Gedanken

Dienstag, 22. August 2017

Eine feine Gesellschaft

Gestern bin ich über einen Artikel gestolpert, in dem eine über 50-jährige Frau meint, sie müsse gar nichts. Sich nicht die Haare färben, keinen Kopfstand beim Yoga machen, kein Smartphone besitzen und sich nicht altersentsprechend kleiden. Sie rechtfertigt sich dann einen ganzen Artikel dafür, warum sie das alles nicht muss, mit über 50.

Im ersten Moment habe ich genickt und gesagt: Eh klar.
Im zweiten Moment habe ich mich gefragt: Warum kommen die Frauen eigentlich mit 50 drauf, was sie wollen und nicht wollen? Warum nicht mit 37 oder 42? Das Leben ist reichhaltiger geworden mit über 50, es bietet mehr Falten, mehr schlaflose Nächte, mehr Hitzewallungen. Sonst hat sich nichts geändert.

Im dritten Moment hab ich mich gefragt, wie das denn in meinem Leben so ist. Ob ich mache, was die Gesellschaft von mir erwartet oder mich dagegen wehre. Und wer denn diese Gesellschaft überhaupt ist.
Noch nie hat mich die Fleischhauerin gezwungen, einen Kopfstand beim Yoga zu machen, nein, noch nicht mal den Sonnengruß, noch nie hat mich jemand dazu überredet, mir die Haare rot zu färben oder mich zu einem Waldlauf genötigt. Die Leute, die mich umgeben, lassen mich einfach so sein, wie ich bin.
Niemand schreibt mir vor, dass meine Röcke übers Knie reichen sollten und keine Sau möchte, dass ich in meinem Garten Thujen pflanze. Dem Bäcker ist es egal, ob ich das Brot in High Heels oder in Jogginghose kaufe. Oder in beidem. Niemand verlangt von mir, täglich Staub zu saugen. Also niemand außer meiner Tochter, aber die ist zwar eine wunderbare Gesellschaft, aber eben nicht DIE Gesellschaft. Außerdem bittet sie mich meistens ganz lieb, alle paar Monate. Oder saugt selbst.

Ich erlebe in meinem Alltag und in meinem Beruf weniger Vorurteile, als man so glauben möchte. Die demente ehemalige Bäuerin im Pflegeheim wirft einen Blick auf meine Latzhose und erzählt aus ihrem Leben in Armut. Der Richter bemerkt meine silbernen Sneakers nicht einmal, sondern überlegt die Route seiner für das Wochenende geplanten Radtour. Die Gutachterin ignoriert meine Speckröllchen im engen Kleid und fragt sich, ob sie es rechtzeitig zur Ballettaufführung ihrer Tochter schafft.

Der Gesellschaft rund um mich ist - auch wenn diese Erkenntnis weh tut - in Wirklichkeit wahrscheinlich blunzenwurscht, ob ich ayurvedischen Frühstücksbrei oder Eier mit Speck esse und ob ich Shopping Queen oder eine GEO-Reportage sehe. Die Gesellschaft da draußen hat nämlich ganz andere Sorgen. Dem Menschen ist nichts so interessant wie er selbst. Wir nehmen uns da vielleicht ein bisschen zu wichtig, in dem wir uns vormachen, die Gesellschaft schreibe uns vor, wie wir zu ticken und uns zu benehmen haben.

Ich glaub, diese Gesellschaft, die ständig Dinge von uns erwartet, die uns nicht erlaubt, in Flipflops ins Büro zu gehen und will, dass wir Sport betreiben anstatt Tiramisu zu essen, diese Gesellschaft, die ist nicht um uns herum, sondern in uns. Diese mieselsüchtigen, lustlosen Gesellen hocken in unseren Köpfen, in ihren Wollkostümchen und grauen Anzügen, umrandet von Thujenhecken. Sie trinken Kräutertee und stallieren uns aus. Haben ja auch sonst nichts zu tun.

Es liegt aber an uns, welche Gesellen wir einladen, da oben zu wohnen. Was wir ihnen zu trinken anbieten und womit wir sie füttern, mit Ängsten und Vorurteilen oder mit einem satten Gefühl. Wenn die Champagner trinken, das Leben in unseren Hirnen genießen und sich wohlfühlen, dann lassen sie uns auch mit ihren komischen Vorschriften in Ruhe.

Prost.

Sonntag, 24. April 2016

Versteht man da Wiener Schmäh?

„Versteht man hier Wiener Schmäh?“ war der Titel der Lesung und die Antwort auf diese Frage ist ein lautes Jaaaaaa!

Mit jedem Menschen, der die schöne, helle Musikschule in Berlin/Lichtenberg betritt, werden ein paar Jahre weg- und Erinnerungen hergewischt. Plötzlich bist du wieder die Freie Radikale und die Soziale Randgruppe aus Chatzeiten, die Kaffeehausintellektuelle aus Schreibforumzeiten und die Testsiegerin aus Blogzeiten. Die Bescheidenheit hat dich offensichtlich während des gesamten virtuellen Zeitalters begleitet.

Du erinnerst dich daran, wie du fremden Autoren und Autorinnen ihre schlecht sitzenden Sätze erst vom Leib ge- und dann in der Luft zerrissen hast, anstatt sie zu unterstützen, da und dort ein paar Abnäher und Säume anzubringen. Du warst eine von diesen Kritikerinnen, die sie gefürchtet und gehasst haben. Im Chat war das ähnlich. Weil du für einen guten Schmäh manchmal über Leichen gegangen bist. Die, die du im Laufe der Zeit persönlich kennengelernt hast, haben irgendwann gemerkt, dass hinter der rauen Schale ein weiches Herz steckt.

Jetzt, Jahre später, tut dir das leid. Nicht das weiche Herz, sondern deine Lust an der Provokation. Und jetzt, Jahre später, sitzen ein paar der Weggefährten von damals im Publikum. Sie sind dir wohlgesonnen und du hast die Gewissheit, dass sie dir nichts vom Leib reißen werden, was vermutlich nicht nur am Alter liegt.

Und dann liest du, und zwischen deinen Texten machen Cellotöne Haut von Gans auf der Seele, was nichts mit der kratzigen A-Seite, die in ihren letzten Atemzügen liegt, zu tun hat, sondern mit der wunderbaren Musik und der warmen Stimmung und den Erinnerungen und dem Gefühl, richtig zu sein.
Als du Gedichte liest, kann man eine Stecknadel fallen hören, was nur eine Metapher ist, weil man Stecknadeln auf weichem Teppichboden natürlich nicht hören kann. Außerdem werfen die Leute bei Lesungen üblicherweise nicht schachtelweise Stecknadeln zu Boden, um zu testen, ob sie ihr Fallen hören.

