Die Geschichte vom leidenden Löwen

In der Savanne lebte ein Löwe. Ein prächtiger Löwe mit mächtiger Mähne. Er war der schönste weit und breit, der stolzeste, und er brüllte lauter und tiefer als sämtliche Tiere der Steppe.
Der Löwe liebte eine Gazelle. Eine Damagazelle, sie war im Gegensatz zu ihren unifarbenen Artgenossinnen gemustert und hatte einen weißen Fleck an der Kehle, der sie zu etwas ganz Besonderem machte. Der Löwe nannte sie zärtlich „meine Dramagazelle“, denn er liebte nicht nur die Gazelle und das Leben, er liebte auch das Drama. Tiefe Leidenschaften, große Gefühle, heftige Szenen. Großes Theater - wie es sich für den König der Savanne ziemte.
Auch die Gazelle liebte den Löwen von ganzem Herzen, sie schätzte das Vertraute und bewunderte das Fremde in ihm. Die Gier, mit der er die Fleischlieferung verschlang, die vom Lastwagen fiel, der das nahe Hotel belieferte. Sie beneidete ihn um seinen Hang zum Müßiggang und die Leichtigkeit seines Seins, die – aber das entdeckte die Gazelle erst später – oft mehr Schein als Sein war. Während die anderen Bewohner der Savanne jagten und sammelten, ums Überleben kämpften oder auf der Flucht waren, lehnte der Löwe an einem Baum und philosophierte.
In die Bewunderung der Gazelle mischte sich manchmal die Angst. Nämlich dann, wenn er seine Pranken ausfuhr, sie zärtlich damit kraulte und ihr ins Ohr flüsterte: „Ich hab dich zum Fressen gern.“

Als eines Tages der Löwe wieder einmal in der Sonne lag, sich von Hyänen und Erdmännchen bewundern und befürchten ließ und ihnen Abenteuer aus seinem Leben erzählte, hüpfte die Gazelle, die das Stillsitzen nicht gewohnt war, über die grasbedeckten Hügel an einen nahen See. Und ohne dass der Löwe eingreifen konnte, nahm die Geschichte ihren Lauf. Noch ehe die Sonne untergegangen war, waren Gazelle und Springbock ein Paar.

„Mein Dramagazellchen hat mir Hörner aufgesetzt“, vergaß der stolze Löwe seinen Stolz und schluchzte. So heftig schluchzte er, dass der trockene Boden zitterte.
„Hilfe! Ein Erdbeben!“ Die Erdmännchen, die das Paar seit vielen Jahren kannten und schätzten, krochen aus ihren Löchern. Sie sahen den leidenden Löwen und hatten großes Mitleid mit ihm.
„Wenn es wenigstens ein anderer Löwe wäre!“, fauchte der Löwe wütend, „aber nein, ein Bock. Ein geiler Bock. Ein Pflanzenfresser! Der weiß ja nicht einmal, wie man eine Hyäne reißt!“

„Die Damagazelle war sehr, sehr böse“, raunten die Erdmännchen dem Löwen zu, „weil sie dir so weh getan hat. Sie wird sich bestimmt bald besinnen, dass der Neue nicht zu ihr passt und dass du viel schöner und klüger bist als dieser Bock, der so seltsam über Stock und Stein springt.“

Der Affenbrotbaum, an dem der Löwe Tag für Tag sein Fell rieb, lauschte den Worten der Erdmännchen und schüttelte ein paar Blätter ab. Viel hatte er gesehen hier in der Savanne in den letzten tausend Jahren, und viel hatte er erlebt. An manches aber würde er sich nie gewöhnen.
„Kein Baum sagt einem anderen, wie er wachsen soll“, dachte er, „wann verstehen das die Vier- und Zweibeiner endlich?“

Der Löwe klagte allen Tieren des Landes sein Leid.
„Schau her“, zeigte er dem Tiger das Schlammloch, das er sich aus Kummer gegraben und mit Tränen gefüllt hatte, „schau, wie dreckig es mir geht. Bring mir die Gazelle wieder zurück, du bist doch ihr Freund. Und meiner. Wir Raubkatzen müssen jetzt zusammenhalten!“
„Hm“, knurrte der Tiger und wusste keinen Rat, denn für die Weisheit war die Schleiereule zuständig, die ganz oben im Geäst des Baumes lebte, aber nur am ersten Vollmond im Jahr Gäste empfing. „Ich will doch nur“, fuhr der Tiger fort, „dass die Gazelle glücklich ist, egal mit wem. Und ich will, dass auch du glücklich bist, auch egal mit wem. Vor allem aber will ich, dass ich glücklich bin. Nicht egal, mit wem.“

