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Montag, 25. Mai 2015

Kurkolumne, die Dritte

Halbzeit ist es auf meiner Forschungsreise in fremde Welten, wilde Riten und exotische Sitten. Ich habe viel erlebt, bin in bedrohliche Dickichte eingedrungen (Gerry aus Kärnten, Fremdenhass), habe mit Schweinehunden gekämpft und mich neuen Herausforderungen (unter anderem dem Überraschungsei) gestellt.

Ich muss euch sagen: Hier geschehen schreckliche Dinge.
Das Schrecklichste zuerst. Setzt euch bitte hin und seid jetzt ganz stark. Ich wollte es euren Nerven zuerst nicht zumuten, aber nachdem ich bereits besorgte Anrufe bekommen haben, was denn nun mit Heike passiert ist, sage ich euch die Wahrheit. Wie ich gestern von Meister Toni erfahren habe, kommt Heike nicht mehr. Sie hat ihren Traumjob hier in der Kuranstalt aufgegeben und einen neuen Lebensabschnitt begonnen. Eine Ausbildung möchte sie machen. Als wäre sie nicht ohnehin schon nahe der Perfektion. Heike, ach Heike! Ich versteh das ja, Bildung ist ein wichtiges Gut für die Jugend, aber hättest du damit nicht noch zwei Wochen warten können?
Wahrscheinlich bewirbt sie sich für Kärntens Next Topmodel und stolziert demnächst über den Laufsteg. Da ist Lächeln nicht nur nicht gefragt, sondern verboten. Ich werde für dich anrufen, Heike, ich verspreche es. Damit du ein Foto bekommst und am Ende nicht mit 0 Punkten dastehst, wie Österreich.
Damit nicht genug.

Ich war heute im Rahmen der kurärztlichen Zwischenuntersuchung das zweite Mal in den letzten drei Jahren (das erste Mal war bei Kurantritt) mit einer Menschenwaage konfrontiert. Sonst habe ich mit Waagen nur beim Kuchenbacken zu tun und halt mit meiner Tochter und einem lieben Freund.
Mit Menschenwaagen geht’s mir wie mit meinem Konto, da schau ich einfach nicht hin, weil das Wissen um eine unpersönliche und vermeintlich objektive Zahl nichts an der Realität ändert, einem aber mitunter ein grausliches Gefühl vermittelt, einerseits, weil es zu wenig, andererseits, weil es zu viel ist. Manche sagen, ich bin Verdrängungsexpertin, aber ich glaub nicht, dass es sich dabei um die klassische Verdrängung handelt, weil ich diese Sachverhalte ja nicht von der bewussten Wahrnehmung ausschließe, sondern mich ganz bewusst nicht damit konfrontiere.

Weil eine Kur, wie wir mittlerweile aber wissen, kein Urlaub ist, und man eine schwerwiegenden Entscheidungen wie das Betreten einer Waage nicht alleine treffen darf, bin ich eben hinaufgeklettert.
Die Kurärztin strahlte mich an (ich weiß nicht, warum sie sich darüber freute, denn sie kann definitiv nichts dafür). Zwei Kilo. Weniger. Ich gestehe, es ist mir einfach so passiert, ich verspreche, ich habe das nicht geplant. Ich hab nicht gehungert und keine Diät gehalten, ich hab mich nur viel bewegt und am Abend keinen Benzin (keine Sorge, das ist nur eine Metapher für Kohlehydrate) getrunken und vor dem Fernseher Nüsse statt Trockenfrüchte genascht, die enthalten zwar Kalorien, aber keine Glukose. Und wenn ich ganz ehrlich bin, freu ich mich ein bisschen, vielleicht, weil es einfach so passiert ist und ich nicht mal auf das köstliche Dessert (Buttermilch mit Zimt) verzichtet habe. Zum Glück ist der Rock, den ich letztens gekauft habe, ein Wickelrock und passt mir trotz des massiven Gewichtsverlustes noch.
Dann gibt es hier noch eine Supersensationswaage, die kann fast alles. Vor allem kann sie das diabolische Alter ausrechnen. Laura, die hübsche, schlanke Jungkurgästin, die in Wahrheit 30 ist, ist auf der diabolischen Waage satte 40 und geht seitdem auf die Midlifekrise zu. Da man mich ausnahmsweise frei entscheiden lässt, ob mir die Wahrheit zumutbar ist, habe ich beschlossen, mich da nicht draufzustellen. Ich muss mein Hochgefühl nicht gleich wieder von einer blöden Waage kaputttrampeln lassen.

Der aktuelle Stand bezüglich der Kältekammer ist der: Ich weiß, ihr wartet jetzt alle auf den Bericht und Vorher-Nachher-Fotos aus der Kältekammer. Die Sache ist aber die: Wenn ich die Kältekammer besuche und noch mehr an Gewicht verliere, kann ich den Wickelrock zweimal um den Körper wickeln und ich weiß nicht, ob das dann noch hübsch aussieht. Außerdem hab ich mir gestern überlegt, dass ich mir, wenn ich die Kältekammer viermal nicht besuche, 80 Euro spare. Ich rechne viel hier auf der Kur. Weil ich nicht gewusst habe, wohin mit dem Ersparten, hab ich mir schöne Strumpfhosen bestellt. Weil ich mit denen vielleicht doch schöner anzuschauen bin als ich im Badeanzug mit Bergschuhen mit Eiszapfen an den Nasenlöchern und Erfrierungen an den Ohren.

Und dann ist da noch etwas, über das ich seit einer Woche nachdenke. Über Winston Churchill. Also nicht über Winston Churchill an sich, sondern über sein Zitat auf dem wöchentlichen Kurnewsletter: „Die Kunst ist, ein Mal mehr aufzustehen, als man umgeworfen wird.“
Wie soll das gehen? Reicht es nicht, genauso oft aufzustehen, wie man umgeworfen wird? Vielleicht meint er ja damit, dass es eine Kunst ist, aus dem Stehen aufzustehen. Aber warum sollte man das überhaupt versuchen? Wir werden es nie erfahren, genauso, wie wir nie erfahren werden, ob Heike in ihrem neuen Job als Topmodel glücklich wird.
Heute ist Sonntag. Frühstückseitag. Schwefel- und aufzugsfrei. Fast ein bisschen wie Urlaub. Aber das sag ich nicht laut, wenn ich Herrn Direktor Schnösel über den Weg laufe.