Und du labst dich an Tränen in den Augenwinkeln der ZuhörerInnen, als du Goa liest, die Geschichte mit dem indischen Pfleger, und vermutlich heulen die nicht, weil die Texte so schlecht sind. Und du schämst dich dafür, dass du vielleicht genau diesen Menschen vor Jahren wehgetan hast, weil die Sprache für dich nicht nur Werkzeug war, um Menschen mit Geschichten zu unterhalten und zu berühren, sondern scharfe Waffe.

Später dann lässt du dich selbst berühren, von Menschen, die dir schon lange vertraut sind oder es grad werden. Es ist ein wunderbarer Abend, einer von denen, an die du dich gern zurückerinnern wirst.

Danke an euch, die ihr da wart, obwohl ich nicht immer nett zu euch war. Danke, dass ihr mir verziehen habt. Danke, dass ihr diesen Abend mit mir geteilt habt.


Und weil dir das Spiel auf sicherem Terrain nicht reicht, wirst du wieder übermutig. Fährst in eine abgefuckte Kaschemme irgendwo in Kreuzberg zu einem Poetry Slam und beschließt spontan, teilzunehmen.
„Kennan Österreicherinnen do a mittuan?“, fragst du und sie schauen dich mit großen Augen an.
„Wa?“
Hier versteht man Wiener Schmäh eher nicht. Du wiederholst die Frage im druckreifen Hochdeutsch, doch die junge Frau an der Theke, gepierced und tätowiert, als wäre sie soeben aus dem Knast entlassen worden, starrt dich an, als wärst du nicht aus einem benachbarten Land mit einer verwandten Sprache, sondern als wären auf dem Platz der Luftbrücke keine Allierten, sondern Aliens gelandet. (Dabei hat der Typ vom Markt, auf dem du dir diese schicke Beaniemütze gekauft hast, gesagt: „Damit sehen Sie 20 Jahren jünger aus.“ Wahrscheinlich waren 20 Jahre nicht genug.)
„Du willst beim Poetry-Slam mitachen?“, fragt sie und irgendwie bist du froh, dass du doch nicht Gedanken lesen kannst.

Hallo? Noch schütte ich mir nicht täglich ein Schauferl Erde über mein Gesicht, um mich an das Feeling zu gewöhnen (danke Ute, für diesen Sager!), und ich finde, man darf auch mit Ü-50 noch schreiben, lesen und slammen. "Es gibt kein Verbot für alte Weiber, auf Bäume zu klettern", hat Astrid Lindgren gesagt.

Du bist froh darüber, dass es so kalt ist und du nicht das Designerkleid oder den Glitzerrock und die neuen Schuhe angezogen hast. Obwohl das wahrscheinlich auch schon egal gewesen wäre. Für die Flucht ist es zu spät, außerdem bist du zwar eine Meisterin der Verdrängung, aber Flucht liegt dir nicht.

Der Moderator erklärt das Regelwerk eines Poetry-Slams und du zuckst bei seinen Worten zusammen. Du bist die lustige, warmherzige Mieze Medusa gewöhnt und nicht einen preussisch-amerikanischen Luftwaffenchef, der nicht mal deinen Namen richtig aussprechen kann. Dann befiehlt noch die gepeckte Thekenschlampe „Respect the Poet, verdammt noch mal!“ Sie macht dir ein bisschen Angst.

Der Raum ist rappelvoll, wenn du auch keine Ahnung hast, wie voll Rappel ist. Das Gastzimmer, das durch einen Vorhang vom Veranstaltungsraum getrennt ist, ist auch voll, und den Leuten jenseits des Vorhangs ist egal, ob da Poeten um ihr Leben slammen.
Da hilft es auch nichts, dass die Thekenschlampe hin und wieder „Schauze halten!“ hinausbrüllt.

Die Thekenschlampe stellt sich als zweite weibliche Autorin neben dir heraus, und aus ihren Blicken trieft Verachtung. Ey, wir sollten uns solidarisieren, denkt du, Frauenpower und so, aber es will dir nicht gelingen. Du schämst dich, dass du sie heimlich Thekenschlampe nennst und weißt, dass du deiner Tochter einen Vortrag über Feminismus halten würdest, wenn sie das täte.

Sämtliche Autoren, außer dir natürlich, sind irgendwie... wie sagt man... irgendwie gezeichnet, nicht nur von Tattoonadeln, sondern vor allem vom Leben. Und davon erzählen auch ihre Texte. Einem Leben voller Drogen, abwesenden Eltern, amputierten Beinen, die den Vorteil haben, dass man sich nicht die Zehennägel schneiden muss, vom Gefühl, wie der Druck nachlässt, wenn man sich ritzt, vom Leben in der Psychiatrie und mit Alkohol und ohne Perspektiven. Es ist natürlich nicht so, dass du mit solchen Schicksalen nicht vertraut bist, aber nur aus zweiter Hand, aus dem Leben deiner Klienten, nicht aus deinem eigenen.

Das erste Mal seit Monaten bist du erleichtert über deine Zahnlücke, durch die du dich dieser obskuren Gruppe wenigstens ein bisschen zugehörig fühlst, obwohl deine Zahnlücke mit den Lücken und Zahnstummeln der Slamkollegen nicht annähernd mithalten kann.

Manche der Texte und Vorträge sind verdammt gut, berührend und sehr authentisch. Vor allem aber sind sie düster. Als die Thekenschlampe einen Text über einen Jugendlichen vorträgt, der sein ganzes Leben lang gedemütigt und gemobbt wurde, den sie mit dem Kopf in die Kloschüssel gesteckt haben und angepisst haben, und der am Ende des Textes Amok läuft und Leute abknallt, hast du den Eindruck, dass sie für ihn Sympathien empfindet und bist irritiert. Als dir der Gedanke kommt, sie selbst könnte der gemobbte Jugendliche sein und nach dem Slam ihre Fantasien wahrmachen, kriegst du noch ein bisschen mehr Angst.
Obwohl du ja auch noch nie einen Lagerhausmitarbeiter durch den Häcksler gejagt hast, nur in der Geschichte.

„Next one. Barbel“, brüllt der Offizier statt Gentleman.
„Yes Sir“, brüllst du zurück.

Du kommst dir komisch vor, weil deine Eltern nicht ihre Zigaretten auf deinem Rücken ausgedrückt haben, du nur ganz selten die Schule geschwänzt hast und du einen Job hast. Weil du zwar mit Messer und Gabel, aber nicht mit Heroinbesteck umgehen kannst und du lieber dein Schnitzel als deine Pulsadern aufschneidest. Du kommst dir komisch und als Außenseiterin vor, weil in deiner Geschichte Lamm, Rosmarin und Chilischokoalde in der Speisekammer Blümchensex haben und keiner von denen schreit: „Ich fick deine Mutter, ey!“ - wie in der Pause der beinamputierte Alkoholiker zur Thekenschlampe.

