Meine Nacht mit dem großen Vorsitzenden

Heute Nacht habe ich mit Alfred Gusenbauer verbracht.

Wir trafen uns vor dem Parlament. „Hast du Lust, mit mir essen zu gehen?"
Oh ja, warum nicht? Wann hat man schon die Gelegenheit, mit seinem Parteivorsitzenden und Bundeskanzler unter vier Augen zu sprechen?
„Ich kenn ein kleines Wirtshaus im Prater“, schlage ich vor. Das ist Alfred aber zu weit. "Hier im Keller ist das Taj Mahal", sagt er.

Wir gehen die Stufen hinunter, er vor mir, wie es sich gehört. Er stolpert und als er die Tür öffnen will, sind die Stiegen im Weg. „Falscher Eingang“, tönt es aus der Küche.
„Das passiert mir immer“, grinst Alfred und ich verkneife mir ein „Wenigstens bist du nicht umgefallen.“ Wahrscheinlich findet er das nicht mehr lustig.
Ich bin – und das kommt selten vor – gar nicht hungrig. Ich habe nämlich im Büro einen Linseneintopf mit Lauch und Tomaten gekocht. Zwei Euro fünfzig, pro Person. Aber weil es unhöflich wäre, Alfred beim Essen zuzuschauen, bestelle ich Erdbeercreme mit Weißbrot.
Er ist schon hungrig, er entscheidet sich für Lammcurry in Mandelsoße.
„Was hältst du eigentlich von mir?“, fragt er mit vollem Mund.
Kurz halte ich inne und denke daran, wie gekränkt mein Geschäftsführer letztens war, als ich ihm gesagt habe, was ich von seinen Visionen halte. Dass sie keine Bilder bei mir auslösen, dass sie fantasie- und lustlos und abgehoben sind. Aber Alfred Gusenbauer ist nicht mein Chef, er kann mich nicht kündigen, sondern höchstens aus der SPÖ ausschließen. Das wird er nicht tun, bei den wenigen Mitgliedern, die der Partei noch geblieben sind.
Er neigt seinen Kopf zur Seite und lächelt mich lieb an. Puh. Wie soll ich so Kritik üben? Trotzdem. Jetzt oder nie. „Meine 83jährige Tante findet noch immer, dass du ein gescheiter Mann bist. Aber sie findet auch...“, ich stammle, „... sie findet, dir fehlt das Charisma.“ So, jetzt ist es heraußen.
„Und du?“, fragt Alfred, „was findest du?“ Er spielt mit meinem Haar.
„Ich finde, meine 83-jährige Tante hat recht. Du musst dich mehr durchsetzen, gegenüber diesem schwarzen Gsindel.“ (Das mit dem schwarzen Gsindel ist auch von meiner Tante, nicht von mir.)
Alfred seufzt. „Ach, wenn das nur so einfach wäre.“
„Und weißt du“, fahre ich fort, „mir ist es wurscht, mit welchem Flieger du fliegst und ob du mit Joghurtbechern oder mit einem I-Phone telefonierst, aber Upgraden und teure Rotweine trinken kommt nicht gut bei den Westenthalern dieser Welt. Und davon gibt es reichlich.“
Er schenkt sich indischen Wein nach. „Ich muss jetzt gehen“, sagt er, „die Eva wartet schon. Danke für alles.“

Ich schaue auf die Uhr. Mein letzter Bus ist längst weg. Zum Glück hat das Taj Mahal Hotelzimmer, mit wunderschönen Duschen. Ich dusche lange.

Als ich das Haus heute morgen verlassen will, hält eine dicke, indische Frau mich zurück. Sie müssen noch bezahlen“, sagt sie, „das Essen, die Getränke und das Zimmer. Sie haben lange geduscht, nicht wahr? Zweihundertsechzig Euro, bitte.“
Ich schlucke. „Hat Alfred denn nicht...?“
Sie schüttelt den Kopf. "Er bezahlt nie."
Ich öffne meine Geldbörse, obwohl ich genau weiß, dass sich darin keine zweihundertsechzig Euro versteckt haben. „Brauchen Sie vielleicht eine Küchenhilfe?, frage ich leise. „Ich kann Linseneintopf kochen. Mit Lauch und Tomaten.“
hobo - 26. Mär, 09:11

... und dennoch ein glückstag!
gusi hätte ja auch bleiben können ...

testsiegerin - 26. Mär, 18:32

Es schaut so aus, als würde er eh bleiben ;-)
hobo - 26. Mär, 22:11

vermutlich wegen der linsen ;o)
Mahatma (Gast) - 26. Mär, 09:29

ich stelle fest, dass die Meinung über den vor 2 Jahren von der SPÖ-Basis noch hochgelobten und vielumjubelten Gusenbauer inzwischen deutlich abgekühlt ist.

testsiegerin - 26. Mär, 18:33

Das ist allerdings richtig.
Manchmal ändert man seine Meinungen.
datja (Gast) - 26. Mär, 10:19

danke für deinen erlebnisbericht.
hat das mit dem nebenjob geklappt? ich kann bestätigen, dass du super kochst!

wenn ich alfred treffe bestehe ich auf den besuch eines würschtlstandes. obwohl die frau anni am gürtel schon in pension gegangen ist und dort kebab verkauft wird. aber die sind auch hervorragend!
damit ich nicht duschen muss werd ich mich warm anziehen...

testsiegerin - 26. Mär, 18:35

Das war eine ziemlich anstrengende Nacht. Ich bin schweißgebadet aufgewacht. Und so ganz genau weiß ich immer noch nicht, was er bedeuten soll.
Egal, ich ess jetzt Linsen.
testsiegerin - 26. Mär, 22:40

Erst die Nacht mit Gusenbauer und jetzt auch noch gegen Holland verloren. Und das nach einer 3:1-Führung.
So ein Spiel dauert für so ein kleines Land wie Österreich einfach zu lange. Ich finde, 60 Minuten wäre genug.

hobo - 26. Mär, 22:51

mach 45 daraus. und wir werden welteuropameister.
la-mamma - 28. Mär, 19:56

der h. hat immer gesagt,

der herr g. sei ein pragmatischer, ruhiger mensch und genau solche politiker bräuchten wir wesentlich mehr. auch er hat seine meinung geändert. natürlich auch ungern.

LillY (Gast) - 31. Mär, 22:46

Der Gusi kann aber auch schön sudern, wenn er etwas wissen will.

irishwolfhound - 3. Apr, 10:57

klassischer fall von …

die botschaft entsteht beim empfänger. ich sehe den text nicht so negativ, wie andere kommentatorInnen hier. ich hab meine meinung zu g. auch geändert. allerdings hin zum positiven. vermutlich ist dieser mensch zu intellektuell für die masse der wahlschafe. wäre nicht der erste, den in österreich das schicksal ereilt … schade …

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

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Von Herzen und Seelen - CD

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testsiegerin - 13. Jan, 11:30
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bonanzaMARGOT - 8. Jan, 07:05
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OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36

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