Kurkolumne, die Sechste
Ich hab dem Kurkonzert eine zweite und dem Kurorchester namens Black & White eine erste Chance gegeben, denn ich halte nichts von Sippenhaftung. Die erste Enttäuschung: Black & White sind keine internationale Bluesband, sondern ein Duo und beide weiß. Vielleicht hat einer von ihnen bei der letzten Wahl schwarz gewählt oder der Pianist und Sänger pfuscht in seiner Freizeit als Friseur.
Den Blues hatten auf jeden Fall nicht sie, sondern ich.
Die zweite Enttäuschung: Es handelte sich um eine ähnliche Kurschattenanbahnungszeremonie wie die erste Veranstaltung dieser Art.
Ich will es kurz machen. Same procedure as last week. Same procedure as every week. Gleiches Repertoire wie Gerry. Ich kann für nichts garantieren, werde dich heut verführen...
Der männliche Teil von Black & White war multitaskingfähig, denn er schaffte es, gleichzeitig am Keyboard zu spielen und mit seiner Partnerin zu quatschen. Die saß die ganze Zeit auf einem Hocker, hatte eine von ihrer Oma gestrickte Weste an, in die sie sich kuschelte und sagte mit der Begeisterung eines Feldwegs die nächste Nummer an. "Und weiter geht’s mit einer schönen Insel – La Isla Bonita.“ Wenigstens erzählten Black & White keine Witze.
Und während die junge Laura – der die Musik wieder voll gut gefiel und die Sängerin für eine neue Madonna hielt – und die ältere Susanne rauchen waren, saß ich da allein in einer Ecke, in meinem schönsten Rock und mit der Schmetterlingsstrumpfhose. Ich litt. Und da war es wieder, mein Balltrauma.
Bei meinem ersten Ball saß ich nämlich in meinem schönsten Kleid an einem Tisch. Ich wollte so gerne anders sein, anders als die andern; und anders als ich war, wollte ich auch sein. Wenn ich auch damals noch nicht wusste, wie. Anders halt. Und gleichzeitig war da diese Sehnsucht, dazuzugehören, angenommen zu werden im Anderssein.
Ich nippte an meiner Cola-Rot – bei meinem ersten Ball – und wartete darauf, endlich zum Tanzen aufgefordert zu werden (Damals wusste man noch nichts von Helene Fischer, sondern tanzte zu „You are the one that I want“ oder „Rivers of Babylon“ und „Ein Bett im Kornfeld“) Links - rechts - Wechselschritt.
Wenn dann endlich ein junger Mann auf mich zukam, betete ich zu Gott, an den ich damals noch glaubte, dass dieser Kelch an mir vorübergehen möge. Er ging an mir vorüber, obwohl ich so schön und so abweisend und so anders war und forderte die unscheinbare Gerti aus der 6 B auf. Warum gerade die? Warum nicht mich?
Dieses Trauma, das ich längst hinter mir glaubte, brach gestern Abend mit voller Wucht auf. Da saß ich, nippte an meinem Aperol Spritz (280 Kalorien, alkohollastig, aber nicht genug für R,A,U,S,C,H), schaute den Leuten beim Links - Rechts - Wechselschritt zu und fühlte mich unendlich einsam. Dass die jungen Männer mich mittlerweile höchstens um Feuer fragen, damit kann ich leben.
Als als aber ein anderer, älterer Einsamer (nein, das platte Wortspiel erspar ich euch) auf mich zukam, hielt ich mir schnell die Hand aufs – wie ich später bemerkte – falsche Knie und sagte von weitem: „Tut mir leid. Arthrose. Stufe 3. Deshalb bin ich ja hier.“ Dabei wollte der Kerl nur die Frau vom Nebentisch, die der unscheinbaren Gerti von damals zum Verwechseln ähnlich sah, auffordern.
Und dann war da noch Gustl, der an einen ältlichen Animateur eines Kreuzfahrtschiffs nammens Giovanni erinnert, der dafür bezahlt wird, die Witwen und alleinreisenden Damen jeder Altersstufe zum Tanz aufzufordern.
So tief bin ich wirklich noch nicht gesunken.
„Tut mir leid. Arthrose. Stufe 5 von 4 möglichen“, sage ich.
So groß war die Wucht, mit dem mein Trauma gestern auf mich prallte, dass ich eine rauchen gegangen bin, obwohl ich Nichtraucherin bin.
Vielleicht besprech ich das mit der Kurpsychologin.
*
Die Kurpsychologin hat seit gestern nämlich auch ein Trauma. Sie hält für jeden Durchgang einen Vortrag über den Zusammenhang von seelischer und körperlicher Gesundheit und der Entstehung von und dem Umgang mit Stress. Das will die Krankenkasse so. Manche Kurgäste fühlen sich dadurch in ihre Schulzeit, die einerseits lange her, andererseits offensichtlich sehr kurz war, zurückversetzt. Weil man auf so einer Kur ziemlich regrediert, benehmen sie sich wie in der Schule, stören den Unterricht und finden das total lustig. Der kleine Hubert (49) schläft ein und schnarcht, die lustige Gaby (61) stellt saublöde Fragen und widerlegt damit die Aussage der Psychologin, dass es keine dummen Fragen, sondern nur dumme Antworten gibt. Herta, alterslos, wahrscheinlich Gewerkschafterin, startet eine Petition, dass die Vorträge der Psychologin nicht verpflichtend, sondern auf freiwilliger Basis erfolgen.
