Gedanken

Montag, 9. März 2009

Think (pink) orange

Einfach abstreifen, denkt sie, diese verletzte und verletzliche, durchscheinende Haut. Abstreifen und in die Elefantenhaut schlüpfen, die sie in vielen, langen, dunkeln Träumen angemessen, zugeschnitten und genäht hat. Da ein paar Abnäher, dort Stulpen, hier dicke Schulterpolster und da einen Reißverschluss, damit sie keine Zeit verliert, wenn die alte spannt und nahe am Zerreißen ist. Noch ist er nicht fertig, der neue Anzug, die Nähte noch nicht fest genug.

Es gibt ein paar Stellen auf ihrer Haut, die hat es besonders schlimm erwischt in den letzten Jahren, die sind abgenützt und zerschrunden. Anstatt sie unter dicken Pullovern zu verstecken, trägt sie sie offen zur Schau, ihre Verletzlichkeit. Lädt ein zum Hineinstechen, weil sie hofft, dass jemand liebe Worte und ein sanftes Lächeln daraufstreicht, aber in Wahrheit streuen sie Salz hinein. Dabei lächeln sie und murmeln: Wir meinen es nur gut.
Wahrscheinlich glauben sie das sogar.

In den dunkelsten der dunklen Nächte sagt sie sich, wahrscheinlich haben sie Recht, wenn sie dich verletzen und wie sie über dich urteilen. Wahrscheinlich bist du tatsächlich eine lausige Mutter, eine, der die falschen Dinge wichtig sind. Andere Mütter können das bestimmt, denkt sie sich in einer von diesen Nächten, die kein Ende nehmen wollen, die kriegen alles unter einen Hut. Andere Mütter opfern sich auf, sind gerecht, sie sind berufstätig, haben keine Schuld und keine Schulden und vereinbaren trotzdem rechtzeitig Zahnarzttermine. Sie gehen mit den Kindern schwimmen, obwohl sie Schwimmbäder hassen. Andere Frauen sind nicht solche Versagerinnen, denkt sie, die kommen nicht nur mit ihrem Leben klar, sondern auch mit den Leben ihrer Lieben. Alle können das, nur sie selbst nicht. So denkt sie, wenn der Morgen graut und das Kissen kein Salzwasser mehr aufsaugen kann.

Dann setzt sie sich an ihre alte Singer-Traumnähmaschine und lässt die Nadel rattern. Als die Sonne aufgeht, sind die Elefantenhautellbogenschoner fast fertig. Sie schlüpft hinein. Ich weiß nicht, denkt sie, ich fürchte, die stehen mir nicht.

„Sieh es positiv“, sagt eine Stimme zu ihr.
„Und wie?“
„In diesem Haus verkehren ausschließlich Versager. Du bist nicht allein.“

Mittwoch, 24. Dezember 2008

Weihnachtliche Gedanken

Das ganze Jahr werden sie übersehen, belächelt, totgeschwiegen. Von den Menschen, den Bürgermeistern, dem Fernsehen.
Die Menschen in den Pflegeheimen, die psychisch kranken, die geistig behinderten Menschen - pardon, natürlich "Menschen mit besonderen Bedürfnissen".
Aber alle Jahre wieder zu Weihnachten werden sie aus dem Hut, vor den Vorhang und auf den Bildschirm gezaubert. Da dürfen sie für die lieben Angehörigen Theater spielen und Engel schnitzen. Da dürfen sie sich öffentlich blamieren und man lächelt milde und sagt "wie nett", "wie lieb diese Menschen doch eigentlich sind, wie treuherzig die Mongos ausschauen mit ihren weit auseinanderstehenden Augen."

Dabei sind diese Menschen genauso wenig lieb wie alle anderen. Oder genauso lieb, manche sind lieb, manche offen, manche verschlossen, manche sind gehässig, manche sind wütend. Wie die Nichtbehinderten auch. Sie sind einfach Menschen, mit Stärken und Schwächen, aber sie werden immer über ihre Defizite definiert. Der mit dem Schädelhirntrauma, die mit dem Hydrozephalus, die mit dem Dekubitus, der mit dem Religionswahn.

