Sonntag, 1. April 2012

Alentejo

Das war eine meiner allerersten Geschichten:



Es stank nach Fisch. Sie stank nach Fisch. Er stank nach Fisch. Sie drehte den Kopf zur Seite, als er seine Zunge in ihren Mund stecken wollte und schloss die Augen, als er sich in der Garderobe in sie bohrte. Sie schloss die Augen und hoffte, es möge schnell vorbei sein.

„Wo warst du?“ brüllte Ana ihr durch den Maschinenlärm zu, als sie wieder in der Halle stand und die toten Fische abspritzte.
„Mir war schlecht“, antwortete sie tonlos. Das war noch nicht mal gelogen.
„Sei froh, dass der alte Moura nicht gekommen ist“, meinte Ana. „Sonst hätten wir uns wieder was anhören können!“
Maria verschwieg, dass Joao Moura soeben gekommen war. Er kam fast jeden Tag. In ihrem Körper. In dem Körper, der ihr einmal lieb und vertraut und der ihr jetzt so fremd war.
„Dir ist schlecht? Schon wieder? Sag bloß du bist schwanger?“ Ihre Freundin schaute sie mitfühlend an. Maria schüttelte den Kopf und arbeitete weiter.

So gern hätte sie mit ihrem Mann ein Kind gehabt. Aber es hatte nicht sein sollen. Um abzuklären, warum es nicht klappen wollte, waren sie in der Klinik gewesen. Die Untersuchungsergebnisse hatte sie nie aus dem Labor abgeholt. Nach seinem Tod war es egal. Und jetzt war ohnehin alles egal.

„Weißt du, was mich wundert, Maria?“ fragte Ana in der Pause und packte ihr Brot aus. „Dass die da...“ sie deutete mit dem Kopf zum Nebentisch, an dem die anderen Frauen saßen und durcheinander redeten, „...dass die da dem Alten noch nicht gesteckt haben, dass du hin und wieder für mich stempelst. Dabei können die uns nicht ausstehen und behandeln uns, als hätten wir eine ansteckende Krankheit.“ Sie biss in ihr Käsebrot. „Na ja, lass uns froh sein, dass sie die Klappe halten. Sonst wären wir den Job schon los.“
Maria zuckte mit den Schultern, schwieg und wunderte sich nicht. Ihre Arbeit war ihr mittlerweile egal. Aber Ana war ihr nicht egal. Und Anas kleine Tochter Laura auch nicht. Deshalb hatte sie ihr ohne zu zögern angeboten, auch ihre Karte in die Stechuhr zu schieben, wenn sie Frühschicht hatten, damit Laura nicht eine halbe Stunde allein vor dem Kindergarten stehen und warten musste.
„Maria, ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll.“ Sie hielt ihre Hand.
„Schon gut, Ana. Du würdest das an meiner Stelle auch tun.“

Ana lebte seit fünf Jahren in dem Fischerdorf im Alentejo. Am Anfang hatte Maria sie nicht leiden können. Ihre Sorglosigkeit. Ihre Schönheit, mit der sie alle Männerblicke auf sich zog. Ihr Lachen, das viel zu laut war. Und später das Glück, das ihr aus den Augen sprang, wenn sie mit ihrer Tochter spielte oder von ihr erzählte.
Dann war der Unfall passiert. Der Sturm hatte die Fischer draußen von einer Minute auf die andere aus dem Leben gerissen und die beiden Frauen zu Witwen gemacht. Der Sturm hatte sie schließlich auch Freundinnen werden lassen.
Verstohlen und durch einen Schleier von Tüll und Tränen hatte Maria sie auf dem Friedhof von der Seite beobachtet. Und plötzlich eine andere Ana gesehen als die, die sie kannte. Eine Zerbrechliche. Eine Leise. Aber gleichzeitig eine unheimlich Starke, die dem Leben ins Gesicht spuckte. Die dem Tod die Stirn bot und ihn zornig anbrüllte: „Mich kriegst du nicht klein!“ Doch das Glück in Anas Augen sprang seitdem nicht mehr. Es machte nur noch ganz kleine zaghafte Schritte und drohte in lauter kleine Scherben zu zerbersten.

