Besuch

Da ist sie wieder, die Traurigkeit. Ich hab sie lang nicht gesehen, und ich muss ehrlich sagen, ich freu mich nicht besonders über ihren Besuch, sie ist kein sehr geselliger und fröhlicher Gast, sondern sitzt mit depressivem Gesicht da und nagt lustlos an meinem Selbstwert. Sie hat die Selbstzweifel an der Hand, als ich sie die Einfahrt runterkommen sehe. Ich sperre die Tür zu, wie bei den Heiligen Drei Königen, damit die nicht singen. Die Traurigkeit kann aber eh nicht singen, nur jämmerlich jaulen und jammern.
Dann lese ich in einem klugen Ratgeberbuch, dass ich sie hereinlassen und bewirten soll wie einen guten Freund, weil sie auch zu mir gehört, wie die Lust und das Lachen. Und dass sie sowieso kommt, und wenn ich nicht aufmache, schlägt sie eben ein Fenster ein. Also öffne ich zähneknirschend. Mit matschigen Schuhen, die sie sich nicht einmal abstreifen, kommen sie herein, Traurigkeit und Selbstzweifel, ohne zu grüßen. Geschenk haben sie auch keines mit. Von wegen gute Freunde. So benehmen sich gute Freunde nicht. Meine jedenfalls nicht. Die bringen Champagner mit und gute Laune.
„Bring es hinter dich“, sage ich mir und schenke ihnen Rotwein ein, aus der Flasche, die seit einer Woche offen auf dem alten Ofen steht. Die Traurigkeit verzieht das Gesicht, die Selbstzweifel trinken aus der Flasche. Mich fröstelt, ich ziehe die Weste fester zu.
„Und jetzt?“, frage ich, weil die beiden dunklen Gesellen nur da sitzen und nichts sagen. „Spielen wir wenigstens was?“
Sie schütteln überheblich den Kopf. Die Traurigkeit legt sich mitsamt ihrer dreckigen Schuhe auf das Sofa. Nein!, schreit alles in mir. Nein, sag mir jetzt nicht, dass du gekommen bist, um zu bleiben.
Ich flüchte mich in meine Kopfhöhle im Wald. Dorthin ziehe ich mich immer zurück, wenn mir die Welt zu schnell, zu laut, zu bedrohlich wird. In ihrer Mitte brennt ein Feuer, in einer Felsnische ist meine Schlafstatt, mit Fellen bedeckt. Hier fühle ich mich sicher und stark, und ein schwarzer Panther bewacht den Eingang.
„Und? Müsst ihr nicht bald gehen?“, frage ich nach Tagen, als von meinem großen Vorrat Selbstwert nur noch ein kleines Häufchen übrig ist und die Schalen auf dem Boden verstreut sind. „Was hab ich denn getan, verdammt noch mal, dass ihr euch hier breit macht?“
Es klopft. Ich ziehe den Vorhang zur Seite und schaue, wer draußen ist. Vielleicht die Lebensfreude, die diese beiden Spießer auf meinem Sofa hochkant hinausschmeißt. Ich zucke zusammen.

Vor der Tür stehen Schuld und Scham.
böser wolf (Gast) - 31. Jan, 15:21

hoffentlich ..

.. kommen nicht auch noch angst und wut!

testsiegerin - 1. Feb, 22:20

Die Wut, diese Sau, hat heute kurz vorbeigeschaut, aber ich hab sie zum Teufel gejagt.
katiza - 31. Jan, 16:26

Wie gut, dass Sie laut geworden sind, bezaubernde B., Liebe und Freundschaft, die in einer Ecke geschlummert haben, sind wach geworden und haben die Bewunderung mit gebracht, die sich gerade anschickt die Scherben Ihres Selbstwerts mit Gold wieder zusammenzufügen.
Es wird nicht einfach, die lästige Viererbande wieder los zu werden, aber ein wenig Feuer im Ofen, ein Glas Champagnerlachen und der bunte, weiche, warme Schal der Anerkennung könnten helfen, bis es dem Gesöcks reicht und es weiter zieht....

testsiegerin - 1. Feb, 22:21

danke, liebe Katiza.
Die verstecken sich grad ein bisschen vor mir. Dafür hat das Selbstmitleid mir die Badewanne eingelassen.
HARFIM - 31. Jan, 16:42

Und was den bösen Wolf angeht,

da kommt eh ein Förster und schießt ihn mausetot und schneidet ihm den Bauch auf :-)

testsiegerin - 1. Feb, 22:21

;-)
iGing (Gast) - 31. Jan, 22:45

TeXtsiegerin!

testsiegerin - 1. Feb, 22:21

Merci!
diefrogg - 1. Feb, 17:40

Oh dear!

Sehr trefflich beschrieben. Bei mir kommt zuweilen ein ganz verzweifelter Herr zu Besuch. Er sieht einem Schauspieler sehr ähnlich, der in deutschen Krimis oft den Täter spielt. Ich setze ihn dann jeweils in die Küche und gebe ihm Kaffee und frage mich auch dauernd, wann er endlich wieder geht.

Klingt jetzt blöd, wenn ausgerechnet ich das sage, ich bin ja sonst solchen Eso-Kram gegenüber sehr skeptisch. Ist aber jetzt grad das einzig Tröstliche, was mir einfällt: Wenn er wieder geht, fühle ich mich meistens irgendwie stärker, dem Leben besser gewachsen. Solls Ihnen auch so gehen mit diesen trüben Gesellen da!

testsiegerin - 1. Feb, 22:23

Liebe Frau Frogg,
das ist eh kein Eso-Kram.
Ich hab ja heute versucht, einfach so zu tun, als wäre ich glücklich. Ich hab mich schön gemacht, bin nach Wien gefahren, um ins Theater zu gehen (nachdem ich mich vorher versichert hab, dass es noch Karten gibt), hab mich angestellt, und dann war ausverkauft.
diefrogg - 2. Feb, 13:02

Also nein!!!

Ich protestiere gegen solches Pech! Hoffe, Sie konnten sich sonst etwas Seelenwärmendes gönnen! Ein schönes Dessert im Hause Sacher vielleicht?
bonanzaMARGOT - 2. Feb, 18:56

Man muss froh sein, wenn man Selbstzweifel hat, Schuld und Scham empfindet. Und wIe kann man ohne Traurigkeit sein! Wir Menschen sind weder Automaten noch seelenlose Zombies, obwohl es in einigen Lebenslagen so erscheint.
Natürlich wollen wir möglichst immer Lebensfreude haben - Wie Kinder, die immer beschenkt werden wollen. Doch die Geschenke verlieren an Wert, wenn wir uns an sie gewöhnen. Das ist übrigens auch ein Fluch des Kapitalismus und einer vergnügungssüchtigen Gesellschaft.
Traurigkeit und Selbstzweifel sollten nie ausgesperrt sein. Dann kann man auch ihnen etwas abgewinnen.

bonanzaMARGOT - 6. Feb, 16:47

ansonsten ist wie fast immer dein text gefällig zu lesen.
testsiegerin - 7. Feb, 12:35

danke schön.
und klar muss man froh sein, die ganze palette der gefühle zur verfügung zu haben. aber wenn man dann in der situation ist, wo die wolken nicht rosarot sind, dann kann man das nicht wirklich schätzen. erst später wieder, wenn man das dunkle tal durchwandert hat und sich die nebel lichten.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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