Kurkolumne, die Neunte
Tut mir leid, liebe Leser und Leserinnen, ich hab ernsthaft darüber nachgedacht, es für euch zu tun, aber die Sache mit der Kältekammer hat sich endgültig erledigt. Als die Psychologin beim Gesundheitsvortrag fragt, in welchen Situationen wir Stress empfinden, meldet sich Werner zu Wort und erzählt von der Kältekammer. Allein in einem kleinen Kühlhaus im Kreis gehen, weil die anderen beiden Angemeldeten abgesagt haben. „Wenigstens der Richtungswechsel hat so keine Probleme gemacht“, sagt Werner. Nach einer Minute ein Panikanfall. Nach eineinhalb Minuten aufgrund von zahlreichen Tatortfolgen die Gewissheit, dass jemand den Griff von außen zudreht und man einen entsetzlichen Tod stirbt. Nach zwei Minuten Schmerzen in den Muskeln. Nach zweieinhalb Minuten erste Erfrierungserscheinungen und das Gefühl, dass drei Minuten eine Ewigkeit sind.
Ja, ich bin ein Weichei. Da lasse ich lieber bei der Beckenbodengymnastik Eier ins Mezzanin (Halbstock) flutschen.
*
Am Wochenende hab ich auch Besuch bekommen. Als ich an der Rezeption darum bat, auch den zweiten Teil meines Doppelbettes zu beziehen, fragte die Rezeptionistin: „Wie heißt er?“
„Irene.“
Ich habe Irene selbstverständlich dazu genötigt meine Kurkolumne zu lesen. Sie hat beim Stoffwechsel laut gelacht, bei Birne Helene Fischer geschmunzelt und mit Heike gelitten.
„Ich versteh nicht, warum du nicht längst Erfolg hast“, sagt sie, und da ich weiß, wie kritisch sie ist, strahle ich über ihr Lob wie der hellste Stern am Firmament. „Du schreibst mindestens so gut wie diese... wie heißt die Schriftstellerin mit den vielen Kindern?“
„Bettina von Arnim? Die Brieffreundin von Goethe und Clemens Brentano?“ Ihrer Ehe mit Achim entsprangen sieben Kinder. Wann bitte ist die Frau zum Schreiben gekommen?
„Nein, wart mal, ich habs gleich... Hera Lind.“
Der Stern stürzt in das Kaltwasserbecker im Saunabereich und erlischt zischend.
„Ich hab ja Erfolg“, versuche ich mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, „ich hab auf Facebook 23 regelmäßige Leser und Leserinnen und es macht mir wahnsinnig Spaß. Ist das kein Erfolg?“
*
Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass ich nicht nur Expertin für Trost und Rat, sondern auch eine große Kurphilosophin bin. Das liegt möglicherweise daran, dass ich ständig mein kleines schwarzes Buch mit mir herumführe und – während die anderen am Pool liegen und 50 Shades of Grey lesen – darin schreibe.
„Was schreibst du da immer?“, werde ich gelegentlich gefragt.
Ich könnte sagen: Ich beobachte die Leute, vor allem die skurrilsten unter ihnen und schreibe eine Kurkolume, über die meine Leser und Leserinnen dann herzhaft lachen. Über mich auch?, würden sie fragen und ich würde antworten: Ja, hauptsächlich über dich, aber lass dich nicht stören. Sei einfach so, wie du bist. Authentisch.
(Was immer dieses Wort authentisch auch bedeuten mag. Wann bin ich authentisch? Wenn ich auf der Bühne stehe und eine Rolle spiele? Wenn ich im Bett liege? Mit der Kollegin streite? Das alles sind Facetten von mir, und sie sind alle echt.)
Weil die Wahrheit natürlich mein Konzept, nämlich Leute, die sich unbeobachtet glauben, zu beobachten, völlig über den Haufen werfen würde, sage ich nur: „Ach, dies und das. Lebensweisheiten, die mir so in den Sinn kommen.“
Seitdem stellen sie sich bei mir an und bitten Meisterin Barbara um eine Audienz. Sie haben keine Ahnung, dass ich vom Leben nicht mehr verstehe als sie. Aber das lasse ich mir nicht anmerken.
„Du wirkst so entspannt und zufrieden“, sagt Brigitte, als sie an der Reihe ist „was tust du, um glücklich zu sein?“
Nichts, denke ich, ich bin es halt. Viel Glück gehabt im Leben. Ich hab einen Mann, dem ich nicht drei Wochen vorkochen musste, sondern der kochen und einen Klobesen verwenden kann, einen Sohn, der die Wäsche wäscht und eine Tochter, die den Staubsauger einschalten kann. Aber diese Erklärung klingt natürlich viel zu simpel.