Und da ist es wieder, das vertraute Gefühl, nicht dazuzugehören, wo auch immer. Obwohl du in Wahrheit natürlich nicht dazugehören willst. Nicht hier. Nicht jetzt.

Auf dem Nachhauseweg grübelst du immer noch, ob es mutig oder einfach nur blöd war, teilzunehmen. Es macht aber eigentlich keinen Unterschied.

Donnerstag, 7. Januar 2016

S wie Strumpfhose

Das ist mein Beitrag zum Projekt Kleider machen Leute, in dem es darum geht, Geschichten zu Kleidungsstücken von A - Z zu schreiben.
Mitmachen und teilen ist ausdrücklich erwünscht.


Robin Hood hatte eine.
Batman hatte auch eine. Ich hab hundert. Strumpfhosen. Helden tragen Strumpfhosen.

Strumpfhose - ʃtʀʊmpfˌhoːzə

Kleidungsstück, welches Kinder anziehen müssen, wenn es Mama und/oder Papa kalt ist, würde Mechatroniker analog zum Pullover sagen.

15 Grad Celsius. Das war in meiner Kindheit die ominöse Marke, an der wir uns orientieren mussten. Unter 15 Grad hieß es: Strumpfhosenalarm! Und die Strumpfhosen, die wir als Kinder anziehen mussten, waren nicht mit den heutigen vergleichbar, sondern kratzige, unangenehme Beinkleider in Beige und Braun. Strickstrumpfhosen.
Ich gestehe, ich habe den Thermometer manchmal in den heißen Kamillentee getaucht, denn dann waren die geringelten Kniestrümpfe erlaubt. Ich hab diese grauslichen Strumpfhosen gehasst, wie die meisten Mädchen. Und meinen Bruder gleich mit, weil der keine (mehr) anziehen musste.

Nicht alle fühlen sich jedoch durch solche Erinnerungen abgeschreckt. In einem Forum las ich folgendes: Hallo, kennt von euch jemand einen Shop oder eine Marke, welche super kratzige Wollstrumpfhosen verkaufen? Meine Freundin hatte mal eine aus DDR-Zeiten, die war echt unerträglich kratzig :-) Finde dies sehr anregend, wenn man den ganzen Tag erinnert wird, was man trägt.

Er war nicht allein und bekam zahlreiche Tipps von zahlreichen Strumpfhosenfetischisten.

Eine Freundin, die die Erfahrungen mit kratzigen Strumpfhosen mit mir teilt und deren Liebe zu diesem Kleidungsstück sich auch später nie entwickelt hat, meinte: „Wenn ich mal dement bin und im Heim, klau ich allen Mitbewohnern ihre Strumpfhosen und schneide sie in Streifen! Das wird meine Rache.“
„Wenn ich mal dement bin und du klaust meine, bring ich dich um“, hab ich gesagt und es ernst gemeint.


Am 15. Mai 1940 wurden übrigens die ersten Nylons verkauft. Der Tag ging als N-Day in die Geschichte ein.

Mein Onkel, der Fernfahrer, hat sie in den Sechzigerjahren nach Russland mitgenommen. Er fuhr mit ein paar Nylonsackerl (Kunststofftüten) Nylons von zu Hause weg und kam mit Matrjoschkas, einem hölzernen Bären mit Honigtopf, einem Schachspiel, einem geschnitzten Fischer mit Boot und Kaviar zurück. Die Nylonsackerl, die garantiert kein Nylon enthielten, waren übrigens ähnlich begehrt wie die Strumpfhosen.

Heute werden Nylons weggeschmissen, wenn sie eine Laufmasche oder ein Loch im Zeh haben. Meine Mama hat sie noch mit dem hölzernen Stopfschwammerl gestopft. „Unter der Hose kannst du die noch anziehen“, hat sie gesagt.
Mittlerweile gibt es laufmaschenresistente Strumpfhosen. Aber die haben so viel Charme wie unzerbrechliche chinesische Porzellanvasen. Die Gefahr, dass etwas Kostbares kaputtgehen kann, macht seinen Wert aus.

Ich war schon als Kind ziemlich schlampig und hängte nicht, wie es sich gehört, am Vorabend die Kleidung für den nächsten Tag fein sortiert über den Stuhl, sondern schlüpfte schlaftrunken so hinein, wie ich sie ausgezogen und auf den Boden geschmissen hatte. Auf dem Weg zum Bahnhof fühlte sich in meiner Hose etwas komisch an. Ich griff in den Hosenbund und zog und zog und zog... eine Strumpfhose heraus. Das war mir ziemlich peinlich, denn ich war nicht allein, sondern mit ein paar Schulkollegen unterwegs.
Ich hätte also genug Gründe, um Strumpfhosen zu hassen... aber ich liebe sie. Die Strumpfhosen von heute, anschmiegsam, weich, sanft, die Beine umschmeichelnd, haben nichts mit den Angstgegnern aus meiner Kindheit zu tun.


Ich war 14 oder 15 und das erste Mal in London. Da hab ich mich verliebt. Nein, nicht in einen James oder John. Es geschah irgendwo in der Oxford Street. Eine schwarze Strumpfhose mit weißen Straßen und roten Bussen drauf. Es war der Beginn einer großen Liebe.
Ich besitze Strumpfhosen unter anderem aus Paris, Berlin, Amsterdam und New York. Dabei war ich noch nie in New York. Die hat Freund A. mir mitgebracht. Ich weiß nicht, ob es für die Exfreundin Grund für die Trennung war, dass er für mich in New York Strumpfhosen kaufte.

Ja, ich hatte auch eine kurze Phase mit Halterlosen, nichts Ernstes, nur eine Affäre. Das Problem war nämlich, die waren irgendwie auch so haltlos. Und verwandelten sich kurzerhand - oder kurzerbein? - in Overknees, Kniestrümpfe oder im schlimmsten Fall in schlabbrige Socken. Wir sind nie ein Liebespaar geworden, die Halterlosen und ich.

Bei einer Lesung oder einem Poetry-Slam finde ich in der Bezirkszeitung kein Foto von meinem Gesicht... sondern von meinen Beinen. Und das liegt bestimmt nicht an meinen schönen Beinen, sondern an dem, worin sie stecken. In Erdölfasern. Die könnten bald durch Zucker ersetzt werden. Ob man mit diesen Strumpfhosen dann noch im Regen singen kann?

Zu meinem runden Geburtstag gab es natürlich einen Dresscode für Frauen. Es war ein wunderbares Bild auf der Berghütte. Und so viele Strumpfhosen als Geschenke.