*
Hier war gestern Pfingsten. Nur einen Tag lang, weil an einem Feiertag normaler Kurbetrieb herrscht. Wir-sind-ja-schließlich...
Und weil Pfingsten ist, kommen viele Angehörigen angereist, mit Koffern und Blumen und Salamistangen. Bei den Begrüßungsszenen hat man den Eindruck, es handelt sich um Familienzusammenführungen nach vielen Jahren der Trennung. Ich suche nach der versteckten Kamera.
Hallo?, möchte ich schreien, entspannt euch, es sind nur drei Wochen! Außerdem sind wir hier nicht auf einer siebenjährigen Expedition in Alaska, sondern auf Kur. Wir bekommen auch genug zu essen. Ich hab in meiner Kolumne nur übertrieben!

Die Frauen ziehen sich ihr Sonntagsdirndl und die Männer ihr Trachtenjackerl an, die Omas zeigen stolz ihre Enkelkinder und die Männer und Frauen mehr oder weniger stolz ihre Ehegatten. Wenn eine arme Frau ohne Besuch, also so eine wie ich, in der Nähe ist, fassen die Frauen ihre Ehegatten demonstrativ um die Mitte, um zu signalisieren: Finger weg. Der gehört mir. Sie sagen auch Dinge wie „der Meinige“ oder „mein Schatz“, um die Besitzverhältnisse ein für allemal klarzustellen.

Kurgast Laura, die diabolische 40jährige, die erst 30 ist und die vor ein paar Tagen in die türkisblauen Augen von Kurgast Wolfgang gefallen ist, freut sich nicht, dass ihr Freund kommt. Er kommt trotzdem. Gewissenhaft spult sie das Pflichtprogramm herunter, lächelt ein bisschen gekünstelt und stellt uns „den Meinigen“, also den Ihrigen vor. Ihre Augen glänzen nicht annährend so strahlend, wie wenn sie über Wolfgang erzählt. „Ich hab überhaupt keine Lust, mit ihm zu schlafen“, vertraut sie uns an.
„Sag ihm, du hast morgen um 5 Uhr 30 Beckenbodengymnastik und darfst vorher 24 Stunden lang keinen Sex haben“, flüstere ich ihr ins Ohr, als ihr Freund aufs Klo geht.

Zu mir kommt niemand. Meine Tochter sitzt auf einer sonnigen Wiese in Dänemark, mein Sohn auf dem Traktor und mein Mann mit Headset am Computer, wo er Planeten erobert, mit Rohstoffen handelt und damit Raumschiffe baut und Allianzen bildet. Die Vorstellung, dass er hier überraschend mit Blumen auftaucht, löst einen Lachanfall bei mir aus. Der Kurbetrieb wäre für ihn außerirdischer als wenn seine Flotte von Klingonen angegriffen würde. Er würde auch nicht höflich wie ich feststellen, dass Helene Fischer nicht seine bevorzugte Musikrichtung ist, sondern es auf den Punkt bringen: „Wos is’n des für a Schaas?“

Weil sich angesichts der herzergreifenden Wiedersehensfreude Tränen der Rührung in meine Augenwinkel schleichen und sich auch in meinem Herzen kurz so etwas wie Sehnsucht nach meiner Familie breit macht, rufe ich meinen Mann an.
„Vermisst du mich schon?“, frage ich.
„Nein, warum, ich weiß ja eh, wo du bist“, sagt er.
„Und, wie geht’s so im Männerhaushalt?“, frage ich, nachdem ich Schauergeschichten gehört habe über Männer, die die Lieblingswollweste in die Kochwäsche getan und bei der Mikrowelle den Einschaltknopf nicht gefunden haben. Na gut, wir haben keine Mikrowelle, aber trotzdem.
„Super“, sagt er, „ich koch, was uns schmeckt, keiner macht einen Saustall und niemand sägt und schleift um Mitternacht.“
Ich weiß, es ist seine Art, mir zu sagen, dass ich ihm fehle und er mich liebt.

Die Familienzusammengeführten lassen den Mittagstisch ausfallen und gehen mit ihren Angehörigen in die umliegenden Gasthäuser und schlagen sich mit Schnitzeln den Bauch voll, als hätten sie nie etwas von einer metropolischen Waage gehört. Zwei Stunden später, als sich der Fettverbrennungsstaubsager endlich in Bewegung setzen will, tanken sie mit Sachertorte nach.

Beim Abschied spielen sich ähnlich ergreifende Szenen wie am Flughafen von Casablanca zwischen Rick und Elsa ab, nur dass Brigitte Pospischil nicht wie Ingrid Bergmann und ihr Mann Helmut nicht wie Humphrey Bogart aussieht. „Was ist mit uns?“, sagt Brigitte-Elsa mit Augenaufschlag und Helmut-Rick antwortet: „We will always have Eisenstadt.“

Am Abend stochern die Kurgäste in ihren Erinnerungen und im Salat herum und erzählen von dem wunderschönen Tag und dem Besuch der heiligen Messe, die großartig war, mit Predigt und Chor und Musik und überhaupt.
„Was denn für eine Messe?“, heuchle ich höfliches Interesse.
„Die lateinische.“
„Und du hast die Predigt auf Latein verstanden?“ Vielleicht habe ich die Menschen hier unterschätzt.
„Sie war ja auf Deutsch.“
Da soll sich einer auskennen. „Und was wurde so gesungen?“
„Unter anderem Gloria und Hallelujah.“
„Gloria von Patti Smith oder das Original von Van Morrison? Also das Hallelujah mag ich ja in der Fassung von K.D. Lang am liebsten.“

Als auch die letzten Gäste der Kurgäste weg sind, kehrt wieder Kuralltag ein. Man trinkt wahlweise Kräutertee oder die gefährliche Buttermilch, tauscht sich über Beschwerden aus und überprüft die morgigen Termine auf der Kurkarte. Lauras Augen glänzen wieder, als sie unter Wolfgangs Bettdecke kriecht.

Ich schreibe eine SMS an meinen Mann. „Ich glaub, ich bin auch auf einem fremden Planten gelandet.“

Samstag, 23. Mai 2015

Kurkolumne die Zweite

Heike war auch heute nicht da. Hoffentlich ist ihr nichts passiert, jetzt, wo ich mich in den Hauch eines Lächelns von ihr verliebt habe. Man hört ja so viel, was Menschen alles passieren kann. Vom Blitz erschlagen, vom Freund getötet, vom Zug überfahren, in den Keller gesperrt, von Außerirdischen entführt... „Wahrscheinlich von einem Ausländer“, sagt Kurt, dem ich meine Befürchtungen anvertraue, „die stehen auf schöne, blonde Frauen. Haben die ja zu Hause nicht.“
„Ein außerirdischer Ausländer?“, ich rolle die Augen und verabschiede mich zur Beckenbodengymnastik.

