Hi Mamsch,
ich weiß nicht, warum ich grad die letzten Tage so viel an dich denke. Vielleicht, weil Allerheiligen und Allerseelen war und weil man da an die Verstorbenen denkt. Vielleicht aber auch, weil die E. gestorben ist und der Tod allgegenwärtig ist.
Tut mir leid, dass ich nicht auf dem Friedhof war. Ich mag Friedhöfe, aber nicht zu Allerheiligen. Und ich hab auf dem Friedhof nicht das Gefühl, dass du mir näher bist als sonst. Ein Friedhof ist ein Friedhof ist ein Friedhof, nicht mehr. Als Kind musste ich immer mit auf den Friedhof zu Allerheiligen. Den, auf dem nur Holzkreuze erlaubt sind, den fand ich irgendwie schön. Wo nicht einer den anderen selbst im Tod übertrumpfen will.
Gefroren hab ich meistens am Friedhof und mich ein bisschen gelangweilt. Später dann in Uniform „Ich hatt’ einen Kameraden“ mit dem Waldhorn gespielt, in der Musikkapelle. Das ist mir heute fast ein bisschen peinlich.
Ich würde jetzt gern mit dir einen Kaffee trinken. Aber nicht den aufgewärmten von in der Früh aus der Filtermaschine, ja? Obwohl... wenn ich so sparsam wäre wie du es warst, dann hätte ich ein paar Probleme weniger jetzt.
Weißt du, ich hätte dich grad gern hier. Nein, nicht zum Aufräumen, auch nicht zum Kekse und Kuchen backen, sondern einfach so. Das Kuchenbacken übernimmt grad deine Enkeltochter. Da stautnst du, oder? Einen Kuschelkuchen macht sie für ihren Bruder zum Geburtstag. Der ist beim Opa, wie jedes Jahr zu seinem Geburtstag. Bestimmt denken die zwei da auch an dich.
Eine tolle, junge, friedliebende und warmherzige Frau ist sie geworden, deine Enkeltochter.
„Ich stell mir vor, die Marzipanwürfel, die ich da hineinwerfe, sind kleine Wesen und sie verrecken“, hat sie grad gesagt und die Küchenmaschine eingeschaltet. Sie ist entzückend.
Aufräumen ist immer noch nicht so ihres. Da wünschte ich manchmal, diese Aufgeräumtheit hätte mütterlicherseits nicht zwei Generationen übersprungen. Obwohl... du hättest sie sehen sollen, wie eifrig sie letztens geputzt und aufgeräumt hat... Ja. Die Liebe. Nein, nicht die Rosi, die ist nur ihre beste Freundin, und die ist grad in Nicaragua und liebt einen Nicaraguaner. Deine Enkeltochter hat jetzt einen Freund aus Dänemark. Genau, einen Wikinger. Du würdest mit ihm zwar nicht reden können, weil er kein Deutsch spricht, aber ich glaub, du würdest ihn genauso ins Herz schließen wie wir.
Als du so alt warst wie sie, hast du schon ein Kind gehabt. Und bald danach das nächste, nämlich mich. Sie hat nur tageweise ein Kind, nämlich den lieben Sohn einer Freundin.
Die einzige Ohrfeige in ihrem Leben hat sie von dir gekriegt. Die haben wir dir aber längst verziehen, weil wir wissen, dass das keine Erziehungsmaßnahme war, sondern ein Zeichen der Erleichterung. Du hast sie nirgends gefunden und Panik gehabt, dass sie auf den Balkon geklettert ist. Im zehnten Stock. Und sie hatte Panik, weil sie im Badezimmer irrtümlich die Lüftung eingeschaltet und gedacht hat, sie hat was kaputtgemacht. Deshalb hat sie sich unter der Eckbank versteckt. Und du hast ihr dann aus lauter Erleichterung eine geschmiert.
