Die verschwundene Frau
Ihre Brüste sind riesige Akkus, prall gefüllt mit Energie. Der Säugling saugt sie ihr aus dem Leib, die Milch und die Energie. Die Brüste sind hartnäckig und füllen sich immer wieder neu. Um das Kind zu nähren. Vielleicht hoffen sie aber auch, dass irgendwann wieder ein bisschen Energie für die Frau übrig bleibt.
Seit der Geburt ihrer Kinder definiert die Frau sich nicht mehr als Frau, sondern als Muttertier. Dem Kind ist es egal, ob sie einen schlabbrigen Pullover oder ein schönes Kleid trägt. Das Kind spuckt drauf und sabbert alles voll. Wozu sich umziehen? Es wird wieder draufspucken, nachdem es ihre Brüste leergesaugt hat.
„Für wen soll ich mich denn schön machen“?, brüllt sie in den Spiegel.
„Für dich selbst“, flüstert der Spiegel, aber die Frau kann ihn nicht hören, weil das Kind gerade die Klospülung drückt. Vorher hat es die Socken hineingeschmissen und gesagt: „Mama hilft Wäsche wascht.“
Aus „Wie geht‘s dir?“ ist „Wie geht‘s den Kindern?“ geworden. Die Frau verschwindet hinter ihrer Brut, wird als Frau unsichtbar. Es ist so, als würde es sie als Individuum nicht mehr geben, nur im Doppelpack mit Kind. Sie wird nicht mehr gefragt, welches Buch sie liest - wozu auch, zum Lesen hat sie ohnehin kaum noch Zeit - , man will nicht mehr ihre Wortspenden zum Zeitgeschehen oder ihrem Liebesleben - wozu auch, für ein Liebesleben hat sie ohnehin keine Energie - nein, alles, was interessiert ist, ob das Kind jetzt endlich geschissen hat oder an Verstopfung zugrunde geht.
Hilfe, möchte sie schreien! "Ich gehe zugrunde, die körperliche Über- und geistige Unterforderung verstopft meine Lebendigkeit, wenn ihr mich nicht mehr als Frau, als Freundin, als Kollegin wahrnehmt, sondern nur noch als Mutter." Aber sie schreit nicht, sie lächelt, und tut so, als würde sie sich über vollgeschissene Windeln und Zähne, die es an die Oberfläche geschafft haben. Das erwartet man von Müttern. Es wäre unfair zu schreien, denkt sie, denn sie hat es gut erwischt, sie hat einen Mann, der nicht nur Schnitzel panieren und Karotten pürieren kann, sondern der auch Minizehennägel schneidet, Miniwunden verarztet und Minihäuser aus Duplo baut. Einen Mann, der nachts aufsteht und mit dem Minimenschen im Arm eine Runde auf dem Trampolin hüpft, damit sie wieder einschläft. Aber sie kann nicht einschlafen, weil sie sich schuldig fühlt, weil sie das Gefühl hat, als Mutter versagt zu haben.
Sie liebt ihre Kinder. Sie sind das beste, was ihr passiert ist. Am meisten Liebe für die Kinder spürt sie, wenn sie schlafen. Trotzdem sehnt sie sich danach, dass ihr Körper wieder ihr gehört. Dass sich niemand an sie klammert und schreit. Das Kind denkt, es heißt „Klotzenbein“. Wenn jemand die Frau plötzlich nach dem Namen fragt, sagt sie "Mama“, denn der am häufigsten gehörte Satz in ihrem Leben, das früher richtig spannend und abwechslungsreich war, ist: „Mama, schau!“ Und die Frau schaut, sie schaut auf Sandburgen, Plastilinmännchen und wie das Kind über die Treppen hüpft. Manchmal fallen ihr beim Schauen die Augen zu, wegen des chronischen Schlafmangels.