In Wahrheit haben sie keine besonderen Bedürfnisse. Weil alle Bedürfnisse, die wir haben, letztendlich normal sind. Vor allem das nach Essen und Ficken und Lieben und Geliebtwerden.
Wenn sie sagen, dass sie essen wollen, bekommen sie zu essen. Wenn sie Lachs und Champagner wollen, muss man schon drüber diskutieren. Ob der Alkohol sich mit den Medikamenten verträgt. Ob nicht gar Suchtgefahr besteht.
Wenn sie es aber wagen, das Bedürfnis zu ficken zu artikulieren, dann treten die Gremien der nichtbehinderten Experten und Expertinnen, die über Wohl und Weh der behinderten Menschen entscheiden zusammen und diskutieren, ob es wirklich Sex ist, den sie wollen oder brauchen oder nicht doch eher nur Berührungen und Aufmerksamkeit. Vielleicht wissen sie das aus der Erfahrung, dass man manchmal vögelt, weil man Wärme und Nähe braucht. Manchmal hat man aber einfach nur Gier, und das unterscheidet uns schon wieder nicht. Wir aber leben von den Unterschieden, wir sind nur gut, richtig, normal, weil wir uns von denen, die nicht gut, richtig und normal sind, unterscheiden. Weil wir besser sind. Reflektierter.

Warum fragt die sogenannten nichtbehinderten Frauen keine Sau danach, warum sie bumsen wollen, sondern lässt es sie einfach tun. Warum fragt die Männer, die zu Prostituerten gehen, kein Hund danach, ob sie nicht vielleicht einfach Ansprache und eine Ersatzmama oder was auch immer brauchen.
Warum geht es uns überhaupt etwas an, warum jemand welche Bedürfnisse hat? Aus Sorge, natürlich. Die Menschen könnten danach enttäuscht sein, weil sie etwas ganz anderes erwartet haben. Ja und? Wie oft sind wir enttäuscht, weil wir etwas anderes erwarten vom Leben? Wer behütet uns vor schmerzhaften Erfahrungen? Und würden wir überhaupt so (über)behütet werden wollen?

Lassen wir doch die Behinderten lieber Weihnachtsgedichte aufsagen und krippenspielen. Da sind sie keine Gefahr für uns, da stellen sie unser Leben und unsere Werte nicht in Frage.
Da können wir uns mit den Spenden und guten Taten in ihrem Licht sonnen. Da können wir Licht ins Dunkel senden (grad so, als wäre unser Leben hell und ihres dunkel), als wäre uns ihre Lebensqualität wirklich ein Anliegen, obwohl wir das ganze Jahr über wegschauen.

Es ist zum Kotzen. Diesmal nicht wegen der Vanillekipferl.

Sonntag, 19. Oktober 2008

Offener Brief an die Bäume

Liebe Bäume und Pflanzen,

Wieder einmal lasst ihr die Zweige hängen und Blätter fallen.
Warum wehrt ihr euch nicht gegen den Herbst? Warum lasst ihr zu, wie Blüten und Früchte von euch abfallen und eure schönen grünen Blätter braun werden und verwelken? (Ja, ja, ich hab schon gesehen, dass ihr sie vorher noch rot und gelb und violett und orange anmalt.) Ihr seid doch stark, vor allem im Frühling und im Sommer, warum werdet ihr jetzt so schwach? Schämt ihr euch denn gar nicht?
Ja, ja, zuckt nur die Äste. Das ist auch eine Antwort.
Es tut gut loszulassen, nach der Fülle und Last der letzten Monate wieder frei und leicht zu werden, sagt ihr. Ihr wollt nicht besitzen, sondern schenken. Aha. Uneigennützig auch noch.
Aber woher wollt ihr wissen, dass ihr im nächsten Frühling wieder treibt?
Ihr wisst es nicht, ihr hofft nicht mal, ihr nehmt das Leben, wie es kommt, und wenn der Tod kommt, dann nehmt ihr ihn auch.

Wisst ihr, eure Herbstmetapher geht mir schon auf den Arsch. Jahr für Jahr erzählt ihr mir den gleichen Schwachsinn, von der Freude am Loslassen und an der Veränderung. Mit eurer verdammten Gelassenheit wollt ihr mich animieren, es euch gleich zu tun und die Vergänglichkeit einfach hinzunehmen. Aber merkt ihr, dass euch das nicht gelingt? Oder nur hin und wieder?
Merkt ihr nicht, welchen Stress ihr mir damit macht, weil ich ständig euer leuchtendes Beispiel vor Augen habe und mich im Vergleich dazu noch mehr als Versagerin fühle als ich es ohnehin schon tue? Weil Veränderungen für euch so leicht scheinen und für mich so schwer sind? Weil mich graue Strähnen, Abschiede und Falten beunruhigen und der Verlust von etwas, das ich liebe, mir solche Angst macht.

