Mehr Licht
Warum träume ich jetzt, wo meine Tochter zu denen Dänen geht, so viel von meiner eigenen Mama? Vielleicht hat das etwas mit einer Verbundenheit über Generationen zu tun, die weder der Tod noch Grenzen auflösen können, was weiß ich? Vielleicht hat es damit zu tun, dass mein Thema grad Abschied lautet und ich keine Gelegenheit hatte, mich von meiner Mutter zu verabschieden, bevor der Berg sie abgeworfen hat.
Das einzige Bild im Kopf, das ich von meiner Urgroßmutter habe ist das, als sie bleich und tot im Sarg lag. Im Sarg liegt man ja meistens bleich und tot, aber diese Erfahrung hatte ich damals noch nicht, als kleines Kind. Es war meine erste Erfahrung mit dem Tod.
Meine Großmutter - die Schneebergoma (sie arbeitete bis zu ihrem 70. Geburtstag am Schneeberg) - stand am Sarg und kämmte ihr langes, weißes Haar. Ihr eigenes, nicht das der Urli. Es war das einzige Mal, dass ich gesehen habe, dass sie ihr Haar offen trug.
Als meine Urgroßmutter starb, fühlte ich keine Trauer. Nur einen muffigen Geruch. Die Erwachsenen benahmen sich sehr seltsam, leise und unecht.
Die Schneebergoma sagte - viele Jahre später - vor ihrem Tod zu mir: „Du hast es auch nicht leicht im Leben, Barbara.“ Ich weiß nicht, was sie gemeint hat, ich war jung, hab studiert, gelebt, gefickt, geträumt... Und diese Worte fallen mir immer wieder ein. „Du hast es auch nicht leicht im Leben, Barbara.“ Gut, wer hat es schon wirklich leicht im Leben. Nicht mal das Leben hat es leicht mit uns. Trotzdem. Diese Worte haben sich eingebrannt in meinen Kopf. War sie verwirrt und wusste nicht, was sie sagt? Hat sie etwas gespürt, was ich nicht wusste?
Immer noch warte ich darauf, dass die Prophezeiung der Schneebergoma sich erfüllt und ich es schwer haben werde.
Letzte Worte bleiben uns oft im Gedächtnis. Vor allem, wenn wir in dem Moment, wo sie ausgesprochen werden, den Hauch einer Ahnung haben, dass es die letzten gewesen sein könnten.
Bei meiner Mama habe ich nichts geahnt, darum weiß ich auch nicht mehr, was sie als letztes zu mir gesagt hat. Vermutlich hat sie mir von einer Bergtour erzählt, ihrer vorletzten, vermutlich hat sie das Gespräch mit „Bussi an die Kinder“, beendet. Und ich mit „Bussi an Papa.“
Wären unsere letzten Worte an Menschen anders, wenn wir wüssten, dass sie die letzten sind? Wahrscheinlich. Wahrscheinlich würden wir nicht sagen: „Vergiss nicht wieder die Bananen fürs Müsli“ oder „ich hätte am Abend gern was Gemüsiges“ oder „viel Spaß in der Arbeit!“
Vielleicht würden wir uns verkrampft bedeutungsschwangere letzte Worte abringen, wie Churchill („Es ist alles so langweilig“) oder Tschechow („Ich habe lange keinen Champagner mehr getrunken“). Oder ein verwundertes „Was ist denn mit mir geschehen?“ seufzen wie Sisi.
Wahrscheinlich würde uns das aber in dem Moment nicht einfallen und wir würden nur ein plattes „Ich liebe dich“ zustande bringen. Oder ein „Pass auf dich auf!“
Unsere Gegenüber würden „jaja“ murmeln oder „ich dich auch“ und sonst wäre alles wie immer. Oder sie würden innehalten ob der ungewohnten Liebeserklärung und sagen: „Alles in Ordnung mit dir?“
„Ja, ja, aber vielleicht sterbe ich heute. Da wollte ich es einfach noch mal gesagt haben.“
Vielleicht ist es gut so, dass wir meistens den Zeitpunkt unseres Todes nicht kennen und unsere Lieben nicht mit kryptischen Aussagen wie „Du hast es auch nicht leicht im Leben“ verunsichern und sie sich für den Rest ihres leichten Lebens fragen müssen, was da noch Schweres auf sie zukommt.