Manche Freundinnen der Frau haben plötzlich ganz wenig Zeit und einen völlig anderen Lebensrhythmus haben. Manche sagen geradeheraus , dass es sie stört, dass die Kinder der Frau ihre Gedanken und Gespräche unterbrechen. Als würde die Frau das unterhaltsam finden. Es gibt Freundinnen, die meiden die Frau, weil sie sie um ihr glückliches, trautes Leben mit Heim und Ofen und Kind beneiden. Die Frau beneidet sie um ihren Urlaub auf Hawaii.
Zum Glück gibt es auch Freundinnen im Leben der Frau, die sie aushalten. Die sie halten. Mit denen sie über zahnende Kinder und den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf reden kann. Über ihre Brustentzündung und über den Liebeskummer. Freundinnen, denen sie erzählen kann, wie einsam und erschöpft sie sich manchmal fühlt, trotz der Kinder. Wegen der Kinder. Freundinnen, die sie verstehen.
Freundinnen, die in der Stadt wohnen und sie manchmal besuchen.
Denn in dem Dorf, in dem die Frau lebt, ist sie fremd, eine Zugeraste. Sie hat keine Vorhänge, wählt die falsche Partei, geht nicht zum Feuerwehrfest und gehört nicht dazu. Hier ist ihr Haus, aber hier ist sie nicht daheim. Die Sandkistenmütter sind ein kleiner Trost. Aber sie ersetzen ihre Freundinnen nicht.
„Ich arbeite jetzt wieder“, erzählt sie den Sandkistenmüttern irgendwann stolz. Ein Kind ist 2 Jahre alt, das andere 6 Monate.
„Und das erlaubt dein Mann?“, fragen die Sandkistenmütter entsetzt.
„Ich weiß nicht. Ich hab ihn nicht gefragt", sagt die Frau.
*
Mehr als zwanzig Jahre ist das jetzt her. Obwohl ich so eine Rabenmutter war, sind meine Kinder großartige Menschen geworden. Meine Tochter „Klotzenbein“ ist nach Dänemark ausgewandert und ich vermisse sie sehr. Mein Sohn wohnt immer noch hier. Und er wäscht immer noch die Wäsche. Zum Glück nicht im Klo.
Seit der Geburt ihrer Kinder definiert die Frau sich nicht mehr als Frau, sondern als Muttertier. Dem Kind ist es egal, ob sie einen schlabbrigen Pullover oder ein schönes Kleid trägt. Das Kind spuckt drauf und sabbert alles voll. Wozu sich umziehen? Es wird wieder draufspucken, nachdem es ihre Brüste leergesaugt hat.
„Für wen soll ich mich denn schön machen“?, brüllt sie in den Spiegel.
„Für dich selbst“, flüstert der Spiegel, aber die Frau kann ihn nicht hören, weil das Kind gerade die Klospülung drückt. Vorher hat es die Socken hineingeschmissen und gesagt: „Mama hilft Wäsche wascht.“
Aus „Wie geht‘s dir?“ ist „Wie geht‘s den Kindern?“ geworden. Die Frau verschwindet hinter ihrer Brut, wird als Frau unsichtbar. Es ist so, als würde es sie als Individuum nicht mehr geben, nur im Doppelpack mit Kind. Sie wird nicht mehr gefragt, welches Buch sie liest - wozu auch, zum Lesen hat sie ohnehin kaum noch Zeit - , man will nicht mehr ihre Wortspenden zum Zeitgeschehen oder ihrem Liebesleben - wozu auch, für ein Liebesleben hat sie ohnehin keine Energie - nein, alles, was interessiert ist, ob das Kind jetzt endlich geschissen hat oder an Verstopfung zugrunde geht.
