Lieber Herwig,
ich bin grad ein bisschen betrunken, weil ich Geburtstag gefeiert hab und dein Geburtstagsgeschenk hab ich auch ausgepackt. Vor dem Auspacken hab ich mir beim eingepackten Geschenk noch überlegt, was darin wohl verpackt ist. Ein Buch, das wusste ich ja. Aber was für eines, war die Frage. Nach deinem letzten Brief war ich mir nicht ganz sicher, ob du mir eher 120 Tage von Sodom oder doch vielleicht Wilder Thymian von Rosamunde Pilcher schenkst, obwohl ich ja Rosmarin viel lieber mag.
Ja, und jetzt muss ich lachen. Wahrscheinlich nur, weil ich beschwipst bin, sonst tät ich mich vermutlich ärgern, also hast du Glück gehabt. Heute ist mein Geburts- und dein Glückstag.
Wie kommst du auf die Idee, mir ausgerechnet „Ich und meine Gefühle. Emotionale Entwicklung für Kinder ab 5“ zu schenken?
Noch hab ich ja nur den Klappentext gelesen: Die eigenen Gefühle wahrzunehmen und verantwortungsvoll mit ihnen umzugehen, ist ein Lernprozess und wichtig für das Zusammenleben.
Dieses Buch lädt mit seinem einfachen Text und den ausdrucksstarken Bildern zum Gespräch über die eigenen Gefühle ein.
Ach Herwig, ich will mit dir überhaupt nicht über meine Gefühle reden, ich verstehe sie ja selber nicht. Aber vielleicht ändert sich das nach der Lektüre dieses Buches.
Du, was hältst du davon, wenn nicht du mich, sondern ich dich auf einen Adventspaziergang einlade? Und ich verspreche hoch und heilig, dass ich dort bin, wo auch du bist und nicht auf dem Buschberg. Wenn es sein muss, verspreche ich dir sogar, dass ich vorsichtig fahre. Und dass ich mich nicht über „Ihr Kinderlein kommet“ lustig machen werde und dir keinen heißen Punsch ins Gesicht schütte? Sogar die Gummistiefel würde ich für dich zu Hause lassen.
Ich esse übrigens total gerne gebratene Maroni, aber ich mag es nicht, sie zu schälen. Würdest du das für mich tun?
Ach du, ich glaub, ich trinke jetzt noch ein Glas Prosecco und lege mich dann ein bisschen hin.
Ich küsse dich
Deine Barbara
testsiegerin - 26. Nov, 14:59
Liebe Barbara,
ich beglückwünsche dich zu deiner Menschenkenntnis. Ja, ich gestehe, genauso wie du es dir ausgemalt hast, genauso wäre es passiert. Wärst du nicht gewandert und hätte ich nicht Kaffee getrunken.
Ich hatte alles minutiös geplant. Mit dem Portier hab ich mich abgesprochen, das ging schnell, es war ja nicht das erste Mal, dass wir gemeinsam eine attraktive, naive Frau aufs Kreuz legten und anschließend wegschafften.
In meinem Aktenkoffer hatte ich das notwendige Werkzeug, fein säuberlich sortiert, ich bin nämlich ein ziemlich ordentlicher Mensch, zum Unterschied von dir. (Ist dein Twingo schon mal in Berührung mit Waschwasser gekommen?)
Die Handschellen waren im Koffer, Fesseln und Nylonseile, die zwölfschwänzige Peitsche, ein paar präzise geschliffenen Küchenmesser und die handliche, zusammenklappbare Kettensäge. Ein schwarzer Kunststoffsack zum Entsorgen deiner Leiche auch.
Ganz im Geheimen glaube ich ja, du hättest Spaß gehabt, bis auf das Aufschlitzen natürlich. Das Zerstückeln hättest du ohnehin nicht mehr gespürt.
Im Büro nennen sie mich übrigens „Wig, the Ripper“ (obwohl ich nie Perücke trage).
