Lebenswünsche

„Guten Tag Frau Kroupka!“ Emma Rogner nahm auf dem Stuhl gegenüber ihrer Klientin Platz. Zwei Pflegebetten standen im kahlen Zimmer, daneben zwei Nachtkästchen. Keine Bilder an den Wänden, nichts, das etwas über die beiden Bewohnerinnen des Zimmers verriet. Es roch nach Urin und Desinfektionsmittel. „Schön schauen Sie heute aus. Ihre Wangen sind ganz rosig und ihre Augen strahlen heute irgendwie. So möchte ich mit 85 auch gern ausschauen. Verraten Sie mir das Geheimnis, wie man das schafft?“
Gerda Kroupka lockte sie mit dem Zeigefinger zu sich und Emma beugte sich nach vorne.
„Es sind die Erinnerungen“, flüsterte Gerda ihr ins Ohr. „Erinnerungen an ein schönes Leben und die Liebe. Davon zehrt man ein Leben lang. Haben Sie auch schöne Erinnerungen, Frau... Frau...“
„Rogner“, half Emma ihr. „Ja, ein paar solche Erinnerungen hab ich schon. Aber ich bin noch am Sammeln. Mein Album ist noch nicht voll. Zum Glück.“
Gerda Kroupka griff ihre Hand und tätschelte sie liebevoll. „Wissen Sie, wenn man anständig lebt und liebt, kann man beruhigt alt werden, Kind.“
Emma Rogner biss sich auf die Lippen. Hm. Ihre Chancen auf ein beruhigendes Altern waren soeben rapide gesunken.
„Wer waren Sie noch mal?", fuhr Gerda fort. „Ich glaub, wir zwei kennen uns irgendwoher.“
Emma Rogner nickte. Frau Kroupka hatte sie schon oft gesehen, aber meistens konnte sie sich nicht daran erinnern. „Sie schauen meiner Großmutter ähnlich, Kindchen.“
Es hatte keinen Sinn, ihrer Klientin zu erklären, welche Funktion sie hatte und warum sie hier war. Ganz konnte sie es aber nicht vermeiden, auch übers Geld zu reden, und heute schien Gerda Kroupka im Vergleich zu den letzten Besuchen im Heim wach und aufgeräumt. Emma mochte Gerda sehr, sie hatte so etwas Feines und Liebenswertes. Aus ihren Augen blitzte Humor, aus ihrer Seele Herzlichkeit. Am liebsten hätte Emma die alte Frau in den Arm genommen und an sich gedrückt, aber das wäre unprofessionell gewesen. Ein Fallen aus der Rolle, eine Grenzüberschreitung. Voller Wehmut dachte Emma an ihre Lieblingsoma, die vor mehr als dreißig Jahren gestorben war. Emma hatte sie ein paar Tage vor ihrem Tod noch besuchen wollen, aber dann war etwas dazwischengekommen. Irgendetwas Banales. Das schlechte Gewissen nagte immer noch an ihr.

„Frau Kroupka, Sie haben ganz viel Geld von Ihrem Mann geerbt. Sie können aus dem Pflegeheim ausziehen und wieder nach Hause zurückkehren. Ich organisiere das für Sie, wenn Sie möchten. Mit einer 24-Stunden-Pflege, einem Besuchsdienst, lieben Menschen, die sich um sie kümmern und ihnen alle Wünsche erfüllen... alles ist möglich.“
„Papperlapapp. Ich hab mein ganzes Leben gearbeitet und mich ums Haus gekümmert. Ich mag nimmer. Ich will nur noch meine Ruhe haben. Ich bleib hier, hier hab ich alles, was ich brauche, und basta.“
„Basta“, wiederholte Emma Rogner. „Gibt es wenigstens irgendetwas, das ich für Sie tun kann? Etwas, dass Sie sich wünschen? Noch einmal das Meer sehen, hübsche Kleider, eine gute Matratze, gutes Essen, bequeme Schuhe, Schmuck, junge Männer...“ Emma Rogner fielen viele Dinge ein, die sie gerne gehabt hätte, aber sie hatte keine halbe Million Euro auf Sparbüchern, sondern ein dickes Minus am Konto.
„Papperlapapp.“ Gerda Kroupka lachte. „Ich brauch so ein Zeugs nicht.“
„Na gut. Aber wenn Ihnen etwas einfällt, dann sagen Sie das bitte der Schwester, die ruft mich dann an.“
„Welche Schwester denn? Ich hab gar keine Schwester. Nur eine Mutter und eine Großmutter. Ich muss dann noch zu ihr, die Hühner füttern." Ihr Blick schlich aus dem Fenster. „Mit den Eiern macht sie einen wunderbaren Guglhupf. Mögen Sie ein Stück, Kind?" Plötzlich ging ein Ruck durch ihren Körper und sie wandte den Blick vom Fenster ab und Emma zu. „Grüß Gott. Was wollen Sie überhaupt von mir?“
Jetzt war Gerda Kroupka wieder in eine andere Zeit und eine andere Welt eingetaucht. Eine, in der sie wichtig war und geliebt wurde. Emma strich ihr zärtlich über die Stirn. „Ich muss los. Auf Wiedersehen. Bis bald.“

