Die Prinzen Sinus und Cosinus

„Ich kann das einfach nicht“, brüllte die kleine Prinzessin zornig. „Ich bin zu blöd dafür. Ich verstehe das nicht. Ich will das nicht verstehen. Und überhaupt: Die Prinzen Sinus und Cosinus interessieren mich nicht, ich werde mich niemals in sie verlieben. Nie-, nie-, niemals!“ So zornig war sie, dass das Pferd, auf dem sie ritt, wilde, gefährliche Laute von sich gab.

Ein gewichtiger, weiser Gelehrter, kam des Weges. Er saß auf keinem Pferd, sondern fuhr bedächtig in der Kutsche auf dem breiten Weg im Schlosspark. Er trank Tee. „Wenn du die Herren erst richtig kennenlernst, wirst du sie verstehen“, sagte er, „du wirst ihre Gedanken nachvollziehen können und sie irgendwann in dein Herz schließen.“
Die Prinzessin lachte den gewichtigen Gelehrten aus. „Niemals“, spottete sie. „Die sind hässlich. Sie denken mir viel zu konfus. Und überhaupt, wozu brauche ich die? Ich kann meinen Weg auch ohne sie gehen.“
„Sie denken logisch. Und ihre Gedanken sind Teil des alltäglichen Lebens. Du wirst ihnen immer wieder über den Weg laufen und irgendwann froh sein, dass du sie kennst.“
„Niemals“, sagte die Prinzessin, aber es klang ein wenig kleinlauter als noch vorhin.
„Lass es mich dir beweisen“, bat der Gelehrte, der nicht nur weise, sondern auch überaus ehrgeizig war. „Heute in einem Jahr wirst du vor einer schwierigen Aufgabe stehen. Ich verspreche dir, du wirst sie meisterlich lösen. Wenn du meine Hilfe annimmst.“

Die Prinzessin erbat sich Bedenkzeit. Na ja, dachte sie, es wäre schon schön, wenn sie mit viel Bauchweh und irgendwie diese Aufgaben lösen könnte. Sie musste es ja nicht wirklich verstehen. Nur ein bisschen. Nur genug für die kaiserliche Prüfung.
„Was muss ich dafür tun?“, fragte sie, denn die Prinzessin war sehr faul. Ihre freie Zeit verbrachte sie am liebsten in einer kleinen Höhle in der Schweiz und schlief.
„Dich einlassen.“
„Yepp“, sagte die Prinzessin nach ihrer Bedenkzeit, doch sehr überzeugt war sie nicht. Ganz im Gegensatz zum weisen, gewichtigen Gelehrten, der von sich ausgenommen überzeugt war. Und so musste die Prinzessin unter seiner Anleitung in den folgenden Monaten ständig neue Aufgaben meistern, schwierige Rätsel lösen und scheinbar unüberwindbare Hindernisse überwinden. Der Gelehrte quälte sie... und sie ließ sich quälen. Bis sie eines Abends zur Königin sagte: "Heute ist mir ein Licht aufgegangen."

„Ich brauche dich nicht mehr“, sagte die Prinzessin wenig später zum Gelehrten. Ein anderer Mann wäre traurig und enttäuscht gewesen ob dieser Mitteilung. Nicht so der weise Gelehrte. Er war stolz darauf, sich überflüssig gemacht zu haben und freute sich, als er hörte, dass die kleine Prinzessin ihrerseits Prinzessinnen aus dem Nachbarreich Gutenachtgeschichten über die beiden Prinzen und ihre Freunde erzählte.
„Schön find ich sie ja immer noch nicht“, zwinkerte die Prinzessin, „aber nicht uninteressant. Und gar nicht so schwierig zu verstehen, irgendwie. Man muss nur wissen, wie sie ticken.“

Der Tag der großen Prüfung vor der großen Kommission kam. Die Prinzessin war gut. Richtig gut. Nur ein klitzekleiner Fehler schlich sich in die Überlegungen der kleinen Prinzessin. Der machte die Prinzessin wütend auf sich selbst. „Dabei hab ich es gewusst“, tobte sie, „ich hab alles gewusst. Scheiß Fehler!“ Sie fluchte. „Dabei wollte ich es so gern meisterlich schaffen. Und jetzt bin ich nur gut.“

