Keine weiße Weste

Weihnachtsgeschichte in 3 Akten

1.

„Iss noch was, Bub!“ Sie stellte eine Schale mit Früchten auf den Tisch.
„Mama, ich bin schon groß!“
„Musst du wirklich jetzt noch in die Stadt? Es ist kalt draußen und unwirtlich. Und man sagt, dass es in der Stadt sehr gefährlich ist. So bleib doch zu Hause, Bub!“
„Mama, ich bin schon groß.“
„Paperlappap, du bist immer noch mein kleiner Harry. Was willst du denn überhaupt in der Stadt? Wir haben es so gemütlich hier draußen!“
„Ich will gerne noch ein paar Weihnachtsgeschenke besorgen“, log er. In Wahrheit wollte er hier nur raus.
„Aber wir haben doch schon einen schönen Christbaum.“
„Ja, einen, den die Kleinen immer leer fressen. Mach dir keine Sorgen, Mama!“
„Zieh das über, Bub, bitte.“ Sie reichte ihm die Weste.
„Mama! Das ist peinlich! Die lachen mich aus, wenn sie mich so sehen.“
Sie begann bitterlich zu weinen.
„Was ist jetzt wieder los, Mama?“
„Geht schon wieder. Ich musste nur an Henriette denken. Als sie damals von dem Auto niedergefahren wurde in dieser nebligen Winternacht. Weißt du noch?“
Als könnte er das jemals vergessen. Seine Schwester hatte ihn mit rehbraunen Augen angeschaut, bevor sie diese für immer geschlossen hatte.
„Ich pass schon auf mich auf, Mama.“
„Versprochen.“
„Und keine Schlägereien, ja?“
„Mama! Ich bin jung, männlich und stark. Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss. Ich weiß mich zu verteidigen.“



2.

„So, so, ein Hirsch in Warnweste hat Sie angegriffen?“ Der Kriminalobermeister nagte an seinem Bleistift. „Sie waren vorher nicht zufällig an einem Punschstand? Ich sag das jetzt nur einmal, Gnädigste: Wenn Sie noch einmal aufs Revier kommen und der Polizei in betrunkenem Zustand die Zeit stehlen, zieht das schwere Strafen nach sich.“

„Das ist die Wahrheit, so wahr mir Gott helfe. Und getrunken hab ich nichts, das schwöre ich auch! Ich war ja mit den Kindern unterwegs. Da trinke ich nie!“
„Ich schick Sie dann noch zur Blutabnahme“, kündigte er an. „Drogentest“. Die Frau begann zu weinen.
„So beruhigen Sie sich doch.“ Er reichte ihr ein Taschentuch. „Jetzt erzählen Sie mal ganz langsam.“
„Also, ich war mit meinen Kindern spazieren, als der Hirsch auf uns zu gerannt kam. Meine Tochter wollte ihn streicheln, da griff er plötzlich an. Ich stellte mich schützend vor meine Kinder, da wurde ich von den Hufen des auf den Hinterbeinen aufgerichteten Tieres im Rücken getroffen.“

„Hat der Angreifer etwas gerufen, als er Sie getreten hat?“, mischte sich der Polizeihauptwachtmeisteranwärter ein. „Allahu Akhbar oder so?“ Und - an seinen Vorgesetzten gewandt: „Sollen wir den Verfassungsschutz informieren?“
„Mach mal halblang, Junge!“, sagte dieser.

„Haben Sie Verletzungen?“, fragte der Kriminalobermeister.
Sie zog die Jacke aus, schob den Pullover hoch und präsentierte dem Polizisten die Kratzspuren auf ihrem Rücken.
„Alles klar“, sagte der Polizist und klopfte etwas in die Tastatur.
„Sie glauben mir also? Gott sei Dank!“ Die Frau knüllte das Taschentuch in ihrer Hand zusammen und seufzte.
„Natürlich nicht. Aber ich hab Verständnis für Ihre Situation. Sie haben also eine Affäre. Ihr Liebhaber hat Sie während des Schäferstündchens leidenschaftlich gekratzt und jetzt wissen Sie nicht, wie Sie das Ihrem Mann verklickern sollen. Keine Angst, das kriegen wir schon hin! Ein Hirsch in Warnweste hat Sie überraschend angegriffen.“ Er kicherte. Auch er hatte einmal eine Affäre gehabt und seiner Frau das Blaue vom Himmel vorgelogen.




3.