Ja, und dann kam alles anders. In der Innenstadt montierten sie gerade die Weihnachtsbeleuchtung, es roch nach Lebkuchen und Punsch und nach Friede und Freude. Und da war dieser Duft nach frisch geröstetem Kaffee und nach Topfentorte, als ich am Café Central vorbeikam, also ging ich hinein. „Herwig“, hab ich mir gesagt, „verschiebe die Sache und lass uns erst mal einen Espresso trinken.“ Ich kann es nicht genau erklären, Barbara, aber mir war in diesem Moment einfach nicht nach einem sexuellen Ritualmord.
Meine Güte, Barbara, bist du deppert! Aber gleichzeitig macht dich dein Hang zur Dramatik und deine Phantasie nur noch reizvoller für mich. Hast du schon mal überlegt, die Aufnahmeprüfung am Max Reinhardt-Seminar zu machen?
Anbei ein kleines Büchlein, Barbara. Und ein kleiner Tipp: Schau nicht so viele fern, oder wenigstens ein bisschen harmlosere Sachen, Musikantenstadl vielleicht oder Starmania.
Dein Herwig
P.S. Beinahe hätte ich dich jetzt auf einen kleinen Adventspaziergang eingeladen, aber dann dachte ich, wahrscheinlich fürchtest du dich dabei ohnehin vor den Weihnachtsmännern. Und schweigen kann ich auch allein.
testsiegerin - 25. Nov, 13:10
Lieber Herwig,
sagtest du tatsächlich „eine Frau mittleren Alters“?
Ich bin noch nicht mal Mitte Vierzig, mein Lieber, und zwar übermorgen. Nix mittleres Alter, ich stehe in der Blüte meines Lebens und strotze vor jugendlicher Frische. Trotzdem brauchst du mich nicht wie ein kleines Kind zu behandeln, die Straße hätte locker einen Hunderter vertragen, die kenne ich wie meine Einkaufstasche. Vor dem Einkauf, wohlgemerkt.
Und das Licht ist seit kurzem kaputt, ich weiß, seit ein paar Wochen cirka, aber ich fahre ohnehin kaum nachts.
Ja, jetzt weißt du es also, dass ich gar nicht im Orient war. Kurz hab ich ja überlegt, dir jetzt ein paar grandiose Ausreden aufzutischen, wie zum Beispiel, dass ich mich mit der Sommer- und Winterzeit geirrt habe, aber ich bin ganz schlecht in Mathematik und ich weiß nie, ob es jetzt früher oder später ist, wenn die Uhr zurückgestellt wird, also hätte das nichts getaugt. Im Tag hätte ich mich irren können, oder den Twingo einer Freundin geborgt haben, aber das hätte auch blöd geklungen, weil du mich ja auf dem Bild erkannt hast. Na gut, ich hätte sagen können, jemand hat mein Auto gestohlen und hat sich während der Fahrt auf den Buschberg ein Foto vors Gesicht gehalten, auf dem ich grad meine Lippen bemale. (Das hab ich mal bei Colombo gesehen, und Colombo ist eh draufgekommen, weil er da ja noch eine Frage hatte.)
Also keine grandiose Lüge, Herwig, sondern die Wahrheit:
Ich bin nicht ins Orient gekommen, weil ich Angst hatte.
Angst davor, dass du mich – kaum angekommen – ans Bett fesselst, mir die Kleider vom Leib reißt, meine teure Unterwäsche kaputtmachst und deine perversen und gewalttätigen Triebe an mir auslebst. Meine Hilferufe hätten nichts genützt und wären vermutlich von den Herrschaften in den Nachbarzimmern als Lustschreie interpretiert worden, weil in so einem Etablissement gewiss mehr Damen schreien. Niemand hätte mich vermisst, weil ja niemand – oder fast niemand – von meinen Plänen gewusst hat.
Den Portier hättest du zu deinem Komplizen gemacht, indem du ihm erlaubt hättest, dass auch er sich an mir vergeht, bevor du mich auf bestialische Weise aufschlitzt und anschließend zerstückelst. Gegenüber der Presse und der Kriminalpolizei hätte dieser Komplizenportier gesagt, dass er beobachtet hat, wie ein bierbäuchiger, glatzköpfiger Bauer mit Waldviertler Akzent aus der Kaisersuite stürmte und die Flucht ergriff. Und du wärst seelenruhig aus dem Hotel gegangen, wärst am Montag ins Amt gefahren, als ob nichts geschehen wäre und hättest dir mittels Anonymverfügung dein nächstes Opfer gesucht.
