Gulag für Teens

Manchmal wirft jemand in unserem Nachbarland – noch vor Beginn der EM - einen Ball in die Höhe. Dann springt hierzulande jemand auf und versucht diesen Ball – gefüllt mit heißer Luft – zu fangen. Und dann liest man in der Zeitung: ÖVP will Erziehungscamps für jugendliche Straftäter.

Erwartet man von solchen Camps, dass daraus junge Menschen mit Rückgrat hervorgehen, die sich friedlich für Menschenrechte und Umweltschutz einsetzen, die anstatt sich ins Koma zu saufen mit ihren Tanten Tee trinken und über Adorno und Fromm diskutieren, oder mit ihren Onkeln Schach spielen und sich in Kontemplationen über das Unendliche in der Mathematik ergehen? Die sich am Abend im Freundeskreis eine Dokumentation auf ARTE anschauen?

Wollen diese konservativen Kreise überhaupt aufgeklärte Menschenrechtsaktivisten und –innen? Oder wünschen sie sich nicht klammheimlich, dass in solchen Lagern Menschen geformt werden, die Zucht, Ordnung und Gehorsam für die wesentliche Werte im Leben halten?

Die Strategie ist schlau (man könnte auch sagen: perfide):
Man tut jahrelang alles dafür, dass die Kriminalitätsrate nicht zu niedrig wird. Sperrt den Jugendgerichtshof zu, schließt Gendarmerieposten, kürzt die Ausgaben für Prävention, kürzt die Mittel für die Bewährungshilfe, spart Sozialarbeiterstellen ein, schafft entgegen dem Rat von Experten „Outdoortherapien“ mit schwierigen Jugendlichen ab, weil man sie für zu teuer und hält und meint, dass so etwas nichts bringt.
Und siehe da! Die Kriminalitätsrate unter Jugendlichen steigt. Dann reibt man sich die Hände und schreit nach einer Law and Order-Politik, polemisiert und sammelt mit sibirischen Erziehungscamps Punkte im Wahkampf.
Die gleichen Politiker schreien hier, die gegen Ganztagsschulen sind, in denen man erzieherische Maßnahmen setzen kann. Die gleichen, die Jugendliche aus der Unterschicht noch weiter an den Rand drängen, indem sie zum Beispiel Freizeitangebote in den Schulen kaputtgespart haben.

Junge Menschen brauchen keine Umerziehungslager, sondern Vorbilder. Denn am meisten orientieren sie sich daran, wie Erwachsene sich ihnen gegenüber verhalten. Respekt- und liebevoll, konsequent und verlässlich? Oder autoritär, zynisch, voller Misstrauen und mit totaler Überwachung?

Kinder, deren Vergangenheit ihre Gegenwart und Zukunft kaputtgemacht hat, brauchen Menschen, die auf sie eingehen, nicht solche, die sie verbiegen wollen. Sie dürfen nicht, weil sie einmal Mist gebaut haben, für den Rest ihres Lebens abgestempelt aund ausgegrenzt werden. Sie brauchen geschulte BetreuerInnen, PädagogInnen und ErzieherInnen, geschützte Orte und Zeit. Vor allem brauchen sie Perspektiven und Chancen. Eine Ausbildung, sinnvolle Freizeitbeschäftigungen, Arbeit, Begleitung. Das kostet Geld.
Ein Erziehungslager in Sibirien ist da natürlich billiger.

Werfen Sie den Ball bitte wieder zurück über die Grenze, Herr Missethon. Und werfen Sie bitte ganz, ganz weit. So, dass er nie wieder zurückkommt. So, dass ihm unterwegs die Luft ausgeht.
steppenhund - 18. Jan, 20:02

So billig ist das Erziehungslager in Sibirien gar nicht. Ich verstehe die ganze Sache nicht. Da muss dann noch ein Erzieher mit, der mitunter auch umgebracht wird. Das einzig Nette daran ist, dass die Bevölkerung die Jungen angeblich wohlwollend aufnimmt und die dann sagen, da stehen wir nichts, weil die selbst nichts haben.
Ich steh da vollkommen daneben. Wenn man diesen Aufwand treibt, könnte man auch auf andere Weise Resultate erzielen.
Aber wir würden unsere Wiener Jugendliche eh nur nach Vorarlberg schicken. Vielleicht kommt es dann billiger;)

testsiegerin - 19. Jan, 01:40

und ich dachte, das sibirien österreichs ist das waldviertel.
steppenhund - 19. Jan, 19:03

Weil Kinder involviert sind, muss ein Buch umgeschrieben werden:
Archipelchen Gulag
little.sista - 18. Jan, 20:48

Ich bin voll und ganz deiner Meinung! In der heutigen Zeit müssen nun mal meist beide Elternteile arbeiten. Darum bin ich für Ganztagsschulen. Nicht, um Kinder abzuschieben und seine Ruhe zu haben, sondern um sie betreut zu wissen.
Mal ehrlich, was weiß ich denn, was mein Kind den ganzen Tag treibt, wenn ich in der Arbeit bin? Also mir wäre es lieber, ich weiß, dass es in der Schule ist, betreut, verpflegt, die Hausaufgaben werden gemacht, es hat Beschäftigung. Sinnvolle Beschäftigung.
Meine Tochter ist zwar erst vier, aber ich werde mir im Herbst Ganztagsschulen ansehen. Und hoffe, dass die Politiker endlich aufwachen und (wie in einigen Ländern seit Jahren üblich) die Ganztagsschule einführen. Nicht vereinzelt, sonder als Standard!