Deshalb ein Vorschlag in Güte. Wir machen einen Deal.
Nächstes Jahr lasst ihr die Blüten, Früchte und Blätter einfach drauf und tut so, als ob nichts geschehen wäre. Geht das? Ihr würdet mir damit auch ersparen, Tonnen von Birnenkompott zu kochen, Nüsse zu knacken und euer welkes Laub rechen zu müssen.
Ich werde im Gegenzug Veränderungen einfach akzeptieren oder mich mit ihnen arrangieren. Ich werde, was immer das Leben mir schenkt oder wegnimmt, dankbar nehmen oder gelassen nehmen lassen. Zumindest werde ich es versuchen.
Ihr müsst nicht sofort antworten, überlegt euch meinen Vorschlag einfach in Ruhe, gut? Jetzt habt ihr dann ohnehin Zeit zum Nachdenken.
Wenn ihr das mit dem Festhalten hinkriegt, dann krieg ich das mit dem Loslassen auch hin. Versprochen.

Eure Barbara

Freitag, 15. August 2008

Zum Abschied

Lieber Otto,

seit gestern bist du also Asche. Ich mag dir trotzdem noch ein paar Worte sagen, auch wenn du sie nicht mehr hörst, aber solche Abschiede sind ja immer mehr was für die, die bleiben als für jene, die für immer gehen.
Du sitzt vielleicht eh grad mit einem Glas Wein am Lagerfeuer, zum ersten Mal seit langem ohne Schmerzen, ohne dieses blöde Geschwür in deinem Bauch, und freust dich daran, die Ebenen gewechselt zu haben. Ich werd jetzt ein Glas auf dich trinken. Prost, Otto.

So richtig gut kannte ich dich ja gar nicht, aber muss man Menschen so richtig gut kennen, um sie gern zu haben? Gestern an deinem Sarg hätte ich gern laut „Pfiat di, Otto, danke, dass du da warst“ gesagt, aber natürlich versagte meine Stimme und ich hab nur geschwiegen und mir ein paar Tränen aus den Augen gewischt.

Man sagt ja, dass in Österreich die Steigerung von Feind „Parteifreund“ lautet, aber für dich galt das nicht. Dir ist es nie darum gegangen, in der ersten Reihe zu stehen, du hast dich nicht wichtig gemacht, obwohl du wichtig warst, nicht nur als Bezirskgeschäftsführer, sondern vor allem als Mensch.

Ich werde dich vermissen bei unseren Sitzungen, Otto. Meistens waren wir ja der gleichen Meinung, aber während mich manche Einstellungen unserer Genossen wütend und zornig gemacht haben, bist du gelassen geblieben. Das hab ich bewundert an dir, wie du zu deiner Meinung gestanden bist, aber immer auch das Andere gelten lassen hast. Weil du nicht die Menschen ändern wolltest, sondern ihre Lebensbedingungen.

Verdammt, warum musstest du schon abhauen, du warst doch noch nicht mal fünfzig. Only the good die young, sagt man, aber das ist natürlich auch ein Schwachsinn, weil erstens die Bösen oft genauso früh sterben, weil man mit 49 auch nicht mehr sooo jung ist und weil drittens eh niemand genau sagen kann, wo die Grenze zwischen Gut und Böse verläuft.

Die Welt ist voller Leiden, stand auf deinem Partezettel, aber auch voller Möglichkeiten Leiden zu überwinden. Deine eigenen hast du jetzt überwunden, indem du dich aus dem und zu Staub gemacht hast, für die Leiden der anderen Menschen hast du dich immer mit deiner ganzen Kraft und Liebe eingesetzt. Für dich waren sozialdemokratische Werte nicht nur sozialdemokratische Worte, sie waren dir ein Herzensanliegen, vor allem die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen. Vielleicht, weil du selbst immer jung geblieben bist und es in deinen Augen immer so frech geblitzt hat.

Ein paar deiner Genossen waren gestern im roten SPÖ-Shirt beim Begräbnis. Manche der anderen Gäste haben den Kopf geschüttelt, aber dir hätte das getaugt, Otto, hab ich Recht? Dir war nämlich das Innere immer wichtiger als das Äußere.

