Zwischenernte

Eine Zeitlang war ich sehr diszipliniert. Jeden Morgen ins Forschertagebuch geschrieben, mich drei Mal die Woche im Fitnessstudio gequält, schlecht bezahlte Überstunden gemacht. Ein bisschen war ich stolz auf mich, weil ich eigentlich ein Faultier bin, weil ich genieße zu schlafen, mich auszuruhen, mir Gutes zu tun.
Und diesen Sommer ist irgendetwas passiert. Vielleicht hat es mit der Mitte des Lebens zu tun und dass mir bewusster geworden ist, dass die Tage gezählt sind, vielleicht mit dem vierten Stern von links, vielleicht mit dem Ton, mit dem die Birnen in die Wiese fallen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich im Urlaub gemerkt habe, wie sehr ich mein Leben, meine Familie und meine Freunde genieße, auch wenn ich nicht arbeite oder schreibe. Und dass ich geliebt werde, auch wenn ich nichts leiste. Einfach so.

Ich muss nicht. Ich darf. Ich muss nicht im Halbschlaf sensationelle Gedanken zu Papier bringen, ich darf bis zu Mittag schlafen und am Nachmittag schreiben, oder gar nicht. Ich muss keinen Bestseller verfassen wie E.L.James, ich darf einfach so vor mich hin tippen und mich daran freuen, wenn jemand sich mit mir über das Geschriebene freut. Zweimal die Woche Fitnessstudio tröstet das schlechte Gewissen fast genauso gut wie dreimal und trägt ausreichend dazu bei, dass ich mich halbwegs fit fühle. Ich muss mich nicht mit all den Schönen, Fitten und durchtrainierten Frauen vergleichen. Ich muss mich überhaupt nicht vergleichen.

Und nachdem die Revision kritisiert hat, dass ich zu viele Stunden im Büro bin und zu wenig „Output“ habe (zufriedene Klienten und Angehörige, die sich gut beraten und geschult fühlen, sind kein „Output“, nur Zahlen zählen, Fallzahlen, Leistungskennzahlen, Score, Durchlauf... bis einem der Schädel wackelt und man ausgebrannt ist), bin ich eben nicht mehr zu viel im Büro, sondern geh einfach nach Hause, sitz im Garten und lese, backe Brot, bereite Kürbishummus und Birnenziegenkäsetarte und freu mich, wenn es schmeckt. Ich hab mir einfach so eine Woche Urlaub genommen, war bei einer Freundin in Zell am See, bin um den See gewandert und hab von der Terrasse des Grand Hotels Araberinnen beobachtet und mich gefragt, was wohl hinter den Burkas vorgeht – was diese Frauen über uns denken, wie sie leben und fühlen.
Eine Geschichte hab ich geschrieben für eine Freundin zum Geburtstag. Mit einer anderen Freundin hab ich wieder einen Kalender gemacht, der wunderschön geworden ist. Viel gelesen hab ich. Einen neuen Rekord bei Temple Run aufgestellt. Die Sonnenstrahlen im Gesicht und auf der Seele genossen.

Vielleicht ist nach dem vielen Pflügen, Eggen, Säen und Gießen jetzt Ernte angesagt. Eine kleine Zwischenernte. Um Kraft zu sammeln für die nächsten Jahre.
Olaf (Gast) - 28. Sep, 22:07

Menschen

die nicht genießen können, sind mir suspekt. Weil ein Leben ohne Genuss ein verschwendetes Leben ist. Denn das ist der Sinn des Daseins; das Dasein zu genießen. Nur darum geht es und um nichts anderes.

la-mamma - 29. Sep, 10:07

unlängst irgendwo gelesen: wer nicht genießt, wird ungenießbar;-)
HARFIM - 29. Sep, 00:58

einfach mal ein Nichtsnutz sein :-)


Olaf (Gast) - 29. Sep, 20:11

Das sehe ich anders. Genießen heisst nicht automatisch nichts zu nützen. Wer genießt kommt auf Gedanken und Gedanken bringen auf Ideen. Und was wäre unsere Welt ohne so manche geniale Idee? ;o)
HARFIM - 30. Sep, 11:20

Ja, natürlich,

ich hätte deutlicher sagen sollen, dass ich es ironisch meine, also das, was ein "braver Bürger" der immer schaffen geht, "Nichtsnutz" nennt :-)
Sehr zu empfehlen ist da auch von Eichendorff glaube ich, "Aus dem Leben eines Taugenichts".
datja (Gast) - 5. Okt, 10:27

*****


katiza - 6. Okt, 10:59


Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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