„Ich behandle Sie mit Respekt“, sagt die Pschologin, „und Sie mich bitte auch.“
Aber mit so komplizierten Fremdwörtern kennen Hubert, Gaby und Herta sich nicht aus.
*
Brigitte stürzt während des Frühstücks auf mich zu: „Ich hab Stoff für dich!“, flüstert sie mir ins Ohr. Ich schaue nach Osten und Westen, ob uns wohl niemand hört.
„Stoff?“, frage ich, „seh ich aus, als ob ich nähen könnte?“. Dann beginnt mein unterbeschäftigtes Hirn zu rattern. Drogen? Brigitte hält mich für einen Junkie auf Entzug, denke ich. Vielleicht meint sie aber auch den Kärntner Reindling, der vor mir steht und den mir jemand spendiert hat, wahrscheinlich, weil ich mittlerweile mindestens 2,20 kg abgenommen habe und dieser jemand sich Sorgen um mich macht. Zur Erklärung für die Ausheimischen: Ein Kärntner Reindling ist ein Hefekuchen mit Zimt, in Rum getränkten Rosinen und Zucker. In Kärnten isst man den zu Schinken, Käse und Kren.
Gut, die Kärntner haben auch Jörg Haider zum Landeshauptmann gewählt und den Villacher Fasching erfunden, im Gegensatz dazu ist der Reindling ein Segen.
„Stoff?“, frage ich noch einmal, weil mein Gehirn das Denken nicht mehr gewöhnt ist. Ich frage mich, was wohl mit ihm passiert, in der Lade mit den anderen Gehirnen in der Rezeption. Hoffentlich wird es nicht irrtümlich verwechselt und bekomme am Ende das von Gustl.
„Ja, Stoff! Für deine Kurgeschichten!“
„Oh ja!“ Ich strecke ihr meinen ausgestreckten Arm hin und binde mir den Oberarm mit der Stoffserviette ab. „Ich hab nämlich heute mit meiner Kusine telefoniert, die ist auch grad auf Kur. Und als ich sie nach dem Kurschatten gefragt habe, hat sie gemeint: Das Wetter ist zu schlecht für einen Kurschatten. Wo keine Sonne, da kein Schatten. Ist das nicht großartig?“
Ich werde sehen, wo ich das einbauen kann.
Den Blues hatten auf jeden Fall nicht sie, sondern ich.
Die zweite Enttäuschung: Es handelte sich um eine ähnliche Kurschattenanbahnungszeremonie wie die erste Veranstaltung dieser Art.
Ich will es kurz machen. Same procedure as last week. Same procedure as every week. Gleiches Repertoire wie Gerry. Ich kann für nichts garantieren, werde dich heut verführen...
Der männliche Teil von Black & White war multitaskingfähig, denn er schaffte es, gleichzeitig am Keyboard zu spielen und mit seiner Partnerin zu quatschen. Die saß die ganze Zeit auf einem Hocker, hatte eine von ihrer Oma gestrickte Weste an, in die sie sich kuschelte und sagte mit der Begeisterung eines Feldwegs die nächste Nummer an. "Und weiter geht’s mit einer schönen Insel – La Isla Bonita.“ Wenigstens erzählten Black & White keine Witze.
Und während die junge Laura – der die Musik wieder voll gut gefiel und die Sängerin für eine neue Madonna hielt – und die ältere Susanne rauchen waren, saß ich da allein in einer Ecke, in meinem schönsten Rock und mit der Schmetterlingsstrumpfhose. Ich litt. Und da war es wieder, mein Balltrauma.
Bei meinem ersten Ball saß ich nämlich in meinem schönsten Kleid an einem Tisch. Ich wollte so gerne anders sein, anders als die andern; und anders als ich war, wollte ich auch sein. Wenn ich auch damals noch nicht wusste, wie. Anders halt. Und gleichzeitig war da diese Sehnsucht, dazuzugehören, angenommen zu werden im Anderssein.
Ich nippte an meiner Cola-Rot – bei meinem ersten Ball – und wartete darauf, endlich zum Tanzen aufgefordert zu werden (Damals wusste man noch nichts von Helene Fischer, sondern tanzte zu „You are the one that I want“ oder „Rivers of Babylon“ und „Ein Bett im Kornfeld“) Links - rechts - Wechselschritt.
Wenn dann endlich ein junger Mann auf mich zukam, betete ich zu Gott, an den ich damals noch glaubte, dass dieser Kelch an mir vorübergehen möge. Er ging an mir vorüber, obwohl ich so schön und so abweisend und so anders war und forderte die unscheinbare Gerti aus der 6 B auf. Warum gerade die? Warum nicht mich?