„Wenn ich im Jahrtausende alten Moor liege, dann liege ich im Moor, wenn ich auf die Alm gehe, dann gehe ich auf die Alm, wenn ich Gymnastik mache, dann turne ich, wenn ich Kabeljau ohne Fett im Ofen gegart, (423 Kalorien) esse, dann esse ich Kabeljau ohne Fett im Ofen gegart.“
„Verarsch mich nicht“, sagt Brigitte, „das tu ich doch auch. Was tust du wirklich?“
Ich gebe ihr die gleiche Antwort noch einmal. Und füge hinzu: „Wenn du im Jahrtausende alten Moor liegst, denkst du daran, dass du auf den Friedhof gehen willst. Wenn du auf den Friedhof gehst, denkst du daran, dass du eine Kerze anzünden wirst. Wenn du die Kerze anzündest, denkst du, dass du noch die Zeitung lesen musst. Wenn du die Zeitung liest, denkst du an den Kneippguss und beim Kneippguss ans Essen.“
Leider fällt mir die Pointe der Parabel nicht ein, weil beim Stichwort Essen mein Magen knurrt. Vielleicht hat die Geschichte auch gar keine Pointe, sondern genau das ist das Geheimnis. Das zu tun, was man tut, und zwar ganz. Was ich Brigitte natürlich nicht sage, ist, dass ich – während ich ihr die Welt erkläre – studiere, in welche Worte ich unser Gespräch für die Kurkolumne fasse.
„Wie viel kriegst du dafür?“, fragen meine Schüler nach der Audienz und zücken die Geldbörse.
„Was du geben willst.“ Diese Antwort wirft sie völlig aus der Bahn, denn sie sind gewohnt, das alles seinen Preis hat.
*
Ionthophorese bei Meister Toni. Er geht vor mir in die Knie.
„Nein“, sage ich schnell, bevor er mich fragen kann, ob ich ihn heiraten will. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie einen Heiratsantrag bekommen und könnte damit nicht umgehen. Damals, vor 25 Jahren, hab ich unter Alkoholeinfluss herumerzählt, dass ich heirate. Als ich wieder nüchtern war, war mir das peinlich. „Heiraten wir halt“, hat mein jetziger Mann, Romantiker vor dem Herrn, gesagt.
Als ich sieben Monate vor der geplanten Hochzeit zur Testsiegerin wurde, indem der Schwangerschaftstest einen deutlichen blauen Streifen angezeigt hat, war ich zunächst verzweifelt. „Was machen wir denn jetzt?“, schluchzte ich und mein Mann sagte: „Jetzt kriegen wir halt ein Kind.“
Das Leben kann manchmal so einfach sein, wenn wir es nicht kompliziert machen.
Meister Toni wickelt Klarsichtfolie um mein Knie.
*
„Iontophorese? Was ist das denn?“, fragt meine Tochter am Telefon.
„Ich sitze auf einem Sessel, bekomme ein Schmerzmittel und werde dann elektrisch aufgeladen.“
„Und wozu das Schmerzmittel?
„Wegen der Schmerzen, Kind.“
„Tut das Aufgeladenwerden so weh? Ist das so etwas wie ein elektrischer Stuhl?“
„So ähnlich. Ich bekomme die schmerzstillende Salbe aufs Knie und werde dann an Elektroden gehängt. Und morgen bekomm ich wieder Ultraschall im Knie.“
„Bist knieschwanger? In deinem Alter?“
Nein, meine Tochter ist nicht dumm, nur witzig. Wie ich.
Ja, ich bin ein Weichei. Da lasse ich lieber bei der Beckenbodengymnastik Eier ins Mezzanin (Halbstock) flutschen.
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Am Wochenende hab ich auch Besuch bekommen. Als ich an der Rezeption darum bat, auch den zweiten Teil meines Doppelbettes zu beziehen, fragte die Rezeptionistin: „Wie heißt er?“
„Irene.“
Ich habe Irene selbstverständlich dazu genötigt meine Kurkolumne zu lesen. Sie hat beim Stoffwechsel laut gelacht, bei Birne Helene Fischer geschmunzelt und mit Heike gelitten.
„Ich versteh nicht, warum du nicht längst Erfolg hast“, sagt sie, und da ich weiß, wie kritisch sie ist, strahle ich über ihr Lob wie der hellste Stern am Firmament. „Du schreibst mindestens so gut wie diese... wie heißt die Schriftstellerin mit den vielen Kindern?“
„Bettina von Arnim? Die Brieffreundin von Goethe und Clemens Brentano?“ Ihrer Ehe mit Achim entsprangen sieben Kinder. Wann bitte ist die Frau zum Schreiben gekommen?
„Nein, wart mal, ich habs gleich... Hera Lind.“
Der Stern stürzt in das Kaltwasserbecker im Saunabereich und erlischt zischend.
„Ich hab ja Erfolg“, versuche ich mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, „ich hab auf Facebook 23 regelmäßige Leser und Leserinnen und es macht mir wahnsinnig Spaß. Ist das kein Erfolg?“
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Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass ich nicht nur Expertin für Trost und Rat, sondern auch eine große Kurphilosophin bin. Das liegt möglicherweise daran, dass ich ständig mein kleines schwarzes Buch mit mir herumführe und – während die anderen am Pool liegen und 50 Shades of Grey lesen – darin schreibe.
„Was schreibst du da immer?“, werde ich gelegentlich gefragt.
