Gegen den Wind
Eine Freundin hat sich von mir eine Geschichte über ihre Geschichte gewünscht. Da ich im Moment ohnhin nichts schenken kann, das mit Kosten verbunden ist, sondern höchstens meine Zeit, hab ich das gerne getan. Hier ist sie:
Against the wind
Well I'm older now and I'm still running
Against the wind...
(Against the wind – Bob Seger)
Mit sechzehn steht sie an der Bundesstraße, den Daumen nach oben. Wie alle Sechzehnjährigen träumt sie von der Freiheit, der Ferne und der ewigen Liebe.
Irgendwann setzt sie sich auf den Gehsteigrand und legt ihr Ohr auf die Straße. Sie hört den vorbeirasenden Motorrädern zu. Das Brummen der Motoren und die Reibung der Reifen auf dem Asphalt vibrieren auf ihrer Haut. Manche nennen diese Melodie ahnungslos Lärm. Sie können die Musik nicht hören, denkt sie und lauscht der Symphonie der Straße.
Einer der Biker hält und klappt das Visier seines Helms nach oben. In ihren Augen sieht er die Sehnsucht nach Freiheit, Ferne und ewiger Liebe.
She's harley and
She's bad say yeah
Can I take you for a ride
On my motorbike
(Harley – The Jackson 5)
Sie steigt auf und stellt fest: Manchmal dauert die Ewigkeit nur wenige Wochen. Manchmal ist das gut so.
Männer und Ewigkeiten kommen und gehen, die Liebe zum Motorrad bleibt. Irgendwann wird sie ihr eigenes haben. Daran glaubt sie. Dafür spart sie. Doch kaum ist der Boden ihres Sparschweines mit Münzen bedeckt, kommt auch schon etwas dazwischen. Ein Mann, ein Kind, ein Haus. Eine Trennung, kein Haus mehr, Schulden. Sogar der Tod mischt sich in ihr Leben und will ihre Träume zerstören. Die wanken zwar bedrohlich, aber sie sterben nicht. Sie sind stärker.
Right now I'm just learning to ride, man
Oh but I'll have a Harley someday.
(David Allan Coe – A Harley Someday)
Weil es mit den großen Zielen nicht klappen will, setzt sie sich kleine. Wenn schon keine Harley für sich allein, dann wenigstens viele, die anderen gehören. Mit dem Zug reist sie in den Süden, zum Harley-Treffen am See. Im Gepäck Vorfreude und die alte Sehnsucht.
Ihre Samtstulpen hat sie gegen lederne Bikerhandschuhe eingetauscht, die hochhackigen Schuhe gegen Boots. In der Hand den Helm, der Zugehörigkeit demonstriert.
Inmitten des Duftes von Leder, Rauch und Freiheit ist sie endlich angekommen. Wie eine Bienenkönigin fühlt sie sich im Gewühl von blitzenden und surrenden Maschinen und Menschen. Menschen, die unterschiedliche Sprachen sprechen und trotzdem alle die gleiche, die keine Worte braucht. Nur Chrom, Benzin und Motoröl.
I like smoke and lightning, heavy metal thunder,
racing with the wind and the feeling that I'm under.
Yeah, darling, gonna make it happen.
(Born to be wild – Steppenwolf)
Am Abend schlürft sie anstatt Nektar Prosecco. Rundherum fließen Bier und Wein, in ihr fließen tausend Glückshormone. Wild und frei ist sie. Ihre Ängste, ihre Sorgen und ihren Alltag hat sie zu Hause gelassen, im Wissen, dass die dort geduldig auf sie warten.
Denn endlich ist sie wieder da. Diese unbändige Lust aufs Leben. Und weil ihr nach Tanzen zumute ist, tanzt sie. Einen Unbändige-Lust-aufs-Leben-Tanz tanzt sie.
Look at her now, look at her go
Out from the shadows, into the show
Ridin it hard, ridin it low
Flyin her colors, she's ready to roll
(Haley’s got a Harley – Van Zant)
Mitten im Tanz verfangen sich ihre Blicke in blauen Augen.
„Nimm sofort den Magneten weg“, sagt sie und denkt: „Zieh mich an. Zieh mich hin. Zieh mich aus.“
Auch er spricht eine fremde Sprache, denn er ist Deutscher. Aber manchmal braucht es ohnhin nicht viel Gesagtes.
Anstatt in ihr Glas, lässt sie den Eiswürfel in sein Shirt fallen.
„Kalt?“
Er schüttelt den Kopf. „Nein. Heiß. Sehr heiß.“
Nicht nur der Eiswürfel schmilzt.
Vielleicht ist es falsch, was sie tun. Aber warum fühlt es sich dann so verdammt richtig an?
