Gedanken

Samstag, 2. Februar 2013

Teilen

„Du kannst nicht schon wieder was vorlesen, Mama“, sagt sie. „ Du warst schon fünfmal da und hast jedesmal etwas vorgelesen. Teil halt einmal etwas anderes. Das, was du schreibst, interessiert die Leute nicht.“ Wahrscheinlich hat meine Tochter Recht, denn während ich zu lesen beginne, beginnen zwei Gäste eine angeregte Unterhaltung.

Es gibt viele hier, die besser schreiben können, witziger, sprachgewandter, pointierter. Aber was soll ich sonst teilen? Ich könnte über den Spaß am Theaterspielen und die Arbeit und das Vergnügen mit den Toll3sten erzählen, aber das wissen die meisten ohnehin. Oder wie sehr ich im Flow versinke, wenn ich Silberschmuck schmiede. Ich könnte etwas Selbstgekochtes mitnehmen, ich kann gut kochen. Aber das ist nichts besonderes, es gibt viele hier, die wesentlich besser kochen.
Was könnte ich teilen? Ich kann mir keinen Trüffel leisten und die vorletzte Flasche Hofer-Champagner hab ich getrunken, als Ernst Strasser verurteilt wurde. Die letzte brauch ich für Grasser, die kann ich nicht hergeben.
Ich reise nicht viel, also kann ich nicht mal mit preiswerten jemenitischen Ziegenaugen aufwarten. Das weiteste, wo ich je war, ist Lanzarote. Einen Lavastein von dort hab ich noch, aber was ist ein simpler Vulkanstein gegen das Sehorgan eines vorderasiatischen, widerkäuenden Paarhufers?
Wofür es sich zu leben lohnt? Na fürs Leben halt. Weil es einfach da ist, und wo es schon einmal da ist, ist es doch besser, es so zu leben, dass es sich lohnt, als ständig darunter zu leiden, oder? O.k., an mir ist keine grandiose Philosophin verloren gegangen.
Für meinen Beruf lohnt es sich zu leben - aber abgebaute, einbeinige Alkoholiker, die ihrer Familie mit dem Umbringen drohen, demente Damen, unter deren versifften Matratzen ich nach Sparbüchern suche oder Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, deren Intelligenz immerhin ausreicht, jede Woche einen neuen Handyvertrag abzuschließen und mir immer einen Schritt voraus sind, sind für andere nur bedingt spannend.
Für meine Kinder lohnt es sich zu leben, aber mit Kindern ist es wie mit Katzen, man mag sie, man hasst sie oder man ist allergisch. Wenn man sie mag, dann hauptsächlich die eigenen.

Plötzlich habe ich das Gefühl, dass alles in meinem Leben entsetzlich banal ist und alle anderen im Gegensatz zu mir ein richtig aufregendes Leben führen. Sie sind Musiker, Filmschaffende, Schriftsteller, Philosophen, Lebemenschen und Lebensmenschen. Oder wenigstens so richtig cool.
Ich arbeite und ernähre meine Familie, gehe dreimal die Woche ins Fitness-Studio, schaue am Wochenende gern Schirennen oder Fußball, je nach Jahreszeit und – ja, ich gestehe - lästere jeden Donnerstag bei Austrias next Topmodel ab. Ich schäme mich dafür, dass ich mich nicht einmal schäme dafür.

Ich habe das Gefühl, überhaupt nichts so richtig gut zu können. Ich weiß, darum geht es nicht, nicht im Leben und schon gar nicht im Salon. Man muss da nichts beweisen, sondern nur etwas teilen. Aber mein Gefühl schert sich einen Dreck darum, ob es darum geht, sondern drängt sich deppert dazwischen und macht sich wichtig. A propos: deppert sein kann ich ziemlich gut, aber sogar dabei werde ich von den meisten hier locker überrundet.
Teilen soll ich und würde ich auch gern, aber ich weiß nicht, was, wo doch die ganze Welt ohnehin alles per Facebook teilt, vor allem Katzen, Kinder und Kochen. Katzen kochen wäre vielleicht noch was. "Die hundert besten Katzenrezepte des Weinviertels" oder "Kinder kochen Katzen".