Ich habe meinen Beckenboden um halb acht Uhr früh schon auf spannendere Weise trainiert. Aber bitte. Wir-sind-ja-hier-nicht-auf-Urlaub und noch hat sich kein Kurschatten auf mein Bett und auf mich geworfen.

„Wir stellen uns jetzt vor, dass wir da ein Ei drin haben“, sagt Katrin. Da drin. Sie könnte auch Möse, Muschi, Vagina oder Fotze sagen, aber sie entscheidet sich für „da drin“. Wenigstens sagt sie nicht Yoni.
„Eins? 400 Eier“, schäte ich.
„Nicht so ein Ei“, sagt Katrin nachsichtig. „Ein richtiges Ei.“

Dass die Menschen sich nicht präzise ausdrücken können. Ein Ei ist doch nicht ein Ei ist doch nicht ein Ei. Es ist ein Unterschied, ob ich ein Wachtelei, ein Hühnerei oder ein Straußenei in meiner Möse habe.
„Und wir stellen uns weiter vor, dass wir dieses Ei mit dem Lift in den ersten Stock schicken. Dort bleiben wir eine Weile, halten die Türe fest geschlossen, bis wir langsam loslassen und wieder nach unten fahren.“
Ich mag die Fahrstuhlmetapher und bemühe mich redlich, aber ich krieg die unterschiedlichen Eier nicht aus dem Kopf. Ein Überraschungsei, bei dem ich die Muskeln ganz vorsichtig anspannen muss, damit ich die Schokolade nicht zerbreche und dann für den Rest meines Lebens einen Schlumpf in der Gebärmutter habe? Oder ein Schiff? Und niemand drin, der das zusammenbaut?
Weil ich ein guter, gewissenhafter Kurgast bin, der seine Aufgabe ernst nimmt und die Übungen gewissenhaft ausführt, drücke ich auf die 13 und schicke mein Ei in das Dachgeschoss. Ich frage mich, ob es einen Eierfetisch gibt. Menschen, die nur Sex haben können, wenn sie sich Eier in ihre Körperöffnungen schieben. Aber schnell verdränge ich den Gedanken wieder und lasse mein Ei in den Keller sausen.

Ich sehne mich nach einem Frühstücksfreilandhühnerei. Aber die gibt es nur am Wochenende. Wir-sind-ja-hier-nicht-auf-Urlaub.

Weil Heike auch heute nicht da ist, obwohl sie auf dem Plan steht, leitet Katrin, die sonst für das Trockentraining zuständig ist, auch die Unterwassergymnastik o.E.Gr. an. Ich sag euch, ich hab Glück, dass ich das überlebt habe und sehne mich nach der strengen Heike. Denn Katrin lächelt zwar lieb, aber als ich erst in die Grätsche gehe und sie uns – als mir das Wasser längst bis zum Hals steht – auffordert, in die Hocke zu gehen, hab ich Angst zu ertrinken und verweigere. Hoffentlich verweist man mich deshalb nicht der Kur.

Gleich werde ich mich wohlig im nach faulen Eiern duftenden Schwefelbad suhlen und vom morgigen Frühstücksei träumen.
Drückt bitte die Daumen, dass Heike nichts passiert ist. Es ist hier alles sehr KURios.

*

Oh, ein Kurkonzert, denke ich erfreut. Endlich Kurkultur. Kur und Kultur haben ja viel gemeinsam, nämlich drei Buchstaben. Ich ziehe meinen schönsten Rock und die Strumpfhose mit den Violinschlüsseln an und stelle mich geistig auf Kammermusik ein, auf Bachs Sonate für Gambe und Cembalo oder das Allegro di Molto aus Mozarts Divertimento in B-Dur Köchelverzeichnis 137.
Und dann kommt Gerry aus Kärnten. Er kommt mit dem Keyboard und einem riesigen Lautsprecher und ertränkt meine Erwartungen in Schwefelwasser. Gerry aus Kärnten beginnt mit einem typischen Kurlied.

Ich massierte Ihr den Rücken ein, da fiel ein Tropfen auf ihr Bein,
Mein Herz schlug laut man konnte es fast hör'n,
Da nahm Sie einfach meine Hände und legte sie auf ihre Schenkel,
und sagte nur keine falsche Scham


Natürlich fehlt auch „Ich hab dich tausendmal betrogen“ nicht in Gerry aus Kärntens Repertoire, und die meisten Kurgäste bewegen andächtig ihre Lippen, manche auch ihre Körper mit. Sie schauen sehr glücklich aus. Ich fühle mich auch tausendmal betrogen. Aber-ich-bin-ja-schließlich-nicht-auf-Urlaub und außerdem brauch ich Stoff für die treuen LeserInnen meiner Kurkolumne und bleibe zu Recherchezwecken da.

Ein Stern, der deinen Namen trägt. Hä? Ein Stern namens Testsiegerin?
Ich schließe meine Augen, lösche jedes Tabu. Atemlos einfach raus.

Hin und wieder, wenn Gerry aus Kärnten atemlos wird, erzählt er einen schlechten frauenfeindlichen Witz und die Leute lachen. Und weiter geht’s.
Ich lieg' gern im Gras und schau' zum Himmel rauf,
schaun die ganzen Wolken nicht lustig aus?


Wahnsinnig lustig. Vor allem tät ich im Gras grad ziemlich nass werden. Erwachsene Menschen, die untertags vorwiegend Buttermilch trinken, verlieren angesichts dieser poetischen Worte jegliche Hemmungen und lassen sich zu Flieg- und Schwimmbewegungen auf der Tanzfläche hinreißen. Heut ist so ein schöner Tag! Lalalalala. Ich beschließe, die Buttermilch von meiner Speisekarte zu streichen.