Dieses Trauma, das ich längst hinter mir glaubte, brach gestern Abend mit voller Wucht auf. Da saß ich, nippte an meinem Aperol Spritz (280 Kalorien, alkohollastig, aber nicht genug für R,A,U,S,C,H), schaute den Leuten beim Links - Rechts - Wechselschritt zu und fühlte mich unendlich einsam. Dass die jungen Männer mich mittlerweile höchstens um Feuer fragen, damit kann ich leben.
Als als aber ein anderer, älterer Einsamer (nein, das platte Wortspiel erspar ich euch) auf mich zukam, hielt ich mir schnell die Hand aufs – wie ich später bemerkte – falsche Knie und sagte von weitem: „Tut mir leid. Arthrose. Stufe 3. Deshalb bin ich ja hier.“ Dabei wollte der Kerl nur die Frau vom Nebentisch, die der unscheinbaren Gerti von damals zum Verwechseln ähnlich sah, auffordern.
Und dann war da noch Gustl, der an einen ältlichen Animateur eines Kreuzfahrtschiffs nammens Giovanni erinnert, der dafür bezahlt wird, die Witwen und alleinreisenden Damen jeder Altersstufe zum Tanz aufzufordern.
So tief bin ich wirklich noch nicht gesunken.
„Tut mir leid. Arthrose. Stufe 5 von 4 möglichen“, sage ich.
So groß war die Wucht, mit dem mein Trauma gestern auf mich prallte, dass ich eine rauchen gegangen bin, obwohl ich Nichtraucherin bin.
Vielleicht besprech ich das mit der Kurpsychologin.
*
Die Kurpsychologin hat seit gestern nämlich auch ein Trauma. Sie hält für jeden Durchgang einen Vortrag über den Zusammenhang von seelischer und körperlicher Gesundheit und der Entstehung von und dem Umgang mit Stress. Das will die Krankenkasse so. Manche Kurgäste fühlen sich dadurch in ihre Schulzeit, die einerseits lange her, andererseits offensichtlich sehr kurz war, zurückversetzt. Weil man auf so einer Kur ziemlich regrediert, benehmen sie sich wie in der Schule, stören den Unterricht und finden das total lustig. Der kleine Hubert (49) schläft ein und schnarcht, die lustige Gaby (61) stellt saublöde Fragen und widerlegt damit die Aussage der Psychologin, dass es keine dummen Fragen, sondern nur dumme Antworten gibt. Herta, alterslos, wahrscheinlich Gewerkschafterin, startet eine Petition, dass die Vorträge der Psychologin nicht verpflichtend, sondern auf freiwilliger Basis erfolgen.
„Ich behandle Sie mit Respekt“, sagt die Pschologin, „und Sie mich bitte auch.“
Aber mit so komplizierten Fremdwörtern kennen Hubert, Gaby und Herta sich nicht aus.
*
Brigitte stürzt während des Frühstücks auf mich zu: „Ich hab Stoff für dich!“, flüstert sie mir ins Ohr. Ich schaue nach Osten und Westen, ob uns wohl niemand hört.
„Stoff?“, frage ich, „seh ich aus, als ob ich nähen könnte?“. Dann beginnt mein unterbeschäftigtes Hirn zu rattern. Drogen? Brigitte hält mich für einen Junkie auf Entzug, denke ich. Vielleicht meint sie aber auch den Kärntner Reindling, der vor mir steht und den mir jemand spendiert hat, wahrscheinlich, weil ich mittlerweile mindestens 2,20 kg abgenommen habe und dieser jemand sich Sorgen um mich macht. Zur Erklärung für die Ausheimischen: Ein Kärntner Reindling ist ein Hefekuchen mit Zimt, in Rum getränkten Rosinen und Zucker. In Kärnten isst man den zu Schinken, Käse und Kren.
Gut, die Kärntner haben auch Jörg Haider zum Landeshauptmann gewählt und den Villacher Fasching erfunden, im Gegensatz dazu ist der Reindling ein Segen.
„Stoff?“, frage ich noch einmal, weil mein Gehirn das Denken nicht mehr gewöhnt ist. Ich frage mich, was wohl mit ihm passiert, in der Lade mit den anderen Gehirnen in der Rezeption. Hoffentlich wird es nicht irrtümlich verwechselt und bekomme am Ende das von Gustl.
„Ja, Stoff! Für deine Kurgeschichten!“
„Oh ja!“ Ich strecke ihr meinen ausgestreckten Arm hin und binde mir den Oberarm mit der Stoffserviette ab. „Ich hab nämlich heute mit meiner Kusine telefoniert, die ist auch grad auf Kur. Und als ich sie nach dem Kurschatten gefragt habe, hat sie gemeint: Das Wetter ist zu schlecht für einen Kurschatten. Wo keine Sonne, da kein Schatten. Ist das nicht großartig?“
Ich werde sehen, wo ich das einbauen kann.
testsiegerin - 29. Mai, 14:03