Zum Glück gibt es Menschen in meinem Leben, eine Handvoll vielleicht oder zwei, mit denen kann ich teilen, wie es sich anfühlt, sich nicht gut genug zu fühlen. Wie es ist, wenn das Leben und die Bank einem manchmal richtig Angst einjagen. Zum Glück gibt es Freundinnen, die ich um drei Uhr früh anrufen kann, weil ich geträumt habe, dass mir die Buchteln verbrannt sind, weil die Bremsen bei meinem Auto versagt haben. Und welche, die verstehen, dass es bei uns reinregnet, weil ich mir letztens in Linz lieber das Kleid gekauft hab als neue Dachziegel. Acht Quadratmeter Dachziegel hätte ich für dieses Kleid gekriegt.
Meine Freude teile ich mit diesen Freunden, meine Gedanken und meine idiotischen Selbstzweifel. Das teile ich auch hier. Weil ich tief drin weiß, dass hier auch andere Menschen mit einem Dachschaden sind. Da riskiere ich sogar, dass jemand sich beim nächsten Mal über weibliche Betroffenheitsliteratur lustig macht.

Freitag, 12. Oktober 2012

Sag beim Abschied...

Ach, Tantchen,

„Was mich am Leben hält, ist mein Humor“, hast du vor drei Wochen gesagt und gelacht, obwohl du seit Jahren Schmerzen hattest. Ich hab dich in die Arme genommen und an mich gedrückt. Und geahnt, dass es das letzte Mal war.
Jetzt überschwemmen mich die Erinnerungen. An Samstage meiner Kindheit bei dir. Deine verrauchte, kleine Wohnung. Im Fernsehen Hans Moser und Paul Hörbiger, auf dem Plattenteller Peter Alexander und Hansi Kraus. Am Abend dann die Löwingerbühne. Es gab Frankfurter mit Semmeln, jeden Samstagabend. Zu Hause gab es nur Brot. Dein Gesicht war damals schon tief zerfurcht wie das von Lederstrumpf, zum Teil von den Smart, die du inhaliert hast, zum Teil von deiner Arbeit in der Gummifabrik. Aus der brachtest du immer kleine Kartonplättchen mit, zum Zeichnen, das war viel aufregender als auf Papier zu zeichnen. Und überhaupt war das Zeichnen bei dir aufregend, weil wir die 96-Stifte-Box hatten, weil dein Bruder in der Buntstiftfabrik gearbeitet hat.
Geborgen war es bei dir, und Verbote gab es nicht, zumindest kann ich mich nicht dran erinnern.

Du bist mir immer Vertraute geblieben. Vertraute und Vorbild. Du hast für mich für die Schule Knopflöcher genäht, aber sie haben der Lehrerin nicht gefallen.
Deine Nähmaschine, deine Freiheit und deine Selbstständigkeit waren deine höchsten Güter. Auf die Nähmaschine hast du irgendwann verzichtet, weil die Augen nicht mehr mitgemacht haben. Obwohl deine Lunge vom Krebs zerfressen war, obwohl du Schmerzen hattest und dein Herz und andere Organe angegriffen waren, hast du nie geklagt oder gejammert. „Geht eh“, hast du auf die Frage nach deinem Befinden gesagt und Kaffee für mich gekocht.
In der Liebe bist du keine Kompromisse eingegangen. „Den, den ich wollte, konnte ich nicht kriegen“, hast du mal gesagt, „und die anderen haben mich nicht interessiert.“ Zumindest nicht genug, um mit ihnen zu leben.

Als ich mich mit 18 in Bernd verliebt habe und alle mir abgeraten haben (zu Recht, wie ich später feststellen musste), hast du als einzige zu mir gehalten. „Tu, was du tun musst“, hast du gesagt, als ich von zu Hause ausgezogen bin und hast Bernd 10.000 Schilling geborgt, für die Reparatur seines Autos, obwohl du selber grad genug zum Überleben hattest. Er hat es nie zurückgezahlt. „Das verbuchen wir als Lehrgeld“, waren deine Worte, „aber sag’s nicht der Mama, die schimpft sonst mit mir.“

Als ich selber Kinder bekommen hab, ist deine Liebe nahtlos von mir auf sie übergesprungen. Du bist mit meinem Sohn stundenlang auf der alten Holzbank gesessen und hast mit ihm vorbeifahrende Traktoren bewundert. In ein paar Wochen hat er Geburtstag. Den ersten, den er nicht bei dir verbringt, denn er hat sich bei dir genauso wohl gefühlt wie ich, obwohl deine Wohnung längst eine andere war und es nicht mehr nach abgestandenem Rauch und Frankfurter Würsteln gerochen hat. Du warst da, als ich meine Tochter bekam und hast mich umsorgt und verwöhnt. Da war nie ein böses Wort von dir. (Nur meine löchrige Strumpfhose und mein knallroter Lippenstift haben dir nicht gefallen, aber das verzeih ich dir.)