Trotz oder wegen ihres Schmerzes war Ana nach der Beerdigung mit ihrer kleinen Tochter am Arm geradewegs auf Maria zugekommen. „Wir sollten jetzt zusammenhalten. Das Leben geht weiter. Deins auch, Maria. Du weißt, wo du mich findest, wenn du mich brauchst.“
Sogar in ihrer Trauer war sie stark und stolz gewesen. Selbst in ihrer Einsamkeit hatte Ana gespürt, dass da jemand war, der noch einsamer war als sie. Der sie brauchte.

Maria hatte es nicht geschafft, an Anas Tür zu klopfen. Wieder war es Ana gewesen, die zu ihr kam, mit einer Flasche Wein in der einen und ihrer Tochter an der anderen Hand.

Von diesem Tag an saßen sie oft zusammen, hörten Fado und schwiegen. Bei Ana flossen die Tränen, die ein wenig von der Traurigkeit wegschwemmten. Bei Maria floss nur der Wein. Sie konnte noch immer nicht weinen.
Mit der Zeit hatte das Glück erneut Tritt gefasst in Anas Leben und vorsichtig wieder Sprünge versucht. Das von Maria war Hand in Hand mit dem Leben aus ihrem Körper gekrochen und hatte sich aus dem Staub gemacht. Und sie versuchte nicht einmal, es einzuholen.

Es war eine stille und zärtliche Nähe, die zwischen den beiden Frauen entstand. Sie redeten nicht viel, wenn sie zusammen saßen. Ein warmes tröstendes Band war zwischen ihnen, und die Schwere fühlte sich nicht mehr ganz so schwer an, wenn die andere da war. Ana hatte erleichtert gewirkt, als sich zögernd kleine Flammen von Fröhlichkeit in Marias Augen schlichen. Aber in den letzten Wochen waren auch die wieder erloschen.

Maria hatte Ana nichts davon erzählt, dass die Frauen sie bei Moura angeschwärzt hatten und der über die Sache mit der Stempelkarte informiert war. Ana hatte nicht den blassesten Schimmer davon, dass er Maria zu sich ins Büro geholt, sie angebrüllt und ihr gedroht hatte, sie beide auf der Stelle zu entlassen. Es sei denn, und bei diesen Worten hatte er dreckig gegrinst, es sei denn, Maria käme ihm ein bisschen entgegen.
Maria blieb stehen. Es war Moura , der ihr entgegenkam.
Es war nicht die Angst vor Moura, die Maria davon abhielt, sich zur Wehr zu setzten, als er ihr an die Brust fasste. Es war die Liebe zu ihrer Freundin Ana, die sie beugte. Es war die Sorge um Anas Tochter Laura, die sie in die Knie zwang. Ana war auf den Job in der Fabrik angewiesen. Es gab keine andere Arbeit hier in der Gegend. Nicht im Winter, wenn keine Touristen da waren. Und schon gar nicht für eine Witwe mit einer kleinen Tochter.

Nachdem Moura über ihr und in ihr gekommen war, verschwand Maria aufs Klo und kotzte seine Macht wieder heraus.


Seit Dienstag kotzt Maria nicht mehr. Seit Dienstag ist Moura verschwunden. Seit Dienstag kein Gebrüll mehr über zu langsame Arbeit. Keine Abzüge für zu lange Pausen. Kein in die Knie gehen. Seit vier Tagen.

Maria schneidet sich ein Stück Brot vom Laib und öffnet eine Dose Makrelen. Als sie zur Gabel greift, legt Ana ihr hastig die Hand auf den Arm.
Am Freitag hat Ana durch den Türspalt gesehen, wie Moura seinen stinkenden Fischkörper an Maria gerieben hat. Am Samstag hat sie den Entschluss gefasst. Am Sonntag alles geplant. Am Montag den Plan ausgeführt.

„Nicht essen, Maria!“ sagt sie und streicht ihr eine Strähne aus dem Gesicht. „Wer weiß, was da drin ist.“

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
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Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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