Lieber Herwig,
vielleicht wunderst du dich jetzt ein wenig über meine Mail. Ich wundere mich ja auch, und ich bin reichlich verwirrt nach dem gestrigen Tag. Aber ich will versuchen so ehrlich wie möglich zu sein. Ganz ehrlich ist im Leben nicht immer möglich; leider. Vielleicht liegt es daran, dass es die ganze Wahrheit gar nicht gibt.
Also, wo fang ich an? Ja, ich fang vor 5 Jahren an. Da gab es in meinem Leben nämlich schon einmal einen Mann namens Herwig. Herwig Steiner. Er hat an der Strafabteilung der Bezirskhauptmannschaft gearbeitet und mir erzählt (in Briefen, persönlich kannten wir uns damals noch gar nicht), er würde gerne nach seiner Pensionierung ins Waldviertel ziehen, um den Bauernhof seiner Eltern zu übernehmen, in irgendeinem Kaff, das auf –schlag endet. Nein, nicht Braunschlag, und nein, auch nicht Hitzschlag. Sehr witzig. Dieser Mann und ich haben uns viele Briefe geschrieben. Lange Briefe. So ein lieber, älterer Beamter, dachte ich. Stell dir vor, ich hab ihm warme Unterwäsche empfohlen, wie peinlich war das denn!
Das Angebot, zu ihm ins Waldviertel zu ziehen und Waldviertler Knödel zu formen, hat mir Angst gemacht. Es war mir zu viel Natur, zu viele Gummistiefel, zu viel Wald im Waldviertel. Ich war damals einfach noch nicht so weit, verstehst du? Ja, auf jeden Fall hat sich dann herausgestellt, dass er weder kurz vor der Pensionierung stand noch einen Hof im Waldviertel hatte, sondern er mich ziemlich dreist angelogen hat. Wir haben uns trotzdem weitergeschrieben und sogar persönlich getroffen und es kam, wie es kommen musste: Wir haben uns ineinander verliebt. Es war keine einfache Liebe, das kannst du mir glauben, aber eine aufregende Zeit. Die Details erspare ich dir.
Die Beziehung ist nicht gutgegangen, ein paar Monate hat sie gehalten, er hat sich danach in eine jüngere verliebt, in eine Kollegin. Vielleicht kann etwas nicht gutgehen, was auf einer Lüge basiert.
Vielleicht kann etwas nicht gutgehen, das auf der Phantasie basiert, denn diese ganze Geschichte und unser Briefverkehr (mittlerweile ein Bestseller) ist in Wahrheit nie passiert. Ich hab ihn mir einfach ausgedacht und mir selbst die Antworten geschrieben. Vielleicht war er ja deshalb so aufregend, weil es das Privileg der Phantasie ist, aufregend und nicht alltäglich zu sein.
Du hältst mich jetzt für ein bisschen verrückt, oder? Das nehme ich aber in Kauf, denn ich will nicht, dass da von Anfang an eine Lüge zwischen uns steht, verstehst du? Man kann eine Beziehung nicht mit einer Lüge beginnen.
Ich hatte Herwig, unsere Liebe, den Schmerz, den er mir zufügte, wenn auch nur in meiner Phantasie, beinahe vergessen... bis gestern.
Bis ich gestern ins Waldviertel gefahren bin. Ich bin im Ottensteiner Stausee geschwommen, wunderschön war das, nur der See, der Wald und ich, an der Oberfläche war er ganz warm der See, aber wenn man die Zehen in die Tiefe gestreckt hat, war es kühl, als würde das Ottensteiner Tiefseeungeheuer mit seiner eisigen Zunge an meinen Zehen lutschen.
Ja, und dann habe ich noch Mohnzelten gekauft, obwohl ich nicht weiß, warum die so heißen; weil ich die immer kaufe im Waldviertel und weil mein Sohn die so liebt, und dann bin ich auf die Mohnfelder gefahren und tief hineingekrochen, und hab ein paar Fotos gemacht, weil ich die Mohnfelder bei der Mohnblüte so wunderschön finde. Am schönsten die mit dem pinkfarbenen und weißen Mohn, die roten nicht so. Ja, und da bist du plötzlich aufgetaucht, wie aus dem Nichts, mitten im Mohnfeld. Mit blauer Lagerhaus-Montur und einem strahlenden Lächeln. Ich hab gedacht, du wirst jetzt fürchterlich schimpfen, weil ich mich einfach so ins Mohnfeld geschlichen hab, und weil ich ein paar Stengel und Kapseln abgebrochen hab, für die Vase zu Hause. Du aber hast nur „Schön, oder?“ gesagt. Ich bin mir wie ein Fremdkörper vorgekommen, wie ein Trampel im Mohnfeld, mit meiner Kamera und den knallrot bemalten Lippen, die auch farblich so gar nicht zu den zarten Mohnblüten gepasst haben.