Jetzt bist du tot. Jetzt kannst du mir nicht mehr erzählen, wie ihr euch im Krieg in der Waldhütte vor den Nazis versteckt habt, weil dein Vater Sozi war. Und von deiner Mutter, die Barbara hieß und nach der ich benannt bin.
Ich bin traurig, weil du nicht mehr bist. Aber irgendwie bin ich auch froh, dass dir ein Aufenthalt im Heim erspart geblieben ist. Das wäre nicht dein Leben gewesen, denn eines wolltest du nie: Von irgendjemandem abhängig sein.

Danke, dass du da warst. Und mir so viel gegeben und vererbt hast. Dein Lachen, deine Stärke, deinen Optimismus, dein Vertrauen in die Menschen. Deine Liebe zum Leben.
Servus, Tantchen.


Sag beim Abschied...

Montag, 17. September 2012

Kur-Sonne

„Na? Endlich einen Kurschatten gefunden?“ simst mir meine beste Freundin nach zwei Tagen Aufenthalt hier.
„Gott sei Dank nein“, schreibe ich zurück. „Nur ein paar Kursonnen und -sonninnen.“
Ich will nämlich keine Schatten, ich brauche Sonne.
Und während die mir ins Gesicht scheint, überlege ich, warum KÜPS (KurÜberbrückungsPartner) gemeinhin als Schatten bezeichnet werden, wo doch ihr Hauptzweck darin besteht, unser Leben zu erheitern, zu erwärmen und zu verzaubern?
„Wenn du schaust in Sonne“, spendet Sonnenschein Angie, die slovakische Physiotherapeutin Trost und Rat, „das Schatten liegt immer hinter dir.“
Im Gegensatz dazu liegen Kurschatten manchmal auch auf dir. Wenn das Kreuz mitspielt. Deshalb sind wir ja hier. Kur – la cura – Fürsorge, Behandlung, Heilung. So werde meine Seele gesund. Und Rücken und Knie.
3 Wochen Körper- und Seelenheil.
Nicht müssen, nur dürfen. Nichts leisten müssen, nicht funktionieren müssen, nicht mit dem Rad die Postalm bezwingen müssen, auch wenn das die anderen tun. Das Glück liegt im Sein, nicht im Tun. Nicht im Scheinen. Nicht im Haben.... Obwohl... der neue Rock... aber das ist eine andere Geschichte.
3 Wochen lang stülpt das Leben eine Glasglocke über mich und lässt nichts Unangenehmes durch. Der Bescheid vom Finanzamt, die undichte Zylinderkopfdichtung, der nicht minder undichte, unfähige Kollege, die Probleme der Kinder, ... sie alle schauen mit Dackelblick durch das Glas und klopfen an die Scheibe. Alle haben ein Schild um dem Hals, auf dem steht: Wir müssen draußen bleiben.
3 Wochen lang nur mit Bällen jonglieren anstatt mit Ehemann und den beiden Geliebten (hach, ich liebe es, wenn jetzt die Köpfe rattern, ob der Text autobiografisch ist oder unter dichterische Freiheit fällt). Im Moorbad schweben anstatt in Sorgen zu ersticken. Von Sabines Händen und den Düsen des Aquajets massiert anstatt vom Leben gerüttelt werden. Auf dem See schaukeln und die letzten Sonnenstrahlen erhaschen, bevor der Herbst in den Farbtopf langt und die Blätter bunt und die Seele grau bemalt.

Einfach nur Sein. Was gar nicht so einfach ist, wenn man nicht so einfach ist. Glücklich sein, sattt, bewegt und geheilt.
Und wichtige Erkenntnisse gewinnen. Zum Beispiel die, dass ungeschminkt und im Bademantel keiner so richtig gut aussieht.