Ja, ich konnte mit dieser Situation und deiner fiktiven Brutalität nicht gut umgehen. Verstehst du wenigstens, warum ich panische Angst hatte und stundenlang durch die Wälder des Buschbergs gestreift bin, um mich von diesem Schock zu erholen? Ich hätte dir ja so etwas nie zugetraut.
Eher hätte ich dir zugetraut, dass du den Mut verlierst und im Kaffeehaus einen warmen Kakao trinkst und Sachertorte mit Schlag isst, während ich mich zu Tode ängstige.
Auf deine Vorwürfe, ich würde dich wie ein Spielzeug behandeln und ich könnte keine Gefühle zulassen, gehe ich nicht ein, denn diese Anschuldigungen entbehren jeder Grundlage und sind einfach lächerlich.
Ist Angst etwa kein starkes Gefühl? Und hab ich diese Angst nicht am Samstag zugelassen? Obwohl ich mir damit Schwierigkeiten eingehandelt habe?
Liebe Grüße
Barbara
testsiegerin - 24. Nov, 16:40
„Können Sie sich selbst warme Mahlzeiten zubereiten?“, will der Gutachter in den zehn Minuten wissen, in denen er die alte Frau untersucht.
„Aber sicher doch, Herr Doktor! Schauen Sie, ich bewege mich wie ein junges Pupperl!“
Selbst wenn sie nichts mehr hat im Leben außer rheumatische Hände und ein schlechtes Gehör, ihren Stolz lässt sie sich nicht nehmen. Der verbietet ihr, diesem Herrn gegenüber zuzugeben, dass sie – die einst die ganze Sippe verköstigt hat – nicht mal mehr Palatschinken kochen kann. Weil ihr meistens nicht einfällt, wo das Mehl steht. Und weil sie schon zweimal vergessen hat, den Herd abzudrehen.
Ihr Antrag auf Zuerkennung des Pflegegeldes nach dem Bundespflegegeldgesetz wird abgelehnt, heißt es in dem Schreiben, das ihre Tochter ihr vorliest.
Zum Glück hilft ihr die ein bisschen im Haushalt, dafür steckt sie ihr immer was von der Doppelten zu.
€ 704,- kommen monatlich aufs Pensionskonto, aber bevor sich das Geld noch an seinen neuen Aufenthaltsort gewöhnen kann, ist es auch schon wieder weg. Für die Miete und die Betriebskosten, für Essen auf Rädern, den Strom und die Heizkosten. Betreuung kann sie sich keine leisten, nicht einmal durch eine illegale Slowakin, wie der Klebekanzler für seine Mutter.
Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Und für die Befreiung von der Rezeptgebühr und der Rundfunkgebühr auch zu viel. Einmal hat sie dem Staat die € 11,-, die ihre Rente über der Mindestpension liegt, zurückgeschickt - aber der wollte das Geld nicht.
Den Fernseher hat sie abgemeldet, sie sieht ohnehin nicht mehr gut. Außerdem hat sie sich in letzter Zeit nur geärgert bei den Nachrichten. Vor allem, als der Bundeskanzler erzählt hat, wie gut es den Senioren in Österreich geht.
Ihr Schwiegersohn hat ihr ein Wertkartenhandy geschenkt, für Notfälle, aber diesen neumodischen Kram schaltet sie gar nicht erst ein. Das Festnetztelefon ist abgemeldet, wegen der Grundgebühr.
Vom Arzt und vom Apotheker will sie sich nicht abmelden. Noch nicht. Vom Leben auch nicht.
Irgendwie hängt sie daran, trotz allem.
testsiegerin - 23. Nov, 17:03
Liebe Barbara,
ja, ich bin bei Trost. Ich schon.
