Warten und aufpassen
„Ich dachte, Sie wollten ins Heim, Frau Kurz? Warum waren Sie dann eine halbe Stunde später wieder zu Hause?“
„Die haben mich ausgetrickst, diese Betrüger.“ Frieda Kurz sucht ihre Brille. Frieda sucht ständig ihre Brille. Wenn sie nicht ihre Brille sucht, sucht sie etwas anderes. „Der Direktor vom Heim hat gesagt, ich krieg ein Einzelzimmer. Aber da war kein Einzelzimmer. Also bin ich wieder nach Hause gegangen. Das können die mit jemand anderem machen, nicht mit mir.“
Emma Rogner nickt. Mit mir auch nicht, denkt sie. „Das war sehr konsequent von Ihnen, Frau Kurz.“
„Die Hedi, meine Freundin, die war im Heim. Die hatte ein hübsches Einzelzimmer mit vielen Bildern an den Wänden und einem Balkon. Wenn Sie so eines für mich auftreiben, dann geh ich wieder hin.“
„Ich werde mich bemühen, Frau Kurz, aber versprechen kann ich nichts. Die Wartezeiten sind sehr lang.“
„Ja, ja“, sagt Frieda, „dann wart ich halt daheim auf den Tod.“ Sie steht auf und öffnet mit ihren knöchernen Fingern eine Schublade nach der anderen. „Das muss doch irgendwo sein.“
„Kann ich Ihnen helfen? Was suchen Sie denn überhaupt, Frau Kurz?“
„Sie geben die Finger da weg, aber schnell. Wer sind Sie überhaupt?“
Emma erklärt ihr, wer sie ist und was ihre Aufgabe ist. Aufs Geld aufpassen und dafür sorgen, dass die Versicherung gezahlt wird und die Heimhelferinnen kommen und Frieda ihr Leben nach ihren Wünschen und Bedürfnissen lebt. Nach Möglichkeit.
„Das hat die Trixi auch gemacht“, sagt Frieda, „sich um alles gekümmert. Aber die Trixi kommt nicht mehr.“
Ich weiß, denkt Emma Rogner. Trixi ist Friedas Enkeltochter und hat irgendwann keine Lust mehr gehabt, sich beschimpfen, beleidigen und beschuldigen zu lassen.
„Sind Sie jetzt meine neue Trixi?“, will Frieda wissen und tätschelt Emmas Hand. Dann sucht sie wieder. Diesmal das Radio. Sie findet aber nur eine Unterhose. In der Lade mit den Papieren.
„Nun ja... Ich heiße Emma Rogner, nicht Trixi.“ Als Profi tat es zwar nicht so weh sich kränken zu lassen wie als Enkeltochter, aber angenehm war es trotzdem nicht. Frieda sucht das Sparbuch, findet es und reicht es Emma. „Hier, für Sie “, sagt sie, „passen Sie gut drauf auf, meine neue Trixi.“
„War der Gutachter wegen des Pflegegeldes heute da?“
„Ein unangenehmer Mensch, dieser Arzt. Er hat mich mit Fragen durchlöchert wie eine Maschinenpistole. Mit indiskreten und unanständigen Fragen, verstehen Sie? Ob ich noch kochen kann und wer meine Wäsche wäscht. Das geht doch ein Mannsbild nichts an.“
Emmas Diensthandy klingelt. Der Gutachter ist dran. Verantwortungslos wäre es, die Frau so leben zu lassen, zürnt er. Wie Emma das zulassen könne. Die Frau gehöre schleunigst ins Heim.
„Da ist aber kein Einzelzimmer frei“, meint Emma lapidar.
Der Arzt redet sich in Rage. Die arme Frau könne stürzen und sich den Oberschenkel brechen. Oder vergessen, den Herd abzudrehen oder sonst irgendwie zu Tode kommen.