Highway lady, high on wheels
make you smile again
How she feels
(Ufo)
Am nächsten Morgen sitzt sie auf dem Sozius seiner Harley-Davidson und hält sich an ihm fest. High Wheels statt High Heels. Sie gewährt ihm Einblicke in ihre Welt. Serpentinen hinauf und hinunter. Ein Kaffee bei der Mutter. Berge. Wiesen. Seen. Kärntner Kasnudeln bei einer lieben Freundin. Sie teilt ihm ihre Gedanken mit und teilt mit ihm ihre alte Heimat. Noch ahnt sie nicht, dass ihr Herz gerade im Begriff ist, eine neue zu finden. Das Leben teilt großzügig Geschenke aus und sie breitet beide Arme aus, um sie einzufangen.
Moses used to sniff the lines
Noah used to rock the boat sometimes
Mary used to get undone
Jesus rode a Harley Davidson
(Jesus rode a Harley – Ugly Kid Joe)
Nachts gewährt sie ihm Ausblicke in ihre Seele. In dem kleinen Zelt hören sie „Du bist vom selben Stern“. Auf der schmalen Matratze kann er ihren Herzschlag hören. Während Ich + Ich vom Du singen, werden er und sie zum Wir.
Zärtlich streichelt sie über den Harley-Motor auf seinem Oberarm, zaghaft kriechen Körper aufeinander zu, gierig gleiten Hände, süchtig suchen Münder.
„Bist du gekommen?“ fragt sein unverschämtes Lächeln, als die Sonne aufgeht.
„Ja. Um zu bleiben.“
Dann sagt ihr: "Schau! The end is near now
bitte face your final curtain."
Aber wir sind schlau,
wir bleiben hier für die Gesichter, die empörten
Diese Geister singen schief
und sind nicht einfach auszutreiben.
Enschuldigung ich sagte:
"Wir sind gekommen um zu bleiben"
(Gekommen um zu bleiben – Wir sind Helden)
*
In ihren Augen blitzt die Liebe, wenn sie ihn anschaut. Die Sehnsucht nach Freiheit ist immer noch da, und sie ist immer noch so stark wie damals, als sie sechzehn war und am Straßenrand saß. Aber jetzt ist sie Hand in Hand mit der Gewissheit gekommen, dass sie bei ihm zugleich frei und daheim sein kann.
Wenn sie zärtlich über den glatten, kühlen Körper seiner Geliebten streicht, dann blitzt und donnert sie besonders heftig. Die Hoffnung, dass diese Liebe ewig hält.
Against the wind
Well I'm older now and I'm still running
Against the wind...
(Against the wind – Bob Seger)
Mit sechzehn steht sie an der Bundesstraße, den Daumen nach oben. Wie alle Sechzehnjährigen träumt sie von der Freiheit, der Ferne und der ewigen Liebe.
Irgendwann setzt sie sich auf den Gehsteigrand und legt ihr Ohr auf die Straße. Sie hört den vorbeirasenden Motorrädern zu. Das Brummen der Motoren und die Reibung der Reifen auf dem Asphalt vibrieren auf ihrer Haut. Manche nennen diese Melodie ahnungslos Lärm. Sie können die Musik nicht hören, denkt sie und lauscht der Symphonie der Straße.
Einer der Biker hält und klappt das Visier seines Helms nach oben. In ihren Augen sieht er die Sehnsucht nach Freiheit, Ferne und ewiger Liebe.
She's harley and
She's bad say yeah
Can I take you for a ride
On my motorbike
(Harley – The Jackson 5)
Sie steigt auf und stellt fest: Manchmal dauert die Ewigkeit nur wenige Wochen. Manchmal ist das gut so.
Männer und Ewigkeiten kommen und gehen, die Liebe zum Motorrad bleibt. Irgendwann wird sie ihr eigenes haben. Daran glaubt sie. Dafür spart sie. Doch kaum ist der Boden ihres Sparschweines mit Münzen bedeckt, kommt auch schon etwas dazwischen. Ein Mann, ein Kind, ein Haus. Eine Trennung, kein Haus mehr, Schulden. Sogar der Tod mischt sich in ihr Leben und will ihre Träume zerstören. Die wanken zwar bedrohlich, aber sie sterben nicht. Sie sind stärker.
Right now I'm just learning to ride, man
Oh but I'll have a Harley someday.
(David Allan Coe – A Harley Someday)
Weil es mit den großen Zielen nicht klappen will, setzt sie sich kleine. Wenn schon keine Harley für sich allein, dann wenigstens viele, die anderen gehören. Mit dem Zug reist sie in den Süden, zum Harley-Treffen am See. Im Gepäck Vorfreude und die alte Sehnsucht.