Auf meinem Tisch liegt ein Foto. Es zeigt das Gesicht einer Frau im mittleren Alter, in einem Twingo mit Korneuburger Kennzeichen. Zugelassen ist der Wagen auf eine gewisse Barbara Anna Lehner. Und obwohl das Bild unscharf ist, kann man dich darauf eindeutig erkennen. Außerdem kann man erkennen, dass dein Blick nicht auf die Fahrbahn gerichtet ist, sondern in den Rückspiegel, und dass du dir gerade die Lippen bemalst. Bist du völlig übergeschnappt? Kein Wunder, dass du die Schilder mit den Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht wahrnimmst. Dieses Problem lässt sich mit Geld lösen. Das Leben aber, Barbara, das ist unbezahlbar.
Ich mach mir Sorgen, dass du irgendwann gegen einen Baum knallst, wenn du so unkonzentriert weiterfährst. Außerdem gefährdest du mit deinem Verhalten nicht nur Bäume, sondern auch andere, unschuldige Verkehrsteilnehmer. Ohne Licht fährst du noch dazu, ich denke, dir ist klar, dass das strafbar ist, oder?
Nein, es ist nicht das Foto vom August, sondern ein neues. Brandaktuell. Geschossen letzten Samstag, um 15:48 am Fuße des Buschbergs. Samstag, kurz vor vier, sagt dir das was? Ich bin zu der Zeit im Café Central gesessen und habe dir einen Brief geschrieben, wenn du dich erinnerst. Und du hast dich angeblich mit einem Mann ohne Eigenschaften gelangweilt.
Ich könnte das Foto natürlich einfach verschwinden lassen. Tu ich aber nicht, aus pädagogischen Gründen. In den nächsten Wochen wird der Briefträger dir eine Anonymverfügung bringen. 42 Euro kostet dich der Spaß, du kannst dir ja bis dahin schon überlegen, was du dir um diesen Betrag alles hättest kaufen können und vor welchem Ungemach wir dich mit der Strafe diesmal bewahrt haben. Und dann schickst du mir wieder einen lustigen Brief, den ich diesmal nicht meinem Kollegen zeige, sondern ganz alleine lese. Dann antworte ich darauf, liebevoll und ehrlich. Wir fangen einfach noch mal ganz von vorne an und schauen, was dabei heraus kommt.
Neues Spiel, neues Glück.
Herwig
testsiegerin - 22. Nov, 22:07
Herwig?
Bist du noch bei Trost? Beleidigt? Ich?
Wie kommst du denn auf diese absurde Idee? Ich bin doch nicht beleidigt!
Da musst du dich schon ein bisschen mehr anstrengen, um mich beleidigt zu machen.
B.
testsiegerin - 21. Nov, 22:06
Liebe Barbara,
Ich sag dir mal was, schön langsam reicht es mir nämlich. Du verachtest mich, wenn ich nicht die Wahrheit sage und wenn ich sie sage, dann verachtest du mich erst recht. Und trotzdem antwortest du mir schön brav auf jeden meiner Briefe. Wieso eigentlich, wenn ich so ein Waschlappen bin?
Du benimmst dich wie ein kleines beleidigtes Kind, das sein Spielzeug nicht kriegt. Wie wäre es, wenn du endlich kapierst, dass ich kein Spielzeug bin? Und schon gar nicht deins? Und noch weniger eines, das du wütend von dir schleuderst, wenn du es endlich bekommen hast, weil es nicht genau so ist wie du es dir vorgestellt hast. Oder weil es noch viel schöner ist als das, was du dir immer gewünscht hast und es langweilig für dich ist, einfach glücklich zu sein?
Barbara, hör mir gut zu: Ich bin kein Spielzeug, sondern ein Mann mit – ja, lach nur über mich – mit Gefühlen. Weißt du, was das ist, Gefühle?
Ich frag mich ja mittlerweile, was in deinem Leben wohl so schief gelaufen ist, dass du Gefühle nicht zulassen kannst. Oder höchstens gegenüber einem alternden Beamten kurz vor dessen Ruhestand, der keinerlei Bedrohung für dich darstellt. Aber selbst den hast du ja nicht wirklich an dich heran gelassen. Kaum wollte er mit dir Knödel kochen, hast du Reißaus genommen. Am Knödelrezept kann’s wohl nicht liegen.
