Da hängt was schief

Mut zur Lücke hatte er. Der Baum, der etwas abseits lehnte und auch so gerne Christbaum gewesen wäre. Aber niemand wollte ihn, die Menschen entschieden sich für die dichten, stolzen Nordmanntannen. Doch, einer wollte ihn. Mein Mann. „Was ist mit dem?“, fragte er den Waldbesitzer. „Ach, den zerschneid ich“, sagte dieser. „Den nimmt doch keiner.“ „Ich schon. Wieviel kriegst du?“ „Zehn Euro. Geh, gib mir fünf, passt schon.“

„Wunder- wunderschön“, staunen wir alle, als der Baum im Wohnzimmer steht. „Das ist der hässlichste Baum, den wir je hatten.“
Wir haben in unserer Familie eine Schwäche für Außenseiter, füreinander, für alles, das ein bisschen von der Norm abweicht.
„Hängt nicht so viel auf den Baum, sonst kann man nicht mehr erkennen, dass es ein Baum ist“, sage ich üblicherweise am Vorweihnachtstag. „Hängt bitte alles auf, was wir haben“, sage ich diesmal. Die Christbaumkugeln in allen Farben, die Schokobananenkringel, die kitschigen Weihnachtsmänner, die Schokoschirmchen, die Sternspritzer, Lametta, die bunte Lichterkette, sogar die selbstgewickelten Mützenbommel.
„Vielleicht könnte man ja etwas von den unteren Ästen abschneiden und oben hineinflicken?“, schlage ich vor, weil der Mut zur Lücke ein ziemlich großer ist. Mein Vorschlag prallt an der Sturheit meiner Mitbewohner ab. „Das würde den Baum kränken“, meinen sie. „Auch er hat ein Recht auf körperliche Unversehrtheit.“ Ja, ich bin schon still.

„Schnell!“, brülle ich ins Arbeitszimmer, in dem mein Mann grad die Welt rettet. „Stille Nacht!“ Es ist drei Minuten vor fünf. Ich lege keinen besonderen Wert auf Traditionen, aber es gibt Rituale, die zu brechen würde Unglück bringen, das wäre, wie auf die Fugen zwischen den Fliesen zu treten. Um 16:57 dröhnt „Stille Nacht“ aus dem Radio, die bunte Lichterkette leuchtet, mein Mann zündet die Wunderkerzen an, von denen nur die Hälfte brennt, weil sie aus dem Vorjahr sind. Unseren vier Katzen gefällt der missratene Baum. Zum Glück ist er an der Decke angebunden, wie jedes Jahr.
„Is bald aus, das Lied?“, fragt mein Mann. „Halt durch, Papa, eine Strophe noch“, meine Tochter. „Ich hab Nasenbluten.“ „Gusch“, zische ich. „So seid doch ein bisschen besinnlich. Sie singen eh nur drei Strophen, in Wahrheit gibt es sechs.“

"Jesus der Retter ist da!"
"Jesus der Retter ist da!"
Es wird still. Eine Sekunde lang.

„Drei, zwo eins, los! Frohe Weihnachten! Yippiee!“, brüllen sie.
„Tschuldigung. Ich kann nichts für diese Familie“, schiele ich zum Baum und zwinkere ihm zu. „Aber ich liebe sie.“ Er zwinkert zurück. Eigentlich passt er ganz wunderbar zu uns.
zuckerwattewolkenmond - 25. Dez, 14:40

Die Bäume

können es gut haben bei euch. Frohe Weihnachtsfeiertage!

testsiegerin - 26. Dez, 17:33

ebenfalls. sie sind ja auch auf den baum gekommen, wie ich gelesen habe ;-)
katiza - 25. Dez, 14:48

Jedes Bäumchen, ein Träumchen, bezaubernde B., feiert noch schön...


testsiegerin - 26. Dez, 17:34

das tun wir. heute war mein papa da, mit der steirischen knopfharmonika, und hat weihnachtslieder, kärntner lieder und wienerlieder gespielt.
punctum - 25. Dez, 18:27

