Sinnsuche

„Was suchst du da?“ fragt er und legt die Beine hoch.
„Den Sinn.“ Sie kriecht stirnrunzelnd auf allen Vieren durch das Wohnzimmer.
„Welchen?“
Sie hält kurz inne. Was für eine Frage. Welchen wohl? Den Sinn in ihrem Alltag, ihrer Ehe, in ihrem Beruf, in ihrem Inneren.
„Den Sinn des Lebens halt.“
„Aha.“
Ihre Finger gleiten über den Teppich, berühren den seidigen, weichen Flor und spielen damit. Sie erinnert sich an den Wintertag, an dem sie ihn gekauft haben. In der Wohnung roch es nach frischer Wandfarbe, toskana-orange, draußen roch es nach gebratenen Esskastanien, maroni-braun.
Drinnen wie draußen schmeckte es nach frischverliebten, wilden Küssen. Es fühlte sich nach Anfang an, nach Hoffnung und einer gemeinsamen Zukunft.

An einer Ecke hebt sie den Teppich ein Stück hoch und fühlt den den Holzboden darunter. Jungfräulich sauber ist er dort, wo er seit Jahren geschützt wird. Ihre Finger spüren noch etwas unter dem Teppich. Etwas kaltes, glattes. Eine schwarz-braune Glasmurmel. Sie betrachtet sie sentimental. „Das schau her! Das Auge von Bruder Grimm. Weißt du noch? Trixi hat es ihm in einem Wutanfall aus dem Kopf gerissen, nachdem ich ihn gewaschen habe.“
Er brummt. Ihr Mann, nicht der Teddy ihrer mittlerweile 14jährigen Tochter.
Jahrelang hat sie ihn überallhin mitgeschleppt und irgendwann hat er ekelhaft gestunken.
„Sie hat dir eh verboten, ihn zu waschen“, sagt er, „aber du hast dich natürlich nicht daran gehalten.“
Sie seufzt. „Ich weiß. Danach roch Bruder Grimm zwar nach Seife und Lavendel, aber er hat keinen Ton mehr von sich gegeben. Neben dem Dreck war auch seine Seele herausgewaschen.“
„Dann dusche ich heute lieber nicht mehr.“ Er lächelt. „Wäre schade um meine Seele.“
Sie kriecht zu ihm und lehnt sich gegen seine Beine. Ich kann ihn immer noch ziemlich gut riechen, denkt sie. Das ist gar nicht nichts. Im Ofen knistert das Buchenholzfeuer und wärmt Körper, Seelen und einsame Teddybärenaugen.
Sein Kuss schmeckt nicht mehr frischverliebt und wild, sondern nach Schmalzbrot mit Knoblauch. Er schmeckt nach einer Mischung aus Langeweile und Vertrautheit, gemeinsamen Siegen und Niederlagen, nach Zweifeln und Angst. Sie schließt die Augen. Nicht schauen jetzt, nur fühlen. Ha!, denkt sie und ihr Herzschlag beschleunigt sich. Ganz vorne an der Zungenspitze schmeckt der Kuss immer noch ein bisschen nach Hoffnung.
Sie löst sich von seinen Lippen, streicht den Cordrock glatt und steht auf.

„Fertig mit Suchen?“ fragt er und greift zur Zeitung.
„Ja. Ich hab an der falschen Stelle gesucht.“
„Wo ist die richtige?“

„In mir. Wenn es ihn überhaupt gibt, dann muss er in mir sein. In all meinen Sinnen. Sonst nirgends.“
profiler1 - 8. Dez, 20:54

kenn ich. nicht den schmalzbrotkuß. sondern die suche. sowohl meine eigene, als auch die des gegenübers....
aber, genau wie sie es sagen, es liegt an einem selber, sowohl als suchender, als auch als gesuchter.

testsiegerin - 9. Dez, 10:28

ich glaub ja, der sinn des lebens ist, es einfach zu leben.
Anja-Pia - 9. Dez, 10:23

Der Mensch hat fünf Sinne. Da wird sie doch einen finden? ;-)

testsiegerin - 9. Dez, 10:27

http://www.wissenschaft-online.de/artikel/867032

da steht, wir haben sogar zehn!
Anja-Pia - 11. Dez, 09:56

Und da ist der Sinn für Humor noch gar nicht dabei.
testsiegerin - 11. Dez, 09:59

dabei ist der bei weitem der wichtigste.
neben dem leichtsinn und dem wahnsinn.
Sternenstaub - 9. Dez, 20:43

also wenn ich bei mir unter Tischen oder Bänken nachschau, find ich keinen Sinn sondern nur ein paar zu Staub zerfallene "Tote" ;))))

la-mamma - 9. Dez, 20:53

was für eine sinnvolle geschichte!

LadylikeKandis - 9. Dez, 22:33

ist schon irre, ich suche seit monaten nicht mehr..ich nehme es einfach so hin wie es ist und versuche das beste daraus zu machen..küsse waren mir immer so wichtig..jetzt plötzlich nicht mehr..und einzig und allein zählt..dass die kinder reifen und freihändig stehen können..und doch ist es gut so wie es ist..ein stetiger wandel..

testsiegerin - 11. Dez, 09:44

du hast recht. ich glaub ohnehin, dass der sinn sich versteckt, wenn man ihn sucht.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

Neu

"Pinguin"
"Pinguin"
bonanzaMARGOT - 11. Mär, 11:11
Sleepless im Weinviertel
Ich liege im Bett. Ich bin müde. Ich lese. Eine Romanbiografie...
testsiegerin - 13. Jan, 11:30
... ich könnte mal wieder...
... ich könnte mal wieder eine brasko-geschichte schreiben.
bonanzaMARGOT - 8. Jan, 07:05
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
loving it :-)
loving it :-)
viennacat - 2. Jan, 00:51
Keine weiße Weste
Weihnachtsgeschichte in 3 Akten 1. „Iss noch was,...
testsiegerin - 16. Dez, 20:31
ignorier das und scroll...
ignorier das und scroll weiter nach unten.
testsiegerin - 27. Okt, 16:22

Web Counter-Modul


Briefverkehr mit einem Beamten
Erlebtes
Femmes frontales
Forschertagebuch
Gedanken
Gedichte
Geschichten
Glosse
In dreißig Tagen um die Welt
Kurzprosa
Lesungen
Menschen
Sex and the Country
Toll3ste Weiber
Vita
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren

kostenloser Counter