Ich hab viele Lieblingsstrumpfhosen. Solche, bei denen ich weinen muss, wenn sie kaputtgehen. (Der Schmerz währt meistens nur kurz, weil ich dann natürlich sofort welche nachkaufen muss) Die nahtlose Fatale, oder die Wolford mit Rüschen an den Fesseln, die regulär 150,- Euro gekostet hätte und die ich zum Schnäppchenpreis erstanden hab. Die man besser nur mit Strumpfhosenhandschuhen anziehen sollte. Oder die, auf der steht: Fucking is the only fucking word that can be fucking used fucking in any fucking place in any fucking sentence. Oder die, die ich mir extra drucken lassen hab, auf der „Toll3ste Weiber, Lippenstift, Lust“ steht. Die mit den ägyptischen Zeichnungen. Oder die, die aussieht, als wären meine Beine mit Flammen und Schmetterlingen tätowiert.

Die mit den Bussen von London hab ich schweren Herzens nach 30 Jahren weggeschmissen. Meine Mama hätte sie bestimmt gestopft.


Wenn ich morgens aufwache und im Bett liege, überlege ich mir, welche Strumpfhose ich anziehe und welchen Ring ich nehme, und dann erst, welches Kleid dazu passt. Und ich gestehe: Manchmal steh ich vor den Schubladen mit den Strumpfhosen - sortiert nach Farben und Mustern - uni oder bunt, gestreift, kariert, klassisch, sportlich, schräg, sexy oder einfach schön - und denk: Scheiße, ich hab keine Strumpfhosen!

Und dann kauf ich welche.

Sonntag, 22. November 2015

P... P... Poetry-Slam!

Nein, das ist nichts für mich, hast du nach deinem ersten Poetry-Slam gesagt. Zu schnell, zu wenig Zeit. Noch dazu im Stehen. Du würdest auch so einen Text nicht auswendig lernen können, schon gar nicht, wenn er sich nicht reimt. Das letzte, das du auswendig gelernt hast, war die Bürgschaft.

Zu Dionys dem Tyrannen schlich Damon,
den Dolch im Gewande
Ihn schlugen die Häscher in Bande

Und überhaupt: Literatur kann man nicht vergleichen und benoten.

5 Slams später müssen sie dich von der Bühne zerren, denn du bist süchtig geworden. Immer noch fühlst du dich unter den jungen, schönen Poetinnen und den nicht immer jungen, aber von sich überzeugt wirkenden Poeten wie bei einem Auswärtsspiel. So ähnlich wie beim Elternabend, als du dich auf den Kindergartensessel gequetscht hast, aus dem du nicht mehr hochgekommen bist.

Und irgendwann ist es so weit. „Holen sie wir auf die Bühne, mit Liebe, mit Leidenschaft, mit tosendem Applaus!“

Ich bin, spricht jene, zu sterben bereit,
und bitte nicht um mein Leben


Du stehst auf der Bühne, genießt das Scheinwerferlicht und hoffst, dass die Türe geschlossen ist und dein Text nicht abhauen kann. Du kämpfst mit dem Mikroständer, der zu hoch ist oder deine Beine zu kurz. Dann liest du diesen unheimlich pathetischen und berührenden und sanften Text, in dem der arme Lagerhausmitarbeiter durch den Häcksler gejagt wird. Von dir (Er hat es sich aber verdient, das muss ich zu meiner Verteidigung sagen). Du liest auswendig, weil du die letzten beiden Wochen bei deinen Außendiensten – zirka 3.000 Kilometer – den Text gehaucht, geflüstert und gelebt hast. „Tschakataschkatatschakata!“, hast du bei der roten Ampel aus dem Auto gebrüllt, als die messerscharfen Klingen das Herz des Lagerhausmitarbeiters in winzige Stücke gerissen haben. Der Fahrer im Golf hat dich mitleidig und ein wenig ängstlich angelächelt.

Du fühlst dich wie ein Rockstar im ausverkauften Praterstadion.

Und horch! da sprudelt es silberhell,
Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen
Und stille halten sie, zu lauschen


Du genießt den Applaus. Verbeugst dich.

Und willst du Gnade mir geben, ich flehe dich an...
wartest du auf die Bewertung, obwohl man Literatur natürlich nicht bewerten kann.
In Wahrheit wartest du nur auf das erlösende „Z... Z... Z... Zehn!

„Wir haben eine Sechs“, sagt die Moderatorin und du musst dein Lächeln mit der Sicherheitsnadel festpinnen. Du schaust nicht, aus welcher Richtung die Bewertung kommt, denn obwohl du so überhaupt nicht zu Gewalt neigst, hast du Angst, du könntest dem Typen in die Fresse schlagen. Slam wie Zuschlagen. P... P... P... Poetry Slam. Tschack.
„Wir haben eine 8“, fährt die Moderatorin fort und du entfernst die Sicherheitsnadel. Danke vielmals.

O hast du mich gnädig aus Räubershand,
Aus dem Strom gerettet ans heilige Land


„Wir haben eine Vier!“
Das hat nichts mit mir zu tun, redest du dir ein, wahrscheinlich hat der Kerl, der die Jurykarten in der Hand hat, schlecht geschlafen oder seine Frau mit dem Briefträger im Bett erwischt. Vielleicht hat sein Arzt ihm heute gesagt, dass er Prostatakrebs hat. Vielleicht steht er nicht auf rothaarige ältere Frauen mit bunten Strumpfhosen, sondern auf Blondbeinige mit schwarzen Strapsen. Möglicherweise hat seine Mama das Gulasch versalzen. Oder er arbeitet im Lagerhaus. Es gibt so viele Gründe, die nichts mit mir zu tun haben.

Vielleicht findet er mich aber auch einfach Scheiße, denkst du, und es tut weh.
„Wir haben eine Z... Z... Zehn!“
Die Frau hat die Eins bestimmt irrtümlich in die Höhe gehalten, in Wahrheit hält sie dich für eine Null. Oder sie meint nicht dich, sondern ist ein bisschen langsam und die Zehn gilt dem grandiosen Poeten mit der schönsten Stimme der Welt vor dir. Als du kapierst, dass sie doch dich meint, denkst du: Und warum keine Zehn komma fünf?
War ich nicht gut genug?

Was wollt ihr? rufst du vor Schrecken bleich,
Ich habe nichts als mein Leben


Du gehst von der Bühne, mit dem festgepinnten Lächeln. Es geht doch nur ums dabei sein, sagst du.
Ich schreibe nie nie nie nie wieder auch nur ein Wort, denkst du.

Und schweigend umarmt dich der treue Freund

Vielleicht solltest du dich auf das konzentrieren, was du kannst. Schlafen, Krautfleckerl kochen - mit karamellisiertem Zucker - und unter versifften Matratzen von versifften Klienten versiffte Sparbücher suchen. Nie wieder betrete ich eine Bühne!, sagst du dir.
Als du wieder sitzt, kramst du in der Tasche nach dem Merkheft und schreibst deine Gedanken auf. Für den nächsten Slam.