Hach, das klingt nach Weihnachten, wie ich es kenne und liebe! Der hässlichste Baum wohnte letztes Jahr bei uns. Er war etwa 3 m hoch und bestand zur Hälfte aus Spitze. In der unteren Hälfte gab es ein paar Äste. Da unser Wohnzimmer nicht 3 m hoch ist, wurde etwas gekürzt, und da niemals! die Spitze abgesägt werden darf, bestand der Baum fürderhin sozusagen praktisch nur aus Spitze. Wunderschön! Kein Baum hat uns bisher so viel Lachen ins Haus gebracht! Die Nachbarn kamen extra herbei, um das Werk zu betrachten - und freuen sich heute noch darüber. - Oder dieses andere Weihnachten, als der Baum (fast 3 m hoch, wie immer) wegen eines defekten Ständers immer wieder umfiel, ins frisch gemalerte Zimmer, und immer in eine andere Richtung und die Bescherung praktisch in Schutzkleidung und mit vorsichtshalber eingezogenen Köpfen eiligst absolviert wurde ....

Frohe Weihnachten!

testsiegerin - 26. Dez, 17:34

hach, frau dr. blubb und ich haben uns bei ihrer erzählung grad köstlich amüsiert und uns das szenario bildlich vorgestellt!
punctum - 26. Dez, 23:44

Gut. Nun stellen Sie sich das Ganze bitte auch noch mit echten Kerzen am, äh, Baum vor, das ist nämlich unverzichtbare Tradition, weil so romantisch. Die im Jahr des Umfallbaumes daneben geparkten zwei Wassereimer schadeten da so gut wie gar nicht. Und der Gang zur Kirche erfolgte in eben jenem Jahr finster schweigend. Der verzweifelte Heiterkeitsausbruch anschließend war dann aber auch schön. Sie sehen, ich verstehe Ihre schönen Weihnachten vollkommen :-))
Spezielle Grüße an Frau Dr. Blubb!!
steppenhund - 25. Dez, 18:58

Ich hab schon anderswo geschrieben, dass wir zu unseren Christbäumen ein sehr herzliches Verhältnis haben. Alle, die wir seit 1991 haben leben noch. Die ersten zwei wurden schon eingepflanzt. Der heurige erlebt sein 5. Saison. Es ist schön zu sehen, wie er immer wieder austreibt. Nur an der Spitze haben wir ihn etwas beleidigt. Die sieht jetzt wie abgebissen aus.

Früher, als wir nur die Einwochenchristbäume hatten, gab es ganz lustige Unikate. Ganz früh einmal bin ich mit dem Mini einem LKW hinterher gefahren, bis ich in stoppen konnte, um den allerletzten Christbaum von der Ladefläche zu kaufen. Der war auch billig. Ganz toll war einer, an dem noch Zapfen hingen. Ich fand das zwar fast obszön, doch es war der einzige, den ich noch ergattern konnte. Das waren die Zeiten, als ich wirklich bis zum allerletzten Augenblick in der Firma gearbeitet hatte.
Ich würde auch heute noch einen Weihnachtsbaum wie den oben geschilderten kaufen und würde genauso das Recht auf Unversehrtheit beachten.
Es sind Erinnerungen an solche Bäume, die das Weihnachtsfest lebendig erhalten.

testsiegerin - 26. Dez, 17:36

Das stimmt. Bei uns hat leider noch kein lebender Baum überlebt. Bei uns geben sie dann irgendwann Wärme und Licht.
Und stimmt. So etwas bleibt besser in Erinnerung als etwas Perfektes. Außerdem hätte ich sonst nie diese Geschichte geschrieben, über die sich meine Familie total gefreut hat.
datja (Gast) - 27. Dez, 10:14

nicht nur die familie hat sich über die geschichte gefreut !
la-mamma - 25. Dez, 19:44

da läuft was rund;-)

testsiegerin - 26. Dez, 17:36

ich werd bald rund, wenn ich so weiterfuttere ;-)

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
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Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
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