Zurzeit bin ich – wie viele ÖsterreicherInnen – ziemlich sauer auf die Partei. Den Hut aber, den hau ich nicht drauf. Den ziehe ich vor Menchen wie dir, vor Menschen, welche die sozialdemorkatische Idee jeden Tag mit Leben füllen, die zeigen, dass sich Solidarität, Toleranz und Gleichberechtigung noch lange nicht überlebt haben und wichtiger sind denn je. Menschen wie du geben mir die Kraft weiterzumachen. Und die Zuversicht, dass es sich lohnt.

Pfiat di, Otto. Danke, dass du da warst.
Freundschaft.

Barbara

Sonntag, 6. April 2008

Mein 1968

Das Jahr 1968 feiert gerade seinen 40. Geburtstag. Sehr heftig feiert es und in den Zeitungen entkommt man seiner Party nicht.
Anlass für mich, meine Erinnerung in die Vergangenheit reisen zu lassen und mein ganz persönliches 1968 Revue passieren zu lassen.

Es war ein Jahr der Revolution fü rmich, denn das, was man gemeinhin „Ernst des Lebens“ nannte, begann. Die Schule. Ich war erst fünf, aber ich brannte darauf, endlich lesen, rechnen und schreiben zu lernen. Fürs Brav- und Tüchtigsein gab es Sternderl, und ich tat so ziemlich alles für ein Sternderl, sogar extra Zierzeilen unter die Hausaufgabe malen.
Ein bisschen überschattet wurden die Sternderl von den schwarzen Punkten, die man fürs Frech- und Schlampigsein bekam. Schwarze Pädagogik halt.
Es war eine Zeit des Aufbruchs. Mein Bruder und ich brachen in der Früh in die Schule auf, mein Papa in die Gummifabrik und meine Mama mit meiner kleinen Schwester in den Konsum.

1968 war auch in anderer Hinsicht ein revolutionäres Jahr für mich, denn ich war zum ersten Mal verliebt. Hätte ich damals gewusst, welche emotionalen Achterbahnfahrten ich mir damit einhandle, vielleicht hätte ich verhindern können, dass ich auch für den Rest des Lebens in irgendwen oder irgendetwas verliebt sein sollte. Wahrscheinlich hätte ich es trotzdem nicht verhindert.

Meine erste große Liebe hieß Waltraud und war meine Lehrerin. Manchmal durfte ich ihr die Hefte nach Hause tragen. Meine zweite große Liebe hieß Dieter, war blond und ich trug ihm die Schultasche. Zum Glück wohnte er direkt gegenüber der Schule. Für ihn schrieb ich mein erstes Gedicht. Der Beginn einer wunderbaren Karriere.

Fernseher hatten wir noch keinen, der kam erst ein Jahr später und das erste, was ich darin sah, war der Start von Apollo 14.
Ich hab zwar in der Schule viele neue Wörter gelernt, doch ich kannte weder The Who noch das Wort Flower Power. Flower Power hatte mit dem geblümten Kleid meiner Mama in etwa so viel zu tun wie Jimi Hendrix mit Caterina Valente.
Eine Straßenschlacht gab es bei uns nur, wenn sich zwei Autos auf der Bundesstraße ineinander verkeilten. Öffentliches Gruppenkuscheln vor der Semperit war unvorstellbar. Die Droge unserer Eltern war der Alkohol, unsere Drogen hießen Tutti frutti und Bensdorp. Einen Schilling kostete so eine Tafel Schokolade. Die Schleifen der Schokoriegel sammelten wir, denn für gefühlte tausend Schleifen gab es eine Packung Bensdorp gratis.

Auch von Love and Peace war weit und breit nichts zu erkennen. Wenn wir Kinder stritten oder rauften, wurden wir – ohne vorherige Gerichtsverhandlung, wer der/die Schuldige war – alle der Reihe nach übers Knie gelegt. Danach mussten wir am Fenster knien, bis wir uns entschuldigten. Ich kniete oft sehr lang, weil ich fand, dass man sich nicht für etwas, woran man nicht schuld war, entschuldigen konnte.

Das richtige 1968, also das mit den Rolling Stones, mit Afrolook und Räucherstäbchen und Tigerbalsam, das hat sich bei uns auf dem Land um etwa zehn Jahre verspätet. Es konnte ja auch nicht überall gleichzeitig sein.

Wie war euer ganz persönliches 1968?