Tatsächlich ein unangenehmer Mensch, denkt Emma. Frieda hat eine wunderbare Menschenkenntnis. „Ja, Sie haben Recht, Herr Doktor. Das Leben ist in der Tat furchtbar lebensgefährlich “, sagt Emma, „da kann es schon mal passieren, dass man im Alter von 93 stirbt. Oder mit vierzig von einem Dachziegel erschlagen wird. Gehen Sie heute also besser nicht mehr raus.“
Aus dem Zürnen wird ein Brüllen. „Was erlauben Sie sich“, tönt es aus dem Handy, „das wird Konsequenzen haben.“
„Entschuldigung“, schreit Emma ins Telefon und zwinkert Frieda zu, „der Empfang ist hier ganz schlecht. Rufen Sie mich in ein paar Monaten wieder an.“
„Ich komm nächste Woche wieder, Frau Kurz“, sagt sie zu ihrer Klientin und steckt das Sparbuch in die Tasche, „machen wir es so: Ich pass gut auf Ihr Sparbuch auf und Sie passen gut auf sich auf, ja?“
„Die haben mich ausgetrickst, diese Betrüger.“ Frieda Kurz sucht ihre Brille. Frieda sucht ständig ihre Brille. Wenn sie nicht ihre Brille sucht, sucht sie etwas anderes. „Der Direktor vom Heim hat gesagt, ich krieg ein Einzelzimmer. Aber da war kein Einzelzimmer. Also bin ich wieder nach Hause gegangen. Das können die mit jemand anderem machen, nicht mit mir.“
Emma Rogner nickt. Mit mir auch nicht, denkt sie. „Das war sehr konsequent von Ihnen, Frau Kurz.“
„Die Hedi, meine Freundin, die war im Heim. Die hatte ein hübsches Einzelzimmer mit vielen Bildern an den Wänden und einem Balkon. Wenn Sie so eines für mich auftreiben, dann geh ich wieder hin.“
„Ich werde mich bemühen, Frau Kurz, aber versprechen kann ich nichts. Die Wartezeiten sind sehr lang.“
„Ja, ja“, sagt Frieda, „dann wart ich halt daheim auf den Tod.“ Sie steht auf und öffnet mit ihren knöchernen Fingern eine Schublade nach der anderen. „Das muss doch irgendwo sein.“
„Kann ich Ihnen helfen? Was suchen Sie denn überhaupt, Frau Kurz?“
„Sie geben die Finger da weg, aber schnell. Wer sind Sie überhaupt?“
Emma erklärt ihr, wer sie ist und was ihre Aufgabe ist. Aufs Geld aufpassen und dafür sorgen, dass die Versicherung gezahlt wird und die Heimhelferinnen kommen und Frieda ihr Leben nach ihren Wünschen und Bedürfnissen lebt. Nach Möglichkeit.
„Das hat die Trixi auch gemacht“, sagt Frieda, „sich um alles gekümmert. Aber die Trixi kommt nicht mehr.“
Ich weiß, denkt Emma Rogner. Trixi ist Friedas Enkeltochter und hat irgendwann keine Lust mehr gehabt, sich beschimpfen, beleidigen und beschuldigen zu lassen.
„Sind Sie jetzt meine neue Trixi?“, will Frieda wissen und tätschelt Emmas Hand. Dann sucht sie wieder. Diesmal das Radio. Sie findet aber nur eine Unterhose. In der Lade mit den Papieren.
„Nun ja... Ich heiße Emma Rogner, nicht Trixi.“ Als Profi tat es zwar nicht so weh sich kränken zu lassen wie als Enkeltochter, aber angenehm war es trotzdem nicht. Frieda sucht das Sparbuch, findet es und reicht es Emma. „Hier, für Sie “, sagt sie, „passen Sie gut drauf auf, meine neue Trixi.“
„War der Gutachter wegen des Pflegegeldes heute da?“
„Ein unangenehmer Mensch, dieser Arzt. Er hat mich mit Fragen durchlöchert wie eine Maschinenpistole. Mit indiskreten und unanständigen Fragen, verstehen Sie? Ob ich noch kochen kann und wer meine Wäsche wäscht. Das geht doch ein Mannsbild nichts an.“
Emmas Diensthandy klingelt. Der Gutachter ist dran. Verantwortungslos wäre es, die Frau so leben zu lassen, zürnt er. Wie Emma das zulassen könne. Die Frau gehöre schleunigst ins Heim.
„Da ist aber kein Einzelzimmer frei“, meint Emma lapidar.
Der Arzt redet sich in Rage. Die arme Frau könne stürzen und sich den Oberschenkel brechen. Oder vergessen, den Herd abzudrehen oder sonst irgendwie zu Tode kommen.
Tatsächlich ein unangenehmer Mensch, denkt Emma. Frieda hat eine wunderbare Menschenkenntnis. „Ja, Sie haben Recht, Herr Doktor. Das Leben ist in der Tat furchtbar lebensgefährlich “, sagt Emma, „da kann es schon mal passieren, dass man im Alter von 93 stirbt. Oder mit vierzig von einem Dachziegel erschlagen wird. Gehen Sie heute also besser nicht mehr raus.“
Aus dem Zürnen wird ein Brüllen. „Was erlauben Sie sich“, tönt es aus dem Handy, „das wird Konsequenzen haben.“
„Entschuldigung“, schreit Emma ins Telefon und zwinkert Frieda zu, „der Empfang ist hier ganz schlecht. Rufen Sie mich in ein paar Monaten wieder an.“
„Ich komm nächste Woche wieder, Frau Kurz“, sagt sie zu ihrer Klientin und steckt das Sparbuch in die Tasche, „machen wir es so: Ich pass gut auf Ihr Sparbuch auf und Sie passen gut auf sich auf, ja?“
testsiegerin - 11. Mai, 21:24