Sie war schon bei der Tür, als ihre Klientin ganz leise sagte: „Ja, da gibt es etwas, das ich mir wünsche.“
Emma kehrte um, ging in die Knie und schaute Gerda in die Augen. „Ja?“
Tränen liefen über die Wangen der alten Frau. Emma wischte sie behutsam mit dem Zeigefinger weg. „Möchten Sie mir sagen, was Sie sich wünschen?“
„Ich hätte so gern ein Packerl Manner Schnitten .“ Sie weinte.
Jetzt liefen auch über Emmas Wangen Tränen. Emmas Oma hatte ihr immer Manner Schnitten mitgebracht, wenn sie auf Besuch kam. Manner Schnitten und gezuckerte Kondensmilch aus der Tube. Emma warf ihre Professionalität über Bord und drückte die zarte, alte Frau an sich. „Ich bring Ihnen welche mit, Frau Kroupka. Die schmecken nach Geborgenheit, oder?“
testsiegerin - 28. Nov, 23:32

liebe frau falkin,

huch. was hab ich jetzt gemacht? jetzt wollte ich mich für ihren schönen kommentar bedanken und scheine ihn gelöscht zu haben. ich weiß nicht, wie das passiert ist. tut mir total leid.

gelesen hab ich ihn auf jeden fall und mich total gefreut. ich mag sie, die alten. sie haben oft so viel weisheit und berühren mich zutiefst.

rosmarin - 28. Nov, 23:50

die schnitten und gezuckerte kondensmilch werde ich mir im alter auch wünschen.
schön, liebe testsiegerin, wie sie herzenstiefe bescheidenheit so liebevoll rüber bringen...
(und sollten sie die geschichte nicht auch an manner schicken?....grinz + grüz)

Anja-Pia - 29. Nov, 09:07

Und an Nestle. ;-)
testsiegerin - 29. Nov, 14:15

an manner ist es schon geschickt, an nestle (noch) nicht.
nehalennia (Gast) - 28. Nov, 23:52

Zu Hause esse ich sie eigentlich nie...doch bin ich ganz weit weg, irgendwo in der Ferne oder bin ich auf irgendeinem Ozean auf einem Segelboot... da müssen Mannerschnitten einfach mit! Nach einem überstandenen Sturm gibt es kaum was besseres... und ja, sie haben was von Geborgenheit und Heimat...

chrissie (Gast) - 29. Nov, 02:04

gruss

ich kenne keine manner schnitten - aber ich kenne die sehnsucht nach geborgenheit und gerüche geräusche geklänge und gespreche etc. die sie meist sehr unerwartet zurückbringen. meistens weinen wesen dann. oft vor sehnsucht. nicht immer.
testsiegerin - 29. Nov, 14:31

manner schnitten sind einfach manner schnitten. und manner mag man eben ;-)

@ chrissie: mail gibt es demnächst ;-) - danke einstweilen mal für dein langes.
Jossele - 30. Nov, 14:23

Vermutlich werde ich nie wieder Mannerschnitten essen können ohne an diese wunderbare Geschichte zu denken.
Kondenzmilch zuzle ich ja seit geraumer Zeit nicht mehr (seinerzeit aber mit Wonne!).

testsiegerin - 30. Nov, 21:26

danke für das "wunderbar".

oh ja. das war damals eine wonne. kann ich mir heute gar nicht mehr vorstellen.
viennacat - 30. Nov, 23:48

auf skikurs haben die kolleginnen (damals in der klosterschul) immer die kondensmilch gezuzelt. ich nicht so.
ich bin ja eher die pikantere.
aber mannerschnitten. hach. niemals dürfen
die anders schmecken.
und eine andere farb haben.(das packerl)
so wie ildefonso.
und der trzesniewski.
aber das ist eine andere geschichte.
apropos geschichte: danke für diese herrliche.
geschichte.
einfach bezaubernd.

testsiegerin - 1. Dez, 10:11

oh gott, man stelle sich vor, manner schnitten wären auf einmal hellblau statt rosa. oder violett!

danke fürs lesen und gefallen.
Sternenstaub - 2. Dez, 17:09

tja immerwieder ein Genuss deine Geschichten zu lesen, oder zu hören ....

wie ein Ausflug in eine andere Welt, in der man/frau mittendrin steht und mitlebt ...

ach ja und Manner-Schnitten das ist einfach Kindheit und Ausflug und Pause und noch gaaaaanz viel

testsiegerin - 2. Dez, 17:39

Danke!

Mir wurde heute gesagt, dass Manner-Schnitten die Romantik zerstören. Also nicht die Schnitten selbst, sondern die Nennung der Marke in der Geschichte. Ein Weihnachtskuchen von Oma wäre angebrachter gewesen.

Mag sein, aber ich kann mich von den Manner-Schnitten nicht trennen ;-)
datja (Gast) - 8. Dez, 14:05

schnief.
so eine schöne berührende geschichte!

testsiegerin - 8. Dez, 21:32

danke vielmals.

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"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

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Wie geht es unserer Testsiegerin?
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Vielen Dank! Du findest...
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testsiegerin - 13. Jan, 11:30
... ich könnte mal wieder...
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bonanzaMARGOT - 8. Jan, 07:05
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36

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