Den Führerschein hat sie jetzt auch, beim zweiten Anlauf hat’s geklappt. Dein Enkelsohn nimmt demnächst auch wieder Anlauf für den Traktorführerschein, aber bitte sei nicht enttäuscht, wenn er es nicht schafft. Weißt du, er hat so viel geschafft in seinem Leben. Du wärst bestimmt stolz auf ihn, auch ohne Führerschein. Er arbeitet jetzt auf der Gemeinde. Grünflächenpflege. Wenn ich mit dem Auto vorbeifahre, wenn er Laub recht, strahlt er mich an. Er mag seine Arbeit gerne, wie er überhaupt alles gerne macht, was er tut. Ihm geht’s immer noch jeden Tag gut, weil ihm nichts einfällt, warum es ihm nicht gut gehen sollte.
Vor kurzem hat er sich eine Woche Urlaub genommen. Im Urlaub ist er noch früher aufgestanden als sonst und hat den Bauern bei der Kartoffelernte geholfen. Er hat mich beschämt mit seiner Antwort auf meine Frage, ob die ihn dafür bezahlen. „Ich brauch das Geld nicht“, hat er gesagt, „ich verdiene 800 Euro im Monat, das ist viel mehr, als ich brauche.“
Die Sparsamkeit hat er von dir, Mama. Ich lad ihn zum Geburtstag zum Sushi essen ein, das tun die Bauern nämlich nicht. Und zu Weihnachten wünscht er sich eine DVD. Ich glaub, sie heißt „Moderne Landtechnik im Einsatz“.
Großartige Menschen sind deine Enkelkinder geworden, obwohl wir sie nicht erzogen, sondern einfach geliebt haben. Mir ist es manchmal richtig peinlich, wenn andere Leute sich über ihre Kinder beklagen und mir fällt nichts Negatives ein.
Schade, dass du das alles nicht mehr erlebst. Blöd, dass da diese nasse Wurzel war, auf der du ausgerutscht bist. Ich tröste mich immer noch damit, dass du nicht gelitten hast. Weißt du, dass ich deine Hausschuhe, eines der wenigen Dinge, die ich mir damals von dir genommen hab, immer noch trage? Jetzt gehen sie schon ein bisschen aus dem Leim.
Wie es mir geht? Es geht mir gut. Ich hab immer noch den gleichen Beruf, den ich immer noch total mag, und mit deinem Schwiegersohn verhält es sich ähnlich. Ob er auch glücklich ist, weiß ich nicht, du kennst ihn ja, er ist kein Schwätzer. Außerdem muss er die Welt retten, und so wie die Welt grad beinander ist, ist das ganz schön viel Arbeit. Da hat er für solche Lappalien wie ein Gespräch über die Beziehung keine Zeit.
Ich schreibe sehr viel, Mamsch. Am Mittwoch hab ich wieder einen Auftritt. Ich stell mir dann vor, dass du im Publikum sitzt und stolz auf mich bist. Du wirst danach sagen „Ich hab ja keine Ahnung von Kunst“, aber es wird dir gefallen, glaub ich. Ah ja, und Theater spiele ich auch. Die freche Rotzgöre liegt mir am meisten. Na ja, jahrelange Übung.
Du hast es auch nicht immer leicht gehabt mit mir, wie? Und schau, trotzdem ist etwas geworden aus mir, auch wenn’s beim Dach reinregnet, die Schulden noch nicht abbezahlt sind und das Laub im Garten nicht gerecht ist. Aber was auf dieser Welt ist schon gerecht?
Tut mir leid, dass ich nicht auf dem Friedhof war. Ich mag Friedhöfe, aber nicht zu Allerheiligen. Und ich hab auf dem Friedhof nicht das Gefühl, dass du mir näher bist als sonst. Ein Friedhof ist ein Friedhof ist ein Friedhof, nicht mehr. Als Kind musste ich immer mit auf den Friedhof zu Allerheiligen. Den, auf dem nur Holzkreuze erlaubt sind, den fand ich irgendwie schön. Wo nicht einer den anderen selbst im Tod übertrumpfen will.
Gefroren hab ich meistens am Friedhof und mich ein bisschen gelangweilt. Später dann in Uniform „Ich hatt’ einen Kameraden“ mit dem Waldhorn gespielt, in der Musikkapelle. Das ist mir heute fast ein bisschen peinlich.
Ich würde jetzt gern mit dir einen Kaffee trinken. Aber nicht den aufgewärmten von in der Früh aus der Filtermaschine, ja? Obwohl... wenn ich so sparsam wäre wie du es warst, dann hätte ich ein paar Probleme weniger jetzt.