In einer Höhle im afrikanischen Baobab, wie der Affenbrotbaum heißt, hockte ein Langflügelpapagei und sang ein trauriges, aber wunderschönes Lied. „Das Glück ist ein Vogerl“, flötete er, „wenn es bei dir ist, kannst du es kurz fest halten, aber du darfst es nicht festhalten, sonst erstickt es. Du musst es fliegen lassen“, und schon flog er davon, der Papagei mit den bunten Kleidern und der schönen Stimme.

Keiner kann mir helfen, grummelte der Löwe und schlief traurig ein.
Nur ich selbst kann mir helfen, dachte er, als er aufwachte, denn er hatte bemerkt, dass die Traurigkeit für jemanden, der das Leben und die Lust liebte, auf die Dauer alles andere als lustig war. Außerdem fühlte er sich nicht mehr wohl in seiner schlammverkrusteten Haut und mit seiner verklebten Mähne. Bestimmt sah er richtig jämmerlich aus.
Als die Sonne aufging, stapfte er zur Quelle und spülte sich den Kummer vom Körper. Als er sauber war, besah er seinen Löwenleib im Wasserspiegel. Das Fell glänzte wieder und sein Schwanz war geschmeidig und weich. Sein Körper war voller Narben, die das Leben ihm zugefügt hatte. Und ich habe sie alle überlebt, dachte er stolz. Jede einzige. So oft, wie ich hingefallen bin, bin ich auch wieder aufgestanden.
Er trank von dem klaren Wasser und blickte in die Weite der Savanne. In der Ferne erkannte er die funkelnden Augen einen Gepardin.

Bevor er sich auf den Weg machte, blickte er noch einmal zurück. Zurück auf seine Vergangenheit und die aufregende Zeit mit der Gazelle. Es tat noch immer weh. Trotzdem sagte er: „Ich wünsche dir alles Glück der Welt.“
la-mamma - 24. Jan, 22:11

die fleischlieferung fürs nahe hotel

ließ mich laut auflachen. und natürlich hab ich die ganze zeit befürchtet, dass die dramagazelle am ende ja doch noch so ähnlich ...
*

testsiegerin - 25. Jan, 08:40

tja, die löwen sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren ;-)
datja (Gast) - 25. Jan, 09:16

wieder mal

eine ganz besonders schöne geschichte von dir.
ich LIEBE märchen, wenn sie so gscheit, dabei amüsant und auch noch poetisch sind.
danke, war ein echtes vergnügen!

er wird schon drüber hinwegkommen, dass die gazelle immer auf ihr herz hört! das macht sie ja auch so besonders.

testsiegerin - 25. Jan, 15:13

danke, danke, danke.
während meines außendienstes im pflegeheim wurde ich nämlich gut be-inspiriert.
Gazelle (Gast) - 27. Jan, 19:23

Die Geschichte vom trauernden Löwen

JAAA!!! Die Gazelle springt hinein in NEUE GEFÜHLSWELTEN & wenn sie zurückblickt, hofft sie, der trauernde LÖWE verwandelt sich in einen GLÜCKLICHEN!!! .....wie im Märchen halt!
testsiegerin - 27. Jan, 20:03

ja. das wünsch ich dem löwen auch. von ganzem herzen.
und der gazelle sowieso. vielleicht könnte sie ja ein klein weniger drama bieten?
Köppnick - 25. Jan, 09:47

Neue Wortverwendung

sich bewundern und befürchten lassen

testsiegerin - 25. Jan, 15:14

beklagen sie sich darüber?
Köppnick - 25. Jan, 16:13

Nö,

Sprache lebt. Mir gefallen solche Konstrukte, die Wörter aus ihrem allgebräuchlichen Zusammenhang reißen. In meinem Blog gibt es dafür sogar eine eigene Rubrik "Guter Deutsch".
testsiegerin - 25. Jan, 17:49

ich werde ja tagtäglich mit solchen wortschöpfungen konfrontiert. und ich mein jetzt nicht die psychisch kranken klientInnen, sondern vor allem meinen sohn. vorhin grad sagt er: die katze hat den kater schon wieder verknurrt.
datja (Gast) - 25. Jan, 16:10

BEdenklich!