Laura, eine 30jährige liebenswerte Frau neben mir, eine der Jüngsten hier (sie hat es mit den Bandscheiben) applaudiert frenetisch. Das ist ja auch das einzige, was man frenetisch machen kann. „G’fallt dir die Musik nicht?“, fragt sie mich enttäuscht, weil ich mich nicht mal zu einem höflichen, angedeuteten Klatschen hinreißen lasse.
„Geht so“, sage ich, um sie nicht zu verletzen. Laura hat es ohnehin schwer. Ihr Freund trinkt zu viel Bier und lässt sich von ihr bedienen, und sie würde ihn gern verlassen, aber da ist ein 150.000 Euro Kredit und sie liebt zwar ihren Freund nicht mehr, aber das Haus, das sie liebevoll „die Keusch’n“ nennt, schon. Man muss Prioritäten setzen.

*

„Na“, sagt Meister Toni, der Masseur, als ich ihm von den Schmerzen im Lendenbereich erzähle, „host gestern zvü tonzt, Madale?“
„Ähm“, stottere ich, denn ich will niemanden, von dem ich mittlerweile weiß, dass er als Apres- & Schilehrer und DJ gearbeitet hat, vor den Kopf stoßen, indem ich sage, dass diese Musik bei mir heftige Blähungen und Durchfall verursacht.
„Ist nicht so ganz meine Musik“, sage ich diplomatisch, während er seine Hände in mein Fleisch bohrt.
Ich massierte Ihr den Rücken ein, da fiel ein Tropfen auf ihr Bein...
Verdammt, diese Musik hat sich in meinem Gehirn festgeklebt.
„Wos hearst’n du gern, Madale?“, fragt er.
Ja, was eigentlich? Richtige Musik halt. Keine, in der Gefühle, obwohl sie eigentlich Schweigepflicht haben, Schwachsinn schwafeln. Ich mag so viel, Eartha Kitt und Patti Smith und Axel Prahl und 5/8 in Ehr’n und Leonard Cohen und Konstantin Wecker und Element of Crime und die Knef und Georg Danzer und Rickie Lee Jones und Bach und Telemann und sogar den Herrgott aus Stan. Aber nicht dieses Gedudel.
„Soup Shop und The Nose“, sage ich.
„Ah, olso gonz wos ondares“, sagt Meister Toni und konzentriert sich wieder auf meine Muskeln.

*

Ich hab immer noch keine innere Klarheit bezüglich der Kältekammer. Wegen der Kalorien wär’s. Ich stell mir das nämlich schon schön vor, mit Berg- und Handschuhen, Stirnband und Badeanzug zunächst 30 Sekunden bei lächerlichen minus 60 Grad und dann 3 Minuten (so lange dauert Atemlos von Helene Fischer) bei 110 Grad im Kreis zu spazieren. Schlimmere drei Minuten als gestern dieses Lied von Gerry aus Kärnten gesungen kann das auch nicht sein. Und dann.... tamtaramtataaa! 1000 Kalorien. Ein Schweinsbraten mit Knöderl und Kraut, plus Sachertorte.
Damit es sich aber wirklich auszahlt, bleib ich länger drin. 50 Minuten, hab ich mir vorgestellt. Das wären 16.666 periodisch Kalorien. In mein Hirn schleichen sich Bilder von Bananensplit, Mohr im Hemd, Schnitzerl, Grammelknödel und vielen Frühstückseiern.
Ich glaub, darüber denk ich heute noch nach.

Freitag, 22. Mai 2015

Kurkolumne

Seit einer Woche kure ich jetzt. Und will euch meine Kurkolumne nicht vorenthalten.


Erstes Fazit nach dem zweiten Tag: Kurgäste sind keine besseren Menschen. Gestern Abend an der Kurbar: Der Wein (man kann entscheiden zwischen Veltliner und Zweigelt) schmeckt nach Schwefel. Die Gespräche am Nebentisch schmecken nach Bitterkeit. Es geht um Asylwerber, und eigentlich will ich weghören, aber der Nebentisch ist zu nah und der Wein nicht stark genug. Also schreibe ich mit.
„Die wissen ja nicht, was arbeiten heißt. Die lehnen ja nur umeinander bei ihnen zu Haus.“ Woher glauben die das eigentlich zu wissen?
„Wenn’s wenigstens nach 6 Monaten wieder gehen würden, aber die merken ja, dass es sich da gut leben lässt!“
Wohin sollen sie denn gehen, denke ich. Zurück in den Krieg?
Ich habe Lust, den Menschen neben mir den Rest meines geschwefelten Veltliners ins Gesicht zu schütten, aber wahrscheinlich verweist man mich dann der Kur und eigentlich ist es ja wunderschön hier. Ich werfe also nicht mein Glas, sondern lediglich böse Blicke. Du bist feig, denke ich und schäme mich für meine mangelnde Zivilcourage.
In der ZIB 2 sehe ich, dass Zeltlager aufgebaut werden und fühle mich von Michael Landau verstanden, der sagt, dass das beschämend ist für eines der reichsten Länder der Welt. Dass es nicht sein kann, dass es mit ein bisschen gutem Willen keine Alternativen gibt.

Beim Frühstück am Nebentisch (andere Kurgäste): „Die sind mit den Zelten nicht zufrieden. Sollen sie halt wieder nach Hause gehen.“
Das sagen Menschen, die satt und zufrieden in einem Kurhotel sitzen, sich auf Kosten der Pensionsversicherungsanstalt ihre Körper, aber nicht ihre Herzen massieren lassen, die ein Dach über dem Kopf haben und deren Existenz gesichert ist. Die das Gefühl nicht kennen, wie es sein muss, wenn man sein Leben riskiert im Mittelmeer, in der Hoffnung auf ein Überleben. Ich kenne das Gefühl auch nicht, aber ich bin dankbar dafür und neide den Flüchtlingen Unterkünfte aus Ziegeln nicht.
„Ich halte den Schmarrn, den Sie reden, nicht mehr aus!“, möchte ich schreien, aber wieder schreie ich nicht. Ich könnte argumentieren, aber meine Argumente würden verwehen wie Pusteblumen. "Naive Gutmenschin", würden sie sagen, oder zumindest denken und das Gefühl haben, im Recht zu sein. So, wie ich auch.
Also stehe ich einfach auf, werfe ein paar meiner restlichen bösen Blicke und gehe.

