Sonntag, 21. November 2010

Gans oder gar nicht

„Ein kleines Gulasch“.
Das waren die letzten Worte von Trude. Das wusste sie aber zu diesem Zeitpunkt nicht. Vielleicht hätte sie sonst etwas Gehaltvolleres gesagt, wie „Wir wollten alles, und wir haben es bekommen, nicht wahr?“ (Marlene Dietrich) oder „Sterben ist eine ziemlich stumpfsinnige und öde Angelegenheit“ (Somerset Maugham) oder „Licht, mehr Licht!“ (Goethe). Oder „Auch du, Brutus“,wie Julius Caesar.
Vielleicht hätte sie in der Vorahnung ihres Todes wenigstens das gleiche gesagt wie ihre siebzehn Kollegen aus dem Pensionistenverein: „Ein Martinigansl, bitte“.

Trudes letzte Worte aber waren „Ein kleines Gulasch“. Wegen der Cholesterinwerte, des hohen Blutdrucks und der Ratschläge ihres Hausarztes. Das Gulaschfleisch war mager, der Saft sämig und die Semmel resch. Alles war wunderbar. Trotzdem fiel Trude nach den ersten Bissen vom Stuhl und schlug polternd auf dem Boden auf.
„Was ist mit dir, Trude?“, schrie Hermann vom anderen Ende der Tafel. „Schmeckt dir das Gulasch nicht?“
Gelächter.
Hans, der neben Trude saß, beugte sich mühsam zu Boden, griff nach ihrem Handgelenk und fühlte den Puls. Er fühlte nichts. „Oh je“, sagte er, schloss ihr mit den Fingern die Augen und schnitt sein dampfendes Erdäpfelknödel auf.
Adolf, der ein paar Plätze weiter saß, wollte aufstehen und zu Trude gehen, aber seine Frau drückte ihn wieder zurück in den Stuhl und nötigte ihn sitzenzubleiben. „Lass gut sein“, flüsterte sie ihm zu, „mach dich nicht schon wieder wichtig.“ Sie waren neu im Dorf und das erste Mal bei einer Feier des Pensionistenvereins.
„So eine gute Haut“, lobte Erwin das Geflügel, „genau wie sie sein soll. Knusprig und zart. Das Fleisch nicht zu mager und nicht zu fett. Und so ein guter Saft.“ Er tunkte das Knödel in den Bratensaft und häufte Rotkraut auf die Gabel.

„Herrschaftszeiten, was ist denn da passiert?“ Der Wirt erschrak beim Anblick von Trude und stieg vorsichtig mit den drei Tellern Gans über ihren Leib. „So zieht’s sie doch wenigstens auf die Seite, da stolpert man ja drüber.“
„Wär ewig schad’ um die Gänse“, kicherte Elfriede. Sie hatte Trude ohnehin nie leiden können.
Horst und Fritz, früher mal bei der freiwilligen Feuerwehr, erbarmten sich, krempelten ihre Ärmel hoch und zogen die tote Trude in die Ecke des Gastraumes. Der Wirt wischte sich erst mit dem fettigen Geschirrtuch über die Stirn und breitete es dann über Trudes Gesicht. „Wegen der Pietät“, erklärte er den anderen, schlug ein Kreuzzeichen und murmelte zu Trude: „Gott hab dich seelig. Schad um das Gulasch.“
„Hmmm, die Apfel-Maronifülle ist köstlich, da hätt ich gern das Rezept“, zwinkerte Elfriede dem Wirten zu.
„Da gibt’s kein Rezept. Geviertelte Äpfel und ganze Maroni und rein damit in den Bauch.“
Adolf legte das Besteck zur Seite. Ihm war der Appetit vergangen. „Habts ihr wer ein Handy dabei? Wir sollten den Summerer anrufen.“ Der Summerer war der Bestatter.
„Bleib locker, Adi. Der Summerer sitzt jetzt sicher auch beim Mittagessen und will nicht gestört werden. Die rennt uns schon nicht davon.“
„Vielleicht wenigstens eine Schweigeminute?“ Adolf ließ nicht locker. Seine Frau stieß ihm den Ellbogen in die Rippen.
Die anderen lachten. „Die Trude hat auch nie geschwiegen.“ Elfriede trank das dritte Glas Blauburger aus.
„Außerdem hilft ihr das jetzt nichts mehr. Und das Gansl wird kalt.“ Franz nahm die Keule in beide Hände und biss ab. Die Kruste knirschte unter seinem falschen Gebiss. „Übrigens: Kennts ihr den...“ Er wartete die Antwort nicht ab. „Fragt eine Gans die andere: Gibt es ein Leben nach Martini?“
Alle grölten. Alle außer Trude und Adolf. Trude lag tot in der Ecke und Adolf tupfte seinen Mund mit der Stoffserviette ab und schlich hinaus.

„Wer von euch hat Erste Hilfe geleistet?“ Die Notärztin kniete neben der Toten.
„Wozu denn erste Hilfe? Die ist runtergefallen, es hat einen Pumperer gemacht und sie war auf der Stelle tot.“
„Fachmann, wie? Hat es wenigstens einer mit Herzmassage versucht? Vielleicht hätte man sie retten können.“
„Ich wollt eh, aber ich hab Angst gehabt, dass ich ihr was breche“, sagte der fette Friedrich kleinlaut.
„Und da habt ihr gesagt, besser tot als eine gebrochene Rippe, oder wie?“
Adolf rutschte nervös auf seinem Sessel hin und her. Er schämte sich.
„Für mich eine Melange“, bestellte Fritz, als der Wirt hereinkam, „und einen Kastanienreis mit Schlag.“
„Verdammt noch mal!“, die Notärztin schrie jetzt. „Das darf doch wohl nicht wahr sein. Hier stirbt eine von euch und ihr denkt nur ans Fressen und Saufen. Das setzt eine saftige Anzeige, darauf könnt ihr euch gefasst machen!“ Sie redete sich in Rage. „Was habt ihr euch dabei eigentlich gedacht?“
„Wissen Sie, Frau Doktor, in unserem Alter sterben die Leute ständig. Gansl gibt’s nur zu Martini. Das kann man doch nicht kalt werden lassen.“

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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