BEkanntlich BEfolgen BEtreuerInnen von BEsachwalteten die BEteuerungen, dass BE einfach BÄH ist.
wieder mal nich BEachtet !
BEgrüsst, liebe BEfreundete.
:)

nömix - 25. Jan, 16:27

Warum hat sich der Löwe den windigen Springbock nicht einfach gegriffen & ihn verspachtelt? Statt die ganze Zeit rumzujammern. Ich finde die glutäugige Gepardin hat sich was besseres verdient als diesen Jammerlappen.

testsiegerin - 25. Jan, 17:50

hm. gute frage.
vermutlich weiß der löwe aufgrund seiner männlichen intuition, dass er die dramagazelle in diesem fall nicht nur als gefährtin, sondern auch als freundin verlieren würde.

herr nömix, treten sie tatsächlich für rivalenmord ein?
nömix - 25. Jan, 18:30

"männliche Intuition" ?? - was ist denn das, bitte? Das hört sich ja an wie "weibliche Logik" ("schwedischer Rotwein", "österreichischer Spitzenfußball" ad lib.) - gibts ja gar nicht wirklich. Männer & Frauen können übrigens niemals Freunde sein (wissen wir nicht erst seit "Harry & Sally" ;) - was sollte dem Löwen an einer "Freundin" liegen, bittschön? Ich bleib dabei, der Löwe ist eine Heulsuse. Geschieht dem recht, dass ihn die Gazelle geschasst hat.
datja (Gast) - 25. Jan, 21:59

NEIN !!!@ nömix

*pfauch*


verzerrtes wort: cobra
also zufälle gibts!
Gazelle (Gast) - 27. Jan, 20:45

zu nömix

Der Springbock ist WENDIG genug, den Pratzen des Löwen mit Spitzfindigkeit & Lebensweisheit auszuweichen! Seine Art tiefe Täler zu überwinden, steile Felsen zu erklimmen & Grenzen zu überspringen imponieren der Gazelle.
Die Gazelle hat das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein.
sweetsusie (Gast) - 26. Jan, 00:17

dieser löwe hat mein mitgefühl...es ist herb, wenn plötzlich jemand anderes da ist und seinen platz einnimmt..
dieser springbock..was für ein name..hat mein mitgefühl...denn er wird allein schon seines namens willens zu etwas "kreiert" was er vielleicht gar nicht ist..
einzig die gazelle oder genauer gesagt die "dramagazelle" tut das, was sie immer tut..ihre emotionen leben und sich in ihnen verlieren...
irgendwann kommt der tiger,der gepard,der.....??
und es wird eine unendliche geschichte..

sweet susie (Gast) - 26. Jan, 00:21

ach ja..und meinen respekt vor dem löwen, der ihr alles glück der welt wünscht...das ist stärke..

rosmarin - 26. Jan, 01:56

die gazelle hätte die liebe zum löwen sicher nicht überlebt.... nicht etwa wegen der unterschiedlichen herzenshaltung, sondern einfach weil der liebesakt für sie tödlich geendet hätte.
drum lieber ein springbock.
aber nix ist schlimmer, als ein jammernder löwe.
hombre.....
*plädiert für rivalenmord*

andre (Gast) - 26. Jan, 11:10

@ rosmarin

Um die Paarungsbereitschaft eines Weibchens festzustellen, benutzt der männliche Löwe das Jacobson-Organ, das sich am oberen Gaumen befindet. Dazu zieht der Löwe die Oberlippe zurück und öffnet leicht das Maul. Dieser Vorgang wird auch als Flehmen bezeichnet.