Montag, 5. September 2011

Halt

Einen Moment inne-halten
mag ich
und Danke sagen

fürs mich Aushalten
obwohl ich bin, wie ich bin
oder weil?

fürs Zusammenhalten
fürs mich Zusammenhalten
wenn es mich zu zerfetzen
oder aufzulösen droht

fürs mich Festhalten
wenn ich jeglichen Halt verliere
oder Verstand und Fassung
und die Füße unter dem Boden
oder meinen Lieblingslippenstift

Danke
dass ihr mir manchmal Einhalt gebietet
wenn es mit der Enthaltsamkeit nicht klappen will
weil ich nicht Maß halten kann
und haltlos trinke, lebe und liebe

für gehaltvolle Unterhaltungen
fürs euch unterhalten lassen
und mich unterhalten
und nicht zuletzt dafür, dass ihr immer wieder
zu meinem Unterhalt beitragt

Danke,
dass ihr halt einfach da seid,
wenn ich euch brauche
und dafür, dass ihr mir
Halt gebt und Inhalt
und so im Leben haltet

Sonntag, 12. September 2010

Entscheidungsnotstand

Heute Nacht habe ich geträumt, ein guter Mensch zu sein. Nicht mehr schlecht zu sprechen über Kolleginnen, anderen etwas Gutes zu tun, die Milch zurück in den Kühlschrank zu stellen, immer freundlich sein und nett lächeln,... und dann bin ich aufgewacht, bevor ich noch im Detail träumen konnte, was denn da genau von mir erwartet wird. Ich erwachte mit dem festen Vorsatz, ab sofort ein guter Mensch zu sein. Heute und für den Rest meiner Tage.
Was aber bedeutet es, ein guter Mensch zu sein? Wie erkennt man gute Menschen? (Denn erkennen sollte man das schon, sonst ist es ja für den Hugo.) Oft beschimpft man mich ja eh schon als linke Gutmenschin, manchmal, wenn man es ganz böse meint, gar als linkslinke Gutmenschin. Ist es schlecht, ein guter Mensch zu sein?

Ich hab jemanden, der in meinen Augen ein guter Mensch ist, gefragt. „Wie machst du das?“, wollte ich wissen. Um zu erfahren, dass sie (denn selbstverständlich ist dieser gute Mensch eine Frau) davon ausgeht, dass jeder Mensch positive Absichten für sein Tun hat. Und man in jedem etwas Gutes sehen kann, wenn man genau hinschaut und sich bemüht, zu verstehen.
Puh, ich glaube, das wird ganz schön schwer.

Vielleicht gibt es ja Alternativen zum Gutsein. Zum Beispiel die:

Ich entwickle ein paar krause Theorien über Menschen. Zum Beispiel die, dass nur Menschen mit sauberen Fingernägeln gut sein können. Dass es genetisch bedingt ist, wenn Menschen mit Schmutzrändern aufwachsen und keine positiven Absichten für ihr Tun und überhaupt keine guten Seiten haben. Dass die schlimmsten die sind, die auch in den Zehennägeln Schmutzränder haben. Die teilen sich nämlich ein gemeinsames Gen. Nun könnte man ja meinen, dass es nett ist, seine Gene zu teilen, großzügig und gut. Aber das ist nicht so. Man stelle sich vor, Menschen mit schmutzigen Fingernägeln paaren sich mit Menschen mit Schmutzrändern in den Zehennägeln, es würden lauter doofe Kinder geboren und die österreichischen Kokospalmen wären vom Aussterben bedroht.
Über diese von mir entwickelte Theorie würde ich ein Buch schreiben. Ja, ich weiß schon, dass ich noch ein bisschen schlüssiger argumentieren und dazu ein paar Studien erfinden oder fälschen müsste. Aber das krieg ich schon noch hin.

Das Buch wäre ein Bestseller, ganz anders als „Jakob und der gewisse Herr Stinki“. Wer interessiert sich schon für das Gewissen eines Fünfjährigen, wenn er in meinem anderen Buch etwas über die globalen Zusammenhänge der Schmutzränder erfahren kann. Schmutz-Ränder. Natürlich stehen diese Menschen am Rand. Sind Schmutz.

Ich würde von allen Fernsehstationen eingeladen und tät mir dann in Interviews selbst widersprechen und sagen, dass ich mich missverstanden und falsch interpretiert fühle, aber das macht nichts. Hauptsache, die Welt erfährt endlich von meiner Existenz, auch die, die nicht mein Blog lesen.