Zu Hause sinkst du in die tröstenden Arme deines Mannes, der dich an sich zieht und noch nie von einem Poetry-Slam gehört hat.

„Und? Wie war ich?“, fragst du danach in den verschwitzten Laken und wartest auf die erlösende: „Z... Z... Z... Zehn!“

Plötzlich steht jemand in der Schlafzimmertür.
„Ich sei, gewährt mir die Bitte“,
so der Poet mit der schönsten Stimme der Welt
„in eurem Bunde der Dritte.“

Samstag, 14. November 2015

Banal

Und plötzlich ist alles so banal. Die Freude über den Auftritt bei der Poetry Slam-Meisterschaft, der Ärger über den Strafzettel, der Flow in der Werkstatt, die Wickel im Büro, die Überlegung, was ich zum Geburtstagsbrunch koche, die Lust am Leben,...

Weil in Paris viele unschuldige Menschen gestorben sind und schwer verletzt und schwer traumatisiert. Und man sitzt hilflos da, und wegschauen geht nicht, weil man Terroranschläge nicht einfach weg schauen kann. Auch nicht weg schreiben. Und auch nicht verhindern. Schon gar nicht mit Zäunen und Stacheldrähten. Nicht an der Grenze und nicht im Hirn.
Und man fragt sich, wie damit umgehen? „Man“ schreiben, statt „ich“, weil es die eigene Hilflosigkeit zur kollektiven macht. Nicht einknicken vor dem Terror. Wie auch immer das geht. "Ja, das Leben ist riskant" murmeln und Ratatouille kochen?

Ein Bild teilen, wahlweise von einem schwarzen Eiffelturm oder einer brennenden Kerze, als Zeichen der Solidarität und Hilflosigkeit? Beten, obwohl man nicht religiös ist oder Champagner trinken, weil Paris die Stadt der Liebe und der Lebenslust ist? Sein Leben einfach so weiterleben? Zynische Witze machen, weil die sich kurz wie eine Hornhaut um die Seele wölben und einen schützen? Ich weiß es nicht. Vielleicht einfach akzeptieren, dass jeder und jede seine und ihre eigenen Strategien hat, mit solchen ... ja, solchen was? Unglücken, Dramen, Dingen... umzugehen. Die einen weinen, die anderen teilen Bilder, die einen schreiben Texte, die anderen schalten den Fernseher ab, die einen versuchen die Angst weg zu lachen, die anderen ziehen die Decke über den Kopf. Die einen sagen Veranstaltungen ab und die anderen sagen „jetzt erst recht“. Und alles hat seinen Platz. Keine Strategie ist die richtige und keine die falsche. Um die Toten trauern und das Leben feiern. Man darf das. Ich darf das.

Und obwohl das eigene Leben so banal wirkt, wenn man diese Bilder sieht, so ist es doch das eigene Leben und auch die Freude am gelungenen Auftritt lässt sich nicht wegwischen, der Ärger über den Strafzettel, der Flow in der Werkstatt, die Wickel im Büro, die Überlegung, was ich zum Geburtstagsbrunch koche.. und die Lust am Leben.

Sonntag, 28. September 2014

Zwischenernte

Eine Zeitlang war ich sehr diszipliniert. Jeden Morgen ins Forschertagebuch geschrieben, mich drei Mal die Woche im Fitnessstudio gequält, schlecht bezahlte Überstunden gemacht. Ein bisschen war ich stolz auf mich, weil ich eigentlich ein Faultier bin, weil ich genieße zu schlafen, mich auszuruhen, mir Gutes zu tun.
Und diesen Sommer ist irgendetwas passiert. Vielleicht hat es mit der Mitte des Lebens zu tun und dass mir bewusster geworden ist, dass die Tage gezählt sind, vielleicht mit dem vierten Stern von links, vielleicht mit dem Ton, mit dem die Birnen in die Wiese fallen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich im Urlaub gemerkt habe, wie sehr ich mein Leben, meine Familie und meine Freunde genieße, auch wenn ich nicht arbeite oder schreibe. Und dass ich geliebt werde, auch wenn ich nichts leiste. Einfach so.

Ich muss nicht. Ich darf. Ich muss nicht im Halbschlaf sensationelle Gedanken zu Papier bringen, ich darf bis zu Mittag schlafen und am Nachmittag schreiben, oder gar nicht. Ich muss keinen Bestseller verfassen wie E.L.James, ich darf einfach so vor mich hin tippen und mich daran freuen, wenn jemand sich mit mir über das Geschriebene freut. Zweimal die Woche Fitnessstudio tröstet das schlechte Gewissen fast genauso gut wie dreimal und trägt ausreichend dazu bei, dass ich mich halbwegs fit fühle. Ich muss mich nicht mit all den Schönen, Fitten und durchtrainierten Frauen vergleichen. Ich muss mich überhaupt nicht vergleichen.

Und nachdem die Revision kritisiert hat, dass ich zu viele Stunden im Büro bin und zu wenig „Output“ habe (zufriedene Klienten und Angehörige, die sich gut beraten und geschult fühlen, sind kein „Output“, nur Zahlen zählen, Fallzahlen, Leistungskennzahlen, Score, Durchlauf... bis einem der Schädel wackelt und man ausgebrannt ist), bin ich eben nicht mehr zu viel im Büro, sondern geh einfach nach Hause, sitz im Garten und lese, backe Brot, bereite Kürbishummus und Birnenziegenkäsetarte und freu mich, wenn es schmeckt. Ich hab mir einfach so eine Woche Urlaub genommen, war bei einer Freundin in Zell am See, bin um den See gewandert und hab von der Terrasse des Grand Hotels Araberinnen beobachtet und mich gefragt, was wohl hinter den Burkas vorgeht – was diese Frauen über uns denken, wie sie leben und fühlen.
Eine Geschichte hab ich geschrieben für eine Freundin zum Geburtstag. Mit einer anderen Freundin hab ich wieder einen Kalender gemacht, der wunderschön geworden ist. Viel gelesen hab ich. Einen neuen Rekord bei Temple Run aufgestellt. Die Sonnenstrahlen im Gesicht und auf der Seele genossen.

Vielleicht ist nach dem vielen Pflügen, Eggen, Säen und Gießen jetzt Ernte angesagt. Eine kleine Zwischenernte. Um Kraft zu sammeln für die nächsten Jahre.

Sonntag, 27. Juli 2014

Botschaften

Jeden Sonntagmorgen liegt eine Botschaft unter meinem Kopfpolster. Sinnbildlich natürlich, in Wahrheit ist sie in meinem Mailpostfach. Diese Botschaften lassen mich schmunzeln oder heftig mit dem Kopf nicken, manche regen mich zum Nachdenken an und manche regen mich auf. Sie sind mir ein liebgewordenes Ritual.