*

Eigentlich bin ja mehr so der L.S.A. Mensch. Nein, das steht nicht für Latente Systematische Analyse, sondern für die Dinge, die mein Leben ausmachen. Lesen, Liebe, Lachen, Lust, Lippenstift, Spiel, Strumpfhosen, Silberschmieden, Schreiben, Sinnlichkeit, Arbeit, Anerkennung, Auftritt, Applaus...
Jetzt aber bin ich auf Kur und mutiere zum K-Menschen. K wie Kältekammer, die ich strikt meide. Ich hab lieber 30 Grad plus als 110 Grad minus. Kur steht auch für K wie Krankheiten. Ich habe in den letzten Tagen viele über Krankheiten wie Kopfgneis, kryoglobulinämische Vaskulitis und das Kawasaki-Syndrom erfahren. Über nichts redet ein Mensch auf Kur offensichtlich lieber als über seine Wehwehchen. (außer vielleicht über unglückliche zwischenmenschliche Kontakte).
Bei Kurantritt musste ich – wie in Österreich üblich - ein Formular ausfüllen. Vorerkrankungen, Allergien, Beschwerden, Ziele. "Spaß haben, Schreiben, zur Ruhe kommen, die Langeweile genießen, mich bewegen, nur für mich selbst verantwortlich zu sein, mich nicht über Kolleginnen ärgern" hab ich hingeschrieben. Und schließlich dazugekritzelt "Knorpelverletzung am Knie – Beschwerden lindern" - wegen der K's)
Ganz sicher nicht angekreuzt hab ich Körperfettreduktion oder mich kasteien.
Auf der Menükarte ist trotzdem hinter jeder der Speisen die Kalorienzahl angeführt. Ich ertappe mich dabei, dass ich ohne es zu wollen, das 470 Kalorien Menü (Couscous mit Gemüse) auswähle anstatt des 520 Kalorien Menüs (Rotbarsch mit Braterdäpfeln). Auch bei der Salatbar schleudert man mir entgegen, dass die Kernölmarinade, an der vielleicht vor vielen Jahren ein Kürbiskern vorbeigeschwommen ist, 45 Kalorien hat, das hochkalorische Joghurtdressing dagegen stolze 110 auf die Waage bringt.
Ich verdränge den Gedanken daran, wie viele Kalorien das steirische Kernöl hat, welches ich zu Hause reichlich und unverdünnt über den Vogerlsalat gieße.
Ich beschließe, Kur-Amok zu laufen. Morgen, zwischen Moorpackung und Unterwassergymnastik o.E. Gr. (mittlerweile weiß ich, dass das nicht die Abkürzung für „ohne Einschränkung der Grundbedürfnisse steht, sondern für obere Extremitäten – Gruppe), also morgen zwischen den Anwendungen werde ich einen dicken schwarzen Edding kaufen und die Kalorien von der Menükarte und mein schlechtes Gewissen einfach durchstreichen.

*

„Ich bin seit 10 Jahren geschieden“, erzählt die Frau auf der Liege neben mir.
„Aha.“
„Ja, er hat sich eine andere gefunden.“
„Oh je.“
„Er hat gesagt, wenn sich heut nix abspielt im Bett, sucht er sich eine andere. Und es hat sich nichts abgespielt.“
„Arschloch.“
„Jetzt hab ich einen Freund, der ist schon 70, da spielt sich auch nix ab im Bett, der ist jetzt mit seiner Exfreundin auf Urlaub. Das ist so eine Kränkung für mich.“
„Ja, versteh ich.“
Scheiß berufliches Verständnis. Es ist, als wäre auf meiner Stirn „Beziehungscoach“ geschrieben.
„Was meinst du? Soll ich auch mit einem Kollegen auf Urlaub fahren? Was er kann, kann ich doch auch, oder?“
„Wenn du mit dem Kollegen gern auf Urlaub fährst, ja, wenn es nur um Rache geht, nein. Da schneidest du dir vermutlich ins eigene Fleisch.“
„Meinst du?“
„Ja.“
„Na ja, vielleicht such ich mir dann einen fürs Bett. Da muss ich doch nicht drauf verzichten, oder?“
„Gute Idee.“ Ich erteile ihr die Absolution und mein Vorrat an Gutsein ist für heute aufgebraucht.

*

Eine Kur ist kein Urlaub, wie uns der Geschäftsführer am ersten Tag mitgeteilt hat. Auch, wenn sie sich ein bisschen so anfühlt. Aber just in dem Moment, wo man sich den Urlaubsgefühlen hingibt, werden sie sofort wieder zerschlagen. Als ich beim Frühstück nach einem weichen Ei frage, werde ich angesehen, als hätte ich in einem veganen Restaurant eine Stelze bestellt. Als ich vorhin an der Rezeption um ein, nein zwei Blätter Papier und einen Stift gebeten habe, um meine Gedanken zu Papier zu bringen, erntete ich einen verständnislosen Blick aus der Das-ist-kein-Urlaub-sondern-eine-Kur-Kategorie.
Also kapituliere ich, trinke Kräutertee, halte die Klappe und schreibe an der Kurkolumne.

(Liebe Damen und Herren von der Pensionsversicherungsanstalt:
Für meine Kolumne habe ich das Stilmittel der Übertreibung und Überspitzung gewählt. Es geht mir wunderbar und ich genieße den zum Großteil von Ihnen oder besser gesagt meinen Pensionsversicherungsbeiträgen finanzierten Url... pardon... Kur. Danke!)


*

Was das Glücklichsein betrifft, ist es egal, ob man Anwältin ist oder Putzfrau oder ob man Leichen wäscht, sagt Annabella, die Bestatterin, sinngemäß in „Und wartet“. Man kann nämlich jede Arbeit mit Freude oder lustlos machen. Es ist immer die eigene Entscheidung, ob man mit angefressenem Gesicht oder einem strahlenden Lächeln arbeitet. Das bestätigt sich auch hier, in der Kuranstalt. Der Beruf KurtherapeutIn liegt vermutlich irgendwo zwischen Leichenwäscher und Putzfrau.
Toni zum Beispiel, der Masseur und der Mann an den Geräten - Ultraschall, Mikrowelle, Tens (Transkutane elektrische Nervenstimulation, das wusste ich bis heute auch nicht), ist so eine Art männliche Annabella. Lacht laut, hat für jeden ein freundliches Wort übrig und scheint die Menschen und sein Leben zu mögen. "Meister Toni" nennen ihn die Kurgäste liebevoll, vielleicht, weil er so viel Ruhe ausstrahlt. Ich stelle jetzt keinen Zusammenhang damit her, dass Toni so aussieht, als würde er die Kalorien auf der Menükarte ebefalls streichen und gern das eine oder andere hochkalorische Bier zu sich nehmen.
Und dann ist da Heike (die Namen sind von der Kurkolumnistin selbstverständlich geändert, Heike könnte auch Birte oder Frauke heißen). Heike lächelt nie. Vielleicht hat ihr Freund sie verlassen, trotz ihrer Modelmaße, oder sie hat ein schlechtes Gewissen, weil sie sich heute früh versehentlich Butter statt Becel aufs Brötchen geschmiert hat. Ich weiß es nicht, es geht mich auch nichts an. Vielleicht darf man Freundlichkeit auf Kosten der Pensionsversicherung nicht erwarten, wir-sind-hier-schließlich-nicht-auf-Urlaub. Mein Mann ist ja der Meinung, dass Freundlichkeit völlig überschätzt wird. Wenn ihn die Fleischerin nach dem Befinden fragt, sagt er: „Wenn i quatschen wü, geh i zum Friseur, ned zum Fleischhauer. A Wurstsemmerl bitte.“ Mein Mann war vor 25 Jahren das letzte Mal beim Friseur, am Tag vor unserer Hochzeit.