Mein Chef würde mich nicht entlassen, sondern mit einem Goldenen Handschüttler verabschieden und in Pension schicken. Der Bundespräsident tät ein Gespräch mit ihm führen und dafür sorgen, dass meine Pension höher ist als es mir zustünde, hätte ich korrekt gehandelt und ein paar Klienten vor dem Erfrieren oder ihren gierigen Angehörigen gerettet (die für ihre Gier bestimmt ausschließlich positive Absichten haben).
Selbstverständlich täten wir aber Stillschweigen darüber vereinbaren, mein Chef, der Bundespräsident und ich.


Ja, liebe Barbara, du musst dich jetzt entscheiden. Für’s Gutsein, das wird anstrengend und schwierig und bringt nichts ein. Oder für die andere Variante.

Puhh. Immer diese schwierigen Entscheidungen. Vielleicht sollte ich noch mal ins Bett gehen und darüber schlafen.

Donnerstag, 26. August 2010

Vom Leben und seinem Umgang mit Gerechtigkeit

Da fühlt man sich vom Leben ungerecht behandelt, weil das Auto nach nur 80.000 Kilometern nur noch ächzt und nicht mehr fährt, und weil man sich kein neues leisten kann, da grübelt man, ob die Rechnungen bezahlt sind, hofft, dass die Kollegin nicht so bald aus dem Urlaub zurückkommt, ärgert sich über die Maus, die die Katze mitten in der Nacht ins Schlafzimmer bringt und dafür gelobt werden will, hofft, dass das Kind die Nachprüfung schafft und darauf, dass das Leben es wieder gut mit einem meint.

Und dann sitzt einem im Wohnzimmer eine junge Frau aus Deutschland gegenüber, surft im Internet und überlegt sich, welche Cocktails sie zu ihrer Geburtstagsparty anbieten wird und ob sie nur wirkliche Freunde oder auch Bekannte einladen soll. Und ob sie die Sonja einlädt, obwohl die sich nicht mit der Jenny versteht, weil die ihr den Freund weggeschnappt hat. Sie wird 18, genauso alt wie die eigene Tochter. Eine ganz normale 18-jährige, verliebt, freundlich, aufmerksam. Sie freut sich an den Klamotten, die sie heute gekauft hat. Eine liebenswerte junge Frau einfach.
Nach dem Essen wirft sie eine Tablette ein, steckt ihr Inhalationsgerät und inhaliert.
„Was hast du?“
„Jo mei“, sagt sie mit ihrem niedlichen bayrischen Akzent.
Eine Stoffwechselerkrankung, seit ihrer Geburt. Sie versorgt mich mit Informationen über die Krankheit und ihr Leben damit. Ein paar Freunde, die sie aus der Klinik kennt, sind schon gestorben. Im Schnitt werden Menschen mit ihrer Krankheit 30 bis 35 Jahre alt. „Leute, die jetzt so alt sind wie ich, vielleicht schon vierzig.“ Sie sagt es im selben Tonfall, in dem sie über das Buffet für die Geburtstagsparty erzählt.
Ich krieg eine Gänsehaut. „Scheiße“, presse ich hervorund fühle mich plötzlich sehr hilflos.
„Jo mei“, sagt sie, „ich habe keine Angst vor dem Tod.“
Ich schon, denke ich. Und noch mehr Angst hätte ich, dass unsere Kinder sterben.
Ihr Freund unterbricht unsere Unterhaltung, küsst sie auf den Mund und sie besprechen die Einkaufsliste fürs Fest. Bier oder Wein? Brot oder Brezel? Weißwurst oder kalten Braten? Tequila oder Cachaca? Oder Tequila UND Cachaca?

„Eure Sorgen möchte ich haben“, lächle ich und beiße mir im selben Moment auf die Lippen. Nein. Ich will sie nicht. Und ich will, dass ihr sie auch nicht habt.
Aber das Leben ist nun mal nicht gerecht.

Samstag, 14. August 2010

Zeitreise

Es ist zehn nach zehn.

A cup of tea? Ein Teil von mir ist noch in England. Englische Probleme löst man mit einer cup of tea. Die Engländer scheinen eine Menge Probleme zu haben, denn sie trinken ständig Tee.
Weinviertler Probleme löst man mit Aperol Spritz. Oder Sekt mit Bittermarillenlikör. Oder Kir Royal. Oder einem Glas Wein. Oder mit Kaffee. Sogar das Lösen von Problemen ist im Weinviertel problematischer, weil man sich ständig entscheiden muss. Wasser mit oder ohne Kugerln? Himbeer- oder Zitronensaft? Kaffee mit Zucker oder ohne? Haltbarmilch oder Schlagobers?
Der Kater legt mir zur Belohnung für meine tiefsinnigen Gedanken eine Maus vor die Füße, schmiegt sich an meine Beine und knurrt, als ich mein Geschenk entgegennehmen möchte.