In deinen Augen war nur Freude. Freude über den blauen Himmel und den Sommer und die Pracht dieses Mohnmeers (ja, so hat der andere Herwig es immer genannt).
Und dann hast du mich einfach an der Hand genommen, hast gesagt „Komm, ich zeig dir was.“ Du hast mir deine Mohnfelder gezeigt, mir den Unterschied zwischen Weiß- , Grau- und Blaumohn erzählt, und dann hast du mir in deinen Traktor geholfen. Auf dem Weg zu deinem Bauernhof hast du nicht volkstümliche Musik gehört, wie die meisten Bauern, sondern mir ein Gedicht vorgetragen:
Blaue, linde
Sommerwinde,
Wiegt mein Mohnfeld leicht und leis,
Daß die blanken
Blüten schwanken,
Rosenrot und lilienweiß!
Foto: Theres Lehner
Auf deinem Hof hast mir die Mühlen gezeigt und mich vom Mohnöl kosten lassen. „Hunger?“ hast du mich in der großen Küche gefragt.
„Wenn ich keine Waldviertler Knödel formen muss“, hab ich vorsichtig geantwortet und du hast gelacht.
Mohnlachsforelle mit Mangosalat gab es. Und schöne, tiefe Gespräche, übers Leben, Literatur, über die Angst und die Einsamkeit. „So, ich muss dann wieder.“ Du hast dir die Mundwinkel mit der Stoffserviette abgewischt und mich schweigend zurück zum Auto gebracht.
Zum Abschied hast du mir das Haar aus der Stirn gestrichen und mich an dich gedrückt. In deiner Halsbeuge roch es nach Mohn, berauschend und warm. Es roch nach Daheim. Du hast eine Visitenkarte aus deiner Latzhose gezogen und mir gereicht. Eine lilafarbene Mohnblüme war darauf und dein Name: Herwig Steiner.
Bevor du mich fragst: Ja, ich kann es mir vorstellen, da rauf zu ziehen, zumindest im Sommer. Ja, ich will mit dir in Gummistiefeln Forellen fangen und Mohnnudeln wuzeln. (Brauchst jetzt gar nicht so grinsen, das war keine Metapher für irgendetwas, Mohnnudeln stehen in diesem Fall einfach für Mohnnudeln).
Und jetzt hab ich Angst, dass du mich das alles gar nicht fragst.
Barbara
Also, wo fang ich an? Ja, ich fang vor 5 Jahren an. Da gab es in meinem Leben nämlich schon einmal einen Mann namens Herwig. Herwig Steiner. Er hat an der Strafabteilung der Bezirskhauptmannschaft gearbeitet und mir erzählt (in Briefen, persönlich kannten wir uns damals noch gar nicht), er würde gerne nach seiner Pensionierung ins Waldviertel ziehen, um den Bauernhof seiner Eltern zu übernehmen, in irgendeinem Kaff, das auf –schlag endet. Nein, nicht Braunschlag, und nein, auch nicht Hitzschlag. Sehr witzig. Dieser Mann und ich haben uns viele Briefe geschrieben. Lange Briefe. So ein lieber, älterer Beamter, dachte ich. Stell dir vor, ich hab ihm warme Unterwäsche empfohlen, wie peinlich war das denn!
Das Angebot, zu ihm ins Waldviertel zu ziehen und Waldviertler Knödel zu formen, hat mir Angst gemacht. Es war mir zu viel Natur, zu viele Gummistiefel, zu viel Wald im Waldviertel. Ich war damals einfach noch nicht so weit, verstehst du? Ja, auf jeden Fall hat sich dann herausgestellt, dass er weder kurz vor der Pensionierung stand noch einen Hof im Waldviertel hatte, sondern er mich ziemlich dreist angelogen hat. Wir haben uns trotzdem weitergeschrieben und sogar persönlich getroffen und es kam, wie es kommen musste: Wir haben uns ineinander verliebt. Es war keine einfache Liebe, das kannst du mir glauben, aber eine aufregende Zeit. Die Details erspare ich dir.
Die Beziehung ist nicht gutgegangen, ein paar Monate hat sie gehalten, er hat sich danach in eine jüngere verliebt, in eine Kollegin. Vielleicht kann etwas nicht gutgehen, was auf einer Lüge basiert.
Vielleicht kann etwas nicht gutgehen, das auf der Phantasie basiert, denn diese ganze Geschichte und unser Briefverkehr (mittlerweile ein Bestseller) ist in Wahrheit nie passiert. Ich hab ihn mir einfach ausgedacht und mir selbst die Antworten geschrieben. Vielleicht war er ja deshalb so aufregend, weil es das Privileg der Phantasie ist, aufregend und nicht alltäglich zu sein.