Hilfe, möchte sie schreien! "Ich gehe zugrunde, die körperliche Über- und geistige Unterforderung verstopft meine Lebendigkeit, wenn ihr mich nicht mehr als Frau, als Freundin, als Kollegin wahrnehmt, sondern nur noch als Mutter." Aber sie schreit nicht, sie lächelt, und tut so, als würde sie sich über vollgeschissene Windeln und Zähne, die es an die Oberfläche geschafft haben. Das erwartet man von Müttern. Es wäre unfair zu schreien, denkt sie, denn sie hat es gut erwischt, sie hat einen Mann, der nicht nur Schnitzel panieren und Karotten pürieren kann, sondern der auch Minizehennägel schneidet, Miniwunden verarztet und Minihäuser aus Duplo baut. Einen Mann, der nachts aufsteht und mit dem Minimenschen im Arm eine Runde auf dem Trampolin hüpft, damit sie wieder einschläft. Aber sie kann nicht einschlafen, weil sie sich schuldig fühlt, weil sie das Gefühl hat, als Mutter versagt zu haben.
Sie liebt ihre Kinder. Sie sind das beste, was ihr passiert ist. Am meisten Liebe für die Kinder spürt sie, wenn sie schlafen. Trotzdem sehnt sie sich danach, dass ihr Körper wieder ihr gehört. Dass sich niemand an sie klammert und schreit. Das Kind denkt, es heißt „Klotzenbein“. Wenn jemand die Frau plötzlich nach dem Namen fragt, sagt sie "Mama“, denn der am häufigsten gehörte Satz in ihrem Leben, das früher richtig spannend und abwechslungsreich war, ist: „Mama, schau!“ Und die Frau schaut, sie schaut auf Sandburgen, Plastilinmännchen und wie das Kind über die Treppen hüpft. Manchmal fallen ihr beim Schauen die Augen zu, wegen des chronischen Schlafmangels.
Manche Freundinnen der Frau haben plötzlich ganz wenig Zeit und einen völlig anderen Lebensrhythmus haben. Manche sagen geradeheraus , dass es sie stört, dass die Kinder der Frau ihre Gedanken und Gespräche unterbrechen. Als würde die Frau das unterhaltsam finden. Es gibt Freundinnen, die meiden die Frau, weil sie sie um ihr glückliches, trautes Leben mit Heim und Ofen und Kind beneiden. Die Frau beneidet sie um ihren Urlaub auf Hawaii.
Zum Glück gibt es auch Freundinnen im Leben der Frau, die sie aushalten. Die sie halten. Mit denen sie über zahnende Kinder und den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf reden kann. Über ihre Brustentzündung und über den Liebeskummer. Freundinnen, denen sie erzählen kann, wie einsam und erschöpft sie sich manchmal fühlt, trotz der Kinder. Wegen der Kinder. Freundinnen, die sie verstehen.
Freundinnen, die in der Stadt wohnen und sie manchmal besuchen.
Denn in dem Dorf, in dem die Frau lebt, ist sie fremd, eine Zugeraste. Sie hat keine Vorhänge, wählt die falsche Partei, geht nicht zum Feuerwehrfest und gehört nicht dazu. Hier ist ihr Haus, aber hier ist sie nicht daheim. Die Sandkistenmütter sind ein kleiner Trost. Aber sie ersetzen ihre Freundinnen nicht.
„Ich arbeite jetzt wieder“, erzählt sie den Sandkistenmüttern irgendwann stolz. Ein Kind ist 2 Jahre alt, das andere 6 Monate.
„Und das erlaubt dein Mann?“, fragen die Sandkistenmütter entsetzt.
„Ich weiß nicht. Ich hab ihn nicht gefragt", sagt die Frau.
*
Mehr als zwanzig Jahre ist das jetzt her. Obwohl ich so eine Rabenmutter war, sind meine Kinder großartige Menschen geworden. Meine Tochter „Klotzenbein“ ist nach Dänemark ausgewandert und ich vermisse sie sehr. Mein Sohn wohnt immer noch hier. Und er wäscht immer noch die Wäsche. Zum Glück nicht im Klo.
testsiegerin - 28. Jan, 10:58