Die Liste - 7

Er stand mit einem Blumensträußchen vor dem Haustor gegenüber und zählte die Namensschilder. Achtzehn. Er rechnete. Das Haus hatte vier Stockwerke, im Parterre befand sich eine Kleintierpraxis. Neben dem Schild mit dem Namen Arche Noah war eines mit Hausbesorgerin. Demnach wohnten in jeder der anderen Etagen vier Parteien. Im dritten Stock gingen sechs Fenster zur Straße, hinter dem zweiten Fenster von links war vor wenigen Minuten ein Licht aufgegangen.
Marianne Leitner, das musste sie sein. Marianne. Er formte den Namen mit seinen Lippen und fand, dass er gut zu ihr passte. Sein Finger legte sich auf die Klingel, doch er zögerte. Frank hatte sich ein Sprüchlein zurechtgelegt, harmlos und freundlich, aber was, wenn sie ihn nicht hineinließ? Jeden Tag las er in der kleinformatigen Zeitung von Trickbetrügern, die fast ausnahmslos harmlos und freundlich lächelnd daherkamen, Gasableser oder Versicherungsvertreter mimten und einem Sparbücher und Golddukaten abluchsten. Im besten Fall. Im schlimmsten Fall strangulierten sie einen vorher noch mit dem Kabel des Bügeleisens, manchmal auch erst danach, damit sie für immer schwiegen. Was nicht weniger schlimm war.

Er würde warten, bis jemand das Haus betrat und direkt an ihrer Wohnungstür klingeln, ein erster persönlicher Eindruck erhöhte vermutlich seine Chance, nicht abgewiesen zu werden. Frank hatte weder das Aussehen noch die Statur eines gewaltbereiten Mörders, sein Anblick erregte bei seinen Mitmenschen nicht Furcht, sondern Mitleid, dessen war er sich bewusst. Er hatte diese Tatsache oft verflucht, jetzt kam sie ihm vielleicht zupass.

Zu Hause hatte er einen Filter über die Listen gelegt und war noch einmal alles durchgegangen, was auch nur im entferntesten mit seiner Nachbarin zu tun hatte. Sie lebte allein, das wusste er schon lange, und sie lebte bescheiden, beinahe ärmlich. Gute Voraussetzungen, sie könnte das Geld, das er ihr bieten würde, bestimmt gut brauchen. Zweimal wöchentlich trug sie eine Plastiktüte eines Discounters nach Hause, nie sah er sie mit schicken Taschen von schicken Läden. Durchs Fenster konnte er einen Festnetzanschluss und einen alten Röhrenfernseher ausmachen. Sie hatte am 14. April Geburtstag, denn seit Jahren kam sie an jedem 14. April mit einem Karton aus der Konditorei nach Hause und empfing am Abend Besuch, vermutlich von ihren Eltern und ihrer Schwester.

Ein plapperndes Mädchen mit plapperndem Papagei im Käfig drückte die Klingel zur Tierarztpraxis und fragte ihn neugierig, welches Haustier er hätte und was ihm fehlte. „Ich hatte mal einen Hamster, und dem fehlt das Leben“, erwiderte er abwesend und war froh, als sich das Tor mit einem Summen öffnete. Er drückte sich an dem nervigen Kind vorbei und stieg in den dritten Stock. Sein Herz klopfte, er war die Anstrengung des Treppensteigens nicht gewöhnt, und aufgeregt war er auch. Er wartete vor der Tür mit dem Messingschild mit der verschnörkelten Aufschrift Leitner, bis sich sein Pulsschlag wieder auf das Normalmaß gesenkt hatte. Er atmete tief aus und nestelte an seiner Krawatte. Dann richtete er sich auf und klopfte. Frank fand, dass ein Klopfen an eine Holztür etwas viel Intimeres hatte als ein anonymes Drücken auf eine Klingel.

So schön hatte er sich die Worte zurechtgelegt, seine wenigen Sätze auf dem kurzen Weg hierher noch geübt, mit fester Stimme, denn er wollte nicht ängstlich und unsicher vor ihrer Türe stehen, sondern liebenswert, souverän und ernsthaft.
Als sie die Tür öffnete, drang nur ein „Wahnsinn!“ über seine Lippen.

Fortsetzung folgt
Jossele - 19. Sep, 21:54

Na super, jetzt hab ich das gelesen, und wie soll ich jetzt schlafen nach all der gespannt angesammelten Erwartung?
(Ist das jetzt endlich einmal ein Mörder? Aber das wär zu einfach.)

la-mamma - 19. Sep, 22:03

frau lehner weiß halt auch, was ein cliffhanger ist;-)
testsiegerin - 20. Sep, 20:46

geht ja schon weiter.
sie sollten auch auf kur fahren, herr jossele. da wird man gelassen und gelöst.
Traveller (Gast) - 20. Sep, 08:04

na super, jetzt stehe ich mir hier vor der Tür von Marianne (oder wem auch immer) die Beine in den Bauch bis zur Fortsetzung ... ;-)

lieben Gruß
Uta

testsiegerin - 20. Sep, 20:46

tief durchatmen... is eh schon da ;-)
Falkin - 20. Sep, 09:11

na ganz doll. Nun beäuge ich sämtliche Nachbarn mißtrauisch daraufhin, ob sie wiederum mich wohl observieren und heimlich Daten über mich sammeln.

Aber nicht mit mir! Als erstes werde ich mir heute per Express einen riesigen Strauß bestellen. Nein drei. Einen über Fleurop, einen über Tchibo und einen über.. weiß ich noch nicht. Die kommen dann über den Tag verteilt... Irreführung Nummer 1.

Als zweites werde ich unter voll aufgedrehtem Radio in die Einfahrt fahren und ein bißchen rumbrüllen (damit auch jeder mitbekommt, ich bin Zuhause), dann jedoch werde ich mir die Heino-Perücke überstülpen, Schwiegervaterns Columbo-Trenchcoat und das Haus über den Dienstbotenausgang verlassen. Niemand wird mitbekommen, wie ich mich klammheimlich hinter den Stachelbeersträuchern zu der kleinen ungepflasterten Nebenstraße bewegen werde, die auf die Hauptverkehrsstraße mündet.

Dort werde ich das Taxi nehmen, welches ich vorher über diese praktische I-Phone-App sprachlos dorthin bestellte. ... um mich vor das eigene Haus vorfahren zu lassen. Ich werde den Taxifahrer anweisen zu hupen. Laut. So laut, bis alle Nachbarn schemenhaft hinter ihren Gardinen erkennbar sind. Und dann werde ich... mit Hausschlüssel unser Haus betreten.

Alle werden mutmaßen, ich bin mein Hausfreund. Irreführung Nr. 2!

Ich danke Ihnen, dass Sie mich warnten! Eigentlich war meine Tagesplanung eine andere, doch so... kann ich noch recht-zeitig reagieren und mögliches Unheil abwehren ;)

PS: gut geschrieben! Bin gespannt auf mehr.

testsiegerin - 20. Sep, 20:48

puhhh.. da haben sie ja volles programm. da wird mir ja ganz schwindelig. ob frank sich so täuschen lässt?
frank observiert die leute ja nicht. er schreibt ja nur auf, was er zufällig wahrnimmt.

und danke für die blumen.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

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Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
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