Zurück zur Kuranstalt. Heike steht am Beckenrand, die Mundwinkel nach unten gezogen und gibt Kommandos. „Wir geben den Ball um den Körper herum im Kreis“, sagt sie. Und dann sagt sie ein paar Minuten nichts. Motivation geht anders, das kenn ich aus dem Fitnessstudio, wo die Trainer wahrscheinlich nicht viel mehr verdienen als hier. Das Geld kann es also nicht sein.
„Wir laufen jetzt im Kreis“. Einer der Kurgäste, nennen wir ihn Herbert, hat nur ein Bein. Er schaut ob der Ansage ein wenig verständnislos und humpelt tapfer im Kreis herum. Als er aber mit dem Ball unter Wasser eine Acht machen soll, indem er den Ball erst unter das eine, dann mit der anderen Hand unter das andere Knie durchschiebt, lacht er laut auf. Ich weiß nicht, wo er sich den Ball hinschiebt. Ich weiß aber, dass Heike das nicht lustig findet. Sie tut mir leid, sie findet vermutlich ihr ganzes Leben nicht so lustig. Heike könnte meine Tochter sein, aber ich hab schon eine Tochter, eine die Humor und Herz und Hirn hat und die würde ich niemals eintauschen, schon gar nicht gegen so eine griesgrämige Heike.

Am liebsten würde ich sie an den Schultern rütteln und sagen: „Mensch, Mädel, so lach doch ein bisschen. Die Sonne scheint, das Essen schmeckt, du hast zwei Beine und keine Knieprobleme.“
Als einer der Männer den Ball zurück in die Kiste werfen will und daneben trifft, wird Heike streng. „Einmal noch“, warnt sie, „und Sie haben hier das letzte Mal mitgemacht.“ Die anderen unterdrücken ihr Lachen.

Wie gesagt, es ist immer unsere eigene Entscheidung, ob wir einen Job gern tun oder nicht. Zumindest meistens. Ich schreibe diese Kurkolumne sehr, sehr gerne. Und jetzt muss ich zum Elektriker.

*

Die wichtigste Nachricht zum Tag. Heike hatte heute Nacht Sex. Glaub ich. Ich freu mich für sie. Vielleicht hat sie auch einen Anschiss vom Anstaltsleiter bekommen, was mich nicht für sie freuen würde. Auf jeden Fall hat Heike heute gelächelt, während sie den Hampelmann vorgezeigt hat. Kaum sichtbar, sie hat ganz leicht die Mundwinkel nach oben gezogen, aber ich hab’s gemerkt.
*
Ah ja. Kurt, der an meinem Tisch sitzt, kann sprechen. Es wäre aber für die Menschheit besser, er könnte es nicht. Er hat einen Freund, erzählt er, der kennt jemanden, der war auf Kur und da haben sie einen Türken rausgeschmissen, weil er Frauen belästigt hat. Die hätten sich ja gar nicht getraut, sich über ihn zu beschweren, weil man ihnen sonst gleich Ausländerfeindlichkeit unterstellt. Als Inländer zähle man ja nichts mehr. „Ich wurde schon öfter von Inländern als Ausländern belästigt“, sage ich und falte meine Serviette zusammen. „Ich hab ja nix gegen Ausländer“, sagt Gerti, die ich bis dahin recht nett fand. Den Rest höre ich nicht mehr.

*
Ich bin ja ein neugieriger Mensch und will wissen, was hier mit mir passiert. Also abgesehen von der Tatsache, dass die Entspannung jeden Tag ein bisschen mehr wird, ich nichts muss, sondern höchstens darf und will. Ich will auch gern wissen, was bei den Anwendungen mit meinem Körper passiert. Beim Schwefelbad, beim Ultraschall, bei der Druckkreiselmassage, bei den Moorpackungen, bei Tens (na, hat sich jemand gemerkt, wofür das steht? Ich nicht.)
Auf jeden Fall frag ich die Therapeuten neugierig und erhoffe mir wissenschaftliche Erklärungen, was die Schallwellen, das jahrtausendealte Moor und der Schwefel so in und mit meinem Körper machen. (Das Schwefelbad riecht übrigens wie das Schwärzmittel in meiner Werkstatt, deshalb darf man beim Baden auch keinen Schmuck tragen, weil dieser danach nicht mehr silbern glänzt, sondern schwarz nichtglänzt.)
Statt der wissenschaftlichen Erklärungen bekomme ich immer die gleiche siebensilbige Antwort. „Durchblutung und Stoffwechsel.“
Alles klar. Ich hab mir so etwas Ähnliches schon gedacht, denn noch nie in meinem Leben habe ich so oft Stoff gewechselt wie hier. Raus aus dem Schlafshirt, rein in Rock und T-Shirt (wahlweise mit dem Aufdruck „Miss Verständnis“, „Ich kann Abseits erklären“, „Was mach ich hier eigentlich?“ und „Linkes Pack“, damit alles klar ist) zum Frühstück. In den Badeanzug zur Unterwassergymnastik o.E.Gr. In den Bademantel. Wieder in Rock und Shirt zu Tens. Sporthose und –shirt für die Wirbelsäulengymnastik. Rock und Shirt zum Mittagessen. Ins Evakostüm fürs Schwefelbad. Bademantel. Bettdecke. Jeans und Shirt und Regenjacke für den Spaziergang. Badeanzug zum Planschen. Aufbrezeln für’s Abendessen, inklusive schöner Strumpfhose und silbrig glänzendem Schmuck.
Ganz schön viel Stoffwechsel für so einen Tag. Ich hab mir ausgerechnet (die geistigen Herausforderungen sind abgesehen vom Koordinationstraining hier nicht vorrangig), dass ich durch den ständigen Stoffwechsel gestern127,5 Kalorien verbraucht habe.
Darum hab ich mir am Abend auf der Tankstelle heimlich eine Schokolade gekauft, die ich zum Songcontest verspeist habe. Puh, ganz schön aufregend, so ein Kuraufenthalt.
*
Auf so einer Kur setzt man sich ja nicht nur mit dem Leben auseinander – mit dem eigenen und dem wildfremder Menschen - , sondern auch mit dem Sterben. Das kann man nicht verhindern, weil man in kürzester Zeit nicht nur die Krankheitsgeschichten der Kurgäste, sondern auch ihrer Kinder, Großeltern und Ururgroßeltern kennt. (Ein Tipp für künftige Kurgäste: Beginne nie ein Gespräch mit: Und warum bist du hier?) Man merkt, so ein Leben ist enden wollend, auch wenn man das nicht so gern wahrhaben will. Ich zumindest. Und mir wird ganz schwummerig bei manchen Geschichten von Söhnen, die beim Snowboardfahren verunglückt sind oder von einer Urgroßmutter, der von sechs Kindern fünf in den ersten Lebensjahren weggestorben sind.
Beim Walken dann sehe ich an der Kirche zwei Partezettel (ein bisschen was für die Bildung, für die deutschen LeserInnen: Die Parte ist in Österreich die schriftliche Mitteilung des Todes einer Person. Das Wort leitet sich vom französischen faire part („mitteilen“) beziehungsweise donner part („Nachricht geben“) her und ist wahrscheinlich Ende des 17. Jahrhunderts entstanden.)