Du hältst mich jetzt für ein bisschen verrückt, oder? Das nehme ich aber in Kauf, denn ich will nicht, dass da von Anfang an eine Lüge zwischen uns steht, verstehst du? Man kann eine Beziehung nicht mit einer Lüge beginnen.
Ich hatte Herwig, unsere Liebe, den Schmerz, den er mir zufügte, wenn auch nur in meiner Phantasie, beinahe vergessen... bis gestern.
Bis ich gestern ins Waldviertel gefahren bin. Ich bin im Ottensteiner Stausee geschwommen, wunderschön war das, nur der See, der Wald und ich, an der Oberfläche war er ganz warm der See, aber wenn man die Zehen in die Tiefe gestreckt hat, war es kühl, als würde das Ottensteiner Tiefseeungeheuer mit seiner eisigen Zunge an meinen Zehen lutschen.
Ja, und dann habe ich noch Mohnzelten gekauft, obwohl ich nicht weiß, warum die so heißen; weil ich die immer kaufe im Waldviertel und weil mein Sohn die so liebt, und dann bin ich auf die Mohnfelder gefahren und tief hineingekrochen, und hab ein paar Fotos gemacht, weil ich die Mohnfelder bei der Mohnblüte so wunderschön finde. Am schönsten die mit dem pinkfarbenen und weißen Mohn, die roten nicht so. Ja, und da bist du plötzlich aufgetaucht, wie aus dem Nichts, mitten im Mohnfeld. Mit blauer Lagerhaus-Montur und einem strahlenden Lächeln. Ich hab gedacht, du wirst jetzt fürchterlich schimpfen, weil ich mich einfach so ins Mohnfeld geschlichen hab, und weil ich ein paar Stengel und Kapseln abgebrochen hab, für die Vase zu Hause. Du aber hast nur „Schön, oder?“ gesagt. Ich bin mir wie ein Fremdkörper vorgekommen, wie ein Trampel im Mohnfeld, mit meiner Kamera und den knallrot bemalten Lippen, die auch farblich so gar nicht zu den zarten Mohnblüten gepasst haben.
In deinen Augen war nur Freude. Freude über den blauen Himmel und den Sommer und die Pracht dieses Mohnmeers (ja, so hat der andere Herwig es immer genannt).
Und dann hast du mich einfach an der Hand genommen, hast gesagt „Komm, ich zeig dir was.“ Du hast mir deine Mohnfelder gezeigt, mir den Unterschied zwischen Weiß- , Grau- und Blaumohn erzählt, und dann hast du mir in deinen Traktor geholfen. Auf dem Weg zu deinem Bauernhof hast du nicht volkstümliche Musik gehört, wie die meisten Bauern, sondern mir ein Gedicht vorgetragen:
Blaue, linde
Sommerwinde,
Wiegt mein Mohnfeld leicht und leis,
Daß die blanken
Blüten schwanken,
Rosenrot und lilienweiß!
Foto: Theres Lehner
Auf deinem Hof hast mir die Mühlen gezeigt und mich vom Mohnöl kosten lassen. „Hunger?“ hast du mich in der großen Küche gefragt.
„Wenn ich keine Waldviertler Knödel formen muss“, hab ich vorsichtig geantwortet und du hast gelacht.
Mohnlachsforelle mit Mangosalat gab es. Und schöne, tiefe Gespräche, übers Leben, Literatur, über die Angst und die Einsamkeit. „So, ich muss dann wieder.“ Du hast dir die Mundwinkel mit der Stoffserviette abgewischt und mich schweigend zurück zum Auto gebracht.
Zum Abschied hast du mir das Haar aus der Stirn gestrichen und mich an dich gedrückt. In deiner Halsbeuge roch es nach Mohn, berauschend und warm. Es roch nach Daheim. Du hast eine Visitenkarte aus deiner Latzhose gezogen und mir gereicht. Eine lilafarbene Mohnblüme war darauf und dein Name: Herwig Steiner.
Bevor du mich fragst: Ja, ich kann es mir vorstellen, da rauf zu ziehen, zumindest im Sommer. Ja, ich will mit dir in Gummistiefeln Forellen fangen und Mohnnudeln wuzeln. (Brauchst jetzt gar nicht so grinsen, das war keine Metapher für irgendetwas, Mohnnudeln stehen in diesem Fall einfach für Mohnnudeln).
Und jetzt hab ich Angst, dass du mich das alles gar nicht fragst.
Barbara
testsiegerin - 24. Jul, 11:19