Es ist zehn nach zehn.
A cup of tea? Keine Entscheidungen. Lächeln. Oh yes, please. Here you are. Thank you so much. You are welcome. You are very polite.

Es ist zehn nach zehn. Die Zeit bewegt sich langsam. Ich bewege mich langsam. Du warst vier Stunden im Wald für drei Steinpilze und zwei Eierschwammerl?
Ja. Für wenige Pilze muss man länger suchen, sage ich. Außerdem ist es erst zehn nach zehn. A cup of tea?
Hä? Die Kaffeemaschine ist eh schon wieder repariert.
Wunderbar, dann kann ich ja nach meinem Urlaub mit der Kaffeemaschine in die Arbeit fahren.
Einmal super voll bitte.
Espresso oder latte?

Es ist zehn nach zehn.
Die Wölfe haben keine Eile. Langsam kommen sie mir entgegen. Mein Atem geht langsam, als ich in ihre Augen schaue. Wir verstehen uns. Alles geht langsam um diese Zeit. Alles geht langsam um zehn nach zehn. Ich liebe die Wölfe hier, sie sind wunderschön, bewegen sich geschmeidig und blicken stolz. Ich beobachte die Wölfe beim Mondanheulen und lächle sie an. Ich hasse die Brüder Grimm. In ihren Märchen sind immer die Wölfe die Bösen, fressen Kreide, Geißlein und kleine Mädchen. Ich bringe ihnen Rotwein und Kuchen und entschuldige mich für die Brüder Grimm. Sie haben es bestimmt nicht so gemeint, sage ich. Die Wölfe wollen keinen Rotwein.
Es ist zehn nach zehn. Zeit. A cup of tea, frage ich

Die Zeit ist stehengeblieben im Urlaub. Auch die Uhr in der Küche ist stehengeblieben. Seit Wochen ist es zehn nach zehn.

Zeit zum Kochen.
Zeit zum Leben.
Zeit zum Lieben.

Mittwoch, 19. Mai 2010

Glück und Glück gesellt sich gern

Ich beschäftige mich ja grad sehr mit dem Glück, habe unzählige Glücksstudien und Forschungsergebnisse gelesen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass Glück etwas sehr subjektives ist und stark mit unseren ureigenen Werten und Lebensmotiven zu tun hat und bin Glückstipps und Verallgemeinerungen gegenüber skeptisch. Neugierig und zum Teil fasziniert bin ich von den Ergebnissen zum Teil trotzdem.
So hat der italienische Psychiater Giovanno Fava depressiven PatientInnen empfohlen, ein Glückstagebuch zu führen. Jeden Abend sollten sie drei bis fünf Dinge aufschreiben, die sie zufrieden oder glücklich gemacht haben.
Klingt lächerlich, ich weiß, ist es vielleicht auch. Die Studie hat gezeigt, dass depressive Patienten nach zehn Wochen deutlich weniger Angst hatten, ihre Niedergeschlagenheit hatte sich stark gebessert. Ohne Antidepressiva, nur indem sie schöne Momente auch als solche wahrnehmen und bewusster und sinnlicher durch den Alltag gehen. (Und das hat für mich nichts damit zu tun, die Ölpest und die Wirtschaftskrise zu verleugnen und Probleme zu verdrängen. Es geht lediglich auf den Fokus.)

Ja, auf jeden Fall bin ich – wie gesagt, ein neugieriger Mensch. Also habe ich angefangen, Glückstagebuch zu schreiben. Wenns nicht hilft, dann wird es wohl zumindest nicht schaden. Und wenn ich jetzt so nachschaue, was ich in den letzten Wochen aufgeschrieben habe, dann bin ich entsetzt.