Nun ruhen fleiß’ge Mutterhände
Die stets gesorgt für unser Wohl
Die tätig waren bis ans Ende...


stand bei der Frau, und beim Mann:

Es war so reich, dein ganzes Leben
an Müh und Arbeit, Sorg und Last...


Und dann kommt man so ins Grübeln, was wohl auf der eigenen Parte einmal stehen wird. Von fleißigen Mutterhänden und einem Leben reich an Sorg und Last bestimmt nichts. Aber wie klingt denn:

Das Leben hast du ausgekostet
Drum bist du auch nicht eingerostet
Hast immer gut für dich gesorgt
Von Freunden oft dir Geld geborgt
Für Lippenstift und Unfallkater
Und Strumpfhosen fürs Burgtheater


Ich weiß, man scherzt nicht mit dem Tod. Aber wenn man das tut, nimmt man sich selber ein bisschen die Angst vor ihm.

*

Das Highlight des heutigen Tages war das Ernährungskabarett. Ich wünschte, die Diätologin könnte ein klein wenig von ihrem Pfeffer im Arsch an Heike abgeben. (Der hab ich übrigens ganz viele liebevolle Energie geschickt, was den Effekt hatte, dass sie heute frei hat. Wahrscheinlich vögelt sie ganzen Tag mit ihrem Freund und lacht morgen sogar.)
Es ist jetzt nicht so, dass die Inhalte sehr überraschend waren, aber sie waren mit so viel Tempo und Witz und so schönen Metaphern vorgetragen, dass man sich die Dinge mit Kopf und Körper merkt. Wusstet ihr zum Beispiel, dass es in der Spargelsaison die meisten Gichtanfälle gibt, weil Spargel purinreich ist? Und dass nicht automatisch gesund ist, was nach nichts schmeckt?
In ihr hab ich auch eine Mitstreiterin im Kampf gegen die Kalorienangaben gefunden, was nicht nur damit zu tun hat, dass sie die ausrechnen muss.
Das mit der Kältekammer überlege ich mir übrigens noch. Weil ich nämlich beim Nordic Walken in einer Stunde knapp 400 Kalorien verbrauche, schafft man in der Kältekammer 1000 in nur drei Minuten. Und kommt dabei nicht einmal ins Schwitzen.

*

Und dann noch die tägliche Ausländerthematik, die die Leute auf Kur sehr zu beschäftigen scheint, wenn ich auch noch nicht herausgefunden habe, warum das so ist (aber ich hab ja noch zwei Wochen). „... wenn Sie sich halt integrieren würden“, sagt die Dame.
Genau. Sollen sich gefälligst integrieren und wie wir in schönen Hotelbetten oder wenigstens schnuckeligen Einfamilienhäusern wohnen anstatt im Zelt zu hausen. Das einzige Zelt, in dem mal als tüchtiger und anständiger Österreicher seine Zeit verbringt, ist das Feuerwehrzelt. Und dann trinken die noch nicht mal Bier (bestimmt nicht, weil ein halber Liter Bier 17 Würfelzucker enthält). Sollen sie doch Rasen mähen und am Sonntag in der Einfahrt ihre SUVs waschen und ihre Kinder taufen lassen und wenn sie schon in Zelten leben müssen wie die Kameltreiber, dann sollen sie gefälligst davor Thujen anpflanzen. So schaut’s nämlich aus.

Ich hab ja nichts gegen Inländer, aber....

Mittwoch, 8. April 2015

Preisverleihung

freitagstexter1

Die Jury hat im Hotelbett gelost. Mit Mobiltelefon, wo das Tippen kompliziert ist.
Daher nur kurz: Der nächste freitagstexter wird bei shhhh ausgerichtet. Warum? Weil ich das so will. Und weil eben der Beste gewinnt.
Sonderpreise gehen an iginG und lamamma. Für das Licht im Kühlschrank und Prinz Omlet.

Allen anderen Danke für die großartigen Beiträge. Ihr gewinnt bestimmt ein anderes Mal.

Und jetzt ist der Akku leer.

Freitag, 3. April 2015

Die Freitagstexterin

Es ist schon wieder was passiert. "Jetzt hat uns die den Schas gewonnen!" Nämlich hier: http://wortmischer.gedankenschmie.de/2015/04/freitagstexter-pokalverleihung-14/

Es ist mir selbstverständlich eine Ehre, die dieswöchige Freitagstexterin auszurichten. Und danach euch.