Montag, 24. März 2008

Gretchenfrage

Wie ich es mit der Religion halte, hat la mamma andernorts gefragt. und weil meine Gedanken- und Erinnerungskette zu lang für einen Kommentar ist, fädle ich hier selbst. Ein paar bunt schillernde Glaskugeln fädle ich, ein paar echte Flussperlen und viele Glieder eines Rosenkranzes.

Das erste Mal den Eindruck, dass da etwas nicht stimmt, den hatte ich, als ich mich eines Sonntagsmorgens in der Kirche in den Betrachtungen des Kristallleuchters verlor und dafür nicht nur von meiner Oma, sondern auch von vielen anderen alten Kirchgängern ausgeschimpft wurde. Was ist schlimm daran, während der Messe nicht geradeaus auf den Pfarrer sondern hinaufzuschauen, dort wo angeblich Gott wohnt?

Später dann war ich bei den sozialistischen Kinderfreunden und bei der KAJ, der Katholischen Arbeiterjugend. Bei den Kinderfreunden war es lustig, bei der KAJ haben wir hauptsächlich gebastelt. Aber ein Highlight war die jährliche Ferienwoche in der Steiermark. Der Herr Kaplan war intelligent, jung und attraktiv, die Diskussionen waren spannend und die Mutprobe in der Gruselnacht aufregend. Tagsüber lagen die älteren Mädels neben dem Kaplan barbusig in der Sonne. (Ich war damals leider noch bar jeglichen Busens)
Der Kaplan wurde versetzt, und das, obwohl er es mit der christlichen Gemeinschaft sehr ernst nahm. Wieder dachte ich mir, dass da etwas nicht stimmt.

Ich war jung, ich war ahnungslos und ich war ein Mädchen vom Land, das wegen des Studiums in die große Stadt ging. Weil die beste Freundin in einem Studentinnenheim des Opus Dei wohnte, zog ich auch dort ein. Tagsüber studierte ich Russisch und das Leben und fickte mit jungen Männern in Che-Shirts, abends betete ich gemeinsam mit Jusstudentinnen aus gutem Hause dornenreiche Rosenkränze. Eines Tages lag ein Büchlein auf meinem Bett: „Denn heilig ist euer Leib.“ Mein Leib war mir immer heilig, da musste mich niemand bekehren.
Nach einem knappen Jahr schmiss man mich aus der Kalmann-Villa.

Noch immer las ich „Die Wende“, eine katholische Jugendzeitschrift und wartete auf eine ebensolche. Sie kam nicht. Ich ging in die Mensa der Katholischen Hochschulgemeinde (das Essen dort war gut und billig und die Mensa viel gemütlicher als diese riesige im Universitätsgebäude) ich diskutierte mit angehenden Theologen.
Sie alle wollten mich immer nur missionieren, zu meinem Besten. Sie sind überzeugt davon, dass ich auf dem falschen Weg bin und den richtigen erst finden werde. Sie würden mir gerne dabei helfen. Ich aber bin allergisch aufs Geholfenwerden, ohne dass ich um Hilfe bitte.

Ich habe keine Probleme mit Esoterikern, Veganern und Katholen, sie sollen ihr Ding leben, sie sollen wahlweise Feng-Shui-Kristalle, ihren Vollwerthirsebrei oder einen halbnackten, toten Mann am Kreuz anbeten, das ist wirklich ihre Sache. Aber sie sollen bitte nicht die Nase rümpfen, wenn mein Sofa in der faschen Ecke steht, ich ein Lammkotelett mit Rosmarin und Speckbohnen esse und leise darüber schmunzle, dass sie allen Ernstes glauben, Gottes Leib käme in Gestalt von geschmacksneutralen Oblaten daher.

Trotz allem verfolgte ich alles, was in der katholischen Kirche passierte, mit großem Interesse. Die Plattform „Wir sind Kirche“, die Gleichberechtigung und Mitbestimmung forderte, wurde von den Mächtigen niedergeprügelt und gab auf. Zumindest hört man heute kaum noch von denen.

Das – und ganz sicher nicht der Kirchenbeitrag war der Grund, weshalb ich aus diesem (für mich machtgeilen, verlogenen Haufen) austrat. Lange bevor ich der SPÖ beitrat (auch die ist manchmal ein machtgeiler, verlogener Haufen, aber deren Ideologie ist mir näher).

