Pachtvertrag
Sie trat aus dem Büro. Es war spät, es war dunkel, es war trüb, es war traurig. Es regnete, draußen und drinnen. Sie fluchte. Verdammte ihr kompliziertes, mickriges Leben und beneidete die, die es leicht hatten, die schön waren und die das Glück gepachtet hatten. Gleichzeitig schämte sie sich für ihren Neid, und dafür, dass sie so etwas überhaupt dachte, denn natürlich gab es solche Menschen gar nicht, und wenn sie bei klarem Kopf war, dann wusste sie das auch.
Es gab keinen unbefristeten Pachtvertrag für ein paar Quadratmeter Glück. Es gab nicht einmal einen befristeten für einen Quadratzentimeter. Es gab nur winzige Momente im Leben, auf denen stand das Wort Glück, und die fielen gelegentlich unerwartet vom Himmel und manchmal war das Wort in einer fremden Sprache geschrieben und man konnte es nicht verstehen und deshalb auch nicht sehen.
Heute war sie nicht bei klarem Kopf, sondern bei schlammig-trübem. Sie weinte, bemitleidete sich, bejammerte das, was sie für ihr Schicksal hielt. Kopf und Herz hielt sie gesenkt, weil sonst niemand sehen konnte, wie unglücklich sie war. Was aber war das für ein Unglück, wenn niemand es sehen konnte? Es zählte nur halb, oder noch weniger, vielleicht nur ein Viertel so viel wie sichtbares Unglück, es zählte genauso wenig wie ein Glück, das man nicht lesen konnte.
Beinahe wäre sie darüber gestolpert. Sie hob es auf und betrachtete es von allen Seiten. Es war wunderschön. Sie befühlte es mit ihren Fingern. Es war kühl und glatt und fühlte sich gut an. Sie schnupperte daran. Es duftete zwar nicht nach der Lichtkönigin Lucia, ihrer Lieblingsrose , aber wenigstens stank es nicht.
Das hat jemand verloren, dachte sie, das gehört nicht mir. Sie schaute nach allen Seiten, ob jemand sie beobachtete. Zögernd steckte sie es ein und ging langsam weiter. Doch als sie um die Ecke gebogen war, spürte sie einen stechenden Schmerz in der Brust. Das Gewissen hatte zugebissen. Sie machte kehrt, legte es wieder auf den Weg, und sicherheitshalber - und damit es nicht fror - deckte sie es mit ein paar Kieselsteinen zu.
Später konnte sie nicht schlafen, und diesmal lag es nicht an ihren dunklen Gefühlen, sondern an ihren wirren Gedanken. Das hat jemand extra für mich hingelegt, träumte sie. Ich hab das nicht verdient, träumte sie weiter. Vielleicht hab ich das doch verdient?, halbschlief sie.
Es gibt Menschen, die mich gernhaben. Mit dieser Gewissheit wachte sie auf.
Neugierig und aufgeregt verließ sie das Haus. Ihr Herz klopfte wie wild, als sie zu der Stelle kam. Es lag immer noch da. Nur die Kieselsteine, mit denen es zugedeckt war, lagen in der Wiese. Sie waren zu einem BITTE NIMM gelegt.
Das ist verrückt, dachte sie. Völlig verrückt. Ein Verrückter oder eine Verrückte musste es dahin gelegt haben und wollte, dass sie es fand. Ausgerechnet sie. Vielleicht bin ich es ja, die verrückt ist, starrte sie an sich herab und nickte. Oder wir beide? Aber wenn zwei verrückt waren, ergab das noch lange keinen Sinn. Warum ständig nach dem Sinn suchen, fragte sie sich dann und fand keine Antwort.
Langsam bückte sie sich, steckte es in ihre Tasche und wartete einen Moment. Auf den Biss. Aber der kam nicht. Nur ein wohlig-warmes Gefühl kam und malte ihr ein Lächeln ins Gesicht und Sonnenstrahlen in den Himmel.
Sie lächelte noch immer, als sie Stunden später das Büro verließ. Es war ein wunderschöner Tag gewesen, trotz der vielen Arbeit. Ihre Sekretärin hatte sich über den Kaffee gefreut, den sie ihr gekocht hatte, ihr Kollege über ihren kurzen Rock und die steilen Schuhe und ein Kunde hatte nicht nur ihre Professionalität, sondern auch ihre Freundlichkeit und ihr großes Herz gelobt.
DANKE, stand aus Kieselsteinen gelegt in der Wiese.
WOFÜR?, legte sie daraus, pfiff ein falsches Lied und ging hüftschwingend ins Kaffeehaus.
Am nächsten Morgen lagen ganz viele Steinchen in der Wiese.