Passend zu Ostern das Bild (© Shemmie Walker):

shemmie-walker

Also, schreibt, textet, reimt, fantasiert, fabuliert, erfindet Geschichten, Monologe, blöde Bemerkungen, was auch immer....
Bis Dienstag 23 Uhr 59 habt ihr Zeit. Dann wird die abhängige Jury sich zurückziehen, betrinken und in nichtöffentlicher Sitzung den Sieger/die Siegerin auslosen, der/die am Mittwoch bekanntgeben und - richtig, es handelt sich um ein Kettenspiel, das nicht unterbrochen werden darf - den nächsten Freitagstexter ausrichten muss.

Donnerstag, 2. April 2015

Statusmitteilung

Vielleicht fragt sich ja manch einer, warum man hier so wenig von mir liest. (Wahrscheinlich ist es euch aber eh wurscht) Das hat zum einen damit zu tun, dass ich mir einen Traum erfüllt und eine Werkstatt eingerichtet habe und jetzt im eigenen Haus an meinem Glück schmiede. Ich hab bei Ebay Werkzeug ersteigert, habe meine Liebe zu Baumärkten entdeckt und mich an die Arbeit gemacht. Und so sitz ich Abend für Abend in meiner Werkstatt, vergesse völlig auf die Zeit, hämmere, säge, schleife und löte vor mich hin, entdecke neue Eigenschaften an mir, nämlich die Geduld und die Gelassenheit.

Die neuesten Ergebnisse könnt ihr hier anschauen. Schmuck(e)Stücke
Blöde Bemerkungen, ob das jetzt Kunst oder nur Handwerk oder was auch immer ist, könnt ihr euch sparen. Es ist nämlich wurscht, weil es einfach ist, was es ist. Und mich total glücklich macht.

Zum anderen schreib ich grad an einem erotischen Roman, der andere erotische Besteller in 50 Grauschatten stellt. Das geht aufgrund meiner neuen Leidenschaft langsam, aber es geht voran.

Und morgen lesen wir uns hier beim Freitagstexter!

Donnerstag, 26. Februar 2015

Abgrundtief

„Ich liebe dich“, sagt sie. Es ist das erste Mal, dass sie ihm diese Worte sagt.
Sie sitzen am Rande des Daches, ziehen abwechselnd an der Zigarette und schauen in die Tiefe. Unter ihnen tummeln sich Lebewesen, so klein wie winzige Pünktchen, und gehen emsig ihrem Treiben nach.
„Ich weiß nicht, was Liebe ist“, sagt er. „Ich habe noch nie geliebt. Vielleicht kann ich gar nicht lieben.“
Seine Worte stechen ihr mitten ins Herz. „Jeder kann lieben“, sagt sie und wirft ihr schulterlanges Haar zurück, „du auch.“
„Aber es wird weh tun, früher oder später.“
Es tut jetzt schon weh, denkt sie leise. „Vielleicht haben wir Glück und bei uns erst später“, sagt sie laut, „ich hab noch nie jemanden so sehr geliebt wie dich, weißt du?“ Ihr Blick versucht seine Augen festzuhalten, aber die flackern und lassen sich nicht fassen.
Vier nackte Beine baumeln über dem Abgrund. Sie schweigen, und das Schweigen ist so tief, das alles darin Platz hat. Angst, Hoffnung, Traurigkeit und Schmerz. Sie steht auf. „Komm, lass uns gehen“, sagt sie, drückt die Zigarette aus und steht auf, „es wird bald dunkel.“
„Na und?“ Auch er steht auf. „Was ist jetzt? Springen wir?“, fragt er.
Sie hält inne. „Ich trau mich nicht“, flüstert sie und fügt nach einer Pause hinzu: „Außer, wenn du mir dabei die Hand gibst.“
Er wischt seine schweißnasse Hose in seinen Shorts ab und reicht ihr die Hand. „Abgemacht. Zähl bis drei.“ Sie treten an die Kante des Daches.
„Drei, zwei,... eineinhalb“, zählt sie und schaut ihn an. In seinen Augen liegt Entschlossenheit.
„Trau dich“, sagt er.
Sie wird es ihm zuliebe tun. Aus abgrundtiefer Liebe, denkt sie und schließt die Augen. Bis eben lag das Leben noch vor ihnen.
„Los!“, sagt sie und ihre Hand drückt seine.
Sie sind zwölf. Springen vom Garagendach in den verwilderten Garten. Und landen im riesigen Ameisenhaufen.


Dieser Text ist mein Wortbeitrag zum Projekt
*.txt. Das Wort lautet abgrundtief

Dienstag, 24. Februar 2015

An the FridaysTexterOscar goes to...

freitagstexter1

(diesmal das richtige bild, ich bitte um verzeihung, ich war da ein wenig schludrig. schludrig tippt sich fast so wie schuldig. also tschuldigung)
und das passt auch zum bild. die dame, die sich auf dem boden räkelt, ist nämlich die schuld, die einerseits der frau im beichtstuhl im genick sitzt, weil sie ihrem mann keine gute ehefrau ist, dann aber den pfarrer bezichtigt, seine lust unter der soutane zu verstecken, weil schuld nämlich nicht bedeutet, lasterhaft zu sein, sondern auch, permament seine gefühle zu unterdrücken.

Aber das tut nichts zur Sache.

Wir kommen also zur Preisverleihung:

Leider außer Konkurrenz, weil anonym angetreten, gewinnt den Sonderpreis der Jury folgender Beitrag:
"Neulich in der Diakonausbildung führte Kreszenzia beim Eheworkshop die Jesusstellung (aufs Kreuz legen und sich nageln lassen) vor!" - weil es so schön tief und pietätlos ist.


Silber geht an Herrn Lo für den Begriff "Christstollen"

Dann kläre ich Sie gern mal auf, Herr Kaplan: wäre Ihr HERR nicht von einer Jungfrau geboren worden, würde man das, was Sie da jetzt bestaunen, bei Maria durchaus als "Christstollen" bezeichnen können.

Und Gold ... tamtaramtatam.... an Herrn Nömix für den ökumensichen Scharade-Spielabend.

"Neulich beim ökumenischen Scharade-Spielabend im Pfarrstüberl: Mitspieler Herr Missionar Swoboda versucht, das von Mitspielerin Frau Pastor Lehmann pantomimisch dargestellte zusammengesetzte Hauptwort zu erraten."


Alle anderen waren natürlich auch super und gewinnen Dank, Anerkennung und die Ehre.

Wir sehen uns also am Freitag bei Ihnen, Herr Nömix.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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Lo - 7. Jan, 13:36
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