Meine Kinder sind „arme Heidenkinder“. Wenn man das überhaupt so sagen kann, denn mein Sohn wurde von meiner Oma heimlich mit Wasser aus Lourdes notgetauft.

Als ich Jahre später mit meinen Kindern in der Kirche war, damit sie so ein exotisches Bauwerk auch einmal von innen sehen, und weil man nur ablehnen kann, was man auch kennt, fanden sie das schön und sind zwischen den Bankreihen hin- und hergelaufen und haben sich sogar hingekniet. Sofort zischte ein mehrstimmiges „Pschschscht“ durch das Gotteshaus, das man mit „Schleichts euch“ übersetzen hätten können.
Lasset die Kinder zu mir kommen, hat Jesus angeblich gesagt, von grantiggiftigalten Weibern war glaub ich nicht die Rede.

Meiner Tochter wird in der Kirche immer schlecht, vom intensiven Weihrauchgeruch. Ich glaube, es liegt nicht nur an der minderen Qualität des Weihrauchs. „Dass es diesen Jesus mal gab, das kann schon sein“, sagte sie gestern, „aber das mit der Auferstehung haben sie sich nur ausgedacht, weil sie sich nicht damit abfinden konnten, dass der Kerl tot ist.“

Dienstag, 18. Dezember 2007

Sinnfragezeichen

Die Wirbelsäule
hat die Form eines Fragezeichens
Weil das Leben aus Fragen besteht

Wäre sie ein Rufzeichen,
das Leben wäre laut und starr
So hat es zu sein!, würde es uns
in einer Tour niederbrüllen
So und nicht anders!

Wäre die Wirbelsäule ein Punkt
und das Leben eine Antwort
würden wir aufhören uns zu bewegen
Punkt. Ende. Aus.

Die Wirbelsäule ist ein Sinnfragezeichen
und jeder Wirbel eine neue Frage
jede Bandscheibe ein Zweifel

Wer sind wir?
Wohin gehen wir?
Warum bleiben wir?

Indem wir sie stellen
und in Frage stellen
indem wir uns ihnen stellen
richten wir uns auf

Sonntag, 9. Dezember 2007

Oscar - Danksagung

Ich danke der Regisseurin für die weibliche Hauptrolle in meinem Leben.
Bei der Ausstattung hast du zwar etwas gespart, aber für ein B-Movie wurde ein in weiten Teilen ansprechender Film daraus. Keine Mainstreamklamaukkomödie, sondern ein sinnlicher, humorvoller, schräger, politischer, emotionaler und poetischer Film. Eine atmosphärisch dichte Lebensgeschichte ohne hohen Anspruch und mit bisweilen eindringlicher Erotik, der an einigen Stellen die Tiefe fehlt.

Danke vor allem für die Auswahl meiner Partner. Manchmal hast du dich zwar im Casting buffen lassen und daneben gegriffen, aber meistens hatte ich das Glück, mit den Besten (und oft Schwierigsten) des Genres zu spielen. Du beweist eine einfühlsame Hand bei der Besetzung der bis in kleinste Nebenrollen hochkarätigen Charakterdarsteller, besonders der starken Frauenrollen in meiner Geschichte.

Das mit witzigen und tiefsinnigen Dialogen gespickte Drehbuch, die tragfähigen Spannungsbögen, und die Dramaturgie verbinden komische und tragische Elemente gekonnt miteinander. In einigen Szenen jedoch gerät die Balance zwischen komischer Ironie, spannendem Plot und unbarmherzigem Lebensdrama ins Wanken.

Danke dem Beleuchter und dem Kamerateam für das großartige Spiel aus Licht und Schatten. Die Kameraeinstellungen charakterisieren sich durch Nähe und Distanz zu den Figuren und der Handlung. Danke, dass ihr manche Szenen weichgezeichnet und andere einfach ausgeblendet habt.
Danke der Cutterin für den konsequenten, aber liebevollen Schnitt. Manchmal waren sie tief, die Schnitte, aber rückblickend muss ich erkennen, dass sie dem Leben oft neue Wendungen und dadurch mehr Spannung gegeben haben.

Ich weiß, es handelt sich nicht um einen Märchenfilm, aber habe ich trotzdem drei Wünsche frei?

Für die gefährlichen emotionalen Actionszenen wünsche ich mir ein Double, eine Emo-Stunt-Frau, sozusagen. Ich bin ja nicht mehr die Jüngste und möchte mich nicht mehr verletzen und nicht verletzen lassen.