Die Königin – für sie waren die Prinzen Cosinus und Sinus nichts als weit entfernte Verwandte, mit denen sie keinen Kontakt hatte – nahm die kleine Prinzessin in die Arme und tröstete sie. Sie war sehr stolz auf ihre Prinzessin. Auf ihren starken Willen. Ihr Einlassen und darauf, sich der schwierigen Aufgabe gestellt zu haben. Die Königin war aber auch sehr dankbar. Dem weisen, gewichtigen Gelehrten, der sein Versprechen nicht nur gehalten, sondern übertroffen hatte.
la-mamma - 23. Mai, 19:32

q.e.d. würde ihnen der weise herr jetzt drunter schreiben, wenn ich es ihm nicht schon vorweggenommen hätt;-)

C O N G R A T U L A T I O N S!!!


testsiegerin - 23. Mai, 23:35

ich glaub, sie liest das eh heimlich ;-)
alles gut im urlaub?
. (Gast) - 23. Mai, 19:50

TOLL!

Glückwunsch an die Prinzessin und die Königin.

testsiegerin - 23. Mai, 23:35

danke schön. ich kann gar nix dafür ;-)
. (Gast) - 24. Mai, 22:04

Doch. Auch eine Prinzessin ist nur erfolgreich, wenn die Königin (und der König) die Voraussetzungen dafür geschafft haben.
. (Gast) - 24. Mai, 22:04

Geschafft oder geschaffen - isjawurscht.
Schlaumeier (Gast) - 23. Mai, 20:06

Vielleicht könnte der Gelehrte auch die Walküren-Tochter unter seine Fittiche nehmen? (Gegen angemessenes Schmerzensgeld, versteht sich!)

walküre - 23. Mai, 21:08

?
walküre - 23. Mai, 21:09

Ich freue mich sehr für die Prinzessin (und ein bissl auch für den weisen Gelehrten) !

testsiegerin - 23. Mai, 23:36

das tu ich auch. jetzt noch mündlich latein, englisch, bio und chemie und die sache ist geritzt.
walküre - 24. Mai, 14:17

Wenn ich von mir auf sie schließe, sage ich, dass die größte Hürde genommen ist, weil die (vormaligen) Angstgegner die schlimmsten sind. Auf jeden Fall wünsche ich ihr für die mündliche Matura alles, alles Gute !
testsiegerin - 24. Mai, 20:44

wobei der angstgegner nach dem jahr ja nur noch ein klitzekleiner angstgegner war, weil sie wusste, dass sie ihn besiegen kann.
der weise Herr (Gast) - 23. Mai, 21:27

Der weise Herr meint, dass sich der wahre Sieg nicht in Noten ausdrückt sondern dann errungen ist, wenn man das Gelernte selbst weitergeben kann.
Das ist das Prinzip der Rekursion: man gibt weiter und hofft, dass wieder weiter gegeben wird.

testsiegerin - 23. Mai, 23:37

Ja, das seh ich auch so. und das hat sie eindrucksvoll bewiesen.
katiza - 24. Mai, 14:31

Es kommt immer auf den Lehrer an - und Respekt vor der Schülerin, dass sie sich den Prinzen gestellt hat...

testsiegerin - 24. Mai, 20:43

danke, ich werde es ausrichten.
rosmarin (Gast) - 25. Mai, 11:16

chakkkaaaaaaaaaaaaaaa und herzlichste glückwünsche, an prinzessin, königin, gelehrten und überhaupt
*wirft mit konfetti*

HARFIM - 25. Mai, 23:26

nun ja :-)

als inzwischen dreifacher Großvater lese ich diesen sicherlich sehr ambitionierten Text einer Mutter mit einer gewissen amüsierten Rührung. Die Tochter wird das Gutgemeinte hoffentlich erkennen :-)) Obwohl ich sagen muss: In meinem langen Leben studierte ich auch zwei Jahre lang die Mathematik. Warum man etwas über Sinus und Cosinus wissen müsste, erschließt sich mir bis heute nicht *ggg*

freundlichen Gruß

harfim

testsiegerin - 27. Mai, 12:29

Ich glaube ja, dass viel wesentlicher war, dass sie die Erfahrung gemacht hat, dass sie herausforderungen- wenn sie etwas will und etwas dafür tut - auch schaffen kann. es war irgendwie witzig mitzuerleben, wie sie plötzlich auch in latein und anderen gegenständen viel besser wurde.
HARFIM - 27. Mai, 14:24

