort war, was vom Negerkonglomerat, dem entfesselten Leistungsträger und der Unschuldsvermutung mit Applaus bedacht wurde.

„Eines von euch Beiden muss uns heute verlassen. Denn ihr wisst ja, nur ein Wort kann Germans Next Top Word werden und auf das Cover einer großen deutschen Wochenzeitung kommen“, lächelt Heide ihr professionelles Lächeln, „nur eines von euch kann den begehrten Werbevertrag mit dem Duden bekommen. Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht, doch nur ein Wort kann Germans Next Top Word werden", wiederholt sie sich.

"Liebe Liebe“, sagt Heide. „du bist es leider nicht. Ich habe heute leider kein Foto für dich.“
„Macht nichts“, sagt die Liebe und umarmt die Jurymitglieder, die Konkurrenten und die ganze Welt. „Danke, dass ich dabei sein durfte. Ich liebe euch alle.“ Mit dem Ärmel wischt sie sich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln und gratuliert der Zeit zu ihrem verdienten Sieg.

Die strahlt stolz und freut sich wie verrückt. Noch mehr als über den Sieg freut sie sich darüber, dass sie Woche für Woche das Cover einer großen, deutschen Wochenzeitschrift ziert.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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