Vom Beleuchter wünsche ich mir, dass er in Zukunft etwas sparsamer mit den Schatten umgeht. Sie tun meiner Herbst-Winter-Depression nicht gut.

Und als Drittes und Letzes wünsche ich mir eine klitzekleine Kleinigkeit: Ein Happy-End. Muss ja nicht so bald sein.

Donnerstag, 1. November 2007

Ohne Titel

Es ist Allerheiligen und ich werde wie auf Befehl sentimental. Ich wollte dir grad ein Grablicht anzünden und es ans Fenster stellen, Mama, aber ich find keines. Das wundert mich nicht bei deiner Schlamperei, würdest du jetzt sagen, und weil du es nicht mehr sagen kannst, sag ich es selber: „Das wundert mich nicht bei deiner Schlamperei.“
Ich zünd jetzt ein Teelicht für dich an, ja? Und ein Räucherstäbchen. Ist das ein adäquater Ersatz?

Tut mir leid, dass ich heute nicht auf dem Friedhof war, Mama, aber ich halte Friedhöfe mit so vielen oberirdischen Menschen drauf nicht gut aus. Außerdem habe ich dort nicht das Gefühl, dass ich dir nahe bin. Nicht näher als du es ohnehin bist, nämlich in meinem Herzen.

Grad heute hätte ich dich so gern angerufen. Um dich zu fragen, wie ich das mache, dass der Strudelteig nicht immer so hart wird. Da staunst du, oder? Ja, ich back einen Birnenstrudel mit selbst vom Baum gefallenen Birnen und von mir selbst ausgezogenem Teig. Ich weiß, ich könnte im Internet stöbern oder meine Schwiegermutter anrufen, aber das ist irgendwie nicht dasselbe.

Morgen hat dein einziger Enkelsohn Geburtstag. Siebzehn wird er, und er verbringt seinen Geburtstag wie alle Geburtstage, außer dem, an dem er aus mir geschlüpft ist, bei ... ja, wie schreib ich das jetzt? In deiner ehemaligen Wohnung. Beim Opa halt. Und heute ist er mit ihm auf dem Berg, und ich wette, sie denken da oben an dich. Ich schreib jetzt schnell weiter, weil sonst die Traurigkeit wieder kommt, wenn ich daran denke, wie du das letzte Mal auf dem Berg warst. Wie er dich abgeworfen hat, der Berg, wie ein störrisches Pferd seinen Reiter, der es liebt.
Deine Bergschuhe, Mama, die hat er nach deinem Tod total gern getragen, um dir nahe zu sein, aber er ist längst herausgewachsen. Nicht einmal die vom Opa passen ihm noch.
Den Kindern geht’s gut, mach dir um sie keine Sorgen. Ich glaub, so eine schlechte Mutter war ich bis jetzt gar nicht, auch wenn es jetzt schon halb sechs ist und ich noch immer nicht gekocht hab. Viel Liebe haben sie in ihren Herzen, und davon ist jede Menge von dir dabei.
Ja, dein Enkelsohn will noch immer am liebsten Bauer werden, daran hat sich nichts geändert. Er wird jetzt versuchen, den Hauptschulabschluss zu machen. Keine Ahnung, ob er es schafft, das Kind mit besonderen Bedürfnissen. (Haben wir nicht alle besondere Bedürfnisse? Ich jetzt zum Beispiel das, mit dir einen Kaffee zu trinken. Aber bitte keinen aufgewärmten, mach mir doch einen frischen.)
Ja, früher habe ich oft mit dem Schicksal gehadert, dass er „anders“ ist, „beeinträchtigt“ oder wie auch immer man das nennt. Ich dachte, es ist halt unsere Aufgabe, damit klarzukommen. Jetzt bin ich unendlich dankbar dafür, weil ich so viel lernen kann von ihm. Zuversicht, Glück, Bescheidenheit. Er hat die Sonne im Herzen, Mama. Und vielleicht hat er die auch deshalb, weil Liebe und Geborgenheit in unserer Familie immer etwas Selbstverständliches war. Auch die Liebe zum Leben.
Er macht jeden Tag in der Früh sein Bett, putzt gern und legt viel Wert auf Ordnung. Der Arzt hat gesagt, weil ihm innere Strukturen fehlen, braucht er die äußeren. Ich aber weiß, das hat er von dir. Dein Hang zur Sauberkeit hat nur eine Generation übersprungen. Und in der nächsten ist er ungerecht verteilt, deine Enkeltochter lebt nämlich gern im Chaos. Du wärst trotzdem sehr stolz auf sie.