Ja, das stimmt,

als Mutter ist man ja auch immer in Sorge, das Kind möge auch die ungeliebten Herausforderungen des Lebens meistern :-) Ich diskutierte kürzlich mit meiner Tochter über den 9-jährigen Enkel. Er wäre so ein Tagträumer, klagte sie und verpasse den Schulstoff. Meine Meinung dazu war, das sind eigentlich die besten Voraussetzungen ein guter Mensch zu werden. Und außerdem ist er eh der meisterhafteste Konstrukteur von Legobausteinwerken, keine Lehrerin, kein Lehrer ist ihm da ebenbürtig *gg*
steppenhund - 30. Mai, 11:16

@harfim

Obwohl ich ja prinzipiell immer für die Mathematik eintrete, bin ich geneigt dem Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Sinus und Cosinus zuzustimmen.
-
Genauso unsinnig erschien es mir, dass wir beim Elektrotechnikstudium Differentialgleichung in der Mechanik lösen mussten. Erst viel später erschloss sich mir der Sinn, dass man bestimmte Dinge leichter an anschaulichen Gegenständen übt, als an nicht ganz so anschaulichen Phasenräumen und Laplace-Transformationen.
-
Über den Sinn von Mathematik habe ich schon oft geschrieben. Für eine Schülerin mag der Sinn mit der bestandenen Matura aufhören.
Für andere Menschen hat er vermutlich ebenfalls schon lange aufgehört. Deswegen können Menschen so gerne auf ENRON hereinfallen. Wenn dann plötzlich die Pensionen halbiert werden, tut es weh, aber keiner weiß warum. Das gleiche Phänomen stellt sich auch beim Betrug von Madoff heraus. Ich habe kein Mitleid mit Personen, die da etwas verloren haben.
Etwas unmittelbarer sieht die Sache schon aus, wenn ein Finanzminister ein Nulldefizit verspricht, was nur mit fadenscheinigen Tricks erreicht werden kann, dann später zu einem Spekulationsunternehmen wechselt, entsprechende Summen kassiert und fast schon höhnisch lächelt, wenn man ihm vorhält, wie viel kleine Anleger verloren haben, die man nach besten Treu und Glauben verar...t hat. Auch hier könnte ein bisschen Mathematik nicht schaden. Größenordnungen schätzen, Distanzen schätzen, Kräfte beurteilen.
Wenn ein Atomkraftwerkbetreiber angibt, dass nur alle 25.000 Jahre ein Supergau passieren könnte, ist die Division durch 400 (oder genauer gesagt 411) gar nicht so schwierig durchzuführen. Doch nicht einmal dividieren können wir mehr heute. Was eine Verhältniszahl bedeutet, kann mir wahrscheinlich nur mehr jeder 20ste erklären. Sinus und Cosinus sind Verhältniszahlen. Die Wellenfunktionen selbst sind so ungefähr das Grundlegendste, was es in der Physik gibt.
Ja, wenn sich da nur die Techniker darum kümmern sollen, dann ist bitte keine Beschwerde mehr hinsichtlich Atomkraftwerken erlaubt. Die sind vergleichsweise sicher, selbst wenn bei einem Unglück 2 Millionen Menschen drauf gehen. Wenn wir auf das rein Technische vertrauen, dann bleibt der menschliche Aspekt außen vor. Dafür gibt es die Geisteswissenschaften, aber die wollen ja keine Mathematik sehen.
Ohne Mathematik ist man auf die angewiesen, die einen mit mathematischen Tricks bluffen können. Da gibt es dann die Aussage, dass 1 Euro 13.7603 ATS sind.
Also praktisch 1 Euro = 10 ATS. Um das Kleingedruckte braucht man sich nicht kümmern. Über die 37,603% Preiserhöhung können wir jammern. Aber statt wir es der Regierung bei jeder Inflationsaussage um die Ohren hauen passiert nichts. Uns fehlt ja jede wissenschaftliche, nein mathematische Grundlage.
Nein, Sinus und Cosinus brauchen wir nicht. Da gebe ich recht. Und Lesen müssen wir auch nicht können. Da ist es ja bereits verbrieft, dass das nicht mehr als wichtig erscheint.
Es gibt nur mehr eine Sache, die wirklich wichtig ist: irgendwo einmal Erster oder Erste geworden zu sein, beim Superstar, beim Supersportler, beim Supermenschen.
Es bringt allerdings nichts, beim Cosinus Erster zu werden.
Nein, wirklich nicht!
helen (Gast) - 30. Mai, 10:40

Schöne Geschichte :)
Und toller Blog :)
LG

testsiegerin - 30. Mai, 16:04

danke!

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