Warum versteckst du dich hinter dieser Maske aus Zynismus und Coolness? Glaubst du, ich habe nicht längst durchschaut, dass du nur halb so cool und rau bist, wie du gerne rüberkommen möchtest?
Warum ist es dir nicht einmal möglich, Entschuldigungen einfach anzunehmen und auch mal zu verzeihen, ohne den sterbenden Schwan zu spielen?
Im Übrigen habe ich gar keine Veranlassung mich zu entschuldigen. DU warst es, die mich ins Hotel eingeladen hat, ohne zu überlegen, in welche Situation du mich damit bringen könntest. Du hast mir nicht mal Zeit gegeben, gegebenenfalls abzusagen.
Gegen deine akustischen Halluzinationen solltest du Psychopharmaka nehmen. Ich saß – wie schon gesagt – im Café Central und da hat niemand „Ach Herwig“ gestöhnt. Auch nicht die Schach spielenden Herren vom Nebentisch.
Herwig
Ahja, und vergiss nicht, den Brief deinen Freunden zu zeigen, damit sie dich beraten können.
testsiegerin - 21. Nov, 16:30
Herwig,
ja, ich bin irgendwie sprachlos. Gekränkt, abgewiesen, wütend und sprachlos. Du elender Schlappschwanz! Händchenhalten im Mohnfeld, geht’s noch ein bisschen kitschiger?
Hast du dir im Café Central eigentlich auch nur eine Sekunde lang überlegt, wie die Situation für mich war? Oder ist dein Denken ausschließlich um deine Befindlichkeiten gekreist?
Da stand ich vor dem Portier und stammelte verlegen etwas von „Waldviertler Mohnrot“. Ich glaube, ich habe richtig dämlich ausgesehen dabei, denn er hat mir grinsend den Schlüssel überreicht und „Viel Vergnügen im kaiserlichen Mohnfeld“ gewünscht.
Ja, ich hab mich dann halt auf das kaiserliche Bett geworfen (stell dir vor: unter dem Leintuch befand sich eine Plastikfolie!) und gewartet. Ich hab ja die ganze Zeit gehofft, du würdest nur im Stau stecken und dich ein wenig verspäten. Zum Glück hatte ich ein Buch dabei, für alle Fälle. „Der Mann ohne Eigenschaften“, von Robert Musil, das Lieblingsbuch von Kreisky, hat er jedenfalls behauptet. Das Buch ist nicht nur dick und schwer, sondern liest sich auch ziemlich sperrig, und sehr sympathisch ist mir dieser Herr Ulrich auch nicht. Ungefähr so sympathisch wie du, nachdem du mich versetzt hast.
Ich konnte mich aber sowieso nicht aufs Lesen konzentrieren, erstens, weil ich zu aufgeregt war und zweitens, weil ich mich gefragt hab, was dieser Portier wohl von einer Frau hält, die fünfundachtzig Euro dafür ausgibt, allein im Bett zu liegen und auf den Mann ohne Eigenschaften zu warten. Wahrscheinlich wird es ihm aber egal gewesen sein.
Drittens konnte ich mich nicht auf das Buch konzentrieren, weil die im Nachbarzimmer so ekelig gestöhnt haben. Richtig peinlich war das, vor allem die Frau mit ihrem Gequietsche.
Durch die Wand hat es sich angehört, als ob sie blondbeinig gewesen wäre. Ich habe nichts gegen Blondbeinige, versteh mich nicht falsch, aber ich bilde mir ein, sie hat „Ach Herwig!“ gestöhnt. Vielleicht hab ich mich aber verhört.
Und bring mich nicht in Verlegenheit damit, dass du mir das Geld überweisen willst. Ums Geld geht es nämlich gar nicht, das wäre es mir wert gewesen. Auch das für die neue Unterwäsche. Unterwäsche von der Sorte, die man nur anzieht, um sie ausgezogen zu bekommen. Nix Baumwolle. Dieses Höschen wärmt nicht einmal. Egal, vielleicht brauch ich sie ja noch mal irgendwann.