testsiegerin - 19. Jan, 01:41

ja, das hoffe ich auch. in anderen ländern europas (skandinavien, frankreich etc.) sind ganztagsschulen längst die norm.
datja (Gast) - 19. Jan, 13:43

auch ich bin ganz deiner meinung.
hab aber sorgen.
weil: vorbilder
ui
ganztagsschule
ui ui ui
atmosphäre um gut zu wachsen
oije
usw usf
mich wundert die entwicklung nicht.
die reaktionen mancher politiker dafür aber sehr!
schlimm, schlimm

sweetsusie (Gast) - 19. Jan, 18:09

@datja

uuuiju ich geb dir recht, glaubt ihr denn wirklich, dass sich so eine ganztagsschule einrichten läßt, wie man es sich wünscht??(kostenlos vor allem) niemals wird es das geben: es benötigt lehrer, die zeit haben und zuhören und lehren, die nicht überfordert sind, allein das ist heutzutage gar nicht mehr drin, weil lehrer es wirklich schwer haben mit den kindern...warum gibt es wohl neuerdings amokläufe..das wird in einer ganztagsschule nicht besser.will kein miesmacher sein aber ich seh die entwicklung halt so.
testsiegerin - 19. Jan, 18:34

natürlich würde sich das einrichten lassen, wenn man denn wollte.
warum denn nicht?
niemand hat hier übrigens behauptet, dass ganztagsschulen das einzige mittel der wahl wären. sie wären nur ein kleiner schritt in die richtige richtung.

so neu sind amokläufe übrigens nicht.
little.sista - 19. Jan, 18:53

@SWEETSUSIE
Die Lehrer haben es schwer mit den Kindern, weil sich keiner Zeit nimmt, den Kindern Werte und gutes Benehmen beizubringen. Weil die Lehrer desinteressiert sind und sich nicht um den Job scheren. Weil beide Eltern arbeiten müssen, um sich das Leben leisten zu können. Und weil niemand mehr mit Kindern redet. Und DAS ist das eigentliche Problem.
teacher - 19. Jan, 15:01

Gulag für Teens - der Titel spricht Bände, wer nur auf solche Ideen kommt und sie für sinnvoll hält?!
Aber die Konsequenz "Ganztagsschule" kann ich nicht einfach befürworten, dafür kenne ich die Lehrer und deren Bedingungen zu gut. Wollt ihr, dass unsere Kinder rund um die Uhr in grauen Klassenzimmern dahindämmern? Da muss sich vorher noch viiiiiiiieeeeeel ändern!

testsiegerin - 19. Jan, 15:10

natürlich muss sich da noch viel ändern. dahindämmern sollen die kinder nämlich nicht. sondern auf spannende art lernen und forschen, sport betreiben, ihren hobbys nachgehen und lernen, mit anderen menschen auf eine respektvolle weise umzugehen.
sweetsusie (Gast) - 20. Jan, 01:40

@ who want

ich kenne eine lehrerin, von der ich behaupten kann, dass sie mit vollem engagement für die kinder eintritt. aber wieviel erfolg hat sie damit?kann sie denn erziehungslimits die im elternhaus geschehen sind ausgleichen? natürlich nicht! ich unterstelle jetzt keinem elternteil, das redlich sich das geld verdient um die familie zu erhalten, das es versagt hat.trotzdem leben wir heute in einer genussgesellschaft..alles haben, alles geniessen ..wo ist da die bescheidenheit, zufrieden zu sein mit dem was da ist..viele naturvölker leben so..da gibt es keine amokläufe...
schmollfisch - 27. Jan, 01:28

Gut zu wissen,

dass es bei Dir zu Hause keinen Deut anders ist als bei mir zu Hause. Die gleichen Themen. Das gleiche unsägliche Herumdoktern an den Missständen, für die die Prämissen bewusst vor Jahren gesetzt worden sind.
Ich bin allerdings mit einem Lehrer für gymnasiale Oberstufe verheiratet, der sich die letzten Haare ausrauft, wenn er das Wort "Ganztagsschule" nur hört. Seit Jahren steigen die Anforderungen. Die Lehrpläne werden immer voller, die Zeiten (vollends jetzt mit G8, ich weiß nicht, wie das in Ö damit steht) immer kürzer. Der Lehrerarbeitstag wird verstopft mit bürokratischem Schwachsinn wie: individueller Förderplan für jeden Schüler, der eine Note unter 4 bekommt (das entlarvt sich selbst, man macht es hier mit Word-Textbausteinen, anders wäre es gar nicht zu schaffen), mit Zweit- und Drittkorrektorvorschriften, mit Fortbildungspunkten, die Sonntagsnachmittag per Pilzwanderung abgeleistet werden ... wie bitte soll ein Lehrer das denn anders bringen, wenn in bestimmten Phasen Wochenarbeitszeiten von 60 Stunden zur Regel werden? Ich übertreibe nicht. Echt nicht.

Wenn ich jetzt auf die Schnelle ein Feindbild benennen müsste, dann wäre es die Medienlandschaft.
Meine jüngere Tochter hat mir beigebracht: Ihr Lehrer sagt, es gibt einen System-Regelkreislauf. Auf die Monarchie folgt das kapitalistische System, die Diktatur, die Demokratie und am Ende die Ochlokratie. Das ist die Herrschaft des Pöbels. Da stecken wir gerade drin. Ich kann den Pöbel in meinem Umfeld nicht ausmachen, wohl aber im Fernsehen und in der Zeitung. Da scheint er mir omnipräsent. Man könnte meinen, es gäbe überhaupt nur noch das.

testsiegerin - 27. Jan, 12:19

ich halte ganztagsschulen jetzt nicht für das einzig seelig machende. und natürlich braucht auch so etwas flankierende maßnahmen, eine adäquate bezahlung, personalaufstockung, eine gute ausbildung und motivierte lehrer- und erzieherInnen.
aber ich glaub trotz allem, dass kinder am nachmittag besser in der schule aufgehoben sind als auf der straße.

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