Es sind Botschaften wie „Gelassenheit to go“ - 70 Mini-Übungen für mehr inneren Frieden im Alltag, 15 abwechslungsreiche Methoden für Sie, mit denen Sie wieder neue Energie und Lebenslust tanken können; manchmal sind es kleine Geschichten, Kalendersprüche (Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann) oder eine Selbstcoaching-Frage: Gibt es Probleme oder Konflikte in meinem Leben, die wieder und wieder auftreten? Welche sind das?
Ja, die gibt es, fragen Sie meinen Bankberater oder meine Kollegin.

Die heutige Hauptbotschaft lautete: Lebensmitte – Lebenslust oder Lebensfrust.
Zielgruppe der Botschaft bin ich. Also Menschen zwischen 40 und 60. Das find ich irgendwie beruhigend – oder vielleicht doch beunruhigend, dass ich möglicherweise 120 Jahre alt werde. Auf jeden Fall definieren wir uns in dieser Lebensphase angeblich noch einmal neu. Ich sitz also unterm Birnbaum und definiere mich neu. Wer bin ich? Wohin will ich? Mit wem will ich dorthin?

Nach drei Minuten habe ich erste Antworten: Ich bin ich.
Auf der bunten Blumenwiese
Geht ein buntes Tier spazieren...

Ich will bleiben. Unter dem Birnbaum. Die Hirschkäfer beim Vögeln beobachten, dem Gras beim Wachsen zuhören, die Sonnenstrahlen und Gelsenstiche auf der Haut spüren, drei Katzen mit 11 Beinen streicheln, Ribisel naschen und am Rosmarin riechen.
Und ich will meinen Weg mit den Menschen weitergehen, mit denen ich ihn auch jetzt gehe. Eigentlich ist sogar der Bankberater in Wirklichkeit ein netter Typ und stockt meinen Überziehungsrahmen auf. Und meine Kollegin geht vor mir in Pension.

Bin ich unreflektiert und ein wenig simpel gestrickt? Was ist auf meinem Lebenskonto und was habe ich noch nicht gelebt?, soll ich mich fragen, sagt die Botschaft. Mein Lebenskonto ist im Gegensatz zu meinem Bankkonto prall gefüllt mit Erinnerungen, Erfahrungen, Erlebnissen und vor allem wunderbaren Menschen.
Klar, das Leben ist im Fluss, es verändert sich. Aber muss ich meine Rolle neu definieren? Ich spiele so viele Rollen in meinem Leben und manchmal kommen neue dazu und andere fallen weg, nicht nur beim Theaterspielen. Mein Körper verändert sich. Oder – wie eine Freundin von mir zu sagen pflegt: Ich habe die Magersucht überwunden.
Die Männer, die mir nachpfeifen, werden weniger und älter. Irgendwann werden sie nicht mehr pfeifen, weil sie zahnlos nicht mehr pfeifen können. Manchmal vergesse ich Namen und Orte. Mein Knie schmerzt jeden Tag ein bisschen mehr, ich werde vermutlich nicht mehr Paragleiten oder einen Marathon laufen. Den 6er im Hochseilgarten hake ich ab, den überlass ich meiner Tochter. Kollegen, die wesentlich jünger sind als ich, werden plötzlich meine Vorgesetzten. That’s life, scheißt's euch nicht an!

Nein, ich werde nicht den Jakobsweg gehen, um mich selbst zu finden, weil ich mich nie verloren habe, sondern auf den Buschberg und rund um den Semmelberg, weil es da so schön ist. Irgendwann werde ich ein Hausboot mieten, eine Kreuzfahrt machen oder nach Westsamoa reisen. Aber wenn nicht, dann halt nicht, dann ist mein Leben trotzdem nicht verpfuscht. Immer wieder werde ich Dinge zum ersten Mal machen, wie ich das ständig gemacht habe. Vor kurzem war ich zum Beispiel bei meiner ersten Tupperparty, fragt mich nicht warum. Vermutlich auch bei meiner letzten. Ich bin das erste Mal auf einer großen Bühne gestanden und hab nicht gelesen, sondern erzählt. Ich habe das erste Mal in einem Baumhotel geschlafen. Es reizt mich ständig, neue Erfahrungen zu machen, auch ohne Lebensmitte.
Was ist überhaupt diese ominöse Lebensmitte? Ich weiß ja nicht einmal, ob ic h die nicht schon mit 27 hatte oder mit 32.

Ja, und irgendwie fühle ich mich jetzt trotz des Reflektierens schlecht und unreflektiert. Weil ich mein Leben trotz gelegentlicher Hitzewallungen nicht infragestelle, sondern einfach genieße, dass ich keine kalten Füße habe. Weil ich nicht überlege, meine Arbeitszeit zu reduzieren zugunsten meines Freizeitkontos und dafür auf Luxus zu verzichten, weil meine Arbeit mir Freude bereitet und Sinn gibt. Meistens. Überhaupt: Auf welchen Luxus eigentlich? Ich werde auch nicht damit anfangen, mehr auf mich selbst zu schauen und weniger für andere da zu sein. Vielleicht weil ich immer gut auf mich selbst geschaut habe und andere für mich da sind?

Aber eines werde ich. Ich werde weiterhin am Sonntag Botschaften unter meinem Kopfposter finden, unterm Birnbaum sitzen, mir Gedanken machen und sie aufschreiben.

Mittwoch, 15. Januar 2014

A wie Apfel

„Stell dir mal vor“, sagt der A. bei unserem wöchentlichen Abendessen, „ich hab einen Apfelbaum.“
„Aber du hast ja nicht mal einen Garten“, werfe ich Worte und den Gruß der Küche ein, „wie kommst du zu einem Apfelbaum?“
„Du sollst dir das ja nur vorstellen“, sagt A. und ich stelle mir also seinen Apfelbaum vor, ohne Garten. „Der Apfelbaum wirft Äpfel ab“, fährt er fort und auch das stelle ich mir vor. „Wenn ich mehr Äpfel habe, als ich selber essen kann, und jemand, den ich mag, mag gern Äpfel, dann schenke ich eben einen Kübel her“, sagt er.
„Ja, das kenn ich“, nicke ich, denn ich hab einen Birnenbaum, der regelmäßig mehr abwirft, als ich brauchen kann. Obwohl man Äpfel bekanntlich mit Birnen nicht vergleichen kann.
„Die Leute nehmen den Kübel mit den Äpfeln und backen Apfelkuchen und freuen sich und als Dank bringen sie mir ein Stück Apfelkuchen mit, und ich freue mich, obwohl ich keinen Dank dafür brauche, weil mir ihre Freude Dank genug ist.“
Ich nicke wieder, denn ich habe den Mund grad mit der geräucherten Forelle auf Wildkräutern voll, und frage mich, warum A. sich grad so intensiv mit Äpfeln beschäftigt.
„Überlegst du dir, ein Apfelbäumchen zu pflanzen?“, frage ich, als ich geschluckt habe.
„Wenn die Leute sich bei Äpfeln so normal verhalten, warum werden sie dann beim Geld so komisch?“, fragt A., sich und mich. „Was ist der Unterschied zwischen Äpfeln und Geld.“
Ehe ich meine rudimentären Biologiekenntnisse loswerden kann, erzählt er
von seiner Kollegin K., die er mag, als Mensch und als Kollegin, und die so gern eine Ausbildung machen möchte. Sie hat das Talent dafür und die Leidenschaft, das einzige, was sie nicht hat, ist das notwendige Geld. „Und wenn einer mehr von etwas hat, als er brauchen kann, jemand anderer aber weniger, als er brauchen würde, ist es dann eigentlich nicht das normalste auf der Welt, ihm das einfach zu geben?“
„Nun ja“, sage ich und das Kalb zergeht wie Butter auf meiner Zunge.