„Wir müssen erst einmal Ihre Generalien aufnehmen.“
„Sie müssen meine Genitalien aufnehmen?“ Er bedeckte sein Geschlecht. Na ja, groß war das schon.
„Name?“
„Hirsch. Harry Hirsch. Aber dafür kann ich nichts. Wir haben in unserer Familie alle Namen, die mit H beginnen.“
„Adresse?“
„Ich wohne draußen im Damwildgehege.“
Der Polizeihauptwachtmeisteranwärter lachte hämisch: „Im Darmwindgehege? Ho, ho, ho.“ Ihm entwich ein Darmwind.
Harry Hirsch rollte die Augen. Der Kriminalobermeister tat es ihm gleich.
„Nationalität?“
„Ursprünglich komme ich aus Vorderasien.“
„Wo war noch mal Vorderasien?“, fragte er den Polizeihauptwachtmeisteranwärter.
„Vor Asien. Also Syrien, Palästina, Iran und so weiter.“ Der Polizeihauptmachtmeisteranwärter kam langsam in Fahrt. „Hab ich‘s nicht gesagt? Wahrscheinlich ist er über die Balkanroute geflüchtet und jetzt hirscht er wie ein Wahnsinniger mit Warnweste durch die Nacht und greift auch noch eine unschuldige deutsche Frau mit ihren Kindern an! Denken Sie an die Silvesternacht in Köln!“
„Gusch, Kollege! So, und jetzt kommen wir zur wesentlichen Frage. Dem Tatmotiv. Was hat Sie bewogen, in Warnweste eine Frau anzugreifen?“

„Das war sicher so eine b’soffene Gschicht“, mutmaßte der Polizeihauptwachtmeisteranwärter, der merkte, dass die Flüchtlingstheorien bei seinem Vorgesetzten nicht gut ankamen. „Ein paar Schnäpse und dann fängt einer von den Hirschen an zu sagen: ‚Das traust du dich nie!’
„Standen Sie zum Zeitpunkt der Tat unter dem Einfluss von Jägermeistern?“ Der Kriminalobermeister schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, um den Hirschen einzuschüchtern. Er wollte nach Hause, mit seiner Familie Weihnachten feiern, unterm Christbaum Weihnachtslieder singen, gut essen und nicht hier mit einem wildgewordenen Hirschen und einem größenwahnsinnigen Polizeihauptwachtmeisteranwärter diskutieren. „Warum verdammt noch mal haben Sie eine Warnweste angezogen?“, brüllte er.

Jetzt wurde Harry Hirsch bockig. Er mochte es nicht, wenn man ihn anbrüllte. Sein Vater Hans hatte ihn auch immer angebrüllt, bevor er erschossen wurde. „Weil ich die weiße Weste dem Herrn Grasser geborgt habe.“ Da kam er auf eine Idee. „Ich würde jetzt gerne meinen Anwalt anrufen?“
„Gerne. Welchen?“
Keine Ahnung. Harry Hirsch kannte keine Anwälte, nur ein paar aus der Zeitung. „Manfred Ainedter?“
Der Kriminalobermeister lachte. „Der ist grad beschäftigt.“
„Dann halt irgendeinen Pflichtverteidiger. Ohne Anwalt sage ich kein Wort.“
Der Polizeihauptwachtmeisteranwärter indes hörte nicht auf zu reden. „Vielleicht wollte unser Hirsch Fluglotse werden und hat sich gedacht: ‚Dress for the job you want, not the job you have.’ Ha ha ha.“
In dieser Nacht schlief Harry Hirsch sehr schlecht. Nicht nur, weil die Pritsche ziemlich unbequem war und die Beamten ihm Heu verweigerten. Auch, weil es ihm peinlich war, die Wahrheit zu erzählen. Dass er ein verdammtes Muttersöhnchen war und sich von seiner Mama in diese blöde Weste hatte zwängen lassen. Dass er es nie schaffte, sich gegen sie zu wehren. Dass er versucht hatte, sich an der großen Eiche die Weste vom Leib zu reiben, ihm das aber nicht gelungen war. Und dass er total gekränkt war, als die Kinder bei seinem Anblick „Rudolph, The Red Nosed Rendeer“ gesungen hatten. Er war kein Rentier. Schon gar nicht mit einer roten Nase. Er konnte sich doch nicht alles gefallen lassen!
Harry war froh, als die Nacht endlich vorbei und der Anwalt, ein Herr mit einem schrillen, auffälligen Anzug, eingetroffen war. Warum durfte der sich so kleiden wie er wollte und Harry nicht, wie die Mama es wollte? Die Welt war nicht gerecht. Vielleicht hatte die Mama des Anwalts ihn ja auch gezwungen, diesen lächerlichen Anzug anzuziehen. Ein schwacher Trost für Harry.
Der Anwalt las sich kurz in den Akt ein und legte sogleich los. „Herr Hirsch widersetzte sich lediglich dem Vorhaben der Kinder, ihn wegen seiner hübschen leuchtenden Weste in die Weihnachtsdekoration im Vorgarten zu integrieren. Nicht nur, dass mein Mandant unschuldig ist und sich gegen böse, aggressive Kinder zur Wehr gesetzt hat, nein. Er war auch vorbildlich mit einer Warnweste unterwegs und hat dazu beigetragen, dass die Zahl der Wildunfälle in diesem Jahr zurückgeht.“
Der Polizist kratzte sich skeptisch am Kinn. „Nur weil jemand eine Weste trägt, heißt das noch lange nicht, dass es sich auch sonst um ein anständiges und gesetzestreues Individuum handelt! Egal, ob es sich um eine weiße Weste oder eine Warnweste handelt.“
Der Anwalt ließ sich nicht bremsen. „Davon abgesehen ist es in den USA üblich, beim Wandern Warnwesten zu tragen, um nicht irrtümlich von Jägern erschossen zu werden. Und was für amerikanische Wanderer gilt, wird wohl auch für einen Hirschen gelten, bei dem die Gefahr, von blutrünstigen Jägern erschossen zu werden, doch wesentlich größer ist.
Davon abgesehen war es extrem leichtsinnig von den Kindern, sich dem Tier zu nähern. Wildtiere sind deutlich gefährlicher als Raubtiere, weil sie dauernd irgendjemand fressen will. Das wirkt sich auf die Psyche aus! Wenn die keine Angst vor dem Menschen haben, wird er eben zwecks Rangfeststellung attackiert.“