Vielleicht lassen sich das Leben und der Tod mit einem „Bring den Wagen in die Werkstatt. Bussi, Baba“ leichter ertragen.
Das einzige Bild im Kopf, das ich von meiner Urgroßmutter habe ist das, als sie bleich und tot im Sarg lag. Im Sarg liegt man ja meistens bleich und tot, aber diese Erfahrung hatte ich damals noch nicht, als kleines Kind. Es war meine erste Erfahrung mit dem Tod.
Meine Großmutter - die Schneebergoma (sie arbeitete bis zu ihrem 70. Geburtstag am Schneeberg) - stand am Sarg und kämmte ihr langes, weißes Haar. Ihr eigenes, nicht das der Urli. Es war das einzige Mal, dass ich gesehen habe, dass sie ihr Haar offen trug.
Als meine Urgroßmutter starb, fühlte ich keine Trauer. Nur einen muffigen Geruch. Die Erwachsenen benahmen sich sehr seltsam, leise und unecht.
Die Schneebergoma sagte - viele Jahre später - vor ihrem Tod zu mir: „Du hast es auch nicht leicht im Leben, Barbara.“ Ich weiß nicht, was sie gemeint hat, ich war jung, hab studiert, gelebt, gefickt, geträumt... Und diese Worte fallen mir immer wieder ein. „Du hast es auch nicht leicht im Leben, Barbara.“ Gut, wer hat es schon wirklich leicht im Leben. Nicht mal das Leben hat es leicht mit uns. Trotzdem. Diese Worte haben sich eingebrannt in meinen Kopf. War sie verwirrt und wusste nicht, was sie sagt? Hat sie etwas gespürt, was ich nicht wusste?
Immer noch warte ich darauf, dass die Prophezeiung der Schneebergoma sich erfüllt und ich es schwer haben werde.
Letzte Worte bleiben uns oft im Gedächtnis. Vor allem, wenn wir in dem Moment, wo sie ausgesprochen werden, den Hauch einer Ahnung haben, dass es die letzten gewesen sein könnten.
Bei meiner Mama habe ich nichts geahnt, darum weiß ich auch nicht mehr, was sie als letztes zu mir gesagt hat. Vermutlich hat sie mir von einer Bergtour erzählt, ihrer vorletzten, vermutlich hat sie das Gespräch mit „Bussi an die Kinder“, beendet. Und ich mit „Bussi an Papa.“
Wären unsere letzten Worte an Menschen anders, wenn wir wüssten, dass sie die letzten sind? Wahrscheinlich. Wahrscheinlich würden wir nicht sagen: „Vergiss nicht wieder die Bananen fürs Müsli“ oder „ich hätte am Abend gern was Gemüsiges“ oder „viel Spaß in der Arbeit!“
Vielleicht würden wir uns verkrampft bedeutungsschwangere letzte Worte abringen, wie Churchill („Es ist alles so langweilig“) oder Tschechow („Ich habe lange keinen Champagner mehr getrunken“). Oder ein verwundertes „Was ist denn mit mir geschehen?“ seufzen wie Sisi.
Wahrscheinlich würde uns das aber in dem Moment nicht einfallen und wir würden nur ein plattes „Ich liebe dich“ zustande bringen. Oder ein „Pass auf dich auf!“
Unsere Gegenüber würden „jaja“ murmeln oder „ich dich auch“ und sonst wäre alles wie immer. Oder sie würden innehalten ob der ungewohnten Liebeserklärung und sagen: „Alles in Ordnung mit dir?“
„Ja, ja, aber vielleicht sterbe ich heute. Da wollte ich es einfach noch mal gesagt haben.“
Vielleicht ist es gut so, dass wir meistens den Zeitpunkt unseres Todes nicht kennen und unsere Lieben nicht mit kryptischen Aussagen wie „Du hast es auch nicht leicht im Leben“ verunsichern und sie sich für den Rest ihres leichten Lebens fragen müssen, was da noch Schweres auf sie zukommt.
Vielleicht lassen sich das Leben und der Tod mit einem „Bring den Wagen in die Werkstatt. Bussi, Baba“ leichter ertragen.
testsiegerin - 16. Mai, 11:39