Ich verkrieche mich jetzt wieder in der dunkelblauen Fleecejacke. Eines der wenigen Stücke, die ich mir von dir mitgenommen hab. Wenn ich die Augen schließe und an ihr schnuppere, kann ich dich noch immer riechen. Dich und das Butterkipferl, das du mir immer gestrichen hast, wenn ich krank war. Und den aufgewärmten Kaffee.

Samstag, 16. Juni 2007

Die nackte Wahrheit

Wieso ist die Wahrheit eigentlich immer nackt?
Ich meine, die Gute ist ja nun auch nicht mehr die Jüngste. Ist es ihr nicht peinlich, wenn sie – egal, wohin sie geht – nackt auftritt? Schämt sie sich nicht, uns mit diesem Anblick so penetrant zu belästigen?
Also, wäre ich die Wahrheit, ich würde wenigstens in einen Schlüpfer schlüpfen. Nicht nur der bedrohten Wörter wegen, sondern wegen der Scham. Aber die Wahrheit scheißt sich nichts, reißt sich die Kleider vom runzligen Leib und benimmt sich so ... so überlegen irgendwie. Immer will sie recht haben. Und dann dieser Sauberkeitsfimmel. „Ich bin die reine Wahrheit“, pflegt sie zu sagen. Ja, sie hat nie so schmutzige Fingernägel wie ich, wahrscheinlich wühlt sie mit ihren Händen nie in der feuchten Erde und der Dreck geht sie einen Dreck an.
Vielleicht ist die Wahrheit ja auch bettelarm und kann sich keine Klamotten leisten? Nein, die Caritas würde ihr welche schenken. Ich auch.
Sie merken schon, sie nervt mich. Die reine, nackte Wahrheit. Diese Nudistenfreundin der Tatsachen und des Wahnsinns. Sie merkt nicht einmal, wie oft und wie sehr sie Menschen mit ihrer übertriebenen Ehrlichkeit verletzt. Das ist ihr auch völlig egal, darum geht’s ihr nämlich gar nicht, um Mitmenschlichkeit und funktionierende Beziehungen. Dafür bin ich nicht zuständig, winkt sie herablassend ab.
Und trotzdem, wenn man genau hinschaut, glücklich wirkt sie ganz und gar nicht. Sie wird zwar bewundert und begehrt, aber in Wahrheit haben die Menschen Angst vor ihr. Große Angst. Weil wir uns selbst ständig schuldig und nackt fühlen, wenn sie uns mit ihrem durchdringenden Blick ansieht?
Manchmal, wenn sie sich unbeobachtet fühlt, sehe ich an ihrer Gänsehaut, wie sie fröstelt. Und weil ich Mitleid habe, werfe ich ihr einen Mantel zu. Einen, der aus menschlicher Wärme und Notlügen gewebt ist. Genäht mit einem feinem Augenzwinkern. Ich hoffe, sie behält ihn an.
Ach ja, das mit der Hoffnung, das ist auch so eine Sache. Man meint zwar, sie wäre positiv und immer gut gelaunt. Irrtum, sie ist total egoistisch. Rundherum sterben die Gefühle, sie schaut gleichgültig zu, macht auf generös und lässt allen den Vortritt. In Wahrheit hat sie Angst. Angst vor dem Tod. Deshalb stirbt die Hoffnung immer zuletzt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

Neu

"Pinguin"
"Pinguin"
bonanzaMARGOT - 11. Mär, 11:11
Sleepless im Weinviertel
Ich liege im Bett. Ich bin müde. Ich lese. Eine Romanbiografie...
testsiegerin - 13. Jan, 11:30
... ich könnte mal wieder...
... ich könnte mal wieder eine brasko-geschichte schreiben.
bonanzaMARGOT - 8. Jan, 07:05
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
loving it :-)
loving it :-)
viennacat - 2. Jan, 00:51
Keine weiße Weste
Weihnachtsgeschichte in 3 Akten 1. „Iss noch was,...
testsiegerin - 16. Dez, 20:31
ignorier das und scroll...
ignorier das und scroll weiter nach unten.
testsiegerin - 27. Okt, 16:22

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