Weißt du, ich hätte dich grad gern hier. Nein, nicht zum Aufräumen, auch nicht zum Kekse und Kuchen backen, sondern einfach so. Das Kuchenbacken übernimmt grad deine Enkeltochter. Da stautnst du, oder? Einen Kuschelkuchen macht sie für ihren Bruder zum Geburtstag. Der ist beim Opa, wie jedes Jahr zu seinem Geburtstag. Bestimmt denken die zwei da auch an dich.
Eine tolle, junge, friedliebende und warmherzige Frau ist sie geworden, deine Enkeltochter.
„Ich stell mir vor, die Marzipanwürfel, die ich da hineinwerfe, sind kleine Wesen und sie verrecken“, hat sie grad gesagt und die Küchenmaschine eingeschaltet. Sie ist entzückend.
Aufräumen ist immer noch nicht so ihres. Da wünschte ich manchmal, diese Aufgeräumtheit hätte mütterlicherseits nicht zwei Generationen übersprungen. Obwohl... du hättest sie sehen sollen, wie eifrig sie letztens geputzt und aufgeräumt hat... Ja. Die Liebe. Nein, nicht die Rosi, die ist nur ihre beste Freundin, und die ist grad in Nicaragua und liebt einen Nicaraguaner. Deine Enkeltochter hat jetzt einen Freund aus Dänemark. Genau, einen Wikinger. Du würdest mit ihm zwar nicht reden können, weil er kein Deutsch spricht, aber ich glaub, du würdest ihn genauso ins Herz schließen wie wir.
Als du so alt warst wie sie, hast du schon ein Kind gehabt. Und bald danach das nächste, nämlich mich. Sie hat nur tageweise ein Kind, nämlich den lieben Sohn einer Freundin.
Die einzige Ohrfeige in ihrem Leben hat sie von dir gekriegt. Die haben wir dir aber längst verziehen, weil wir wissen, dass das keine Erziehungsmaßnahme war, sondern ein Zeichen der Erleichterung. Du hast sie nirgends gefunden und Panik gehabt, dass sie auf den Balkon geklettert ist. Im zehnten Stock. Und sie hatte Panik, weil sie im Badezimmer irrtümlich die Lüftung eingeschaltet und gedacht hat, sie hat was kaputtgemacht. Deshalb hat sie sich unter der Eckbank versteckt. Und du hast ihr dann aus lauter Erleichterung eine geschmiert.
Den Führerschein hat sie jetzt auch, beim zweiten Anlauf hat’s geklappt. Dein Enkelsohn nimmt demnächst auch wieder Anlauf für den Traktorführerschein, aber bitte sei nicht enttäuscht, wenn er es nicht schafft. Weißt du, er hat so viel geschafft in seinem Leben. Du wärst bestimmt stolz auf ihn, auch ohne Führerschein. Er arbeitet jetzt auf der Gemeinde. Grünflächenpflege. Wenn ich mit dem Auto vorbeifahre, wenn er Laub recht, strahlt er mich an. Er mag seine Arbeit gerne, wie er überhaupt alles gerne macht, was er tut. Ihm geht’s immer noch jeden Tag gut, weil ihm nichts einfällt, warum es ihm nicht gut gehen sollte.
Vor kurzem hat er sich eine Woche Urlaub genommen. Im Urlaub ist er noch früher aufgestanden als sonst und hat den Bauern bei der Kartoffelernte geholfen. Er hat mich beschämt mit seiner Antwort auf meine Frage, ob die ihn dafür bezahlen. „Ich brauch das Geld nicht“, hat er gesagt, „ich verdiene 800 Euro im Monat, das ist viel mehr, als ich brauche.“
Die Sparsamkeit hat er von dir, Mama. Ich lad ihn zum Geburtstag zum Sushi essen ein, das tun die Bauern nämlich nicht. Und zu Weihnachten wünscht er sich eine DVD. Ich glaub, sie heißt „Moderne Landtechnik im Einsatz“.
Großartige Menschen sind deine Enkelkinder geworden, obwohl wir sie nicht erzogen, sondern einfach geliebt haben. Mir ist es manchmal richtig peinlich, wenn andere Leute sich über ihre Kinder beklagen und mir fällt nichts Negatives ein.