Ich könnte sagen: Ich beobachte die Leute, vor allem die skurrilsten unter ihnen und schreibe eine Kurkolume, über die meine Leser und Leserinnen dann herzhaft lachen. Über mich auch?, würden sie fragen und ich würde antworten: Ja, hauptsächlich über dich, aber lass dich nicht stören. Sei einfach so, wie du bist. Authentisch.
(Was immer dieses Wort authentisch auch bedeuten mag. Wann bin ich authentisch? Wenn ich auf der Bühne stehe und eine Rolle spiele? Wenn ich im Bett liege? Mit der Kollegin streite? Das alles sind Facetten von mir, und sie sind alle echt.)
Weil die Wahrheit natürlich mein Konzept, nämlich Leute, die sich unbeobachtet glauben, zu beobachten, völlig über den Haufen werfen würde, sage ich nur: „Ach, dies und das. Lebensweisheiten, die mir so in den Sinn kommen.“
Seitdem stellen sie sich bei mir an und bitten Meisterin Barbara um eine Audienz. Sie haben keine Ahnung, dass ich vom Leben nicht mehr verstehe als sie. Aber das lasse ich mir nicht anmerken.
„Du wirkst so entspannt und zufrieden“, sagt Brigitte, als sie an der Reihe ist „was tust du, um glücklich zu sein?“
Nichts, denke ich, ich bin es halt. Viel Glück gehabt im Leben. Ich hab einen Mann, dem ich nicht drei Wochen vorkochen musste, sondern der kochen und einen Klobesen verwenden kann, einen Sohn, der die Wäsche wäscht und eine Tochter, die den Staubsauger einschalten kann. Aber diese Erklärung klingt natürlich viel zu simpel.
„Wenn ich im Jahrtausende alten Moor liege, dann liege ich im Moor, wenn ich auf die Alm gehe, dann gehe ich auf die Alm, wenn ich Gymnastik mache, dann turne ich, wenn ich Kabeljau ohne Fett im Ofen gegart, (423 Kalorien) esse, dann esse ich Kabeljau ohne Fett im Ofen gegart.“
„Verarsch mich nicht“, sagt Brigitte, „das tu ich doch auch. Was tust du wirklich?“
Ich gebe ihr die gleiche Antwort noch einmal. Und füge hinzu: „Wenn du im Jahrtausende alten Moor liegst, denkst du daran, dass du auf den Friedhof gehen willst. Wenn du auf den Friedhof gehst, denkst du daran, dass du eine Kerze anzünden wirst. Wenn du die Kerze anzündest, denkst du, dass du noch die Zeitung lesen musst. Wenn du die Zeitung liest, denkst du an den Kneippguss und beim Kneippguss ans Essen.“
Leider fällt mir die Pointe der Parabel nicht ein, weil beim Stichwort Essen mein Magen knurrt. Vielleicht hat die Geschichte auch gar keine Pointe, sondern genau das ist das Geheimnis. Das zu tun, was man tut, und zwar ganz. Was ich Brigitte natürlich nicht sage, ist, dass ich – während ich ihr die Welt erkläre – studiere, in welche Worte ich unser Gespräch für die Kurkolumne fasse.
„Wie viel kriegst du dafür?“, fragen meine Schüler nach der Audienz und zücken die Geldbörse.
„Was du geben willst.“ Diese Antwort wirft sie völlig aus der Bahn, denn sie sind gewohnt, das alles seinen Preis hat.
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Ionthophorese bei Meister Toni. Er geht vor mir in die Knie.
„Nein“, sage ich schnell, bevor er mich fragen kann, ob ich ihn heiraten will. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie einen Heiratsantrag bekommen und könnte damit nicht umgehen. Damals, vor 25 Jahren, hab ich unter Alkoholeinfluss herumerzählt, dass ich heirate. Als ich wieder nüchtern war, war mir das peinlich. „Heiraten wir halt“, hat mein jetziger Mann, Romantiker vor dem Herrn, gesagt.
Als ich sieben Monate vor der geplanten Hochzeit zur Testsiegerin wurde, indem der Schwangerschaftstest einen deutlichen blauen Streifen angezeigt hat, war ich zunächst verzweifelt. „Was machen wir denn jetzt?“, schluchzte ich und mein Mann sagte: „Jetzt kriegen wir halt ein Kind.“
Das Leben kann manchmal so einfach sein, wenn wir es nicht kompliziert machen.
Meister Toni wickelt Klarsichtfolie um mein Knie.
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„Iontophorese? Was ist das denn?“, fragt meine Tochter am Telefon.
„Ich sitze auf einem Sessel, bekomme ein Schmerzmittel und werde dann elektrisch aufgeladen.“
„Und wozu das Schmerzmittel?
„Wegen der Schmerzen, Kind.“
„Tut das Aufgeladenwerden so weh? Ist das so etwas wie ein elektrischer Stuhl?“
„So ähnlich. Ich bekomme die schmerzstillende Salbe aufs Knie und werde dann an Elektroden gehängt. Und morgen bekomm ich wieder Ultraschall im Knie.“
„Bist knieschwanger? In deinem Alter?“
Nein, meine Tochter ist nicht dumm, nur witzig. Wie ich.
testsiegerin - 2. Jun, 09:58