Er erzählt mir, dass er Angst hat, K. das Geld für die Ausbildung anzubieten, weil er befürchtet, es würde sich alleine durch dieses Angebot etwas in ihrer kollegialen Beziehung verändern, und das möchte er nicht. Er will kein Machtgefälle, er will nicht, dass sie sich unterlegen fühlt und klein, weil sie sich die Ausbildung nicht leisten kann. Er will nicht, dass sie glaubt, sie müsse sich dafür irgendwie erkenntlich zeigen. Er will sich nicht in dem Glanz sonnen, ein großzügiger Gönner zu sein. Und drum weiß er nicht, wie er ihr sagen soll, dass sie sich bitte einfach für die Ausbildung anmelden soll, ehe verstrichen die Frist.
„Biete ihr einen nicht rückzahlbaren Kredit an“, schlage ich beim geschäumten grünen Apfel im Glas vor, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, dass kaum jemand Schuldgefühle hat, Geld von einer Bank anzunehmen, auch wenn er es nicht zurückzahlen kann.

Er hat Recht, wir Leute sind komisch, wenn es um Geld geht.

A. lädt mich jede Woche zum Essen ein, seit ein paar Jahren. Ich genieße seine Gesellschaft, unsere Gespräche und das feine Essen. Nie gibt er mir das Gefühl, ihm etwas schuldig zu sein, es ist eine Essbeziehung auf gleicher Augenhöhe. Beide nehmen und geben wir. Aufmerksamkeit. Geschichten. Lachen. Nähe. Dank will er nicht und er freut sich wie ein kleines Kind, als eine Freundin meiner Tochter, die er zu deren Geburtstag zum Essen ausführt, beim Abschied nicht artig „danke“ sagt, sondern „ich schätze dich wert, A.“ Und zwar nicht wegen der Einladung, sondern einfach so.

Wenn ich über A. und unsere gemeinsamen Essen erzähle, passiert es immer wieder, dass Menschen mutmaßen, er würde mich nur ins Bett kriegen wollen (das wäre mittlerweile eine ziemlich teure Angelegenheit) oder aber, ich wäre berechnend und würde mich von ihm aushalten lassen. Dass wir einfach eine Freundschaft haben, in der jeder gibt, was er kann, verstehen die wenigsten.

Mit Äpfeln wäre alles ein bisschen einfacher.

Freitag, 8. November 2013

Die komplizierte Sache mit der Wahrheit

(weil ich da grad einen interessanten Text über Wahrheit und Lügen gelesen hab)


Ich glaube, die Bachmann hat sich geirrt. Die Wahrheit ist uns nicht zumutbar. Den anderen auch nicht. Wäre sie uns nämlich zumutbar, hätten Gott oder das Fliegende Spaghettimonster oder das Universum nämlich nicht die Lügen erfunden und Freud nicht die Verdrängung entdeckt. Wäre die Wahrheit den Menschen zumutbar, würde es keine Schriftsteller geben, die sich Geschichten mit Happy End ausdenken, mit denen sie uns aus der Realität entführen, in Träume sperren und mit Phantasie fesseln. Im Kino und Fernsehen würde es ausschließlich Dokumentarfilmer und Kriegsberichterstatter geben. Gut, das hätte was, die Verfilmung von fünfzig grauen Schatten würde uns so erspart bleiben.

Wäre die Wahrheit den Menschen zumutbar, würden sich Psychotherapeuten, Lebensberater und Coachs als Taxifahrer ihren Lebensunterhalt verdienen. Was gäbe das für ein Verkehrschaos!
Hätte die Bachmann Recht, gäbe es weder getönte Antifaltencremes noch Bauch-weg-unterhosen, sondern wir würden die hässliche nackte Wahrheit dem Spiegel, uns selbst und anderen zumuten.
Langjährige Freundschaften würden an flapsig Dahingesagtem zerbrechen und Ehen gar nicht erst eingegangen. Die paar Romantiker unter uns würden einander nicht nur ewige Treue versprechen, sondern auch schwören, immer und überall die reine Wahrheit zu sagen. Neben den Romantikern auch die Sadisten, die hätten nämlich ihren Spaß daran, unter dem Deckmantel der Wahrheit andere Menschen zu verletzen und ins Unglück stürzen. Die Masochisten würden „Ja, ich will“ hauchen und strahlend hinein rennen.

Ich weiß, die Bachmann hat das nicht so gemeint. Sie hat gemeint, dass wir den Schmerz nicht leugnen und seine Spuren nicht verwischen und über ihn hinwegtäuschen dürfen. Wir müssen ihn wahrhaben und wahrmachen, damit wir sehend werden. Die Bachmann hat gesagt, wir wollen alle sehend werden. Müssen wir? Wollen wir? Können wir?
Wo doch der Grat zwischen Wahrheit und Unwahrheit an manchen Stellen so schmal ist, dass wir keinen Halt darauf finden. Wo wir oft keine Wahl zwischen wahren und falschen Entscheidungen haben, sondern nur zwischen ein bisschen mehr oder ein bisschen weniger falschen. Und wie auch immer wir uns entschieden haben, am Ende sterben wir.

Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar. Vielleicht. Ich brauch meine blinden Flecken noch. Es gibt Situationen im Leben, da will ich manchmal nicht hin-, sondern wegschauen. Ganz bewusst.

Sonntag, 3. November 2013

Hi Mamsch,

ich weiß nicht, warum ich grad die letzten Tage so viel an dich denke. Vielleicht, weil Allerheiligen und Allerseelen war und weil man da an die Verstorbenen denkt. Vielleicht aber auch, weil die E. gestorben ist und der Tod allgegenwärtig ist.

