Donnerstag, 12. Januar 2012

Herz Dame

„Jeden, dva, tři, čtyři, pet, šest, sedm, osm, devět, deset.“ Bei jedem Wort tippt Johanna Sebesta konzentriert auf einen Finger ihrer ausgestreckten Hand vor sich. Sie ist einundneunzig.
„Ich verstehe leider nicht Russisch, Frau Sebesta“, sagt Emma Rogner. „Was möchten Sie mir sagen?“
„Das ist nicht russiche Sprache, sondern tschechische“, erklärt die Betreuerin, legt ein Stück Holz in den Küchenofen und kämmte der alten Frau behutsam das Haar. Es herrscht eine entspannte, ruhige Stimmung in der Wohnküche.
„Jeden, dva, tři, čtyři, pet, šest, sedm, osm, devět, deset.“ Hartnäckig tippt Johanna auch auf die Finger der anderen Hand.
„Ich kann leider auch kein Tschechisch, Frau Sebesta.“ Emma schaut hilfesuchend zur Betreuerin.
„Sie zählt.“
„Ah, haben Sie ihr ein paar Worte Tschechisch beigebracht?“
Jetzt mischt sich auch Franz Sebesta ein. „Hanni und ich sind aus Nikolsburg in Südmähren. 1946 sind wir vertrieben worden. Red halt Deutsch, Mutti!“, fordert er seine Frau auf.
„Zwei, vier, sechs, acht, zehn!“, beweist Johanna störrisch, dass sie auch auf Deutsch zählen kann. Sie tippt weiterhin auf die Finger. „Dvacet, třicet, padesát.“
„Sie hat immer gern Karten gespielt“, erzählt Franz und gießt mit zittriger Hand Tee auf. Er ist jünger als seine Frau, erst neunundachtzig. „Sie müssen wissen, ihre Finger sind für sie Spielkarten.“
„Und was soll ich jetzt mit dem Blatt?“
Emma zuckt die Schultern. Ob das Schicksal Johanna schlechte Karten ausgeteilt hat? Wie sie da so saß im Rollstuhl, die Augen abwechselnd in die Ferne und auf ihre Hände gerichtet, wirkte sie ganz zufrieden.
„Schmeiß es weg, das Blatt, Mutti!“, sagt Franz.
Johanna fasst in ihren Mund, schält das Gebiss heraus und knallt es auf den Tisch. „Oder nein. Ich dreh zu!“ Sie lächelt zahnlos. Emma kann sich das Lachen kaum verkneifen, aber sie möchte nicht, dass die beiden alten Leute das Gefühl haben, ausgelacht zu werden. Die slowakische Betreuerin hält die Dritten unter den Wasserhahn und schiebt sie Johanna wieder in den Mund. „Jetzt gibt es Knedlíky, da brauchen Sie die Zähne.“

Während die Betreuerin Johanna mit den böhmischen Knödeln mit Saft füttert, beantwortet Franz Emmas Fragen. Wie hoch das Einkommen sei? Wie hoch das Pflegegeld? Wer bezahlt die Rechnungen für die 24-Stunden-Betreuung? Wem gehört das Haus? Gibt es Schulden? Versicherungen? Kinder? „Meine Güte“, sagt er und rührt im Tee um, „Sie sind aber neugierig. Und reden tun Sie wie ein Wasserfall. Lassen Sie sich ruhig Zeit, wir rennen Ihnen eh nicht mehr davon“, und nach einer kleinen Pause, „wir sterben Ihnen höchstens weg.“ Emma beißt sich auf die Lippen.
„Entschuldigung, Herr Sebesta.“ Emma bemüht sich, ganz langsam zu sprechen. Wie es ihm damit geht, sich um seine verwirrte Frau zu kümmern. Ob er sich damit nicht manchmal überfordert fühle?
Franz lacht. „Nur von ihren Fragen“, sagt er, „sonst nicht. Das haben wir einander ja versprochen. In guten wie in schlechten Zeiten.“
„Was will die eigentlich von dir?“ keift Johanna zwischen zwei Bissen Knödel in ihre Richtung.
„Nix Mutti, nix. Iss weiter.“
„Ist sehr gute Mann“, lobt die Pflegerin. „Kümmert gut um Frau und zahlt pünktlich.“
Was will man mehr von einem Mann, denkt Emma und verabschiedet sich von Franz. Dann geht sie zu Johanna, ergreift ihre schlaffe Hand mit der beinahe durchsichtigen Haut und drückt sie sanft. „Auf Wiedersehen, Frau Sebesta. Ich wünsch Ihnen was.“
Johanna schaut sie an. Jetzt wirkt sie ein bisschen verstört. „Ich kenn mich grad nicht aus“, sagt sie. „Wer hat jetzt noch mal gewonnen?“
„Sie haben gewonnen, Frau Sebesta, wie immer. Herzlichen Glückwunsch.“

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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