Schade, dass du das alles nicht mehr erlebst. Blöd, dass da diese nasse Wurzel war, auf der du ausgerutscht bist. Ich tröste mich immer noch damit, dass du nicht gelitten hast. Weißt du, dass ich deine Hausschuhe, eines der wenigen Dinge, die ich mir damals von dir genommen hab, immer noch trage? Jetzt gehen sie schon ein bisschen aus dem Leim.
Wie es mir geht? Es geht mir gut. Ich hab immer noch den gleichen Beruf, den ich immer noch total mag, und mit deinem Schwiegersohn verhält es sich ähnlich. Ob er auch glücklich ist, weiß ich nicht, du kennst ihn ja, er ist kein Schwätzer. Außerdem muss er die Welt retten, und so wie die Welt grad beinander ist, ist das ganz schön viel Arbeit. Da hat er für solche Lappalien wie ein Gespräch über die Beziehung keine Zeit.
Ich schreibe sehr viel, Mamsch. Am Mittwoch hab ich wieder einen Auftritt. Ich stell mir dann vor, dass du im Publikum sitzt und stolz auf mich bist. Du wirst danach sagen „Ich hab ja keine Ahnung von Kunst“, aber es wird dir gefallen, glaub ich. Ah ja, und Theater spiele ich auch. Die freche Rotzgöre liegt mir am meisten. Na ja, jahrelange Übung.
Du hast es auch nicht immer leicht gehabt mit mir, wie? Und schau, trotzdem ist etwas geworden aus mir, auch wenn’s beim Dach reinregnet, die Schulden noch nicht abbezahlt sind und das Laub im Garten nicht gerecht ist. Aber was auf dieser Welt ist schon gerecht?
testsiegerin - 3. Nov, 14:12
inspirierend
Das Verhältnis zu meiner Mutter war ja oberflächlich recht gut. Wir sahen unsere Eltern regelmäßig, bis meine Mutter kurz nach der goldenen Hochzeit verstarb. Mein Vater lebt dann ja noch bis er 90 war und er wurde von meiner Frau gelebt.
Ich hatte meiner Mutter immer einen gewissen Materialismus vorgeworfen. Zwar war er zu dem ihrer Mutter bereits stark gemäßigt, doch fühlte ich mich als Kind nur wegen meiner Leistungen geliebt. Diese Erwartungshaltung hat mich bis ins 55. Lebensjahr begleitet und mehr oder weniger angetrieben.
Es half nicht, dass meine Mutter nichts lieber tat, als eine Weissagung einer Wahrsagerin zu wiederholen, die ihr einmal gesagt hatte, dass ich reich und berühmt werde.
Wahrscheinlich bin ich es nur deswegen nicht geworden, weil ich diese Erwartungshaltung so hasste.
Heute sieht es ein bisschen anders aus. Meine Mutter hätte vermutlich ihre Freude an mir.
Nach Tests, die Mme Katiza manchmal auf facebook verlinkt, kann ich mich reich schätzen. Das täte ich allerdings auch, wenn ich weniger verdienen würde und weniger hätte. Denn der Reichtum ist meine Familie.
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Dass ich berühmt bin, würde ich nie von mir behaupten. Doch kürzlich, - ich weiß gar nicht mehr wer es behauptet hat - erfuhr ich, "dass ich berühmt bin". In meinem Gebiet halt. Aber ich nehme das nicht besonders ernst.
Also könnte ich meine Mutter heute wohl zufrieden stellen.
Und was die Familie angeht?
Heute war ich mit meiner Frau auf der Ausstellung "Mensch und Tier" in Graz. Dort lernten wir über Zuchthengste und ihre Stammbäume. Wir lernten, wie sorgfältig die einzelnen Paarungen geplant werden. Ich sagte zu meiner Frau: "Wenn wir Pferde wären, hätte man uns nimmermehr gepaart." Sie darauf: "aber unsere Tierchen sind doch recht nett geworden!".
Und daran hätte meine Mutter wohl ihre Freude gehabt. Nicht nur an den "Tierchen" sondern auch an deren "Tierchen". Und so schließt sich der Kreis: reich bin ich wegen der Tierchen und der Tiertierchen;)