Auch wenn ein Männchen die Spitze der Rangordnung einnimmt, kann es sich mit einem Weibchen nur mit dessen Zustimmung paaren. Hierzu legt sich die Löwin auf den Bauch und erlaubt dem Männchen, sie zu besteigen. Während der Kopulation beißt der Kater der Löwin in den Nacken. Dadurch hält diese instinktiv still. Lässt eine Löwin die Kopulation zu, so paaren sie sich alle 15 Minuten zirka 40 Mal am Tag, wobei ein Kopulationsakt etwa 30 Sekunden dauert, bis die Paarungsbereitschaft der Löwin nach etwa fünf Tagen beendet ist.
datja - 26. Jan, 18:22

@ rosmarin

jammernde löwen sind schwer auszuhalten, ja.
aber rivalenmord bringts auch nicht wirklich, oder?
wenn sich die gepardin für ihn interessiert, hat er eh keine zeit mehr dazu, da seufzt er dann aus anderen gründen.
und gazelle samt springbock wechseln hurtig das revier.
und wenn sie nicht gestorben sind,.......
andre (Gast) - 26. Jan, 11:00

es gibt sie wirklich nur ohne "r"..(grins)

Damagazelle:Die Damagazelle (Nanger dama) ist in der Färbung sehr variabel. Die östlichen Populationen sind braun und weiß gemustert, während die westlichen Damagazellen fast rot sind. Alle Damagazellen haben aber einen weißen Fleck an der Kehle, durch den sie zu identifizieren sind. Das Verbreitungsgebiet erstreckt sich über den Südrand der Sahara in den Staaten Mali, Niger, Tschad und Sudan. Hier unternehmen sie jahreszeitliche Wanderungen zwischen der Wüste und der Sahelzone.

Die Bedeutung des Namens ist umstritten. Während manche den Namen auf den Damhirsch (lateinisch Dama) zurückführen, sehen andere eher das arabische dammar ("Schaf") als Bestandteil des Namens.

Anonymus (Gast) - 26. Jan, 22:28

Schöne Geschichte,

aber Löwen und Tiger leben nicht zusammen in Afrika!
testsiegerin - 26. Jan, 23:08

@ andre: natürlich gibt es damagazellen wirklich. danke für deinen exkurs.

@ anonymous: ja. das stimmt natürlich. der tiger ist aus einem afrikanischen zoo ausgebrochen.
hoffentlich überlebt er.
testsiegerin - 28. Jan, 00:15

40 mal am tag klingt wirklich anstrengend ;-)
na ja, wenigstens immer nur kurz.

danke für das lob, sag ich.

und der tiger leidet eh nicht in der fremde. der leidet nur in gefangenschaft.
andre (Gast) - 26. Jan, 23:47

dachte..

meine beschreibung der paarungseigenschaften der löwen würde hier ein wenig für interesse (grins)sorgen..das kann doch die "testsiegerin" sooo gut...oder ???erotik ...??...non comment...??par le vous ??

testsiegerin - 27. Jan, 01:09

... morgen ...
bin müde.

der tiger muss ins bett.
testsiegerin - 27. Jan, 20:02

so. ich bin ausgeschlafen. und danke dem experten andre für die expertisen ;-)
Anonymus (Gast) - 27. Jan, 21:31

Dann hätte die Geschichte...

ja eigenlich vom leidenden Tiger heißen müssen ;).

Ich liebe deine Geschichten!


Vielleicht hat der arme Löwe sich einfach nur vertan.... und hat bei der getupften Dame mehr Glück!

andre @Testsiegerin (Gast) - 27. Jan, 23:22

ja , so ists halt mit mir...finde ihre "geschichten" die ich schon ein weilchen lese, genial..darum auch der kleine anschubbser richtung paarungsbereitschaft der löwen..ich hoffe sie verzeihen?? you are the tiger..

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
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Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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Wie geht es unserer Testsiegerin?
Wie geht es unserer Testsiegerin?
Lo - 5. Feb, 17:25
Vielen Dank! Du findest...
Vielen Dank! Du findest mehr von mir auf facebook ;-)
testsiegerin - 30. Jan, 10:40
Kurschatten ' echt keinen...
auch wenn diese deine Kur schon im Juni...xx? war,...
kontor111 - 29. Jan, 09:13
zum entspannen...Angel...meint
wenn ich das nächste Mal im Bett liege, mich verzweifelt...
kontor111 - 29. Jan, 08:44
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bonanzaMARGOT - 11. Mär, 11:11
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Ich liege im Bett. Ich bin müde. Ich lese. Eine Romanbiografie...
testsiegerin - 13. Jan, 11:30
... ich könnte mal wieder...
... ich könnte mal wieder eine brasko-geschichte schreiben.
bonanzaMARGOT - 8. Jan, 07:05
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36

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