Reine Gefühle

Mit der großen Astschere zwicke ich alte, vertrocknete Gefühle ab. Gedanken, die keiner mehr braucht. Weg mit dem Neid und den Zweifeln. Weg mit der Depression. Ausdünnen nennt man das. Vor allem die Wut, die nach innen wächst, muss weg, sonst kann ich nicht blühen.
Ein paar dieser Scheiß-Gefühle wollen sich nicht von mir trennen, bei denen wende ich Gewalt an. Die Schuldgefühle zum Beispiel, die klammern sich hartnäckig an meinen Stamm. Für besonders sperrige Emotionen brauche ich die Säge. Wieauuuuummm. Weg damit.
In meinem Eifer erwische ich auch junge Triebe, die ich irrtümlich wegkappe. Ärgerlich, so viele sind es in meinem Alter nicht mehr. Hoffentlich wachsen sie nach.

Ich wische mir den Schweiß von der Stirn und stehe vor meiner Ernte. Ein riesiger Haufen liegt vor mir. Was tun damit? Verbrennen? Geht nicht, es regnet und der frische Ärger brennt nicht, sondern raucht nur.

Zum Glück habe ich vor kurzem einen Häcksler angeschafft.

Ich stopfe meinen Seelenmüll in den Einfülltrichter und sehe zu, wie er im Inneren des Geräts verschwindet. Da drinnen rotiert ein Messer und hackt ihn in kleine Teile. Eine tiefe Befriedigung erfüllt mich, als ich sehe, wie meine Unlust, meine Traurigkeit und meine Angst in ihre Einzelteile zerhackt und in leicht verdaulichen Portionen ausgespuckt werden. Immer schneller fülle ich nach, beobachte, wie dieses wildgewordene Tier gierig meine trüben Stimmungen auffrisst und vernichtet.

Ich betrachte den Auswurf und wundere mich, wie ich mich davon so quälen habe lassen. Jämmerlich und lächerlich sieht das Ergebnis aus.
Langsam, ermahne ich mich, als ich weitermache, sonst verstopfen die üblen Gedanken das Werk.

Die Arbeit ist getan. Vor mir liegt ein Haufen zerschredderter, gebrauchter Emotionen. Ganz klein liegen sie da, die Überheblichkeit und die Arroganz und schweigen zitternd. Die Schuldgefühle sind kaum noch zu erkennen und der Hass scheint überhaupt verschwunden.
Ich freue mich, dass jetzt endlich aller Mist von mir weg ist. Mit dem Häckselgut werde ich die Rosenbeete mulchen oder warten, bis er auf dem Komposthaufen in hochwertigem Humus umgewandelt wird, auf dem riesige Kürbisse wachsen. Meine Gedanken sind klar, rein und schön.


Und plötzlich ertappe mich bei der Frage, ob man das Gerät auch mit Leichenteilen beschicken könnte, die es so mir nichts, dir nichts zerschnipseln würde? Den arroganten Typen vom Call-Center oder den unfähigen Lagerhausmitarbeiter, der mir den Häcksler verkauft und mich behandelt hat wie eine Stadttussi, die keine Ahnung von Technik und Gartenarbeit hat.
Erst mit der Säge die großen Gliedmaßen ab, und ganz zum Ende das mickrige Glied, mit der Astschere. Schnapp. Und dann rein damit in den Trichter und auf volle Touren schalten. 6,60 Kilowatt. Ökologisch entsorgt. Die Reste holen sich die Ratten.

Es ist ein gutes Gefühl, so reinen Herzens zu sein.
datja (Gast) - 29. Okt, 19:10

falls du hilfe brauchst kannst du mit mir rechnen!

testsiegerin - 30. Okt, 07:51

danke, ganz lieb. der typ vom lagerhaus war nicht grad zart.
rosmarin (Gast) - 30. Okt, 21:16

:-)))))))))))

punctum (Gast) - 30. Okt, 21:19

Aua :-) Vielleicht gibt es sogar staatliche Fördermittel für die ökologische Entsorgung?

testsiegerin - 31. Okt, 18:30

Ich denke, dafür gibts sicher EU-Förderungen.
bonanzaMARGOT - 3. Nov, 12:37

schön geschrieben.
wenn es so einfach wäre mit dem audünnen - psychisch wie physisch. es müsste so funktionieren wie bei einer festplatte, die man mit einem programm säubern kann oder einfach formatiert - zurück zum anfang ...
hau weg den dreck! oder wenn man sich den alzheimer in dosen verabreichen könnte.
mit dem alkohol experimentiere ich schon zu lange erfolglos, und die nebenwirkungen sind ja bekannt. hinreichend bekannt. ich nannte ihn mal "das getränk des vergessen-machens", aber von wegen. alles wurde nur verwirrender, als würde man den staub in der wohnung aufwirbeln, anstatt wegsaugen. einen moment lang ist man dann benebelt ... aber eben nur einen moment.
na ja. die gewohnheiten. man kennt das ja. ohne mein bier wäre ich nicht vollständig. das ist keine einbildung.

reine, echte gefühle sind geil. worauf läuft deine geschichte raus?

testsiegerin - 3. Nov, 21:38

genau darauf läuft sie raus. dass man gefühle höchstens mal verdrängen kann, es aber nicht so leicht ist, sie zum verschwinden zu bringen. nicht mal, wenn man sie in den häcksler stopft.

aber um ehrlich zu sein. ich hab vorige woche stundenlang gehäckselt. und fand das unendlich befreiend. das hat mich zu dem text inspiriert.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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