Mittwoch
• Krautfleckerl gekocht und gegessen
• trainiert
• Großmutters Germguglhupf gebacken

Donnerstag
• Frühstück mit S., schön und lecker!
• Mittagessen beim Italiener mit Frau Dr. Blubb, danach mit ihr im Café Central Melange und heiße Schokolade getrunken
• mit M. Fußball geschaut und danach im Theater

Freitag
• Lachsfrühstück im Büro
• es gibt Lamm
• fleißig trainert und gut geschwitzt
• Zotter-Schokolade

Ja, so geht’s dahin. Kochen, Essen und Trainieren machen mich glücklich. Am glücklichsten mit Menschen, die mir wichtig sind. Und ich ertappe mich untertags beim Gedanken: Das ist jetzt schön, das muss ich mir unbedingt merken und heute Abend ins Glückstagebuch schreiben.

Gesternabend hab ich was besonders schönes reingeschrieben. Etwas, das ausnahmsweise nichts mit Essen zu tun hat.

E. hat mich angerufen. Ein schönes und offenes Gespräch, das mich berührt hat.

Zurück zu den Glücksstudien. Was viele Menschen noch glücklich macht, sind Singen, Tanzen und ehrenamtliches Engagement. Und die Fähigkeit, dankbar zu sein.

Ich bin grad sehr dankbar.

Donnerstag, 29. Oktober 2009

Reine Gefühle

Mit der großen Astschere zwicke ich alte, vertrocknete Gefühle ab. Gedanken, die keiner mehr braucht. Weg mit dem Neid und den Zweifeln. Weg mit der Depression. Ausdünnen nennt man das. Vor allem die Wut, die nach innen wächst, muss weg, sonst kann ich nicht blühen.
Ein paar dieser Scheiß-Gefühle wollen sich nicht von mir trennen, bei denen wende ich Gewalt an. Die Schuldgefühle zum Beispiel, die klammern sich hartnäckig an meinen Stamm. Für besonders sperrige Emotionen brauche ich die Säge. Wieauuuuummm. Weg damit.
In meinem Eifer erwische ich auch junge Triebe, die ich irrtümlich wegkappe. Ärgerlich, so viele sind es in meinem Alter nicht mehr. Hoffentlich wachsen sie nach.

Ich wische mir den Schweiß von der Stirn und stehe vor meiner Ernte. Ein riesiger Haufen liegt vor mir. Was tun damit? Verbrennen? Geht nicht, es regnet und der frische Ärger brennt nicht, sondern raucht nur.

Zum Glück habe ich vor kurzem einen Häcksler angeschafft.

Ich stopfe meinen Seelenmüll in den Einfülltrichter und sehe zu, wie er im Inneren des Geräts verschwindet. Da drinnen rotiert ein Messer und hackt ihn in kleine Teile. Eine tiefe Befriedigung erfüllt mich, als ich sehe, wie meine Unlust, meine Traurigkeit und meine Angst in ihre Einzelteile zerhackt und in leicht verdaulichen Portionen ausgespuckt werden. Immer schneller fülle ich nach, beobachte, wie dieses wildgewordene Tier gierig meine trüben Stimmungen auffrisst und vernichtet.

Ich betrachte den Auswurf und wundere mich, wie ich mich davon so quälen habe lassen. Jämmerlich und lächerlich sieht das Ergebnis aus.
Langsam, ermahne ich mich, als ich weitermache, sonst verstopfen die üblen Gedanken das Werk.

Die Arbeit ist getan. Vor mir liegt ein Haufen zerschredderter, gebrauchter Emotionen. Ganz klein liegen sie da, die Überheblichkeit und die Arroganz und schweigen zitternd. Die Schuldgefühle sind kaum noch zu erkennen und der Hass scheint überhaupt verschwunden.
Ich freue mich, dass jetzt endlich aller Mist von mir weg ist. Mit dem Häckselgut werde ich die Rosenbeete mulchen oder warten, bis er auf dem Komposthaufen in hochwertigem Humus umgewandelt wird, auf dem riesige Kürbisse wachsen. Meine Gedanken sind klar, rein und schön.


Und plötzlich ertappe mich bei der Frage, ob man das Gerät auch mit Leichenteilen beschicken könnte, die es so mir nichts, dir nichts zerschnipseln würde? Den arroganten Typen vom Call-Center oder den unfähigen Lagerhausmitarbeiter, der mir den Häcksler verkauft und mich behandelt hat wie eine Stadttussi, die keine Ahnung von Technik und Gartenarbeit hat.
Erst mit der Säge die großen Gliedmaßen ab, und ganz zum Ende das mickrige Glied, mit der Astschere. Schnapp. Und dann rein damit in den Trichter und auf volle Touren schalten. 6,60 Kilowatt. Ökologisch entsorgt. Die Reste holen sich die Ratten.