Ihre Samtstulpen hat sie gegen lederne Bikerhandschuhe eingetauscht, die hochhackigen Schuhe gegen Boots. In der Hand den Helm, der Zugehörigkeit demonstriert.
Inmitten des Duftes von Leder, Rauch und Freiheit ist sie endlich angekommen. Wie eine Bienenkönigin fühlt sie sich im Gewühl von blitzenden und surrenden Maschinen und Menschen. Menschen, die unterschiedliche Sprachen sprechen und trotzdem alle die gleiche, die keine Worte braucht. Nur Chrom, Benzin und Motoröl.
I like smoke and lightning, heavy metal thunder,
racing with the wind and the feeling that I'm under.
Yeah, darling, gonna make it happen.
(Born to be wild – Steppenwolf)
Am Abend schlürft sie anstatt Nektar Prosecco. Rundherum fließen Bier und Wein, in ihr fließen tausend Glückshormone. Wild und frei ist sie. Ihre Ängste, ihre Sorgen und ihren Alltag hat sie zu Hause gelassen, im Wissen, dass die dort geduldig auf sie warten.
Denn endlich ist sie wieder da. Diese unbändige Lust aufs Leben. Und weil ihr nach Tanzen zumute ist, tanzt sie. Einen Unbändige-Lust-aufs-Leben-Tanz tanzt sie.
Look at her now, look at her go
Out from the shadows, into the show
Ridin it hard, ridin it low
Flyin her colors, she's ready to roll
(Haley’s got a Harley – Van Zant)
Mitten im Tanz verfangen sich ihre Blicke in blauen Augen.
„Nimm sofort den Magneten weg“, sagt sie und denkt: „Zieh mich an. Zieh mich hin. Zieh mich aus.“
Auch er spricht eine fremde Sprache, denn er ist Deutscher. Aber manchmal braucht es ohnhin nicht viel Gesagtes.
Anstatt in ihr Glas, lässt sie den Eiswürfel in sein Shirt fallen.
„Kalt?“
Er schüttelt den Kopf. „Nein. Heiß. Sehr heiß.“
Nicht nur der Eiswürfel schmilzt.
Vielleicht ist es falsch, was sie tun. Aber warum fühlt es sich dann so verdammt richtig an?
Highway lady, high on wheels
make you smile again
How she feels
(Ufo)
Am nächsten Morgen sitzt sie auf dem Sozius seiner Harley-Davidson und hält sich an ihm fest. High Wheels statt High Heels. Sie gewährt ihm Einblicke in ihre Welt. Serpentinen hinauf und hinunter. Ein Kaffee bei der Mutter. Berge. Wiesen. Seen. Kärntner Kasnudeln bei einer lieben Freundin. Sie teilt ihm ihre Gedanken mit und teilt mit ihm ihre alte Heimat. Noch ahnt sie nicht, dass ihr Herz gerade im Begriff ist, eine neue zu finden. Das Leben teilt großzügig Geschenke aus und sie breitet beide Arme aus, um sie einzufangen.
Moses used to sniff the lines
Noah used to rock the boat sometimes
Mary used to get undone
Jesus rode a Harley Davidson
(Jesus rode a Harley – Ugly Kid Joe)
Nachts gewährt sie ihm Ausblicke in ihre Seele. In dem kleinen Zelt hören sie „Du bist vom selben Stern“. Auf der schmalen Matratze kann er ihren Herzschlag hören. Während Ich + Ich vom Du singen, werden er und sie zum Wir.
Zärtlich streichelt sie über den Harley-Motor auf seinem Oberarm, zaghaft kriechen Körper aufeinander zu, gierig gleiten Hände, süchtig suchen Münder.
„Bist du gekommen?“ fragt sein unverschämtes Lächeln, als die Sonne aufgeht.
„Ja. Um zu bleiben.“
Dann sagt ihr: "Schau! The end is near now
bitte face your final curtain."
Aber wir sind schlau,
wir bleiben hier für die Gesichter, die empörten
Diese Geister singen schief
und sind nicht einfach auszutreiben.
Enschuldigung ich sagte:
"Wir sind gekommen um zu bleiben"
(Gekommen um zu bleiben – Wir sind Helden)
In ihren Augen blitzt die Liebe, wenn sie ihn anschaut. Die Sehnsucht nach Freiheit ist immer noch da, und sie ist immer noch so stark wie damals, als sie sechzehn war und am Straßenrand saß. Aber jetzt ist sie Hand in Hand mit der Gewissheit gekommen, dass sie bei ihm zugleich frei und daheim sein kann.
Wenn sie zärtlich über den glatten, kühlen Körper seiner Geliebten streicht, dann blitzt und donnert sie besonders heftig. Die Hoffnung, dass diese Liebe ewig hält.
testsiegerin - 11. Nov, 13:12