Tut mir leid, dass ich nicht auf dem Friedhof war. Ich mag Friedhöfe, aber nicht zu Allerheiligen. Und ich hab auf dem Friedhof nicht das Gefühl, dass du mir näher bist als sonst. Ein Friedhof ist ein Friedhof ist ein Friedhof, nicht mehr. Als Kind musste ich immer mit auf den Friedhof zu Allerheiligen. Den, auf dem nur Holzkreuze erlaubt sind, den fand ich irgendwie schön. Wo nicht einer den anderen selbst im Tod übertrumpfen will.
Gefroren hab ich meistens am Friedhof und mich ein bisschen gelangweilt. Später dann in Uniform „Ich hatt’ einen Kameraden“ mit dem Waldhorn gespielt, in der Musikkapelle. Das ist mir heute fast ein bisschen peinlich.

Ich würde jetzt gern mit dir einen Kaffee trinken. Aber nicht den aufgewärmten von in der Früh aus der Filtermaschine, ja? Obwohl... wenn ich so sparsam wäre wie du es warst, dann hätte ich ein paar Probleme weniger jetzt.
Weißt du, ich hätte dich grad gern hier. Nein, nicht zum Aufräumen, auch nicht zum Kekse und Kuchen backen, sondern einfach so. Das Kuchenbacken übernimmt grad deine Enkeltochter. Da stautnst du, oder? Einen Kuschelkuchen macht sie für ihren Bruder zum Geburtstag. Der ist beim Opa, wie jedes Jahr zu seinem Geburtstag. Bestimmt denken die zwei da auch an dich.
Eine tolle, junge, friedliebende und warmherzige Frau ist sie geworden, deine Enkeltochter.

„Ich stell mir vor, die Marzipanwürfel, die ich da hineinwerfe, sind kleine Wesen und sie verrecken“, hat sie grad gesagt und die Küchenmaschine eingeschaltet. Sie ist entzückend.
Aufräumen ist immer noch nicht so ihres. Da wünschte ich manchmal, diese Aufgeräumtheit hätte mütterlicherseits nicht zwei Generationen übersprungen. Obwohl... du hättest sie sehen sollen, wie eifrig sie letztens geputzt und aufgeräumt hat... Ja. Die Liebe. Nein, nicht die Rosi, die ist nur ihre beste Freundin, und die ist grad in Nicaragua und liebt einen Nicaraguaner. Deine Enkeltochter hat jetzt einen Freund aus Dänemark. Genau, einen Wikinger. Du würdest mit ihm zwar nicht reden können, weil er kein Deutsch spricht, aber ich glaub, du würdest ihn genauso ins Herz schließen wie wir.
Als du so alt warst wie sie, hast du schon ein Kind gehabt. Und bald danach das nächste, nämlich mich. Sie hat nur tageweise ein Kind, nämlich den lieben Sohn einer Freundin.
Die einzige Ohrfeige in ihrem Leben hat sie von dir gekriegt. Die haben wir dir aber längst verziehen, weil wir wissen, dass das keine Erziehungsmaßnahme war, sondern ein Zeichen der Erleichterung. Du hast sie nirgends gefunden und Panik gehabt, dass sie auf den Balkon geklettert ist. Im zehnten Stock. Und sie hatte Panik, weil sie im Badezimmer irrtümlich die Lüftung eingeschaltet und gedacht hat, sie hat was kaputtgemacht. Deshalb hat sie sich unter der Eckbank versteckt. Und du hast ihr dann aus lauter Erleichterung eine geschmiert.
Den Führerschein hat sie jetzt auch, beim zweiten Anlauf hat’s geklappt. Dein Enkelsohn nimmt demnächst auch wieder Anlauf für den Traktorführerschein, aber bitte sei nicht enttäuscht, wenn er es nicht schafft. Weißt du, er hat so viel geschafft in seinem Leben. Du wärst bestimmt stolz auf ihn, auch ohne Führerschein. Er arbeitet jetzt auf der Gemeinde. Grünflächenpflege. Wenn ich mit dem Auto vorbeifahre, wenn er Laub recht, strahlt er mich an. Er mag seine Arbeit gerne, wie er überhaupt alles gerne macht, was er tut. Ihm geht’s immer noch jeden Tag gut, weil ihm nichts einfällt, warum es ihm nicht gut gehen sollte.
Vor kurzem hat er sich eine Woche Urlaub genommen. Im Urlaub ist er noch früher aufgestanden als sonst und hat den Bauern bei der Kartoffelernte geholfen. Er hat mich beschämt mit seiner Antwort auf meine Frage, ob die ihn dafür bezahlen. „Ich brauch das Geld nicht“, hat er gesagt, „ich verdiene 800 Euro im Monat, das ist viel mehr, als ich brauche.“
Die Sparsamkeit hat er von dir, Mama. Ich lad ihn zum Geburtstag zum Sushi essen ein, das tun die Bauern nämlich nicht. Und zu Weihnachten wünscht er sich eine DVD. Ich glaub, sie heißt „Moderne Landtechnik im Einsatz“.

Großartige Menschen sind deine Enkelkinder geworden, obwohl wir sie nicht erzogen, sondern einfach geliebt haben. Mir ist es manchmal richtig peinlich, wenn andere Leute sich über ihre Kinder beklagen und mir fällt nichts Negatives ein.
Schade, dass du das alles nicht mehr erlebst. Blöd, dass da diese nasse Wurzel war, auf der du ausgerutscht bist. Ich tröste mich immer noch damit, dass du nicht gelitten hast. Weißt du, dass ich deine Hausschuhe, eines der wenigen Dinge, die ich mir damals von dir genommen hab, immer noch trage? Jetzt gehen sie schon ein bisschen aus dem Leim.

Wie es mir geht? Es geht mir gut. Ich hab immer noch den gleichen Beruf, den ich immer noch total mag, und mit deinem Schwiegersohn verhält es sich ähnlich. Ob er auch glücklich ist, weiß ich nicht, du kennst ihn ja, er ist kein Schwätzer. Außerdem muss er die Welt retten, und so wie die Welt grad beinander ist, ist das ganz schön viel Arbeit. Da hat er für solche Lappalien wie ein Gespräch über die Beziehung keine Zeit.

Ich schreibe sehr viel, Mamsch. Am Mittwoch hab ich wieder einen Auftritt. Ich stell mir dann vor, dass du im Publikum sitzt und stolz auf mich bist. Du wirst danach sagen „Ich hab ja keine Ahnung von Kunst“, aber es wird dir gefallen, glaub ich. Ah ja, und Theater spiele ich auch. Die freche Rotzgöre liegt mir am meisten. Na ja, jahrelange Übung.

Du hast es auch nicht immer leicht gehabt mit mir, wie? Und schau, trotzdem ist etwas geworden aus mir, auch wenn’s beim Dach reinregnet, die Schulden noch nicht abbezahlt sind und das Laub im Garten nicht gerecht ist. Aber was auf dieser Welt ist schon gerecht?

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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