Es ist ein gutes Gefühl, so reinen Herzens zu sein.

Montag, 26. Oktober 2009

SADIE

„Geh schleich dich!“, sage ich zu meiner Herbst-Winter-Depression, in einem Tonfall, in dem ich nur mit sehr guten Freunden spreche.
Sie schleicht sich.
In meine Knochen, auf meine Brust, unter meine Decke.
„Dein Körper braucht jetzt Ruhe“, sagt sie, „und viel Schlaf.“ Sie widerspricht meinem Trainer, der meint, mein Körper brauche dreimal die Woche Kraft- und Ausdauertraining.
„Ihre Sorgen möchten wir haben“, sagt die Versicherung, aber ich weiß, dass sie lügt. Die möchten meine Sorgen überhaupt nicht haben. Die möchten gar nicht, dass ich ein sorgenfreies Leben führe.
„Deine Depressionen möchte ich haben“, sagt die Freundin und ich weiß, dass sie die Wahrheit sagt. Sie findet mich trotz meiner SAD (das find ich eine wunderschöne Wortschöpfung, beinahe eine Onomatopoesie), also trotz meiner Traurigensaisonalabhängigendepression aktiv und voller Kraft.
Ich nenne SAD (wir kennen uns schon lange) zärtlich SADIE, weil sie neben dem traurigen Element auch sadistische Züge hat.

Wann war ich eigentlich zum letzten Mal so richtig glücklich?, lasse ich mich in SADIES Arme fallen. Wann habe ich zuletzt herzhaft gelacht?
„Na, wann denn?“, will SADIE wissen und lächelt spöttisch.
Ich schaue weg und antworte nicht. Es ist mir peinlich, weil ich die Antwort kenne.

Vor einer halben Stunde, als ich mit meiner Freundin Sekt getrunken und Geburtstagstorte gegessen und einen guten Film geschaut habe. Vor ein paar Stunden, als meine Kinder mich umarmt und mir gesagt haben, dass sie mich liebhaben. Als ich mit Frau Dr. Blubb Bruttosozialprodukt ins Mikro gegrölt und dafür die Note „Amateur“ bekommen habe. Heute Vormittag, als ich im Garten Nüsse geklaubt habe. Heute früh, als ich an meiner neuen Geschichte geschrieben habe. Gestern bei meinem Lieblingstatort. Gestern Mittag, als ich statt der Stiefel die Ohrringe gekauft habe, weil Ch. das Geld dringender braucht als der Humanic. Gestern Vormittag, als ich mich eine Stunde auf dem Crosstrainer verausgabt hab und das nicht als Qual, sondern als Glück erlebt hab. Danach in der Sauna.
Am Samstag bei der Lesung, als ich gespürt hab, dass ich die Leute mit meinen Geschichten berühren kann. Als ich für meine beste Freundin ein Bild gekauft hab. Als überraschend mein Bruder und seine Frau zur Lesung gekommen sind. Als ich gefühlt hab, wie unendlich glücklich es mich macht, meine Geschichten zu teilen. Anschließend mit den Frauen zu quatschen und lachen. Vorgestern, beim Theaterspielen und beim Tanzen war ich glücklich und befreit. Im Fitnessstudio. In der Arbeit. Beim Kochen. Beim Lesen. Beim Leben.

„Siehst du“, sagt SADIE, „ein wenig Trübsal, Dunkelheit und Müdigkeit kann dir nicht schaden.“
„Weißt du was, SADIE?“, sage ich, „GABS!“
„Was bedeutet das?“
„Geh a bisserl scheißen“.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

Neu

"Pinguin"
"Pinguin"
bonanzaMARGOT - 11. Mär, 11:11
Sleepless im Weinviertel
Ich liege im Bett. Ich bin müde. Ich lese. Eine Romanbiografie...
testsiegerin - 13. Jan, 11:30
... ich könnte mal wieder...
... ich könnte mal wieder eine brasko-geschichte schreiben.
bonanzaMARGOT - 8. Jan, 07:05
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
loving it :-)
loving it :-)
viennacat - 2. Jan, 00:51
Keine weiße Weste
Weihnachtsgeschichte in 3 Akten 1. „Iss noch was,...
testsiegerin - 16. Dez, 20:31
ignorier das und scroll...
ignorier das und scroll weiter nach unten.
testsiegerin - 27. Okt, 16:22

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