Harry Hirsch verstand zwar nicht, was der Anwalt da brabbelte, aber er war sein Geld wert. Er atmete erleichtert auf, als er aus dem Polizeigewahrsam entlassen wurde. Mit einer Ermahnung und dem Versprechen, sich in Zukunft gesetzestreu zu verhalten. Trotz der Erleichterung hatte Harry aber auch Angst. Angst vor seiner Mama. Und vor ihren Tränen. Das würde ein trauriges Weihnachtsfest werden.

Auch der Polizist atmete auf, packte seine Aktentasche und schlüpfte in seine Daunenjacke. „Frohe Weihnachten, Herr Polizeihauptwachtmeisteranwärter. Aus Ihnen wird noch mal was.“ Er klopfte seinem jungen Kollegen auf die Schulter.
Fragt sich nur, was, fügte er in Gedanken hinzu.

„Ihnen auch, Herr Kollege, was gibt es bei Ihnen dieses Jahr zu Weihnachten?“
„Hirschgulasch.“


Rezept:
Die Warnweste behutsam vom Tier lösen, reinigen und im Wasserbad beiseite stellen. Sie wird nachher noch zur Dekoration gebraucht.
Das Hirschfleisch in grobe Würfel zerteilen, die Zwiebel fein hacken. Das Hirschfleisch mit Salz und Pfeffer würzen. Schmalz erhitzen und das Hirschfleisch von allen Seiten scharf anbraten. Das Hirschfleisch mit den Bratenresten herausnehmen und rasten lassen.
In der Zwischenzeit die Zwiebel in derselben Pfanne goldgelb rösten. Tomatenmark unterrühren und etwas mitrösten. Mit Rotwein ablöschen und etwas einkochen lassen. Das Hirschfleisch mit den Bratrückständen und den Wildgewürzen hinzugeben und mit dem Wildfond aufgießen. Zugedeckt ca. 1 ½ – 2 Stunden köcheln lassen. Wildfond oder Wasser angießen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Falls nötig mit etwas Mehl eindicken.
Mit Warnweste garnieren und sofort servieren.
viennacat - 2. Jan, 00:51

loving it :-)

Lo - 7. Jan, 13:36

OHHH!

OHHH!
Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen.
Hoffentlich nicht das Ende....
Wäre schade, wenn man sich aus den Tasten verlieren würde.

Lo
weiterhin noch unter http://kohlenspott.de
zu finden. (Für alle Fälle) ;-)

Lo - 7. Jan, 13:36

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bonanzaMARGOT - 8. Jan, 07:05

... ich könnte mal wieder eine brasko-geschichte schreiben.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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testsiegerin - 13. Jan, 11:30
... ich könnte mal wieder...
... ich könnte mal wieder eine brasko-geschichte schreiben.
bonanzaMARGOT - 8. Jan, 07:05
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
loving it :-)
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viennacat - 2. Jan, 00:51
Keine weiße Weste
Weihnachtsgeschichte in 3 Akten 1. „Iss noch was,...
testsiegerin - 16. Dez, 20:31
ignorier das und scroll...
ignorier das und scroll weiter nach unten.
testsiegerin - 27. Okt, 16:22

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