Drei Stunden bin ich geblieben, Herwig. Ich hab schließlich auch für drei Stunden gezahlt. Die Frau nebenan, die ist in der Zeit viermal (!) gekommen.
Ja, und als ob das alles nicht genug gewesen wäre, rennt mir beim Verlassen vom Orient auch noch ausgerechnet mein Bäcker über den Weg. Nie wieder werde ich unbefangen eine Semmel mit Pariser kaufen können. Wenigstens weiß er nicht, dass ich allein im Hotel war, ich hätte mich zum Gespött aller Leute gemacht.
Danke für alles. Dafür, dass du dich so listig in mein Leben geschlichen hast. Vor allem aber für den wunderschönen Samstag Nachmittag, den ich am liebsten aus meinem Kalender streichen würde.
Ich kann es noch immer nicht fassen, dass du den Schwanz eingezogen hast. Wie gesagt, ich bin enttäuscht und sprachlos. Völlig sprachlos
Barbara
testsiegerin - 19. Nov, 12:31
Liebe Barbara,
es ist Samstag, kurz vor vier und eigentlich sollte ich mich jetzt mit dir im samtigen Rot des Orients räkeln wie der Kaiser mit der Schratt. Obwohl überhaupt nicht belegt ist, dass die beiden tatsächlich ... oder ob es nur eine innige Freundschaft war, die sie verband. Wusstest du, dass die Kaiserin selbst Katharina Schratt als Vorleserin engagiert hat?
Auf jeden Fall schrieben Franz Joseph und Katharina einander häufig Briefe. Vielleicht begann ihr Briefverkehr damit, dass die Kutsche, in der die Schratt saß, eine Geschwindigkeitsbeschränkung nicht eingehalten hat, sie eine Strafe aufgebrummt bekam und dem Kaiser einen zynischen Brief schrieb?
Ich schweife ab. Ja, ich liege grad nicht im Bett der Kaisersuite, wie du wohl schon bemerkt haben dürftest, sondern sitze im Café Central und schreibe diesen Brief. Habe Angst, dass es einer der letzten sein könnte, weil du möglicherweise nichts mehr mit mir zu tun haben willst. Egal, auch auf die Gefahr hin, dass du mich jetzt für einen noch größeren Feigling hältst als ich bin, ich werde dir schreiben, warum ich gerade nicht bin, wo ich sein sollte.
Ich war drauf und dran, hineinzugehen, in das berühmteste Stundenhotel Wiens, aber je länger ich vor dem Portal auf und ab geschlendert bin, umso klarer wurde mir, dass es das nicht ist, was ich will.
Warte mal kurz, ich bestell mir noch einen Espresso, schwarz und stark, den brauch ich jetzt.
So, geht wieder.
Wie ich dich kenne – und ich bilde mir ein dich mittlerweile ein bisschen zu kennen – wirst du bissig und gehässig reagieren. Mir beleidigt vorwerfen, ich fände dich nicht attraktiv genug oder so einen Schmarrn, Du weißt aber schon, dass das nicht stimmt, oder?
Es ist nur so ... hm ... tja ... vielleicht steh ich tief drinnen in meinem Herzen tatsächlich mehr auf klobige Gummistiefel als auf High Heels, so peinlich das in deinen Augen auch ist. Auf jeden Fall ist mir vor dem Hotel der alte, verschrobene Waldviertler Steiner entgegengekommen. Und er hat mir ins Ohr geflüstert, dass ich hier falsch bin. Dass ich besser mit dir Hand in Hand durch die Mohnfelder spazieren sollte als in verschwitzten Leintüchern, und seien sie noch so samtig, zu stöhnen. Und ich hab auf ihn gehört. Weil aber grad kein Mohnfeld in der Nähe war, bin ich ins Café Central und beobachte die Männer am Nebentisch beim Schachspiel.
Hältst du mich jetzt für total pervers?
Ach, ich kann es drehen und wenden, wie ich will, aber weißt du, Barbara, ich bin einfach kein Mann für einen Nachmittag. So schaut’s nämlich aus.
Dein Herwig
testsiegerin - 18. Nov, 19:00