16. Das Kind in mir
Die nächste Etappe gehe ich rückwärts. Durch einen bunten Wald wandere ich und lande irgendwann bei einem riesigen Baum. In dessen Krone thront ein Baumhaus, zusammengenagelt aus alten Brettern.
Über eine wacklige Strickleiter quäle ich mich hoch, denn dort oben wohnt das Kind in mir. Ich möchte es gerne besuchen.
Es nimmt mich nicht wahr, als ich – gebückt, damit ich mir den Kopf nicht anstoße – eintrete. Ich schaue mich um. An den windschiefen Wänden Poster von Ronaldinho und Thierry Henry, auf dem Boden das Kind. Versonnen sitzt es auf den Brettern, die seine Welt bedeuten und betrachtet kleine Fotos. Wahrscheinlich von den verstorbenen Großeltern. Ich bin gerührt.
„Was machst du hier?“
„Ich sammle Panini-Bilder.“
„Bilder von Panini? Dem indischen Sanskrit-Grammatiker?“ Schön finde ich das, wie gebildet die Jugend heutzutage ist.
Das Kind schaut mich mit großen Augen an und schüttelt den Kopf: „Indien spielt bei der WM nicht mit.“
„Warum denn das? Dürfen die nicht?“
„Sie haben in der Qualifikation gegen Oman und Japan hoch verloren. Wahrscheinlich können sie mit ihren Turbanen nicht gut köpfeln.“
„Darf ich wenigstens mitspielen, wenn die Inder schon nicht dürfen?“
Ich darf. Unter einer Bedingung: Ich muss Oliver Kahn hergeben und das Stadion von Gelsenkirchen.
Die Regeln habe ich schnell durchschaut und hocke mich auf den Boden. „Was krieg ich dafür?“, beginne ich mit den Verhandlungen.
„Egal. Zwei Neger“, sagt das Kind.
Ich räuspere mich. „Zwei Schwarze“, korrigiere ich und rücke Kahn und das Stadion raus. Den Tausch finde ich fair, denn ich kann Kahn sowieso nicht leiden.
Das Kind reicht mir ein Bild.
„Und wo ist der zweite?“
„Auch da drauf. Bei den Negern sind immer mehrere auf einem Bild“, erklärt es mir. „Die sind nicht so viel wert.“
Ethische Diskussionen haben jetzt keinen Sinn. Das Sammelfieber hat mich gepackt. Ich pokere hoch. Nach stundenlangen Verhandlungen ist das Kind mit dem Einkleben fertig und müde. Und ich, ich habe die vollständige Mannschaft von Togo. Und das Wappen von Usbekistan.
Glücklich klappe ich das Album zu. Breite den Schlafsack neben dem Kind aus, lege meinen wertvollen Schatz unter meinen Kopf und träume. Einen wunderschönen Traum träume ich.
Togo ist Weltmeister. Und Indien Zweiter. Trotz der Turbane.
Wenn jemand Quorig Alphose von Vanuatu braucht, bitte bei mir melden. Ich hab ihn doppelt. Gute Nacht.
Über eine wacklige Strickleiter quäle ich mich hoch, denn dort oben wohnt das Kind in mir. Ich möchte es gerne besuchen.
Es nimmt mich nicht wahr, als ich – gebückt, damit ich mir den Kopf nicht anstoße – eintrete. Ich schaue mich um. An den windschiefen Wänden Poster von Ronaldinho und Thierry Henry, auf dem Boden das Kind. Versonnen sitzt es auf den Brettern, die seine Welt bedeuten und betrachtet kleine Fotos. Wahrscheinlich von den verstorbenen Großeltern. Ich bin gerührt.
„Was machst du hier?“
„Ich sammle Panini-Bilder.“
„Bilder von Panini? Dem indischen Sanskrit-Grammatiker?“ Schön finde ich das, wie gebildet die Jugend heutzutage ist.
Das Kind schaut mich mit großen Augen an und schüttelt den Kopf: „Indien spielt bei der WM nicht mit.“
„Warum denn das? Dürfen die nicht?“
„Sie haben in der Qualifikation gegen Oman und Japan hoch verloren. Wahrscheinlich können sie mit ihren Turbanen nicht gut köpfeln.“
„Darf ich wenigstens mitspielen, wenn die Inder schon nicht dürfen?“
Ich darf. Unter einer Bedingung: Ich muss Oliver Kahn hergeben und das Stadion von Gelsenkirchen.
Die Regeln habe ich schnell durchschaut und hocke mich auf den Boden. „Was krieg ich dafür?“, beginne ich mit den Verhandlungen.
„Egal. Zwei Neger“, sagt das Kind.
Ich räuspere mich. „Zwei Schwarze“, korrigiere ich und rücke Kahn und das Stadion raus. Den Tausch finde ich fair, denn ich kann Kahn sowieso nicht leiden.
Das Kind reicht mir ein Bild.
„Und wo ist der zweite?“
„Auch da drauf. Bei den Negern sind immer mehrere auf einem Bild“, erklärt es mir. „Die sind nicht so viel wert.“
Ethische Diskussionen haben jetzt keinen Sinn. Das Sammelfieber hat mich gepackt. Ich pokere hoch. Nach stundenlangen Verhandlungen ist das Kind mit dem Einkleben fertig und müde. Und ich, ich habe die vollständige Mannschaft von Togo. Und das Wappen von Usbekistan.
Glücklich klappe ich das Album zu. Breite den Schlafsack neben dem Kind aus, lege meinen wertvollen Schatz unter meinen Kopf und träume. Einen wunderschönen Traum träume ich.
Togo ist Weltmeister. Und Indien Zweiter. Trotz der Turbane.
Wenn jemand Quorig Alphose von Vanuatu braucht, bitte bei mir melden. Ich hab ihn doppelt. Gute Nacht.
testsiegerin - 17. Mai, 22:03
Diese Sammelklebeleidenschaft
Vielleicht sollte ich das wieder einmal aufgreifen. Immerhin schreiben jetzt beide Kinder, für die es konzipiert war. Die große hat sogar schon veröffentlicht und der Sohn liest in einer Woche aus einem Buch, das er gerade schreibt.
Beim letzten Grillen haben wir schon gescherzt, dass wir eine Dynastie gründen sollten.
Ich finde deine Beiträge herrlich erfrischend trotz oder gerade wegen ihres Tiefganges.
und ich weiß, wie schwer es ist, etwas fortzusetzen, was man vor jahren begonnen hat. ich fang dann jedesmal neu an, weil ich das gefühl hab, es ist grausig, was ich geschrieben hab.
und glückwunsch zu seiner autoren-dynastie :-)