Dafür, dass du nicht nur geben, sondern auch nehmen kannst.
„Sagen Sie mal“, sagte die Chefin, „ich sehe Sie in den letzten Tagen ständig selig vor sich hinlächeln. Sie scheinen das Glück ja gerade gepachtet zu haben.“
Es gab keinen unbefristeten Pachtvertrag für ein paar Quadratmeter Glück. Es gab nicht einmal einen befristeten für einen Quadratzentimeter. Es gab nur winzige Momente im Leben, auf denen stand das Wort Glück, und die fielen gelegentlich unerwartet vom Himmel und manchmal war das Wort in einer fremden Sprache geschrieben und man konnte es nicht verstehen und deshalb auch nicht sehen.
Heute war sie nicht bei klarem Kopf, sondern bei schlammig-trübem. Sie weinte, bemitleidete sich, bejammerte das, was sie für ihr Schicksal hielt. Kopf und Herz hielt sie gesenkt, weil sonst niemand sehen konnte, wie unglücklich sie war. Was aber war das für ein Unglück, wenn niemand es sehen konnte? Es zählte nur halb, oder noch weniger, vielleicht nur ein Viertel so viel wie sichtbares Unglück, es zählte genauso wenig wie ein Glück, das man nicht lesen konnte.
Beinahe wäre sie darüber gestolpert. Sie hob es auf und betrachtete es von allen Seiten. Es war wunderschön. Sie befühlte es mit ihren Fingern. Es war kühl und glatt und fühlte sich gut an. Sie schnupperte daran. Es duftete zwar nicht nach der Lichtkönigin Lucia, ihrer Lieblingsrose , aber wenigstens stank es nicht.
Das hat jemand verloren, dachte sie, das gehört nicht mir. Sie schaute nach allen Seiten, ob jemand sie beobachtete. Zögernd steckte sie es ein und ging langsam weiter. Doch als sie um die Ecke gebogen war, spürte sie einen stechenden Schmerz in der Brust. Das Gewissen hatte zugebissen. Sie machte kehrt, legte es wieder auf den Weg, und sicherheitshalber - und damit es nicht fror - deckte sie es mit ein paar Kieselsteinen zu.
Später konnte sie nicht schlafen, und diesmal lag es nicht an ihren dunklen Gefühlen, sondern an ihren wirren Gedanken. Das hat jemand extra für mich hingelegt, träumte sie. Ich hab das nicht verdient, träumte sie weiter. Vielleicht hab ich das doch verdient?, halbschlief sie.
Es gibt Menschen, die mich gernhaben. Mit dieser Gewissheit wachte sie auf.
Neugierig und aufgeregt verließ sie das Haus. Ihr Herz klopfte wie wild, als sie zu der Stelle kam. Es lag immer noch da. Nur die Kieselsteine, mit denen es zugedeckt war, lagen in der Wiese. Sie waren zu einem BITTE NIMM gelegt.
Das ist verrückt, dachte sie. Völlig verrückt. Ein Verrückter oder eine Verrückte musste es dahin gelegt haben und wollte, dass sie es fand. Ausgerechnet sie. Vielleicht bin ich es ja, die verrückt ist, starrte sie an sich herab und nickte. Oder wir beide? Aber wenn zwei verrückt waren, ergab das noch lange keinen Sinn. Warum ständig nach dem Sinn suchen, fragte sie sich dann und fand keine Antwort.
Langsam bückte sie sich, steckte es in ihre Tasche und wartete einen Moment. Auf den Biss. Aber der kam nicht. Nur ein wohlig-warmes Gefühl kam und malte ihr ein Lächeln ins Gesicht und Sonnenstrahlen in den Himmel.
Sie lächelte noch immer, als sie Stunden später das Büro verließ. Es war ein wunderschöner Tag gewesen, trotz der vielen Arbeit. Ihre Sekretärin hatte sich über den Kaffee gefreut, den sie ihr gekocht hatte, ihr Kollege über ihren kurzen Rock und die steilen Schuhe und ein Kunde hatte nicht nur ihre Professionalität, sondern auch ihre Freundlichkeit und ihr großes Herz gelobt.
DANKE, stand aus Kieselsteinen gelegt in der Wiese.
WOFÜR?, legte sie daraus, pfiff ein falsches Lied und ging hüftschwingend ins Kaffeehaus.
Am nächsten Morgen lagen ganz viele Steinchen in der Wiese.
Dafür, dass du nicht nur geben, sondern auch nehmen kannst.
„Sagen Sie mal“, sagte die Chefin, „ich sehe Sie in den letzten Tagen ständig selig vor sich hinlächeln. Sie scheinen das Glück ja gerade gepachtet zu haben.“
testsiegerin - 4. Jun, 22:19